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»Würdest du mit mir gehen?«
Michel blickte Ojo an. Da die Unterhaltung auf englisch geführt war, hatte dieser nichts verstanden. Der Pfeifer erklärte ihm, worum es sich handelte. Ojos Gesicht glühte.
»Ein Schatz«, sagte er, »ein Schatz ! Stellt Euch vor, wieviel Wein man für einen dieser Diamanten trinken könnte ! Ob er uns wohl einige abgibt?«
Zum erstenmal seit Tagen lachte Michel wieder laut.
»Du bist doch unverbesserlich, Diaz ! Willst du, daß ich den Radscha frage?«
»Natürlich will ich das. Und er wird einsehen, daß man nach einem wahrscheinlich entbehrungsreichen Fußmarsch ein ganzes Fuder Wein braucht, um wieder ein Mensch zu werden.«
»Was sagt er?« fragte Tscham gespannt.
Michel übersetzte.
Auch Tscham lachte.
»Sag ihm, daß er so viele Diamanten nehmen kann, wie er zu tragen imstande ist. Er soll bis an sein Lebensende nur noch Wein von der besten Sorte trinken.«
»Santa Maria«, schrie Ojo begeistert. »Sind wir noch nicht bald in San —, wie heißt die Insel?
San — San — ?«
»Sansibar«, sagte Michel.
»Vertrackter Name. Gehen wir mit ihm?«
»Ja. Ich kann auf diesem Schiff nicht länger bleiben.«
Michels Heiterkeit erlosch so schnell, wie sie gekommen war. —
Es war im Dezember des Jahres 1779, als die »Trueno« in Sansibar vor Anker lag. Es war Michels letzte Bitte an Marina gewesen, sie nach dieser kleinen Insel zu bringen. Marina, voller Reue noch wegen der Geschehnisse in Mulung-Tulung, hatte sich dem Pfeifer nicht mehr zu nähern gewagt. Aber sie eiferte geradezu danach, ihn das grausige Erlebnis vergessen zu lassen und erfüllte ihm diese Bitte ohne weiteres.
Es war ein stummer, schwerer Abschied auf beiden Seiten, als Michel, Ojo und Tscham über die Gangway an Land gingen.
Die Piraten starrten ihnen mit dumpfen Blicken nach. Über die Wangen des kleinen Alfonso Jardín liefen dicke Tränen, und Marina mußte sich schnell in ihre Kabine zurückziehen, um vor den Mannschaften ihr wildes Schluchzen zu verbergen.
Am Ufer stehend, blickte sich Michel noch einmal um. Seine Augen ruhten lange auf der
»Trueno«. Sieben Jahre war sein Schicksal mit dem des Schiffes und den Menschen darauf verbunden gewesen. Und trotz der schandbaren Taten seiner bisherigen Kameraden fiel ihm der Abschied dennoch nicht leicht.
Er hörte, wie das Ankerspill knarrte, und sah, wie die Segel in den Wind gebraßt wurden.
Langsam nahm das Schiff Fahrt auf. Nach einer Stunde waren die Mastspitzen hinter dem Horizont verschwunden.
25
Die zu dieser Zeit einzige bedeutende Stadt auf der Insel Sansibar war die gleichnamige Hauptstadt. Sie liegt etwa in der Mitte der Westküste auf einer fast dreieckigen Landzunge, die durch einen schmalen, sandigen Landstreifen mit der Insel verbunden ist. Jenseits der seichten Lagune lag damals Madagaskartown, das Negerviertel. Auf dem Hauptteil der Halbinsel wohnten die Europäer, meist Portugiesen, denn diesen gehörte die Insel zu dieser Zeit noch.
Sie lagen allerdings schon seit zwei Jahrhunderten mit dem Imam von Maskat in Fehde. Aber erst 1784 gelang es diesem, die letzte Bastion der Portugiesen zu brechen und seinen Einfluß auch auf die Stadt Sansibar selbst auszudehnen, wo er als Zeichen dieser Macht zwei prächtige Paläste inmitten der Europäerstadt bauen ließ.
