158086.fb2 Die Ratten von New York - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 20

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Sie kam zu dem Schluß, daß es in ganz New York nur zwei Männer gab, die ihr helfen konnten: ihr Freunde Jacob und Martin.

Der Weg zu Jacob war näher. Und außerdem fühlte sie sich zu ihm hingezogen, auch wenn sie sich das nicht offen eingestand.

Deshalb schlich sie durch enge Gassen in die Richtung, in der sie das Golden Atlantic wußte. Sobald ihr jemand entgegenkam, verzog sie sich in einen finsteren Winkel.

So auch, als sie ganz in der Nähe von Quidors Vergnügungspalast die Umrisse zweier Männer vor sich sah, die es offenbar sehr eilig hatten. Irene lief zurück zu der großen Abfallkiste, an der sie eben vorbeigekommen war, und kauerte sich in ihren Schatten. Zwar stank es dort fürchterlich, aber das mußte sie um ihrer Sicherheit willen in Kauf nehmen.

Die beiden Männer waren fast heran, als Irene sie im schwachen Mondlicht erkannte. Sie sprang aus ihrem Versteck hervor und rief die Namen der beiden. »Jacob! Martin!«

*

Das Wiedersehen war für alle drei ebenso unerwartet wie freudig. Schnell erzählten sie sich das Wichtigste.

Irene erfuhr von dem Boxkampf und von dem Tod der Wickerts. Als Max Quidor zu seiner Überraschung feststellte, daß seine Kugel Martin nur am Kopf gestreift und ihm für einige Zeit das Bewußtsein geraubt hatte, überlegte er es sich anders. Er ließ den jungen Deutschen fesseln und knebeln und in einen dunklen Verschlag bringen, weil er glaubte, ihn noch brauchen zu können. Wohl als Druckmittel gegen Jacob, dessen Loyalität er sich - zu Recht, wie sich herausgestellt hatte - nicht sicher war.

Als Irene von ihrer Gefangenschaft und Quidors nächtlichem Besuch berichtete, wären ihre Freunde am liebsten sofort umgekehrt, um den Mann handfest zur Rechenschaft zu ziehen.

»Nein«, sagte Irene. »Jacob-Martin ist jetzt wichtiger. Wir müssen ihn von diesem Duncan wegholen.«

»Du hast recht«, gab Jacob zu, den der Gedanke, was Quidor mit Irene angestellt hatte und noch hatte anstellen wollen, fast zur Raserei trieb. Aber er zwang sich zur Ruhe und zum klaren Denken. Das mußte er schon in Jacob-Martins Interesse.

»Hast du einen Plan, Jacob?« fragte Martin hoffnungsvoll, als er sah, wie sein Freund nachdachte.

»Ja.«

»Welchen?«

»Wir fahren zu Duncans Haus und holen den Kleinen heraus.«

Martin sah ihn verblüfft an und meinte dann: »Das ist ein guter Plan. Nehmen wir uns eine Droschke?«

Jacob schüttelte den Kopf. »Am besten gehen wir zu einem Mietstall und mieten uns dort einen eigenen Wagen. Der kann uns nützlich sein, falls wir schnell von Duncans Anwesen verschwinden müssen.«

»Haben wir denn noch so viel Geld?« fragte Irene.

»Du vergißt, daß ich gestern beim Boxen einhundert Dollar gewonnen habe.« Er klopfte auf eine Tasche seiner Jacke. »Und die habe ich diesem Quidor bestimmt nicht zurückgelassen.«

Sie fanden einen Mietstall an der Bowery und nahmen dort einen geschlossenen Zweispänner, der von zwei kräftigen Braunen gezogen wurde.

Um keine Zeit zu verlieren, erkundigten sie sich gleich hier nach dem Weg zum Hamilton Square und erfuhren, daß sie eigentlich immer nur uptown, nach Norden, fahren mußten.

Irene nahm im Innern des Wagens Platz, und ihre beiden Freunde kletterten auf den Bock. Martin, der auf dem heimatlichen Hof oft ein Pferdefuhrwerk gelenkt hatte, nahm die Zügel auf, löste die Bremse und trieb die Tiere an, mitten hinein in den nächtlichen Verkehr New Yorks, der kaum weniger lebhaft war als der Straßenverkehr am hellichten Tag. Anstelle von Arbeitsfuhrwerken waren jetzt mehr Mietdroschken sowie kleine Zwei- und Einspänner mit Vergnügungssüchtigen unterwegs.

Aber auch die Kutsche mit den drei Deutschen, die fest entschlossen waren, den kleinen Jacob-Martin aus den Händen des mächtigen James Frederick Duncan zu befreien.

*

Als sie das Anwesen nach mehrmaligem Fragen gefunden hatten, lenkte Martin das Gefährt durch das offene Tor und über den gepflasterten Weg bis zu der breiten Eingangstreppe. Irene blieb beim Wagen, während ihre Freunde zur Tür gingen und läuteten.

