Der Auftrag der Sparrow, die Stärke der französischen Flotte in Newport zu erkunden, erwies sich als schwieriger, als Bolitho erwartet hatte.
Die Fahrt von Sandy Hook zu den östlichen Ausläufern von Long Island verlief reibungslos und versprach eine rasche Rückkehr. Aber das Wetter entschied anders, und in einem wilden Weststurm wurde die kleine Korvette ständig hin- und hergeschleudert, so daß Bolitho lieber den Sturm abritt, als Schäden an Rahen und Leinwand zu riskieren.
Als der Wind nachließ, dauerte es dann viele Tage, wieder zurückzusegeln; es verging kaum eine Stunde ohne die Notwendigkeit, die Segel zu reffen oder das Schiff auf einen Kurs zu bringen, der es eher von seinem Ziel entfernte, anstatt es ihm näher zu bringen.
Die Vergnügungen New Yorks schienen lange her zu sein, und Bolitho fand, daß die Wirklichkeit mehr als genügte, um seine Energie zu beschäftigen. Trotzdem fand er noch Zeit, an Susannah Hardwicke zu denken. Wenn er mit im Wind flatterndem Haar über Deck schritt, das Hemd von Gischt durchweicht, erinnerte er sich an ihren Abschied, die Andeutung einer Umarmung, genauso klar, als ob es sich soeben ereignet hätte.
Er nahm an, daß seine Offiziere errieten, was sich in New York ereignet hatte, weil sie sorgfältig schwiegen.
Die Plackerei gegen den Wind und die ständigen Anforderungen an jeden Mann wurden teilweise durch die Gegenwart ihres Passagiers erleichtert. Getreu seinem Wort, war Rupert Majendie kurz vor dem Ankerlichten samt seinen Mal- und Zeichenutensilien an Bord erschienen, und mit einem Repertoire an Geschichten, das seinen Unterhalt an Bord mehr als wert war. Wenn See und Wind sich etwas beruhigten, sah man ihn mit seinem Zeichenblock die Seeleute bei ihrer täglichen Arbeit oder in ihrer Freiwache skizzieren, wenn sie tanzten, kleine Modelle oder andere Schnitzereien machten. War das Wetter weniger freundlich, so verschwand er unter Deck und fand beim Licht einer schwankenden Laterne Arbeit mit Pinsel und Bleistift. Er und Dalkeith waren gute Freunde geworden, was kaum verwunderlich war. Jeder von ihnen kam aus einer anderen Sphäre von Kultur und Intelligenz, und sie konnten viel mehr bereden als der normale Seemann.
Nach drei langen Wochen beschloß Bolitho, nicht länger zu warten. Er rief Tyrell in die Kajüte und rollte seine Seekarte auf.
«Wir werden morgen bei Tagesanbruch zur Küste segeln, Jethro. Der Wind ist noch immer stark, aber ich sehe keine andere Möglichkeit.»
Tyrell ließ die Augen über die Karte wandern. Die Anfahrt nach Rhode Island war bei anhaltendem Westwind immer ein Problem. In einen Sturm zu geraten, konnte erneutes Abdriften nach Osten bedeuten, und wenn sie einmal in den Klammern des Festlandes und Newports selbst waren, dann blieb wenig Raum für Segelmanöver. Unter normalen Umständen erforderte es schon Geduld und Verstand. Da aber die Franzosen die Kontrolle über das Gebiet hatten, war es völlig tollkühn.
Als ob er seine Gedanken lesen könnte, sagte Bolitho ruhig:
«Ich möchte natürlich nicht an eine Leeküste geraten. Wenn wir aber hier auf offener See bleiben, können wir genausogut zugeben, daß unsere Mission ein Fehlschlag war.»
«Aye. «Tyrell streckte sich.»Ich bezweifle sowieso, daß die Franzosen viele Schiffe haben. Sie verlassen sich auf ihre Batterien, um sich zu verteidigen.»
Bolitho lächelte, etwas Spannung wich aus seinem Gesicht.»Gut. Geben Sie die Befehle. Ich möchte morgen die allerbesten Leute im Ausguck haben.»
Aber entsprechend Buckles düsterer Vorahnung war der nächste Morgen eine Enttäuschung. Der Himmel war bewölkt, und der Wind, der die Topsegel wild krachen ließ, zeigte nahen Regen an. Und doch war die Luft so schwül und drückend, daß die Toppsgasten stöhnten, als sie zum Kurswechsel auf ihre Stationen gingen. Der willkommene Aufenthalt im Hafen, gefolgt von der nervösen Unsicherheit, von der Laune des Windes hierhin und dorthin geworfen zu werden, dies alles forderte seinen Tribut. Viele Flüche wurden laut, und die Maaten mußten einige Schläge austeilen, ehe sich die Sparrow auf Backbordkurs legte; ihr Bugspriet zeigte wieder einmal auf die Küste zu.
Ein grauer Tag. Bolitho griff in die Luvwanten und wischte sich die Stirn mit dem Hemdsärmel ab. Seine Haut und seine Kleider waren tropfnaß, sowohl von Schweiß als auch von fliegender Gischt.
Nur Majendie schien es zufrieden zu sein, an Deck zu bleiben. Sein Bleistift fuhr geschäftig über das Papier, sein dünner Körper und der vorstehende Bart tropften vor Feuchtigkeit.
«Land in Luv!»