1779 aber war Sansibar noch fest in den Händen der Portugiesen. —
Die Hitze, die unseren drei Freunden an diesem Dezembertag entgegenschlug, war fast unerträglich.
»Diablo«, schimpfte Ojo, »das ist wie in der Hölle!«
Michel nickte.
»In meiner Heimat liegt jetzt dichter Schnee«, sagte er, und Sehnsucht schwang in seiner Stimme. »Ein paar Tage noch, und zu Hause brennen die Kerzen am Tannenbaum!«
Ojo nahm sein kleines Bündel mit den wenigen Habseligkeiten und das Gewehr auf die andere Schulter. Er brummte unwillig und eilte hinter Tscham her. Dem ehemaligen Radscha schien die höllische Hitze nichts auszumachen. Seine Augen glänzten. Alles in ihm war Erwartung.
Seit ihm das Vermächtnis seines alten Lehrers und Freundes Sadharan in seiner vollen Tragweite bekannt war, hatte er nicht mehr ruhig geschlafen. Die Phantasie war mit ihm durchgegangen.
Anfangs hatte er daran gedacht, mit dem Wert der Diamanten Bihar von der britischen Ostindien-Kompanie zurückzukaufen.
Michel hatte ihm diesen Gedanken ausgeredet. Er glaubte Warren Hastings genügend zu kennen, um ihm einen neuerlichen Raub des indischen Fürstentums zuzutrauen. Was lag einem Hastings schon an der Vertragstreue gegen einen indischen Radscha?
So hatte sich Tscham überlegt, was er mit dem zu erwartenden Reichtum beginnen würde.
Amerika, hatte ihm der Pfeifer geraten, sei vielleicht das richtige Land, in dem auch ein Radscha in Frieden leben konnte.
Und da war dann noch die Schwierigkeit des Transports der vielen Perlen und Diamanten von jenem Schneeberg bis zur Küste.
Lange hatten sie überlegt, ob sie eine Anzahl Packesel auf ihrer Expedition mitführen sollten.
Sie hatten sich aber dafür entschieden, vorerst nur soviel von den Diamanten zu bergen, wie sie selbst ohne große Schwierigkeiten tragen konnten. Es sollten so wenig Teilnehmer sein wie möglich.
Michel hatte vorgeschlagen, je einen Träger zu engagieren und zusätzlich noch einen Führer, möglichst einen Eingeborenen, der das Land kannte.
Ostafrika war 1779 noch größtenteils unerforscht. Kein Weißer war bisher über den etwa fünfzig bis hundert Kilometer breiten, besiedelten Küstenstreifen hinausgekommen.
Tschams Karte zeigte als Ziel ihrer Wanderung ein fast kreisrundes Gebirge, das sich terrassenartig aus dem Flachland erhob. Die unterste Terrasse, die am breitesten war, mußte etwa in einer Höhe von tausend bis eintausendachthundert Metern liegen und war als fruchtbares Kulturland eingezeichnet.
Man mußte also dort mit Bewohnern rechnen.
Danach kam zwischen zweitausend und dreitausend Metern Höhe eine riesige Dschungelregion, an die sich eine Zone mit saftigen Matten bis zu viertausend Metern Höhe anschloß.
Darüber folgte die zweite Terrasse und es war vermerkt, daß hier jegliche Vegetation aufhörte.
Hier begann nach Michels Meinung die eigentliche Schwierigkeit; denn essen mußte man auch in der vegetationslosen Region.
Der geheimnisvolle Zeichner der Karte hatte dann in einer Höhe von etwa fünftausend Metern die untere Schneegrenze angegeben.Aber der Weg zu den Schätzen führte noch weiter hinauf.
Auf der Hochfläche ruhte der Eisdom, hier als »Heller Berg« bezeichnet, und hohe, furchtbar zerklüftete Lavafelsmassen, die »Dunklen Berge«. Heller Berg und Dunkle Berge aber waren durch einen Sattel getrennt, auf dem sechs Kegel saßen.