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»So werdet ihr die morgige Nacht vielleicht schon nicht mehr in Mulung-Tulung weilen?«
»Das ist durchaus möglich.«
»Ich hätte euch gern einmal besucht«, sagte Tunatatschi erwartungsvoll.
»Das sei dir unbenommen. Der Admiral würde sich freuen, dich königlich bewirten zu können.«
»Ihr habt alles Geld, was ihr mir versprochen habt?«
»Ja, vier Beutel voller Goldstücke, dazu dieses Gewehr« — er überreichte ihm eine alte Flinte, deren Ungefährlichkeit ein in Waffen Geübter auf zehn Schritte erkennen konnte — »und die beiden Kannen Wein. Nun wollen wir unseren Kameraden mitnehmen.«
Tunatatschi tat, als sei er mit dem letzten Vorschlag einverstanden.
Mutatulli rief Ernesto zu, daß man mit Fernando aufbrechen könne.
Ernesto kniete neben dem Studenten und versuchte, ihm gut zuzureden.
Aber nicht einmal auf die Worte seines besten Freundes reagierte der Kranke.
»Mein Gott«, schluchzte Ernesto, »was haben sie nur mit dir gemacht! Sag doch etwas, amigo!
Erkennst du mich denn nicht? Weißt du auch nicht mehr, daß ich viele Nächte neben dir geschnarcht habe?«
Er legte ihm den Arm um die Schultern. Er rüttelte ihn; aber alles was er erreichte, war, daß Fernando unwillig seine Hand abschüttelte. Unverwandt starrte der Student mit brennenden Augen auf das schweigsame Mädchen.
»Nehmt ihn doch«, kreischte Tunatatschi. »Nehmt ihn endlich mit! Er hat meine Tochter verzaubert. Schafft ihn aus meinem Hause!«
Mutatulli kniff die Augen zusammen. Aufmerksam fixierte er den schimpfenden Häuptling.
»Auch in meinem Volk«, sagte er langsam, »braut man ein Gift, das den Willen lahmt und große Sehnsucht nach der Spenderin ins Herz senkt. Weshalb hast du deiner Tochter gestattet, daß sie diesem Fremdling ein solches Getränk braute?«
»Meine Tochter hat kein Gift gebraut«, zeterte der Herr der Insel. »Meine Tochter wird von allen Männern meines Volkes verehrt. Sie braucht sich keinen Weißen Untertan zu machen. Er ist es, der sie behext hat. Betrachtet sie, wie sie dasitzt, wie ihre Augen an ihm hängen, wie starr sie ist!
Er hat sie verzaubert! Schafft ihn fort, fort, fort!«
Ernesto und seine Männer wollten den Studenten aufnehmen. Man hatte ihn jedoch kaum ein paar Zentimeter aus seiner augenblicklichen Lage gebracht, als er plötzlich wie ein Tobender um sich schlug. Ernesto war der erste, der seine Faust zu spüren bekam. Nach einem anderen trat er mit dem Fuß.
Die Männer wichen erschrocken zurück.
»Demonio«, rief einer, »was ist mit ihm passiert? Ist er wahnsinnig geworden?«
Ernesto schlich sich von hinten an ihn. Mit unvermuteter Plötzlichkeit warf er seine Arme um ihn, daß der Freund die seinen nicht mehr bewegen konnte. Ein furchtbares Ringen begann.
»Bindet Stricke um seine Füße«, keuchte Ernesto völlig außer Atem.
Das war leichter gesagt als getan. Fernando kämpfte mit Knien und Absätzen wie ein Stier. Es mutete an, als habe er übernatürliche Kräfte. Binnen kurzem hielt auch Ernesto dem Druck nicht mehr stand und mußte ihn loslassen. Fernando sprang plötzlich auf und eilte zu Taitscha,wo er sich ängstlich wie ein kleines Kind an ihre Seite drückte.
Die Männer waren rat- und sprachlos.
Mit strengem Gesicht wandte sich Mutatulli an Tunatatschi.
»Befiehl dem Zauberer sofort, daß er einen Trank kocht, der unserem Kameraden die Seele wiederbringt.«
»Der Zauberer meines Volkes kann solche Tränke nicht auf Geheiß kochen. Außerdem bezweifle ich, daß er etwas zustande bringt, was dem Weißen die Seele wiedergibt.«
Mutatulli blickte zu Boden.
Was konnte es mit dieser Angelegenheit auf sich haben? Was bezweckte Tunatatschi damit, daß er sich über seine Tochter Fernandos bemächtigte? Hatte er bestimmte Pläne mit dem Weißen?
Oder war er in seine Tochter so vernarrt, daß er ihr den Wunsch, Fernando zu besitzen, erfüllte?
»Was wollen wir tun?« wandte sich Ernesto ratlos an Mutatulli.
»Entweder lassen wir ihn hier und sprechen erst mit dem Admiral, oder wir schlagen ihn nieder und nehmen den Besinnungslosen mit.«
»Das bringe ich nicht fertig, er ist mein Freund«, jammerte Ernesto.
»Vielleicht einer Eurer Leute?«
Ernesto stand unschlüssig.
Mutatulli trat wie unabsichtlich in die Nähe des Kranken. Unerwartet stürzte er sich auf ihn und gab ihm mit der geballten Faust zwei kräftige Hiebe gegen die Schläfe.
Der Getroffene sank bewußtlos zusammen.
»Rasch, bindet ihn, bevor er wieder zu sich kommt!«
Aber sie hatten nicht mit Taitscha gerechnet.
Mit einem knurrenden Laut warf sich das Mädchen gegen Mutatulli und zerkratzte ihm das Gesicht. Als sich die Männer ihres Kameraden bemächtigen wollten, fauchte und schlug sie wie eine Katze, die ihr Junges verteidigt.
Dennoch gelang es zweien, den Studenten zu binden und ihn vor die Hütte zu zerren. Zwei andere deckten das Mädchen und ließen sich widerstandslos von ihr schlagen, währenddessen die Kameraden mit dem Gefesselten über den Hauptsteg zum Ufer eilten.
Unfreundliche Blicke begleiteten sie.
Völlig atemlos erreichten sie ein paar Stunden später das Lager.
Fernando wurde sofort auf die »Trueno« in die Krankenkoje gebracht. Michel ging zu ihm und untersuchte ihn nochmals eingehend.
Wie groß aber war sein Erstaunen, als sich, noch während der Untersuchung, die Tür der Koje öffnete, Taitscha in ihrem Rahmen erschien, eintrat und sich stumm, dem Kranken gegenüber in eine Ecke kauerte, — den starren Blick auf Fernando de Navarra gerichtet.
Auf Michels Rufen erschien Mutatulli.
»Fragt sie, was sie hier will.«
Mutatulli tat weisungsgemäß.