Bolitho versuchte, seine Befriedigung und Erleichterung nicht zu zeigen. Bei der schlechten Sicht und dem starken Wind konnte man sich nicht zu sehr auf Berechnungen verlassen. Er schaute zum Großmastwimpel hinauf. Der Wind war etwas stärker geworden. Er starrte den Wimpel an, bis seine Augen tränten. Kein Zweifel. Gut für eine stetige Annäherung, aber nicht so beruhigend, wenn man umdrehen und schnell weg müßte.»Gehen Sie einen Strich höher, Mr. Buckle.«»Aye, aye, Sir.»
Buckle wischte sich das Gesicht mit einem Taschentuch ab, ehe er seine Befehle weitergab. Er war sich wohl über die Schwierigkeiten im klaren, dachte Bolitho. Es würde zu nichts führen, ihn noch weiter zu beunruhigen.
Zu Majendie sagte er:»Hoffentlich bringen Sie alles zu Papier. Sie werden ein Vermögen machen, wenn Sie nach England zurückkehren.»
Buckle schrie:»Nord-Nordost, Sir! Kurs liegt an!»
«Sehr gut. Kurs halten.»
Bolitho ging ein paar Schritte und dachte an das Mädchen in New York. Was hätte sie jetzt von ihm gehalten? Zerknittert und durchnäßt bis auf die Haut, sein Hemd mehr Flicken als Stoff. Er lächelte vor sich hin und bemerkte Majendies Bleistift nicht, der seine Stimmung festhielt.
Tyrell hinkte auf Deck und kam zu ihm an die Wanten.»Ich schätze, daß Newport ungefähr fünf Meilen steuerbord voraus liegt. «Er blickte erstaunt auf, als ein Strahl wäßrigen Sonnenlichts auf dem Rumpf spielte.»Teufel, in diesen Gewässern weiß man nie, woran man ist.»
«Wahrschau an Deck! Schiffe vor Anker in Nordost!»
Tyrell rieb sich die Hände.»Vielleicht stellen die Franzosen einen Konvoi zusammen. Unsere Schwadron kann sie schnappen, wenn wir es schnell genug melden.»
Der Ausguck schrie wieder:»Sechs, nein, acht Linienschiffe, Sir!»
Graves stolperte von der Reling, als die Sparrow in ein tiefes Wellental schlingerte.»Der Mann ist verrückt!«Er spuckte, als Gischt wie Hagel über die Wanten hereinbrach und sich über ihn ergoß.»Höchstens ein paar Fregatten, wenn Sie mich fragen!»
Bolitho versuchte, das Gemurmel von Spekulation und Zweifel um sich herum zu ignorieren. Es war wohlbekannt, daß de Grasse eine mächtige Flotte in den West Indies hatte. Sein Untergebener de Barras war Kommandeur in Newport, hatte aber keine solche Flottenstärke. Seine Stärke lag in Fregatten und kleineren Schiffen und in schnellen Ausfällen gegen den englischen Küstenhandel. De Barras hatte einen Versuch gemacht, die New Yorker Streitkräfte vor Cape Henry anzugreifen, aber die Aktion war erfolglos gewesen. Er war auf seine Verteidigungslinie zurückgegangen und dort geblieben.
Er sagte:»Hinauf mit Ihnen, Mr. Graves. Und melden Sie, was Sie sehen!»
Graves eilte zu den Wanten und murmelte:»Dieser Verrückte! Es können keine Linienschiffe sein. Unmöglich.»
Bolitho starrte ihm nach. Graves benahm sich sehr seltsam. Es war, als ob er sich vor dem fürchtete, was er entdecken könnte. Furcht? Nein, das schien unwahrscheinlich. Er war lange genug an Bord, um die Risiken und Belohnungen des Spiels zu kennen.
«Wahrschau an Deck!«Es war ein anderer Seemann, der hoch über der Besanrah hing.»Segel backbords»!
«Verdammt!«Tyrell griff schnell nach einem Fernrohr und hastete damit zur Heckreling.
Dunst und Gischt, die Sicht durch die trunkene Bewegung der Sparrow noch verschlechtert — es dauerte einige Zeit, den Neuankömmling zu finden.
Tyrell sagte hastig:»Fregatte, kein Zweifel, Sir.»
Bolitho nickte. Das andere Schiff hielt sich nahe an der Küste, kam gerade um die Landzunge, jedes verfügbare Segel in den Wind gesetzt.
Buckle klatschte in die Hände.»Klar zum Wenden!»
«Nein!«Bolithos Stimme bannte den Steuermann.»Wir sind jetzt so weit gekommen, nun wollen wir auch sehen, was es zu sehen gibt, und dann wenden.»
Graves sprang mit einem Ruck von den Wanten an Deck, das Hemd vom schnellen Abstieg zerrissen. Er sagte atemlos:»Er hatte recht, Sir. Acht Linienschiffe. Vielleicht zwei Fregatten, und ein ganzer Schwarm von Versorgungsschiffen ganz in der Nähe verankert.»
Bolitho dachte an sein Gespräch mit Farr in Sandy Hook, seine eigene Reaktion, als er die englischen Zweidecker in der Nähe sah. Sie warten, hatte er gedacht, aber auf was? Machten es die Franzosen etwa ebenso?
Tyrell sagte:»Es können keine von de Grasses Schiffen sein, Sir. Unsere Patrouillen, auch wenn sie blind gewesen wären, hätten sie gesehen.»