Der schwarze Diener mit dem weißen Haar und den weißen Koteletten weigerte sich anfangs, die beiden abgerissenen und angeschlagenen Männer zu seinem Herrn zu führen. Als Jacob ihm das von Tom erbeutete Messer unter die Nase hielt, weigerte er sich nicht mehr.

Staunend durchschritten sie das Haus, das auch von innen einem Palast glich. Anders als im Golden Atlantic wirkte der Prunk hier nicht aufgesetzt und billig. In diesem Haus war alles echt. Sie gingen über eine breite Treppe in den ersten Stock und dort in ein Zimmer, in dem der Hausherr an einem Sekretär saß und einen Brief schrieb. Überrascht blickte er auf, als die beiden unerwarteten Besucher eintraten.

»Was soll das bedeuten, Alfred?« fragte er im mißbilligenden Tonfall den schwarzen Diener.

»Die, äh, Gentlemen wollten Sie dringend sprechen, Mr. Duncan, Sir.« Der Blick aus Alfreds geweiteten Augen fiel auf das Messer in Jacobs Hand. »Sehr dringend.«

Duncan sah die beiden Deutschen an. »Was wollen Sie von mir?«

»Das Kind zurückholen«, antwortete Jacob.

Der Großindustrielle wollte Haltung bewahren, aber er konnte nicht verhindern, daß er aschfahl wurde.

Er hätte Quidors Rat befolgen und mit seiner Frau und dem kleinen Jungen für ein paar Wochen wegfahren sollen, schoß es ihm durch den Kopf. Aber wichtige Geschäfte hatten ihn zurückgehalten. Allein wollte er seine Frau nicht weglassen, weil sie ihm zu labil erschien. Deshalb waren sie mit dem Kind hiergeblieben und hatten die Dienerschaft zum Stillschweigen verdonnert. Auf der nächsten Abendgesellschaft wollte Duncan die Geburt seines Sohnes bekanntgeben. Dazu schien es jetzt zu spät zu sein.

»Welches Kind?« fragte Duncan in der schwachen Hoffnung, das Unheil abwenden zu können.

»Ein kleiner Junge«, sagte Jacob. »Er ist erst einen Monat alt und heißt Jacob-Martin.«

»Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Mann«, polterte Duncan los. »Wer sind Sie überhaupt?«

»Ich heiße Jacob und bin der Pate des Kleinen.«

»Und ich heiße Martin und bin ebenfalls sein Pate.«

Unbemerkt, wie Duncan hoffte, hatte er langsam die unterste Schublade seines Sekretärs aufgezogen, in der sein Rider-Taschenrevolver lag. Jetzt streckte er langsam die rechte Hand in die Lade und ertastete bereits den kalten Stahl des Fünfschüssers, als Martin um den Sekretär sprang und die Lade zustieß. Duncan ließ einen Schmerzensschrei hören, als seine Hand eingequetscht wurde.

Martin zog die Lade auf, nahm die Schußwaffe heraus und richtete sie auf den Schwarzen, der sich still und heimlich verdrücken wollte.

»Bleib lieber hier, Freund. Ich bin heute aus so einem ähnlichen Ding beschossen worden und hätte Lust, es selbst mal zu probieren!«

Das überzeugte Alfred, seinem Herrn, der jetzt mit der linken Hand die schmerzende Rechte hielt, weiterhin beizustehen.

»Mein Freund hat recht«, sagte Jacob. »Wir haben heute wirklich schon viel hinter uns. Ehe wir die Geduld verlieren, sollten Sie uns lieber sagen, wo das Kind ist!«

Duncans Blick fiel auf das Messer in Jacobs Hand und auf seinen Rider Mushroom Cylinder in Martins Hand. Die Fremden besaßen die besseren Karten, jedenfalls im Moment.

»Das Kind ist bei meiner Frau.«

»Führen Sie uns hin«, verlangte Jacob und sah dann den Diener an. »Sie kommen mit!«

Mrs. Duncans Zimmer lag am Ende des Ganges. Die junge blonde Frau saß an einem Kinderbett und betrachtete den schlafenden Jacob-Martin. Als sie die bewaffneten Fremden erblickte, wurde die schon vorher blasse Frau noch blasser und fiel in Ohnmacht.

»Sie können sich um Ihre Herrin kümmern«, sagte Jacob zu dem Schwarzen. »Aber nur, wenn Sie versprechen, keinen Alarm zu schlagen.«

»Das verspreche ich.«

Jacob steckte das Messer ein und hob vorsichtig das schlafende Kind aus dem Bettchen. Kurz dachte er daran, daß sie ihm nicht so ein feudales, bequemes und sicheres Heim bieten konnten. Aber dafür konnten sie den Kleinen zu seiner richtigen Mutter bringen.