158078.fb2 Die Entscheidung: Kapit?n Bolitho in der Falle - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 4

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Verhängnisvolles Schicksal

Leutnant Tyrell hielt sich krampfhaft an der Achterdeckreling fest und starrte angestrengt über das Steuerbordschanzkleid.»Verdammter Nebel!«Er lehnte sich über die Reling und versuchte verzweifelt, weiter als bis zum Vorschiff zu sehen.»Und unser gottverfluchtes Glück!»

Bolitho sagte nichts, sondern ging zur entgegengesetzten Seite des Decks hinüber. Schon vor Beginn der Dämmerung, als die Wassertiefe ständig gelotet wurde und aller Augen und Ohren gespannt die ausgesungenen Werte hörten, auf die Geräusche der entfernten Brandung horchten und gelegentliche Gischtspritzer in der Dunkelheit bemerkten, war er sich des immer dichter werdenden Nebels bewußt geworden. Das war hier zu dieser Jahreszeit nicht ungewöhnlich, doch hatte er erwartet, daß es beim ersten Schein der Morgensonne aufklaren würde.

Als er jetzt querab schaute, wußte er, daß der Nebel dichter denn je war. Er bewegte sich mit dem Wind, hing zwischen den Wanten und schien sich in die Takelage zu klammern wie blasse Schlingpflanzen. Über den Großmastrahen konnte er gar nichts sehen, und abgesehen von einem freien Fleck Wassers unterhalb des Achterdecks war auch die See im wallenden Nebel verborgen. Da er mit dem Schiff Schritt hielt, nahm der Nebel den Eindruck der Bewegung weg, und man hatte das Gefühl, als ob die Sparrow wie ein Geisterschiff in einer Wolke schwebte.

Eine Stimme unterhalb des Achterdecks rief:»Marke fünf!»

Die Stimme des Seemanns wurde zum Schweigen gebracht, als diese Meldung von den Lotgasten am Anker von Mund zu Mund weitergegeben wurde. Nachdem sie über der Sandbank waren, hatte Bolitho» Klar Schiff zum Gefecht «befohlen, und da der Nebel sowohl Sicht als auch Geräusche verschluckte, mußten sie jede Vorsichtsmaßnahme ergreifen.

Er blickte wieder zum Großmarssegel hinauf. Es zog das Schiff stetig über die Untiefen, die flappende Leinwand glänzte in dem grauen Licht vor Feuchtigkeit und zeigte an, daß irgendwo über dem Nebel die Sonne schien und vielleicht sogar Land in Sicht war.

«Tiefe vier!»

Bolitho wanderte nach achtern zum Ruder, wo Buckle mit seinen Männern stand; der Nebel glitt durch seine gespreizten Beine und ließ ihn wie ein Gespenst erscheinen.

Er salutierte, als Bolitho näher kam, und berichtete:»Das Schiff hält sich gut, Sir. Kurs Süd zu Ost wie vorher.»

Vom Geschützdeck hörte man das kratzende Geräusch von Holz auf Holz, und als Bolitho sich umdrehte, sah er einen der langen Riemen über dem Wasser schweben und dann wieder in die Reihe der anderen zurückkehren. Er hatte vor einer Stunde angeordnet, die Riemen auszulegen, denn wenn der Wind abfiel oder sie auf eine Untiefe stießen, waren sie das einzige Mittel, wieder freizukommen.

«Wahrschau an Deck!«Die Stimme des Ausgucks schien vom Nebel selbst zu kommen.»Schiff an Steuerbord!»

Bolitho starrte nach oben, und es wurde ihm zum erstenmal bewußt, daß der Nebel leicht gelblich war wie der Nordseenebel. Endlich Sonne. Hoch über dem Deck, isoliert durch eine Nebelschicht, hatte der Ausguck ein anderes Schiff entdeckt.

Er sah, daß Tyrell und die anderen ihn beobachteten; sie alle waren vom Ruf des Ausgucks in ihren verschiedenen Tätigkeiten aufgeschreckt worden.

Bolitho sagte:»Ich werde aufentern, Mr. Tyrell. «Er machte seinen Säbel los und übergab ihn Stockdale.»Passen Sie gut auf und vergewissern Sie sich, daß der Anker jeden Moment geworfen werden kann, wenn nötig. «Er eilte zum Schanzkleid, hin und her gerissen zwischen dem unerwarteten Anblick eines fremden Schiffes und der wachsenden Übelkeit beim Gedanken, in den Ausguck hinaufzusteigen.

Dann schwang er sich hinaus in die Großwanten und ergriff die bebenden Taue mit solcher Kraft, daß man den Eindruck gewinnen konnte, das Schiff sei in einem Orkan. Durch die Wanten hindurch sah er Graves unten auf dem Geschützdeck mit eingezogenen Schultern stehen, nicht rechts und nicht links blickend.

Bethune stand in seiner Nähe, eine Hand ruhte auf einem Zwölfpfünder, die andere beschattete seine Augen, als er in den Nebel hinaufspähte. Überall auf dem Schiff standen die Leute wie Statisten herum, die bloßen Rücken feucht vom Wasser, das unablässig von der Takelage heruntertropfte, so daß es aussah, als schwitzten sie, als kämen sie gerade aus einer Schlacht.

Hie und da sah man ein kariertes Hemd oder die dunkelblau und weißen der Feuerwerkersmaaten, die sich von den übrigen abhoben, als hätte der Künstler gerade noch Zeit gefunden, ihnen die richtige Haltung zu geben, ehe er zu einem anderen Teil des Bildes überging.

«Marke fünf!«Der Laut kam vom Vorschiff wie eine Klage.

In Gedanken stellte Bolitho sich die Karte vor. Die Flut war jetzt auf ihrem Höhepunkt. Bald würden auch die sogenannten sicheren Rinnen zwischen den Untiefen und Sandbänken naher zueinanderrücken wie große Kiefer, die sich um die Beute schließen.