Bolitho begegnete seinem Blick.»Das glaube ich auch. Es ist eine Versammlung, zu irgendeinem Zweck. Wir müssen sofort den Admiral benachrichtigen.»
Buckle rief:»Die Fregatte holt schnell auf, Sir. Meiner Meinung nach nur noch drei Meilen.»
Bolitho nickte.»Sehr gut. Heißen Sie die französische Flagge, und bereiten Sie die Wende vor.»
Die Flagge wurde langsam an der Gaffel hochgezogen und sofort von einem Kanonenschuß aus dem Vorschiff der Fregatte begrüßt.
Bolitho lächelte grimmig.»Sie läßt sich nicht täuschen. Zeigen Sie bitte unsere eigene Flagge.»
Buckle kam zu Bolitho herüber, das Gesicht vor Kummer verzogen.»Ich glaube, wir sollten schleunigst halsen, Sir. Der Franzose wird hier sein, ehe wir uns versehen.»
Bolitho schüttelte den Kopf.»Wir würden zuviel Zeit verlieren. Die Fregatte könnte uns den ganzen Weg nach Nantucket jagen oder uns auf Grund laufen lassen. «Er drehte sich zu Graves um.»Lassen Sie die Buggeschütze klarmachen. Laden, aber nicht ausrennen. «Er faßte ihn am Unterarm, da er sah, wie beunruhigt Graves blickte.»Los, Mann! Sonst ist der Franzose zum Grog an Bord!»
Männer trampelten wild auf ihre Stationen, einige verhielten, um über die Wanten nach dem anderen Schiff auszuschauen, das absichtsvoll auf Backbord zuhielt. Es war jetzt schon viel näher, aber in der aufsprühenden Gischt konnte man seinen Bug kaum erkennen. Nur die geblähten Groß- und Topsegel ließen erkennen, daß sein Kapitän auf eine Schlacht brannte.»Fertig!«Bolitho stemmte die Hände in die Hüften, als er zu dem schlagenden Stander hinaufsah.»Klar am Achterdeck!»
«Ruder legen!«Er fühlte, wie das Deck unter ihm bockte, und überlegte sich, wie die Sparrow wohl dem Feind vorkommen mochte. Floh sie, oder machte sie sich zum Gefecht fertig? Er wurde fast zu Boden gerissen, als sich das Schiff durch die Gewalt der Segel und des Ruders noch weiter auf die Seite legte.
«Ruder ist gelegt, Sir!«Buckle warf sein ganzes Gewicht mit in das Steuerrad.
Die Marssegel flatterten wie verrückt, die Rahen bogen sich im Widerstreit zwischen den Brassen und der geblähten Leinwand; es war ein Bild der Verwirrung, als die Sparrow sich träge auf die Seite legte. Die See brauste über die Back. Männer fielen fluchend und strampelnd um, einige wurden sogar wie Leichen in die Speigatten gewaschen.
Majendie klammerte sich an die Wanten, sein Zeichenblock war schon ganz durchtränkt, seine Augen starrten fasziniert auf das wilde Wendemanöver der Korvette.
Über dem Hexenkessel erhob sich Tyrells Stimme wie eine Trompete.»An die Brassen! Holt dicht! Bootsmann, heute werden wir's ihnen zeigen!»
Bolitho versuchte, der Qual seines Schiffes nicht zuzuschauen, sondern konzentrierte sich statt dessen auf die Fregatte. Als die Sparrow herumschwang und auf ihrem neuen Kurs das Wasser pflügte — die nassen Segel drückten sie so hinunter, daß die Laufplanken in Lee überspült wurden —, sah er die Topmasten des Feindes jetzt plötzlich an Steuerbord auftauchen. Kaum eine Meile Zwischenraum, aber die Wende hatte den gewünschten Erfolg gehabt. Anstatt in aller Ruhe auf der Backbordseite der Sparrow näherzukommen, lag sie nun auf entgegengesetztem Bug und einem gefährlich konvergierenden Kurs.
«Steuerbordgeschütz!«Bolitho mußte seinen Befehl wiederholen, ehe der junge Fowler ihn hörte und nach vorne hastete, um Graves zu finden.
Er schrie Tyrell zu:»Wir müssen sie glauben machen, daß wir kämpfen wollen!»
Von vorne hörte er schwach das Quietschen der Taljen, als die Geschützmannschaft den Zweiunddreißigpfünder zu seiner Pforte holte. Es würde nicht leicht für sie sein, da das Schiff sehr krängte.»Feuer!»
Rauch stieg über dem Vorschiff auf, als das Buggeschütz seine Drohung an den Feind hinausbrüllte.
Niemand hörte einen Aufschlag, und bei einem solchen Winkel war es auch wahrscheinlich, daß die Kugel über das Schiff hinausgeflogen war.
Bolitho fühlte, wie sich seine Lippen zu einem Grinsen verzogen. Die feindliche Fock wurde eingeholt, die Bramsegel verschwanden wie durch Geisterhand, als man drüben die Segel reffte, um mit der vorwitzigen Sparrow zu kämpfen.
«Feuer!»
Das Geschütz spie die schwere Kugel in die Verwirrung von See und treibendem Schaum.
Bolitho blickte Buckle an.»Feuer einstellen!«Er ging hinüber zur Reling und berührte Tyrells Arm.»Lassen Sie das Focksegel setzen! Toppsgasten aufentern und die Topsegel losmachen! Wir müssen jetzt klug handeln!»
