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»Du kannst nicht wissen, wie die Männer aus anderen Völkern sich verhalten. Vielleicht findet er mich häßlich.«
Tunatatschi grinste nur, sagte aber nichts. Wozu auch? Er wußte es besser. Wenn auch die Insel, auf der sein Volk wohnte, unbekannt war, wenn auch die habgierigen Weißen nichts von ihr wußten, so kannte er die Weißen um so besser. Jedes Jahr unternahm er Reisen zu ihnen, verdingte sich oft als Knecht oder Tagelöhner, arbeitete eine Weile für sie, solange es ihn gut dünkte, und verschwand dann eines Tages wieder aus ihrem Gesichtsfeld, wenn er für diesmal genug gesehen zu haben glaubte. Das Auslegerkanu trug ihn über Meeresteile, die der weiße Mann nicht einmal mit einem seiner starken Ruderboote überquert haben würde.
»Wenn er erwacht, so rufe mich, Taitscha.«
»Ja! Wirst du Tuan Hassan Bescheid geben?«
»Ich werde jetzt schlafen; denn die Nacht ist nicht für Gespräche gemacht.«
Taitscha betrachtete den fremden Gefangenen wohlwollend. Sie konnte sich nicht entsinnen, je einen so schönen Mann gesehen zu haben. Aber sie dachte nicht eine Sekunde daran, ihn für sich zu gewinnen. Sie haßte die Weißen, die Fremdlinge, die Eindringlinge. Aus der Überlieferung ihrer Väter wußte sie, daß ihr Volk einst auf einer blühenden Insel gewohnt hatte und daß dann die Holländer gekommen waren, um es auszurotten und die wenigen, zu deren Nachkommen sie zählte, zu verjagen.
Die Urväter waren mit ihren Kanus aufgebrochen und bis hierher gekommen. Seitdem hatte nie ein Weißer mehr in ihrer Nähe gelebt. Die Reste ihres Volkes hatten die Gebräuche der Alten erhalten, waren ihrer Art treu geblieben und führten ein beschauliches Dasein, bis vor einer Sonne eine schwimmende Burg an ihr Gestade gekommen war, ein riesiger Holzkasten wie jener, auf dem die verhaßten Weißen, von denen der Großvater so oft gesprochen hatte, einen Teil ihres Lebens verbrachten.
Aber in diesem Fall war der Ankömmling auf dem Schiff kein Weißer, wohl ein Fremder, aber einer von dunkler Hautfarbe. Deshalb vertraute ihm Tunatatschi und trieb Handel mit ihm. Man erwies sich gegenseitig Höflichkeiten. Dann fuhren die dunkelhäutigen Seefahrer wieder ab, um von Zeit zu Zeit wiederzukommen. Sie hatten Rotang geladen, wenn sie die Insel verließen. Nie war es einem von ihnen eingefallen, tiefer in das Innere einzudringen. Und so war es gekommen, daß Hassan, der Händler, nichts von der Existenz der Muskatnußbäume wußte.
Tunatatschi hatte es für richtig gehalten, seinen größten Schatz nicht preiszugeben; denn er wußte, daß damit die Ruhe der Insel in kürzester Zeit zerstört sein würde. Er kannte die Geldgier der Fremden. Und schließlich hatten ja gerade die Muskatnüsse mit dazu beigetragen, daß sein Volk vor nunmehr hundert Sonnen nahezu ausgerottet worden war. —
Der Gefangene regte sich zum erstenmal, als der Morgen graute. Er stöhnte. Taitscha blickte ungerührt auf ihn nieder.
Nach einer Weile schlug er die Augen auf und sagte:
»Verdammt, Ernesto, hab ich einen Brummschädel!«
Als niemand antwortete, richtete er sich halb hoch und wandte den Oberkörper zur Seite.
»He, pennst du immer noch, Alter?«
Plötzlich stutzte er.
»Diablo«, entfuhr es ihm. »Was ist das?«
Er musterte erschrocken die Umgebung. Seine Blicke blieben an dem Mädchen haften. Er schloß die Augen wieder und legte sich zurück. Wirre Gedanken tanzten in seinem Kopf einen schauerlichen Tanz.