Er biß die Zähne zusammen und begann zu klettern. Als er innehielt, um Atem zu schöpfen, schien das Schiff im Nebelseine Umrisse verloren zu haben. Nur die Geschütze und Niedergänge waren einigermaßen klar zu sehen; an der Heckreling schienen Buckle und die anderen durch die Nebelschwaden halbiert zu sein.

Höher hinauf. Am Großmast schlüpfte er lieber durch das Landrattenloch, als sich der zusätzlichen Qual auszusetzen, mit Händen und Füßen an den Püttingswanten zu hängen. Ein Seemann starrte ihn an, als er vorüberglitt, und starrte immer noch, als Bolitho immer schneller nach oben kletterte, bis auch er im Nebel verschwunden war.

Einige Augenblicke später spähte Bolitho mit etwas wie Bewunderung zur Großbramstenge hinauf. Denn dort oben war der wolkenlose Himmel strahlend blau, und er sah die Stagen und Spieren wie Kupfer in der Sonne glänzen.

Der Ausguck, der die Beine sorglos von der Saling baumeln ließ, rückte etwas zur Seite, um seinem Kapitän neben sich Platz zu machen.

Bolitho griff nach einer Stage und versuchte, seinen Atem unter Kontrolle zu bekommen.

«Nun, Taylor, Sie haben ein schönes Plätzchen hier oben.»

Der Ausguck begann zu grinsen.»Aye, Sir. «Er hatte den weichen Dialekt der nördlichen Landstriche, und diese vertraute Stimme half mehr, als Bolitho es sich hätte träumen lassen, um seine Übelkeit zu beruhigen.

Er hob einen braungebrannten Arm.»Dort drüben ist das Schiff, Sir!»

Bolitho drehte sich um und versuchte, nicht auf den vibrierenden Mast zu sehen, der unter ihm im Nebel verschwand. Einen Moment konnte er gar nichts erkennen.

Dann, als der träge Wind den Nebel in Bewegung brachte, sah er die ragenden Großmasten und den flappenden Stander einer Fregatte, ungefähr drei Meilen steuerbords voraus.

Er vergaß seine prekäre Lage, die Übelkeit des schwindelnden Aufstiegs, alles außer dem anderen Schiff.

Der Ausguck sagte:»Dort sind auch Grundseen, Sir. Ich schätze, die Fregatte steht auf der anderen Seite der Sandbank.»

Bolitho blickte ihn ernst an.»Sie kennen das Schiff, nicht wahr?»

Der Mann nickte.»Aye, Sir. Es ist die Bacchante. Mit Kapitän Colquhouns Kommandoflagge auf dem Vorschiff. «Er beobachtete Bolithos undurchdringliches Gesicht.»Ich habe vor zwei Jahren auf ihr gedient.»

Bolitho nickte. Er hatte gewußt, daß es die Bacchante war. Vielleicht hatte er gehofft, daß er sich geirrt hatte, daß Nebel und Licht mit ihm sein Spiel trieben.

Aber er konnte nicht an Taylors Worten zweifeln. Sie waren typisch für einen Seemann wie ihn. Wenn sie einmal mit oder auf einem Schiff gedient hatten, schienen sie es unter jeder Bedingung wiederzuerkennen. Taylor hatte nur die oberen Rahen der Fregatte gesehen, aber sie sofort identifiziert.

Bolitho berührte seinen Arm.»Beobachten Sie sie gut, Taylor. «Er schwang ein Bein über die Kante.»Sie haben Ihre Sache gut gemacht.»

Er kletterte und schlitterte abwärts, in Gedanken bei dem erneuten Zusammentreffen. Einmal glaubte er, über seiner Schulter die Sonne auf dem Wasser blitzen zu sehen, querab vom Rumpf. Der Nebel ließ also doch nach. Aber es war jetzt zu spät, wenn die Sache schiefging.

Tyrell wartete bei der Achterdeckreling auf ihn, seine Augen blickten fragend, als Bolitho von den Wanten heruntersprang und auf ihn zueilte.»Es ist die Bacchante!»

Bolitho starrte an ihm vorbei auf die nach oben gerichteten Gesichter auf dem Geschützdeck, auf die Gischtspritzer, als die Lotgasten die Leine wieder auswarfen.

«Fünf weniger ein Viertel!»

Er wandte sich zu Tyrell um.»Colquhoun muß während der Nacht ziemlich weit weg vom Land gelegen haben. Als der Wind auffrischte, hat er ihn erwischt, genau wie uns. Er muß meilenweit in der Fahrrinne abgetrieben sein. «Er drehte sich um, seine Stimme klang plötzlich bitter.»Der verdammte Narr wäre besser näher unter Land geblieben! Jetzt ist er da draußen jenseits der Sandbank völlig nutzlos! Er würde fast einen halben Tag brauchen, um in Angriffsposition gehen zu können!»

Tyrell fuhr sich mit der Hand über das Kinn.»Was sollen wir tun? Die Flut wird gleich zurückgehen, und wir müssen aufpassen, wenn wir den Franzosen erwischen wollen. Meiner Meinung nach sollten wir abwarten und es später noch einmal versuchen.»

Buckle nickte langsam.»Ich bin auch der Meinung. Wenn der Plan von Kapitän Colquhoun auf halbem Weg geplatzt ist, dann kann man von uns nichts Besseres erwarten.»

Bolitho hörte nicht auf sie.»Mr. Tyrell, lassen Sie die Riemen einholen und die Geschütze laden und ausrennen. Geschütz nach Geschütz bitte, mit so wenig Lärm wie möglich. «Er betrachtete Buckles zweifelndes Gesicht und fügte hinzu:»Ich kenne das Risiko. Lassen Sie also die Großsegel aufgeien, und sagen Sie dem Bootsmann, er soll einen Warpanker bereithalten, falls wir ihn brauchen. «Er verschränkte die Hände hinter seinem Rücken.»Sie können mich ruhig für verrückt halten, Mr. Buckle. «Er hörte, wie die Riemen nach innen gezogen wurden und in ihre Bettungen plumpsten, das Rumpeln der Blöcke, als die erste Kanone zu den geöffneten Geschützpforten gezogen wurde.»Vielleicht bin ich es auch. Aber irgendwo da draußen steht eine britische Korvette wie wir. Andere sind daran schuld, daß sie ziemlich allein ist, und wenn ich nicht verrückt bin, dann wird die Fawn jedes bißchen Hilfe brauchen können, das sie bekommen kann!»