Als das große Focksegel schlug und sich dann im Wind blähte, fühlte Bolitho, wie der Rumpf sich darauf einstellte und dem Druck standhielt. Über dem Deck waren die Toppsgasten damit beschäftigt, die Bramsegel loszumachen, so daß der Großmast bald aussah wie ein im Sturm gebeugter Baum.
Als sich Bolitho wieder zu der französischen Fregatte umdrehte, sah er, daß sein Plan gelungen war. Sie versuchte, ihr Focksegel wieder zu setzen, aber die Verzögerung, um ihre Breitseite zu zeigen, war sie teuer zu stehen gekommen. Sie pflügte ungefähr drei Kabellängen entfernt achtern von der Sparrow durch die See.
Wenn sie wieder Kontrolle über ihre Segel und den Kurs haben würde, mußte sie weit abgefallen sein. Sparrows plötzliches Manöver hatte ihr außerdem einen Windnachteil gebracht.
Die Breitseite der Fregatte spuckte noch eine Reihe Blitze aus, Kugeln schlugen in der Nähe ein, obwohl es wegen der starken Schaumkronen schwierig war, sie von Gischt zu unterscheiden. Oben zischte eine Kugel durch die Masten, und ein Seemann fiel vom Großmast, schlug längsseits ins Wasser, ohne wieder hochzukommen.
Majendie sagte heiser:»Der arme Kerl! Gott sei seiner Seele gnädig!»
Bolitho nickte.»Aye. Das war Pech.»
Er starrte zum Geschützdeck, wo seine Männer wie die Teufel arbeiteten, um die Rahen wieder zu trimmen und die Fallen zu sichern, die vom Dunst verzogen waren. Kaum einer von ihnen hatte aufgesehen, als der Mann fiel. Vielleicht würden sie später trauern. Aber vielleicht waren sie auch wie er dankbar, daß die Sparrow auf ihre Anstrengungen reagiert hatte, nicht widerstanden hatte, als sie sie in den Wind brachten und dadurch riskierten, daß sie entmastet wurde und verstümmelt als leichte Beute vor den Geschützen des Feindes lag.
«Steuern Sie genau Süd, Mr. Buckle. Wir wollen erst Raum gewinnen, bevor wir versuchen, zu halsen.»
Buckle blickte zurück. Die Fregatte holte auf, aber ihrem ursprünglichen Angriff war die Spitze genommen.
«Da fährt er, Gott lasse ihn verfaulen!«Buckle grinste seinen Rudergängern zu.»Er hat wohl gedacht, wir ergeben uns kampflos?»
Majendie beobachtete Bolithos angestrengtes Gesicht.»Viele hätten es getan, Kapitän. Sogar eine Landratte wie ich weiß, daß Sie in der viel schlechteren Position waren.»
Bolitho zwang sich zu einem Lächeln.»Aber wir haben nicht gekämpft, mein Freund. «Er schaute kurz zurück.»Diesmal nicht. «Er verscheuchte das Bild des stürzenden Toppsgasten aus seinen Gedanken. Hoffentlich war er sofort tot gewesen. Denn zu sehen, wie sein Schiff ohne ihn weitersegelte, hätte seine letzten Augenblicke zu einer noch größeren Qual gemacht als der Tod selbst.
«Holen Sie jetzt Mr. Graves und die Ausguckleute. Wir wollen alle unsere Informationen zusammentragen. «Er packte Majendies Arm, als ein Ruck beim Eintauchen in ein großes Wellental ihn fast die Achterdecksleiter hinuntergeschleudert hätte.»Ruhig bleiben! Ich möchte, daß Sie für den Admiral noch ein paar Zeichnungen machen. Dies scheint zur Zeit modern zu sein.»
Als Bolitho schließlich mit dem Kurs und der Segelstellung der Sparrow zufrieden war, ging er nach hinten und hielt nach Land Ausschau. Aber es war nichts zu sehen; er nahm an, daß Regen das Festland und die Fregatte verbarg, die sie fast in einer Falle gefangen hätte.
Er streifte sein Hemd ab und rieb sich Nacken und Brust damit trocken. Majendie beobachtete ihn und äugte traurig auf seinen durchweichten Block. Dies, dachte er, wäre die beste Skizze von allen geworden.
Bolitho las nochmals sorgfältig seinen Bericht und steckte ihn dann in einen Umschlag. Stockdale stand neben dem Tisch mit Kerze und Wachs zum Siegeln, nun, da es nichts mehr hinzuzufügen gab.
Bolitho lehnte sich zurück und streckte die Arme. Zwei ganze Tage lang hatten sie sich nach Südwesten gekämpft, hatten das Land aus der Sicht verloren, nur darauf aus, den Wind auszunützen. Sie kreuzten stundenlang, um in Wirklichkeit nur ein paar Meilen vorwärtszukommen. Es war für alle harte Arbeit gewesen, aber jetzt konnte die Sparrow Kurs auf das Festland nehmen. Wenn sie Glück hatten, konnten sie morgen in Sandy Hook vor Anker gehen. Er schaute auf das offene Logbuch und lächelte. Es war ernüchternd, sich klarzumachen, daß er in der Zeit, die er gebraucht hatte, sein Schiff hätte über den Atlantik segeln können.
«Soll ich jetzt versiegeln, Sir?«Stockdale betrachtete ihn geduldig.