Wo war er?
Träumte er?
Lebten die anderen noch?
Waren sie ermordet worden?
Nach einer Weile richtete er sich wieder auf.
»Maldito«, schrie er seine ungerührte Pflegerin an, »wie komme ich hierher? — Was habt ihr mit den compañeros gemacht?«
Sie starrte ihn unverwandt an. In ihren Augen war ein gefährliches Funkeln. Es waren große, mandelförmige Augen, beunruhigende Augen, von einer tiefen Eindringlichkeit.
Als er keine Antwort erhielt, versuchte er, sich zu erheben, aber es glückte ihm nicht. Seine Glieder waren wie Blei. Der Schlag auf den Hinterkopf schien ihn völlig gelähmt zu haben.
Trotz wiederholter Versuche sackte er auf halber Höhe immer wieder unbeholfen zusammen.
Flehend blickte er das fremde Mädchen an. Aber sie mochte ihn nicht verstehen, wollte oder durfte es nicht. Sie machte keine Anstalten, auch nur einen Finger zu rühren. Es kam erst Leben in ihre Gestalt, als er es endlich geschafft hatte und schwankend an der Bambuswand lehnte.
Sie richtete sich so schnell empor, daß man ihre einzelnen Bewegungen nicht unterscheiden konnte. Sie standplötzlich dicht vor ihm, legte ihm die Arme auf die Schultern und drückte ihn mit unwiderstehlicher Kraft auf die Matte zurück.
Allein, er vermochte nicht zu sagen, ob es körperliche Kraft war, die sie befähigte, zum Sieger über einen Mann zu werden. Er vermochte überhaupt nichts mehr zu sagen. Er lag nur da und starrte, bis ihm die Augen schmerzten, bis er sie vor Schmerzen schließen mußte.
3
Als es heller Tag über dem See war, trat Tunatatschi in den Raum und fragte kurz und mürrisch:
»Wach?«
Sie nickte.
Er trat an ihn heran und sagte in gebrochenem Holländisch:
»Augen aufmachen, Mynheer!«
Fernando öffnete die Augen, ohne etwas verstanden zu haben. Der Klang der fremden Stimme erweckte seine Neugier.
»Wo herkommen, Mynheer?«
»No lo comprendo«, sagte Fernando und schüttelte den Kopf.
»Was sagen, Mynheer?«
»No — — no — — verstaan.«
Tunatatschi kannte auch einige englische Brocken und fragte nun dasselbe in dieser Sprache.
»Vom Meer«, antwortete Fernando und deutete dabei in die Richtung, wo nach seiner Meinung der Ozean lag.
Aber der Häuptling verstand ihn falsch, denn er hatte in die entgegengesetzte Richtung der Insel gedeutet. Dort lag am Gestade das Schiff Hassans. Von dort aber war der Gefangene nicht. Das wußte Tunatatschi.
Er suchte nach Worten. Dann radebrechte er:
»Du lügen. Warum?«
»Ich lüge nicht«, antwortete Fernando. »Wenn ich sage, ich komme vom Ozean, dann komme ich auch von dort. Erzähl mir lieber, weshalb ihr mich gefangen habt und was ihr mit mir vorhabt
!«
Dieser in gutem Englisch gesprochene Satz war wiederum für Tunatatschi unverständlich. Er schüttelte den Kopf und gab das Fragen auf. Er würde zu Tuan Hassan gehen und mit diesem sprechen. Dann mochte der sich der Sache annehmen. Tunatatschi wollte dem Gefangenen nichts tun. Es lag ihm nur daran, die Fremden so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Andererseits wußte er nicht, wie er Hassan gegen sie ausspielen sollte, ohne diesen die Nußbäume finden zu lassen.
Es war eine schwierige Situation für den Inselfürsten. Rotang und Bambus genügten ihm zum Verkauf. Man konnte genug dafür eintauschen, ohne befürchten zu müssen, die ganze Meute der Weißen auf den Hals zu bekommen. Die Nüsse mußten für immer sein Geheimnis bleiben.