Das große Hauptsegel stieg flatternd und protestierend zu seiner Rahe empor, und die Männer arbeiteten geschäftig, um es unter Kontrolle zu bringen und die Decks vom Bug bis zum Heck freizulegen.

Ein Maat rief heiser:»Geladen und ausgerannt, Sir!«Tyrell ging nach hinten, sein Sprachrohr unter den Arm geklemmt. Bolitho sah ihn an und lächelte kurz.»Sie waren diesmal schneller!»

Dann lehnten sie sich zusammen an die Reling, die Rücken den Rudergängern und dem aufmerksamen Buckle zugedreht, und blickten nach vorn. Der Nebel hing noch immer um das Schiff, aber bereits dünner, und Bolitho bemerkte, daß er endlich langsamer als das Schiff wurde, sich stetig durch die Wanten über Steuerbord verzog. Auch das Sonnenlicht drang stärker durch. Nicht viel, aber er sah, wie die Schiffsglocke etwas reflektierte und wie es auf einer schwarzen Zwölfpfünderkugel spielte, die ein Geschützführer von einer Hand in die andere gleiten ließ, um ihre Perfektion zu testen oder aus einem anderen Grund.

Bolitho fragte leise:»Wie weit noch, nach Ihrer Meinung?«Tyrell hob sein verletztes Bein und zuckte zusammen.»Der Wind bläst regelmäßig von Nordost. Unser Kurs ist Süd zu Ost. «Er dachte laut.»Die Messungen haben bestätigt, daß die Karte stimmt. «Er entschloß sich.»Meiner Meinung sind wir noch ungefähr sechs Meilen von der Stelle entfernt, an der die Fawn über die Untiefen kreuzte. «Er wandte sich um und fügte fest hinzu:»Sie werden sich bald entschließen müssen, Sir. Wir werden auf Grund laufen, wenn Sie noch viel länger auf diesem Kurs bleiben.»

Das Singen schien gerade in diesem Moment herüberzudringen, um sich über ihn lustig zu machen:»Marke drei!»

Leutnant Heyward, der ganz still an der Achterdecksleiter stand, murmelte:»Großer Gott!»

Bolitho sagte:»Wenn der Franzmann immer noch da ist, dann muß er auch Platz genug haben, um wieder klarzukommen.»

Tyrell blickte ihn traurig an.»Aye. Aber wenn wir so weit gekommen sind, werden wir nicht mehr in der Lage sein zu wenden. Der Froschfresser kann seine Nase in uns bohren.»

Bolitho stellte sich die leeren Masten und Rahen von Colquhouns Fregatte vor und verkrampfte die Hände ineinander, um seine Nerven zu beruhigen und seinen aufsteigenden Ärger zu dämpfen. Dieser Narr Colquhoun! Er war so versessen darauf, die Lorbeeren für sich zu ernten, daß er eine Änderung des Windes nicht berechnet hatte. Und so bedacht darauf, die Sparrow nicht am Sieg teilhaben zu lassen, daß er nun dem Feind die Tür geöffnet hatte; er konnte ungehindert fliehen, wenn er wollte. Die Fawn würde ihn nicht zum Kampf bringen, auch wenn sie ihn erreichen konnte.»Drei weniger ein Viertel!»

Er griff in die Wanten und versuchte, sich nicht vorzustellen, wie der Meeresboden langsam und stetig gegen den Kiel des Schiffes anstieg.

Es hatte keinen Zweck. Er schwang sich von den Wanten weg, seine plötzliche Bewegung versetzte Fähnrich Fowler in Alarm. Er setzte das Schiff und das Leben jedes einzelnen an Bord aufs Spiel. Die Fawn hatte wahrscheinlich geankert, oder der Feind war schon längst weg. Seine Bedenken und seine privaten Zweifel würden kaum ins Gewicht fallen, verglichen mit den Ertrunkenen, wenn er eine Havarie riskierte.

Er sagte barsch:»Wir wenden. Ich möchte die Sandbank überqueren und wieder zur Bacchante stoßen, sobald der Nebel aufklart. «Er sah Buckle erleichtert nicken. Tyrell betrachtete ihn verständnisvoll.»Lassen Sie Mr. Graves meine besten Grüße ausrichten, und die Geschütze sollen. «Er fuhr herum, als mehrere Stimmen durcheinanderschrien.

Tyrell sagte kurz und bündig:»Geschützfeuer, bei Gott!»

Bolitho erstarrte und lauschte angestrengt dem abwechselnden Knallen und Krachen der schwereren Geschütze.

«Belegen Sie den letzten Befehl, Mr. Tyrell!«Er beobachtete, wie ein Sonnenstrahl den Großmast vergoldete.»Wir werden nicht mehr lange blind sein!»

Es vergingen einige Minuten, jeder Mann an Bord horchte gespannt auf das entfernte Geschützfeuer.

Bolitho merkte, daß er über den Klüverbaum hinaussehen konnte, und als er querab blickte, sah er eine gekrümmte Brandungslinie, die die nächsten Riffe bezeichnete. Vielleicht war es der Nebel oder Echos vom noch unsichtbaren Land, jedenfalls klang das Geschützfeuer irgendwie falsch. Er konnte das schärfere Knallen der Neunpfünder der Fawn von den schweren Geschützen des Feindes unterscheiden, aber da waren noch andere Explosionen aus verschiedenen Richtungen, die sich überhaupt nicht mit den Umständen vereinbaren ließen.

Die Sonne brach durch und schien auf die feuchten Planken; Dunstschleier stiegen von den tropfnassen Wanten und dem Tauwerk auf, dann wurde der Nebel wie ein phantastischer Vorhang weggezogen, und man konnte im Morgenlicht jedes Detail klar erkennen: die Spitze der Insel, dunkelblau gegen den freien Himmel, und dazwischen das Muster der Brandung und Strömung, die die Nähe der Sandbank anzeigten.