Er schloß die Augen und rief sich die Aussagen ins Gedächtnis zurück, die er von Graves und den Toppsgasten erhalten hatte. Sie unterschieden sich in kleinen Einzelheiten, aber eines stand fest: Es war mehr als wahrscheinlich, daß ein Angriff der Franzosen und Amerikaner auf New York zu erwarten war, und zwar bald. Die Tatsache, daß das schlechte Wetter seine rasche Rückkehr verzögert hatte, befriedigte ihn, da es den Feind ebenso behindern würde.
«Wahrschau an Deck! Segel in Luv!»
Bolitho stieß Stockdales Kerze beiseite.»Später. «Dann eilte er aus der Kajüte.
Da die Sparrow den Wind ausnützen mußte, waren sie zu weit nach Südwesten abgetrieben worden. Jetzt, da der Wind endlich günstig stand, zeigte der Kompaß Nordwest zu Nord; Sandy Hook lag ungefähr neunzig Meilen voraus. Der Nachmittag war heiß, aber klar, und sogar von Deck aus konnte man die kleine Leinwandpyramide sehen, die anzeigte, daß das andere Schiff auf konvergierendem Kurs war.
«Gehen Sie einen Strich höher. Kurs Nordwest. «Bolitho nahm ein Fernrohr von Bethune und spähte durch die Wanten.
Der Ausguck rief:»Eine Brigantine, Sir.»
Bolitho blickte Tyrell an.»Wahrscheinlich eine der unseren.»
Es war das erste Segel, das sie sichteten, seit sie mit knapper Not einem Gefecht mit der französischen Fregatte entkommen waren. Es war immer gut, ein befreundetes Schiff zu treffen; Bolitho konnte einige seiner Neuigkeiten weitergeben, für den Fall, daß das Schiff nach Norden fuhr und sonst zu nahe an die feindliche Schwadron in Newport herankäme.
Bei dem starken Wind dauerte es nicht lange, bis sich die beiden Schiffe einander genähert hatten.
«Sie haben vor, in Lee vorbeizusegeln. «Bolitho hob sein Fernglas wieder.
Brigantinen waren unordentlich aussehende Schiffe. Mit Rahsegeln am Vormast und Schonertakelung am Hauptmast, boten sie ein fehlkonstruiertes Bild, es war jedoch bekannt, daß sie unter guten Bedingungen sogar eine Fregatte ausstechen konnten.
«Signalisieren Sie, daß sie beidrehen soll. Ich möchte mit ihrem Kommandanten sprechen.»
Tyrell sagte:»Aufjeden Fall ist es ein englisches Schiff.»
Flaggen wurden an den Rahen des Neuankömmlings gehißt und flatterten im Wind.
Bethune schrie:»Es ist die Five Sisters, Sir!«Er suchte in seinem Buch herum, während Fowler etwas abseits stand, den Mund geringschätzig verzogen.»Sie wird hier als dem Gouverneur von New York unterstellt geführt.»
«Dacht' ich's mir doch!«Tyrell runzelte die Stirn.»Nur ihren eigenen Gesetzen unterworfen und von einer Rotte Schurken bemannt, das kann ich euch sagen. «Er seufzte.»Doch mit einem solchen Gönner können sie nicht gepreßt werden und riskieren nicht ihr kostbares Leben.»
Die Brigantine hatte den Weg der Sparrow gekreuzt und segelte stetig auf Steuerbord. Bolitho konnte die rotgoldene Flagge auf ihrem Vorschiff erkennen; alles hatte den Anschein der schmucken Ordnung, die man gewöhnlich auf den von der Regierung geförderten Schiffen fand. Sie kam näher heran, bald würde sie in weniger als einer Kabellänge Entfernung vorbeifahren.
Bolitho sah Majendie und Dalkeith auf den Wanten stehen. Der erstere zeichnete in großer Eile, während ihm der Arzt mit sichtlichem Interesse über die Schulter schaute.
«Sie dreht bei, Sir.»
Die Brigantine schoß in den Wind, die Segel stellten sich back, und das Großsegel, das die Seeleute einholten, wurde immer kleiner.
Bolitho nickte anerkennend. Gut gemacht.
«Anluven, Mr. Tyrell. Ich werde sie anrufen, wenn sie in Lee vorbeikommt.»
Das Knattern und Ächzen der Leinwand machte jede Unterhaltung schwierig; als die Sparrow mehr in den Wind drehte und nur noch vorwärtszukriechen schien, ging Bolithos Stimme fast im Lärm unter. Er nahm das Sprachrohr in beide Hände und brüllte:»Wohin des Weges?»
Über die kurzen Wellenkämme kam die Antwort:
«Montego Bay! Jamaica!»
Tyrell bemerkte:»Da ist sie aber etwas vom Kurs abgekommen.»
Die Stimme drang erneut herüber:»Wir wurden gestern von einer spanischen Fregatte gejagt und sind ihr während der Nacht entwischt, aber Sie können für mich Meldung erstatten.»
Die Brigantine fiel etwas ab, und ihre unruhig sich bewegenden Rahen machten deutlich, daß ihr Kommandant darauf brannte, seinen Weg fortzusetzen.
Bolitho ließ das Sprachrohr sinken. Es gab keinen Grund, sie noch länger aufzuhalten. Und die Behörden in New York würden ihm eine solche Handlungsweise wahrhaftig nicht danken. Es war merkwürdig, sich klarzumachen, daß sie wahrscheinlich im Auftrag von Leuten wie Blundell fuhr, der nichts von der See verstand und sich wenig darum kümmerte.
Er hörte Dalkeiths Gemurmel:»Bei Gott, das Gesicht des Kapitäns! Ich habe noch nie so, grausame Verbrennungen gesehen. Daß ein Mensch so was überhaupt überleben kann!»
Bolitho sagte scharf:»Geben Sie mir das Glas!«Er nahm es dem erstaunten Schiffsarzt weg und richtete es auf das Vorschiff des anderen.
Durch die schwarze Takelage und die killenden Segel sah er ihn. Trotz der Hitze war sein Mantelkragen bis an die Ohren hochgeschlagen und sein Hut bis fast in die Augen gezogen. Es wurde Bolitho klar, daß der Kapitän der Brigantine nicht nur die eine Hälfte seines Gesichts verloren hatte, sondern auch ein Auge, und daß er den Kopf in ganz unnatürlich steifem Winkel hielt, um mit dem verbleibenden Auge die Korvette zu betrachten.
Die Brigantine hatte also wirklich mit Blundell zu tun. Bolitho konnte sich noch gut vorstellen, wie sie in der Bibliothek geflüstert hatten, das entstellte Gesicht halb im Schatten verborgen.
Buckle rief besorgt:»Erlauben Sie, daß wir das Schiff klar zur Weiterfahrt machen, Sir? Wir sind etwas zu nahe.»
«Na gut.»
Bolitho winkte den Männern an Bord der Brigantine zu und drehte sich wieder zu Majendie um. Der zeichnete und schattierte, verbesserte hier und fügte dort noch ein Detail hinzu, sogar als die Five Sisters schon wieder Segel gesetzt hatte und langsam wegzusegeln begann.
Dalkeith grinste.»Nicht schlecht, Rupert! Ich glaube sicher, daß einige unserer Männer dir gern bei Einzelheiten der Takelage helfen werden.»
Tyrell hinkte zu ihm hinüber und spähte ihm über die schmale Schulter. Er ergriff den Block und rief:»Großer Gott, wenn ich nicht ganz genau wüßte…»
Bolitho ging hinüber. Es war das Bild des Vorschiffs der Brigantine, die Offiziere und Seeleute waren in natürlichen Haltungen dargestellt, wenn auch, wie Dalkeith angedeutet hatte, die Details der Takelage nicht ganz perfekt waren.
Es lief ihm kalt über den Rücken, als er Majendies Zeichnung vom Kapitän des Schiffes sah. Entfernung und Maßstab ließ die schrecklichen Wunden zurücktreten, so daß er jetzt wie eine Figur aus Bolithos Vergangenheit dastand. Bolitho blickte Tyrell an, der ihm immer noch ins Gesicht schaute.
Tyrell fragte ruhig:»Erinnern Sie sich, Sir? Sie waren zu beschäftigt zu kämpfen und mich vor Schaden zu bewahren. «Er drehte sich um und starrte auf das andere Schiff.»Aber nachdem ich die Kugel in den Schenkel bekam, hatte ich wirklich genug Zeit, mir diesen Dreckskerl anzusehen.»
Bolitho schluckte trocken. Klar stand ihm wieder die Wildheit und der Haß der Schlacht vor Augen, als ob es gestern gewesen wäre. Die Männer der Sparrow, die niedergestochen und von den Decks der Bonaventure vertrieben wurden. Und der Kapitän des Freibeuters, der wie ein unbeteiligter Zuschauer dabeistand und ihn aufforderte, sich zu ergeben.
Er sagte scharf:»Ruder steuerbords! Toppsgasten auf entern und Bramsegel setzen!«Zu Majendie gewandt, setzte er hinzu:»Ich glaube, daß wir dank Ihnen heute ein Geheimnis lüften werden.»
In dem Augenblick, als die Sparrow ihre Absicht zeigte, und sogar schon, als die Royalsegel sich erst füllten, setzte auch die Brigantine mehr Segel und machte sich davon.
«Klar zum Gefecht, Sir?»
«Nein.»
Bolitho beobachtete, wie sein Klüverbaum herumschwang, bis er genau auf die Back der Brigantine zeigte. Sie hatte zwei Kabellängen Vorsprung, und es sah nicht so aus, als ob sie diesen Vorsprung freiwillig aufgeben wollte.
«Es muß schnell gehen. Wir gehen längsseits und entern. Sagen Sie Mr. Graves, er soll einen Schuß aus dem Backbordbuggeschütz abgeben. Vorwärts jetzt!»
Buckle sagte grimmig:»Wir überholen sie, Sir.»
Bolitho nickte. Tyrell verstand, was vorging, aber bis jetzt hatte niemand sonst auch nur Überraschung über seine Handlungsweise gezeigt. Allem Anschein nach jagte er ein Regierungsschiff, mit dem er noch Minuten vorher geplaudert hatte.
Bang. Die schwarze Mündung des Buggeschützes zuckte in die Bordwand zurück, und Bolitho sah die Wasserfontäne eine Bootslänge neben der Brigantine aufspritzen.
«Jetzt hat sie Segel gerefft!«Buckle schien zufrieden.
«Bitten Sie Mr. Graves, daß er eine Entermannschaft zusammenstellt!«Bolitho beobachtete, wie das andere Schiff in den Wellentälern zu gieren begann.»Mr. Heyward, übernehmen Sie das Geschützdeck! Mr. Bethune, begleiten Sie den Zweiten Leutnant!»