Und genau vor der Sparrow lag Maulbys Fawn, ihr Rumpf schien mit Bolithos Klüverbaum verwachsen zu sein.

Etwas weiter weg, Masten und Segel immer noch im Nebel verborgen, lag der Franzose, halb vom Schatten verschluckt, die Umrisse mit der Landschaft dahinter verwischt. Er feuerte schnell, die Batterie blitzte mit orangen Zungen auf, über dem Geschützrauch konnte man deutlich seine Flagge sehen.

Erst jetzt bemerkte Bolitho, daß die Fawn immer noch verankert war. Voll Übelkeit betrachtete er die Wasserfontänen, die um sie herum aufspritzten, den gelegentlich größeren Springbrunnen, wenn eine Kugel längsseits einschlug.

Buckle rief heiser:»Sie haben den Anker gekappt, Sir!»

Maulbys Männer legten bereits die Riemen aus, um von der mörderischen Sandbank freizukommen, während ihre Geschütze weiterhin lebhaft auf den Feind feuerten. Bolitho umkrampfte die Reling, als der Fockmast der Fawn zuerst schwankte und dann in einem Wirbel von Gischt und Rauch fiel. Er hörte Tyrells Stimme wie im Traum, sah ihn erregt auf etwas zeigen, mehr Blitze zuckten, nicht von dem Franzmann, sondern von Land her. Die Batterie mußte ziemlich weit unten stehen, wahrscheinlich auf einem kleinen Strand.

Was für eine perfekte Falle! Maulby mußte vom Nebel überrascht worden sein, und nachdem er sich vergewissert hatte, daß der Feind offensichtlich noch in der Nähe der Küste war, war er vor Anker gegangen, um Colquhouns Unterstützung zu erwarten. So war es nicht erstaunlich, daß der Leutnant der Bacchante so viel Aktivität gemeldet hatte. Der französische Kapitän hatte sich die Zeit genommen, eine Batterie an Land zu bringen, so daß jeder Angreifer in einem verheerenden Kreuzfeuer gefangen werden mußte, aus dem es kaum ein Entkommen gab.

Die Riemen waren nun ausgelegt, hoben und senkten sich wie Flügel, drehten die kleine Korvette herum, bis sie vom Feind weg und zur offenen See strebte.

Ein Durcheinander von Schreien und Stöhnen ertönte vom Geschützdeck, als die Backbordreihe der Riemen in wildem Gewirr wegflog; die zersplitterten Ruderblätter wurden in die Luft gewirbelt, ehe sie um das Schiff herum in Fetzen aufschlugen.

Bolitho nahm ein Fernglas und richtete es auf das Achterdeck der Fawn. Er sah durcheinanderrennende Figuren, Gesichter, die durch die Vergrößerung und ohne daß man sie sprechen hören konnte, noch schrecklicher wirkten. Offene Münder, gestikulierende Arme, als die Männer liefen, um die beschädigte Takelage wegzuhacken, damit wenigstens einige Geschütze weiterfeuern konnten. Eine Spiere fiel in sein begrenztes Gesichtsfeld, so daß er sich unwillkürlich krümmte, als ob er erwarte, den Schock des Aufschlags zu spüren. Ein Seemann rannte und stolperte zu einem Niedergang, sein Gesicht war offensichtlich weggeschossen, furchtbar anzusehen, wie er stürzte und endlich über Bord fiel.

Jemand hatte einen klaren Kopf behalten, denn hoch über dem Deck sah Bolitho das Großmarssegel frei im Wind flattern; langsam begann die Fawn Fahrt zu machen.

Er merkte, daß Buckle ihn am Arm rüttelte, und drehte sich um, als dieser verzweifelt schrie:»Wir müssen wenden, Sir!«Er zeigte gestikulierend auf das glitzernde Wasser und die Masse brauner Pflanzen, die dicht unter der Oberfläche vorbeiglitt.»Wir laufen jeden Moment auf!»

Bolitho blickte an ihm vorüber.»Klar zum Ankern, Mr. Tyrell.»

Er erkannte seine eigene Stimme nicht wieder. Sie klang wie Metall auf Metall.»Lassen Sie die Kutter fieren, und bereiten Sie sofort das Ausbringen eines Warpankers vor. «Er wartete, bis Tyrell zur Reling gerannt war und die ersten verwirrten Männer sich in den Rahen verteilt hatten.»Wir bleiben hier.»

Die Sparrow bewegte sich langsam über die Untiefen, und als sie über eine Sandbank fuhr, konnte man ihren eigenen Schatten sehen, ehe das Wasser wieder tiefer wurde.

Bolitho gab weiter seine Befehle, jeden einzeln und unabhängig vom nächsten, während er sich zwang, sich zu konzentrieren, seine Ohren vor dem Geschützfeuer zu verschließen und seine Augen von der langsamen und methodischen Zerstörung der Fawn abzuwenden. Die Kutter wurden zu Wasser gelassen, und Glass, der Bootsmann, nahm einen von ihnen, um einen kleinen Warpanker auszulegen. Mit aufgegeiten Segeln und an Bug und Heck lose verankert, kam die Sparrow endlich zur Ruhe.

Erst dann hob Bolitho wieder sein Fernrohr und stellte es auf die Fawn ein. Schwer angeschlagen, alle Masten außer dem Besan weggeschossen, versuchte sie immer noch, der Bombardierung zu entkommen. Es war hoffnungslos. Obwohl ihr Ruder noch intakt zu sein schien und die Kreuzbrahmstenge und das Besansegel eine gewisse Steuerung erlaubten, war sie doch durch die Masse der herabhängenden Spieren und Leinwand stark behindert, und es waren wohl nur noch wenige Männer übrig, die das alles wegschneiden konnten. Sie wurde wieder und wieder getroffen, Holz und Planken schwammen um sie herum wie das Blut eines verwundeten Tieres.