Männer mit gezogenen Entermessern eilten zur Backbordreling, einige trugen Musketen hoch über den Köpfen, um zu vermeiden, daß sie versehentlich auf ihre Kameraden schossen.
«Langsam, Mr. Buckle. «Bolitho streckte die Hand aus und schaute in die Rahen hinauf. Die Segel verschwanden blitzschnell, und als das Focksegel knatternd belegt wurde, sah er die Brigantine an Backbord vorbeigleiten, als ob beide Schiffe an Trossen aufeinander zugezogen würden.»Langsam!»
Entlang der Reling schwangen die ausgesuchten Männer ihre Enterhaken, während andere nach vorn eilten, um den ersten Aufprall abzufangen.
Über den geringer werdenden Abstand hinweg hörte Bolitho:»Gebt Raum! Ich befehle Ihnen, Ihre Leute zurückzuholen! Ich werde Ihnen das Gesetz auf den Hals hetzen!»
Bolitho fühlte, wie seine Spannung sich löste. Wenn er noch geheime Zweifel gehegt hatte, waren sie nun ausgeräumt. Diese Stimme war nicht zu verwechseln. Zu viele Männer der Sparrow waren an jenem Tag an Bord der Bonaventure gestorben, als daß er diese Stimme jemals hätte vergessen können.
Er hob sein Sprachrohr.»Streichen Sie die Segel, und drehen Sie in den Wind — sofort!»
Er hörte das Rumpeln und konnte sich gut vorstellen, daß auch die Mannschaft der Brigantine sah, wie der große Zweiunddreißiger wieder ausgerannt wurde.
Langsam, aber sehr gekonnt, drehten die beiden Schiffe sich umeinander, machten in dem unruhigen Wasser fast keine Fahrt; ihre Mannschaften nahmen Segel weg und trimmten die Rahen in Übereinstimmung mit dem Ruder. Alles wurde perfekt ausgeführt: mit wenig mehr als einem Zittern legte sich die Sparrow an den Rumpf der Brigantine und schob sich vor, bis ihr Bugspriet in Höhe ihres Fockmastes zur Ruhe kam. Enterhaken flogen von der Reling, und Bolitho sah, wie Graves seine Männer vorwärtsschickte, wie Bethune sich aus den Wanten schwang; sein Dolch schien für einen so schweren Fähnrich viel zu klein zu sein.
Tyrell, die Hände auf der Reling, sagte:»Sie haben auch noch eine Deckladung. «Er zeigte auf einen Leinwandhaufen unterhalb des Backlogis:»Sicher Beute für den Kapitän!»
Doch als der Erste Leutnant absprang und auf dem Schanzkleid der Brigantine aufkam, zeigte sich die Natur dieser Decksladung. Hände zerrten die Persenning weg und deckten einen stämmigen Zwölfpfünder auf, der in der Mitte des Decks geriggt war und mit Taljen und Ringbolzen bewegt werden konnte.
Das Krachen der Explosion ertönte gleichzeitig mit dem Zischen der Kartätschen, als diese mit mörderischer Gewalt entlang der Reling der Sparrow einschlugen. Menschen und Glieder flogen blutig durcheinander, und in der rollenden Wolke braunen Rauches sah Bolitho, daß einige von ihnen bis auf die gegenüberliegende Seite des Decks geschleudert wurden.
Dann folgte das Geschrei, und er sah, wie vom Vorschiff und Hauptluk der Brigantine ungefähr fünfzig Mann zum Angriff übergingen.
Er griff nach seinem Säbel, mußte aber feststellen, daß er ihn in der Kajüte vergessen hatte. Überall schrien und kreischten Männer durcheinander, und über allem ertönte das wachsende Geräusch von Stahl auf Stahl, das Krachen des Musketenfeuers.
Ein Seemann fiel tot aus den Wanten und warf Tyrell gegen die Reling. Dessen Bein knickte unter ihm ein, und sein Gesicht verzog sich vor Schmerzen.
Bolitho schrie:»Übernehmen Sie, Mr. Buckle!»
Er schnappte sich das Entermesser aus dem Gürtel des toten Seemannes und rannte zur Reling. Seine Augen tränten vor Rauch, und er fühlte einige Kugeln dicht an sich vorüberpfeifen, eine davon durchtrennte die Wanten wie ein unsichtbares Messer.
Die Brigantine hatte gegen die Kanonen der Sparrow keine Chance. Wenn sie aber so wie jetzt mit Enterhaken aneinandergekettet waren, konnte sich der Kampf leicht gegen sie wenden. Er hatte das schon selbst gemacht und kannte die Risiken.
Entschlossen sprang er in die Hauptwanten und sah dann mit Erstaunen, daß Graves noch immer unter ihm auf dem Geschützdeck stand. Er schrie seine Männer an, schien aber außerstande, ihnen zu folgen. Von Bethune war nichts zu sehen, und Bolitho stellte fest, daß Heyward nach vorne gerannt war, um eine Rotte Enterer abzufangen, die versuchten, über den Bugspriet an Bord zu klettern.
Er rutschte aus, fiel fast zwischen die Schiffsrümpfe, dann war er mit einem Sprung auf dem Deck der Brigantine. Eine Pistole explodierte neben seinem Gesicht, blendete ihn fast, aber er holte mit dem schweren Entermesser aus, fühlte einen kurzen Aufprall und hörte jemanden schreien.