Es gab einen heftigen Ruck, und als auch der Besanmast herunterkam, wußte Bolitho, daß sie aufgelaufen war. Sie schlug quer, ihr Deck krängte zu ihm herüber, als die ersten Felsspitzen sich in ihren Kiel bohrten. Es war vorüber.

Er setzte das Fernglas ab und gab es jemandem, der in der Nähe stand. Er sah keine einzelnen Gesichter, hörte keine bekannten Stimmen. Seine eigene war so fremd und unnatürlich wie vorher.

«Der Franzose liegt backbords voraus. «Wie ruhig es nun war. Der Feind hatte das Feuer eingestellt, denn seit die Fawn gestrandet war, lag sie wenigstens außerhalb der Reichweite dieser Geschütze. Rauch zog über das Festland, und Bolitho stellte sich vor, wie die Artilleristen jetzt ihre Geschütze reinigten und die unerwartete Ankunft einer fremden Korvette beobachteten. Noch ein Opfer.»Die Reichweite ist weniger als eine Meile. Er liegt für eine perfekte Täuschung gut verankert. «Er wußte, daß Tyrell und die anderen ihn entgeistert beobachteten.»Er kann uns nicht treffen. Wir andererseits… «Er drehte sich um, obwohl er es eigentlich nicht gewollt hatte, und sah, wie Bugspriet und Back der-Fawn abbrachen und in die quirlende Strömung fielen. Er fuhr tonlos fort:»Wir können ihn treffen, hart treffen!»

Graves stand auf der Leiter, sein Gesicht war blaß von dem Schock oder dem Anblick des so grausam zerstörten Schiffes.

Bolitho blickte ihn an.»Lassen Sie das BackbordBuggeschütz fertigmachen. Wir werden das Feuer eröffnen, wenn Sie fertig sind. Sagen Sie dem Bootsmann, was Sie brauchen. Wenn Sie die Ankerkabel benutzen, können Sie nach Wunsch hin- und herschwojen. «Er wandte sich an Tyrell.»Lassen Sie sofort das Ankerspill besetzen.»

Graves war bereits das halbe Deck entlanggegangen, als ihn Bolithos Stimme auf der Stelle erstarren ließ.

«Holen Sie Mr. Yule! Ich möchte, daß er eine kleine Esse aufbaut, in der er Munition für Ihr Geschütz erhitzen kann. Passen Sie gut auf, daß alles richtig klappt. «Seine Augen suchten das feindliche Schiff.»Wir haben jetzt Zeit. Viel Zeit.»

Dann ging er zu den Wanten hinüber und wartete, bis Tyrell nachkam.

Tyrell sagte ruhig:»Sie hatten recht, Sir. Die waren hinter uns her. Allmächtiger Gott, wir haben gerade unserer Zerstörung zugesehen!»

Bolitho blickte ihn ernst an.»Aye, Jethro. «Er erinnerte sich mit plötzlicher Klarheit an Maulbys Worte bei ihrem letzten Zusammentreffen — über Colquhoun:»Dieser Mann wird noch mein Tod sein.»

Er drehte sich wieder um, und seine Stimme war hart:»Was, zum Teufel, soll diese Verzögerung?«Als Antwort kam ein lauter Krach von vorn, und er sah den Schuß ungefähr eine halbe Kabellänge vom Feind entfernt einschlagen.

Unten wurde ein Befehl gegeben, und die Männer am Ankerspill strengten sich an, zogen das Kabel so, daß die Sparrow etwas herumschwang und Graves' Mannschaft eine bessere Zielrichtung hatte.

Die Kugel fuhr aus dem Rohr, diesmal traf sie in einer Linie mit dem Heck des Feindes auf.

Bolitho mußte seine Hände ineinander verkrampfen, um ruhig zu bleiben. Die nächste Kugel würde treffen. Und von da an… Er gab Stockdale ein Zeichen.

«Klar mit der Gig. Der zweite Kutter soll auf die Fawn zuhalten. Vielleicht können wir noch einige ihrer Leute aufnehmen. «Unten stand der Schiffsarzt Dalkeith an der Leiter, er hatte schon seine lange, fleckige Schürze angezogen.

Wieder krachte das Buggeschütz, und Bolitho sah den braunen Rauch aufsteigen, der den wirklichen Einschlag der Kugel verbarg. Eine Stimme schrie:»Getroffen! Glatt auf dem Achterdeck!»

Er sagte halb zu sich selbst:»Diesmal sind es keine Spielzeugkanonen, Herr Franzose. Diesmal nicht!»

«Gig ist klar!«Sogar Stockdales Stimme klang schockiert.

«Sie haben das Kommando, bis ich wiederkomme, Mr. Tyrell. «Er wartete, bis der sein verwundetes Bein zur Schanzkleidpforte hinuntergeschleppt hatte.»Wir werden mit der nächsten Flut auslaufen.»

Er hörte dumpfes Hämmern, als Yule und seine Maaten eine einfache Esse konstruierten. Es war gefährlich, sogar unter normalen Umständen tollkühn, Munition an Bord zu erhitzen: ein zundertrockener Rumpf, Tauwerk und Leinwand, Teer und Schießpulver. Aber das war keine normale Situation, die Sparrow lag in geschützten Gewässern vor Anker. Ein schwimmender Geschützstand. Es war nur eine Frage der Genauigkeit und Geduld.

Tyrell fragte verlegen:»Wie lange sollen wir weiterschießen?»

Bolitho schwang sich hinaus über die sanft schlagenden Wellen und die grünen Reflexe.

«Bis der Feind vernichtet ist. «Er schaute weg.»Vollständig.»

«Aye, Sir.»

Tyrell beobachtete, wie Bolitho in die Gig kletterte, das rasche Aufblitzen der Riemen, als Stockdale sie auf das Wrack zulenkte, das einmal die Fawn gewesen war.

Dann ging er langsam zur Achterdeckreling und beschattete seine Augen, um das feindliche Schiff zu beobachten. Es gab wenig Anzeichen für Schäden, aber die Kugeln trafen jetzt regelmäßig. Bald würden die glühenden Geschosse aus Yules Esse kommen, und dann… Er schauderte trotz des stärker werdenden Sonnenlichts. Wie jeder Seemann fürchtete er Feuer mehr als alles andere.

Heyward kam zu ihm herüber und fragte leise:»Hat er es ernst gemeint?»

Tyrell dachte an Bolithos Augen, die Verzweiflung und Verwundung, als die Fawn in die Falle gegangen war.»Aye, das hat er.»

Er zuckte zusammen, als ein Geschütz des Franzosen feuerte, sah, wie die Kugel ungefähr eine Kabellänge zu kurz eine kleine Wasserfontäne aufwarf. Die Seeleute, die nicht am Ankerspill oder in den Booten zu tun hatten, beobachteten von den Niedergängen und Wanten aus alles; einige schlossen sogar Wetten über den nächsten Schuß ab. Als jede Kugel des Franzosen vorbeiging, schrien sie hurra; sie waren ja nur Zuschauer und wußten nicht, daß nur auf Grund einer Verwicklung des Schicksals die Leute der Fawn und nicht sie im Feuer dieser Kanonen gestorben waren.

Tyrell fuhr fort:»Das hat uns Colquhoun eingebrockt. Wenn unser Kapitän seine ihm zustehende Position beim Angriff bekommen hätte, hätten wir es geschafft. «Er preßte seine Handflächen aneinander.»Arroganter Bastard! Und jetzt sitzt er dort draußen wie eine Art Gott, und wir dürfen den ganzen Mist für ihn machen!»

Wieder krachte ein Schuß über das Wasser, und er sah, daß eine Spiere vom Großmast des Feindes fiel: sehr langsam, oder so sah es wenigstens aus, wie ein Blatt vom Baum.

Fähnrich Fowler rief:»Unsere Boote sind am Wrack, Sir!«Er war blaß, doch als er sein Fernrohr hochnahm, war seine Hand ruhig.

Tyrell blickte ihn kalt an. Und da ist noch so einer: wie Ransome, wie Colquhoun. Ohne Menschlichkeit oder Gefühle.

Er hatte die Fawn als Wrack bezeichnet. Und doch war sie noch vor wenigen Momenten ein lebendes Wesen gewesen. Der Lebensinhalt für ihre Leute und die, die nach ihnen gekommen wären.

Er sagte heftig:»Entern Sie auf, Mr. Fowler, und nehmen Sie Ihr Fernglas mit! Lassen Sie die Bacchante dort hinter dem Riff nicht aus den Augen, und achten Sie auf ihre Signale.»

Wenn sie welche gab.

Als das Geschütz wieder krachte, zwang er sich, zur gegenüberliegenden Seite zu gehen, und überließ Heyward seinen Gedanken.

Bolitho hörte den regelmäßigen Geschützdonner, als die Gig an der Fawn festmachte. Er kletterte mit einigen seiner Männer an Bord.

«Zuerst den Kutter!«Er machte Bethune ein Zeichen, der wie in Trance auf die blutigen Überreste starrte.»Voll bemannen, und dann die Gig.»

Stockdale folgte ihm auf das schräge Deck, über zerschmetterte Boote und wirre Takelage. Als sie an einem Niedergang vorbeikamen, sah Bolitho einen grünen Schimmer, schaute nach unten und sah, wie die See gurgelnd durch ein großes Leck im Rumpf schoß und das Sonnenlicht mit zwei treibenden Körpern spielte. Große Blutlachen, umgeworfene Geschütze, um die Überlebende benommen herumliefen und dann zu den wartenden Booten gingen. Es schienen sehr wenige zu sein.

Bolitho wischte sich das Gesicht mit dem Hemdsärmel ab. »Uns«, hatte Tyrell gesagt. Es war nicht schwer zu verstehen.

Er verhielt an der Achterdecksleiter und schaute auf Maulby hinunter. Er war von einer herunterfallenden Spiere zerschmettert worden, seine erstarrten Züge zeigten noch den Schmerz dieses Augenblicks. Auf seiner Wange war ein kleiner blutiger Riß, und Fliegen krochen über sein Gesicht.

Er sagte heiser:»Nimm ihn mit, Stockdale. «Stockdale bückte sich und murmelte dann:»Geht leider nicht, er ist festgeklemmt.»

Bolitho kniete sich hin und bedeckte Maulbys Gesicht mit einem Fetzen Leinwand. Ruhe sanft, alter Freund. Bleibe bei deinem Schiff. Du bist heute in bester Gesellschaft.

Ein kurzer Ruck ging durch das Schiff. Es begann auseinanderzubrechen. Die See, die Flut und die nicht festgezurrten Geschütze würden sehr bald beenden, was der Feind begonnen hatte.

Bethunes Stimme kam von längsseits, wo der Kutter in einer gefährlichen Dünung auf und nieder stampfte.»Alle Mann sind von Bord, Sir.»

«Danke.»

Bolitho hörte, wie die See durch das untere Deck spülte, die Offiziersmesse überschwemmte und in die Achterkajüte vordrang. Eine Kajüte wie seine. Es blieb keine Zeit mehr, etwas zu retten. Er bückte sich, machte Maulbys Degen los und gab ihn Stockdale.»Jemand in England freut sich vielleicht darüber.»

Lange blickte er in die Runde. Jede Einzelheit einprägen. Nichts vergessen.

Dann folgte er Stockdale in die Gig. Er schaute nicht zurück und hörte auch nicht die letzten Geräusche der untergehenden Fawn. Er dachte an Maulby, seine schleppende Stimme, fühlte seinen letzten Händedruck.

Tyrell erwartete ihn.»Mr. Yule hat die Esse fertig.»

Bolitho blickte ihn mit leeren Augen an.»Lassen Sie sie löschen, bitte.»

«Sir?»

«Ich will Männer nicht dafür verbrennen, daß sie ihre Pflicht getan haben. Der Franzose ist jetzt zu schwer beschädigt, um wegzukommen. Wir senden ein Boot unter weißer Flagge hinüber. Ich denke nicht, daß er das sinnlose Töten wird fortsetzen wollen.»