«Zum Achterdeck!«Er bahnte sich seinen Weg durch einige seiner Männer und sah Bethune, der eine Muskete wie eine Keule schwang, sein Haar wehte im Wind, als er versuchte, seine Entermannschaft zu sammeln.»Nehmt das Achterdeck, Leute!»
Jemand brach in einen heiseren Hochruf aus, und mit frischem Mut stürzten die Seeleute nach achtern.
Durch die kämpfenden, ineinander verstrickten Figuren sah Bolitho am Ruder einen Steuermannsmaat ganz alleine stehen, während andere in verschiedenen Stellungen tot um ihn herumlagen, ein Zeichen, daß jemand an Bord der Sparrow einige Scharfschützen in die Rahen gesandt hatte.
Dann, ganz plötzlich, standen sie sich Angesicht zu Angesicht gegenüber. Bolitho, dessen Hemd fast bis zur Taille zerrissen war, dessen Haare ihm über der Stirne festklebten, mit ausgestrecktem Entermesser.
Der andere Kapitän stand fast bewegungslos, hielt seinen Degen schräg vor sich. Aus der Nähe wirkte sein Gesicht fast noch schrecklicher, aber es bestand kein Zweifel an seiner Beweglichkeit, als er plötzlich einen Ausfall nach vorn machte.
Die Klingen trafen mit scharfem Klang aufeinander. Funken flogen, als sie sich ineinandergruben, bis die beiden Griffe sich verkeilten und jeder der beiden Kämpfer das Gewicht des gegnerischen Armes prüfte.
Bolitho sah in das starre Auge, fühlte den heißen Atem, die zitternde Spannung in seiner Schulter, als er Bolitho mit einem Fluch gegen das Ruder zurückwarf, mit zwei scheinbar leichten Bewegungen seinen Degen zurückzog und wieder zuschlug. Schlag, Parade, Deckung. Das Entermesser kam ihm wie ein Bleigewicht vor, und jede Bewegung wurde zur Qual. Bolitho sah, wie sich der Mund des anderen Mannes zu einem grimmigen Grinsen verzog. Er wußte, daß er gewinnen würde.
Jenseits der Reling ging der Kampf wie vorher weiter, aber über den Lärm hörte er Tyrell vom Achterdeck schreien:»Helft dem Kapitän! Um Gottes willen, helft ihm!»
Als sie sich wie Katzen im Urwald umkreisten, sah Bolitho Stockdale, der versuchte, sich zu ihm durchzuschlagen. Aber er mußte mit mindestens drei Männern kämpfen, und sein Brüllen war das eines in die Enge getriebenen Stieres.
Bolitho hob sein Entermesser bis in Taillenhöhe des anderen. Er konnte es nicht höher heben, seine Muskeln schienen zu reißen. Wenn er nur die Hand wechseln könnte! Aber er würde sterben, wenn er es versuchte.
Der Degen zuckte vor, die Spitze drang durch seinen Ärmel und ritzte seine Haut wie rotglühendes Eisen. Er fühlte das Blut seinen Arm herunterrinnen, sah das einzige Auge des Mannes durch einen Nebel von Schmerzen.
Der Kapitän der Brigantine schrie:»Jetzt, Kapitän! Ihre Stunde hat geschlagen! Da!»
Er bewegte sich so schnell, daß Bolitho die Klinge kaum kommen sah. Sie traf das Entermesser nur wenige Zentimeter vor dem Griff, riß es ihm aus der Hand wie ein Spielzeug, das man einem Kind wegnimmt, und warf es in hohem Bogen über die Reling.
Es gab einen lauten Knall, Bolitho fühlte, wie eine Kugel über seine Schulter flog, die Hitze war so groß, daß sie sicherlich nur eine Daumenbreite entfernt gewesen war. Sie traf den anderen Mann in den Hals, wirbelte ihn herum, gerade als er seinen Degen zum letzten Stoß zückte. Einige Augenblicke lang zuckte er noch, dann krümmte er sich zusammen und lag still in seinem Blut.
Bolitho sah, wie Dalkeith ein Bein über das Schanzkleid schwang und zu ihm heraufkletterte, eine rauchende Pistole in der Hand.
Auf beiden Schiffen herrschte völlige Stille, und die Mannschaft der Brigantine stand oder lag, der Gnade ihrer Angreifer ausgeliefert.
Bolitho sagte:»Danke. Das war knapp.»
Dalkeith schien nicht zu hören. Er sagte gebrochen:»Sie haben Majendie getötet. Wie einen Hund erschossen, als er versuchte, einen Verwundeten zu retten.»
Bolitho spürte die Finger des Arztes auf seinem Arm, als er das Hemd zu einer groben Bandage zerriß.
Er wandte sich um, die beiden Schiffe zu betrachten.
Einige seiner Männer riefen heiser hurra, als er zum Schanzkleid hinüberging, aber die meisten waren zu ausgepumpt, um sich überhaupt zu bewegen.
Ärger, Ekel, sowie ein Gefühl des Verlustes überfluteten ihn, als er durch seine keuchenden Leute ging. Wenn man daran dachte, daß Männer gestorben waren, nur weil jemand Reichtümer für andere erlangen wollte, die für jeden Vorwurf unerreichbar waren.
«Aber diesmal nicht!«Er sprach laut, ohne es zu merken.»Für den heutigen Tag wird jemand bitter bezahlen müssen!»