Tyrell atmete langsam aus.»Aye, Sir. Ich werde es veranlassen.»

Als er den Befehl zum Löschen des Feuers gegeben hatte und auf Deck kam, war Bolitho verschwunden.

Er sah Stockdale den Degen mit einem Lumpen abwischen, sein zerschundenes Gesicht war gänzlich von dieser Aufgabe in Anspruch genommen. Er dachte an die beiden Schiffsmodelle, die er von Tilby geerbt hatte. Genau wie Maulbys Degen. War das alles, was von einem Mann übrigblieb?

Er grübelte immer noch darüber nach, als die Toppmasten der Bacchante in Sicht kamen und sie ihr erstes Signal hißte.

Es wurde Abend, ehe sich die Sparrow der Fregatte nähern konnte. Sobald sie von der Sandbank freigekommen war, hatte der Wind sich gedreht und beträchtlich an Stärke zugenommen, so daß man alle Anstrengungen machen mußte, um nicht in die Nähe der gefährlichen Grundseen zu kommen. Wieder in offenen Gewässern, ungefähr fünf Meilen querab von der immer dunkler werdenden Landspitze der Grand Bahamas, reffte die Sparrow Segel und drehte ungefähr eine Kabellänge von Colquhouns Schiff entfernt bei.

Als er in der wie verrückt stampfenden Gig saß, beobachtete Bolitho die Fregatte und deren letztes Signal» Bitten Kapitän an Bord«, das soeben eingeholt wurde. Es war schon einige Zeit aufgezogen gewesen, aber wie alle vorherigen hatte er es ignoriert. Er hatte es noch nicht einmal bestätigt.

Gischt spritzte von den Riemen und flog über sein Gesicht. Das half, ihn zu beruhigen, aber nur etwas. Seine Sorge paßte zu seinem Ärger, seine Selbstbeherrschung hielt sich die Waage mit dem Bedürfnis, Colquhoun gegenüberzutreten.

Die Gig drehte sich und hob sich auf einen Wellenkamm, der Bugmann wurde fast herausgeschleudert, als er am Fallreep der Bacchante einhakte und festmachte.

Bolitho kletterte die Jakobsleiter hinauf, diesmal ignorierte er die See, die um den Rumpf wogte, als wolle sie ihn wegschwemmen.

Colquhoun stand nicht an der Schanzkleidpforte, und der Erste Leutnant sagte schnell:»Bei Gott, Sir, es tut mir leid, was geschehen ist.»

Bolitho blickte ihn ernst an.»Danke. Es war nicht Ihr Fehler. «Dann ging er ohne einen weiteren Blick für die schwankende Ehrenformation auf die Kajüte zu.

Colquhoun stand an den Fenstern, als hätte er sich seit ihrer letzten Begegnung nicht bewegt. Im gelben Licht der Laterne sah sein Gesicht hölzern aus, und als er sprach, war sein Ton der eines viel älteren Mannes.

«Sie haben lange gebraucht! Wie können Sie es wagen, meine Signale zu ignorieren!»

Bolitho blickte ihn kalt an. Der Ärger in Colquhouns Stimme war genauso falsch wie seine Haltung, und er sah, daß die Hand auf der weißen Kniehose stark zitterte.

«Ihre früheren Signale galten der Fawn, Sir. «Er sah ihn auffahren und sprach ruhig weiter:»Sie hatte sich aber schon in Einzelteile aufgelöst, und ihre Mannschaft war zum größten Teil in der Schlacht getötet worden oder ertrunken, als sie auf Grund lief.»

Colquhoun nickte krampfhaft, er zog die Brauen zusammen, als ob er seine Gefühle unter Kontrolle bekommen wollte.»Das gehört nicht zur Sache. Sie haben meine Befehle mißachtet und die Sandbank ohne Erlaubnis überquert. Sie.»

Bolitho sagte:»Ich habe getan, was ich für meine Pflicht hielt. «Es hatte keinen Zweck. Er fühlte, wie er die Beherrschung verlor.»Wenn nicht Ihre Gier nach Ruhm gewesen wäre, hätten wir den Franzosen gemeinsam besiegen können, und zwar ohne Verluste. Wir hatten alle Vorteile auf unserer Seite, denn der Feind kannte unsere volle Stärke nicht. Er wollte nur eine Prise: die Sparrow.«Bolitho drehte sich um und versuchte, seinen Kummer zu verbergen.»Nur Ihretwegen wurden Maulby und seine Männer getötet, ging sein Schiff verloren. Wegen Ihrer sinnlosen Sturheit, Ihrer Unfähigkeit, über Prisengeld hinauszudenken, konnten Sie ihnen nicht helfen, als es nötig gewesen wäre. «Er wandte sich wieder um, seine Stimme war hart.»Nun, der Franzose ist besiegt! Was wollen Sie noch? Vielleicht die verdammte Ritterwürde?»

Überraschenderweise war Colquhouns Stimme sehr leise, und als er sprach, richtete er die Augen auf einen Punkt hinter Bolitho.»Ich werde Ihren Ausbruch ignorieren. «Er hielt inne.»Ach, ich erinnere mich, Sie haben ja den jungen Fowler an Bord. Es wäre nicht gut gewesen, ihn in der Schlacht zu verlieren. «Jetzt sprach er schneller, die unzusammenhängenden Sätze kamen gleichzeitig mit seinen Gedanken über seine Lippen.»Der Admiral wird einen vollständigen Bericht anfordern. Ich werde…»

Bolitho betrachtete ihn angeekelt.»Ich habe die schriftlichen Befehle, die Sie mir ursprünglich gegeben haben. Die Befehle, in denen Sie mich so weit vom Angriffspunkt entfernten wie nur möglich. «Trotz Colquhouns Erklärungen und Entschuldigungen zwang er sich fortzufahren.»Wäre ich diesen Befehlen gefolgt, auch wenn der Wind konstant geblieben wäre, wäre die Fawn trotzdem verloren gewesen. Was hätten Sie dann getan? Vielleicht die kleine Lucifer geschickt?»

Colquhoun ging zu seinem Tisch und zog eine Karaffe heran. Etwas von dem Brandy lief über seine Hand, aber er schien es nicht zu bemerken.

«Ich habe vor einiger Zeit Befehle erhalten. Sobald wir den Franzmann aufgespürt oder die Suche aufgegeben hätten, sollten wir nach New York zurückfahren. Die Flotte soll reduziert werden. «Er trank ein halbes Glas Brandy und mußte Anstrengungen machen, um wieder zu Atem zu kommen.»Die Bacchante wird wieder Pflichten in der Flotte übernehmen.»

Bolitho starrte ihn an. Jedes Mitgefühl, das er vielleicht trotz seines Ärgers gehegt hatte, war durch dieses Geständnis wie weggefegt. Leise fragte er:»Sie haben die ganze Zeit gewußt, daß Sie nach New York segeln werden?«Er lauschte seiner eigenen Stimme und wunderte sich, daß sie so ruhig klingen konnte.»Sie dachten, das ist Ihre letzte Chance, sich zu beweisen. Eine große Siegesschau, Sie laufen in den Hafen ein, eine fette Prise mit Ihren Farben im Schlepp! Vor lauter Gier konnten Sie aber die Gefahr nicht sehen, und die Fawn hat teuer für Ihre Unwissenheit bezahlt!»

Colquhoun hob den Blick und starrte ihn verzweifelt an.»In New York können die Dinge anders aussehen. Erinnern Sie sich, ich war derjenige, der Ihnen geholfen hat…«Er brach ab und trank noch einen Brandy.»Ich brauchte diese Prise! Ich hatte sie verdient!»

Bolitho ging zur Tür, seine Augen ruhten auf den zuckenden Schultern Colquhouns.»Ich habe den übriggebliebenen Leutnant von der Fawn auf den Franzosen geschickt, um das Kommando zu übernehmen. Die Kapitulation wurde von Leutnant Heyward entgegengenommen. «Er zwang sich, die Einzelheiten aufzuzählen.»Das Schiff des Franzosen wird keinen großen Wert mehr haben. Ich schlage vor, Sie schicken Ihre Seesoldaten zur Aufsicht und warten auf die Militärs, die wahrscheinlich die Gefangenen wegbringen werden.»

Colquhoun stützte sich gegen ein Fensterkreuz, seine Stimme wurde von den Geräuschen der See gedämpft.»Das bedeutet Kriegsgericht. «Seine Schultern strafften sich.»Sie werden auch als Zeuge gebeten werden.»

Bolitho nickte.»Könnte sein.»

Colquhoun zeigte auf seine Kajüte, ohne sich umzudrehen.»Alles vorbei. Nur weil die Umstände einen Moment ungünstig waren. Schicksal.»

«Maulby dachte das wahrscheinlich auch. «Bolitho hatte bereits die Hand auf die Klinke gelegt. Colquhoun stieß sich vom Fenster ab und kam durch die Kajüte geschlurft.»Sie haben also schließlich doch gewonnen, wie?«Seine Stimme brach.»Sie und Ihre verdammte Sparrow!»

Bolitho erkannte die Qual des Mannes und antwortete:»Als ich vor drei Jahren das Kommando über die Sparrow erhielt, dachte ich, das sei alles, was ein Mann sich wünschen konnte. Damals hätte ich mich wohl Ihren Entscheidungen gebeugt, unabhängig davon, was sie nach sich gezogen hätten. Jetzt weiß ich es besser, vielleicht sogar dank Ihnen. Ein Kommando ist eine Sache. Aber die Verantwortung, die Pflicht gegenüber denjenigen, die von einem abhängig sind, ist die größere Bürde. Wir müssen uns die Schuld an Maulbys Tod teilen. «Er sah, wie Colquhoun ihn ungläubig anstarrte, dann fuhr er fort:»Ihre Gier machte Sie blind für alles außer späterer Beförderung. Mein Verbrechen war Stolz. Der Stolz, der den Feind dazu brachte, mir einen Hinterhalt zu legen, und zwar einen, in den die Männer der Fawn gingen. «Er öffnete die Tür.»Ich hoffe, ich werde es nie vergessen. Und Sie auch nicht.»

Er ging rasch zum Achterdeck und hörte, wie die Tür hinter ihm zugeschlagen wurde, das Klicken der Muskete, als der Posten eine entspanntere Haltung annahm.

Am Schanzkleid erwartete ihn der Erste Leutnant.

Über der bewegten See, deren Wellentäler schon von Schatten durchzogen waren, sah er die Sparrow unruhig vor den ersten blassen Sternen schwojen. Eine Laterne leuchtete an ihrer Heckreling, und er glaubte, das Aufspritzen der Riemen an der Stelle zu sehen, wo Stockdale die Gig bereithielt. Er hätte auch vergeblich warten können. Colquhoun hätte sich die letzte Geste leisten können, ihn für seinen Ausbruch in Arrest zu legen. Daß er das nicht getan hatte, war ein Beweis seiner Schuld. Mehr noch: ein Beweis, daß Colquhoun sehr wohl wußte, was er getan hatte.

Bolitho sagte:»Wir sollen zur Admiralität in New York stoßen.»

Der Leutnant beobachtete, wie die Gig an die Bordwand schlug, und antwortete traurig:»Es wird mir nicht leid tun, diesen Ort zu verlassen.»

Bolitho seufzte.»Aye. Eine Niederlage ist eine böse Sache.

Aber ein Sieg kann oft größeres Leid verursachen.»

Der Leutnant beobachtete ihn, wie er in die Gig kletterte und ablegte.

So jung und schon so viel Verantwortung. Aber nicht für mich. Schon als der Gedanke ihm durch den Kopf fuhr, wußte er, daß es ein Irrtum war; als er über das dunkler werdende Deck blickte, fragte er sich, ob ihn Colquhouns Fehler wohl näher an seine Beförderung gebracht hatte.