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»Dachtet Ihr, Papier?«
Der Empfangschef war nicht mehr wiederzuerkennen.
»Bring die Herrschaften sofort ins Appartement des Residenten und sorge für ihre Bedienung«, fuhr er den Jungen an, der sich gerade von seiner unfreiwilligen Luftpartie erholt hatte.
27
Am nächsten Tage gingen sie durch die Stadt, um Ausschau nach einem geeigneten Führer zu halten, der dann die Träger anwerben sollte.
In den Straßen wimmelte es von Menschen aus aller Herren Ländern. Da gab es Araber, Inder, Türken, Chinesen, Malaien, Neger in allen Schattierungen, Perser undein paar Weiße, die aber im Straßenbild fast völlig verschwanden. Von ihrer Gegenwart zeugten nur die Steinbauten.
Hier blühte vor allen Dingen der Sklavenhandel. Jedermann in Sansibar, der etwas auf sich hielt, besaß Sklaven.
Sansibar war zu dieser Zeit der Hauptumschlagplatz für den Sklavenhandel. Von hier aus starteten die Sklavenjäger, meistens Araber, in das Innere Afrikas und verkauften ihre lebende Ware dann an die amerikanischen Kapitäne, deren Schiffe schon darauf warteten. Die armen Schwarzen, für die es kein Recht und kein Gericht gab, wurden von hier aus, zusammengepfercht in den Bäuchen der unersättlichen Schiffe, über Haiti in die Südstaaten Amerikas eingeführt, während die Herren gegen England für die Unabhängigkeit und Freiheit Amerikas auf den Schlachtfeldern bluteten.
Die Welt steckte eben voller Widersinnigkeiten.
Am Hafen sprach Michel einen bärtigen Araber an.
»Es-salam alejkum. — Kannst du mir sagen, wo ich hier einen Eingeborenen finde, der sich drüben auf dem Festland auskennt?«
»W'alejkum 's-salam«, erwiderte der Araber höflich den Gruß. Aber dann verzog sich sein Gesicht zu einer Grimasse. »Nach drüben willst du, hebek Sadik? Ich habe dich noch nie hier gesehen. Welches ist dein Schiff? Wie heißt es?«
»Ich habe kein Schiff. Weshalb fragst du?«
Der Araber blickte finster drein.
»Du hast kein Schiff und willst Sklaven fangen? — Wieder einer mehr, der sich mit unserem Geschäft abgibt! Ich sage dir, wir sind genug Jäger! Wir brauchen keinen Zuwachs.«
Es dauerte eine Weile, bis der Pfeifer verstanden hatte, wofür ihn der andere hielt.
»Du irrst, Sayd. Ich will keine Sklaven fangen!«
»Was willst du dann im Dschungel? Scheherazade hat bessere Märchen erzählt! Von mir erfährst du nicht, wer dich zu den Dörfern der Schwarzen führen kann.«
»Schejtan«, versuchte es Michel auf die grobe Art. »Dein Gehirn ist ausgetrocknet wie eine Zitrone in der Sonne. Siehst du nicht, daß du Gelehrte aus Frankistan vor dir hast? Ich bin ein Hakim und ein Munschi. Ich will mit meinen Freunden eine Expedition ins Innere Afrikas machen, um es zu erforschen!«
Der Araber war noch immer mißtrauisch. Er warf vielsagende Blicke auf das Gewehr, das Michel in einer Lederhülle quer über dem Rücken trug. Er hatte es mitgenommen, weil er das Hotel nicht für einen besonders sicheren Ort hielt.
»Und wozu schleppst du dann ein Gewehr mit dir herum?«
»Allah akbar, wer hat dich das Fragen gelehrt?« stellte sich Michel empört. »Auch ein Forscher muß eine Waffe bei sich haben! Ich versichere dir, daß mein Sinn nicht nach Sklaven steht.«
Der Araber schien sich überzeugen zu lassen.
»Bis wohin willst du vorstoßen?«
»Bis zu dem Berge, auf dessen Gipfel der Schnee nicht schmilzt.«
Da lachte der Araber schallend auf.
»Kehr um«, rief er, »kehr um! Wo hast du diese alberne Legende gehört? Die Eingeborenen an der Küste reden schon seit Jahrhunderten in geheimnisvollen Worten von dem Schneeberg. Sie nennen ihn den »Berg des bösen Geistes«. Aber es ist ein Gebirge, das nur in ihrer Phantasie existiert. Gesehen hat es noch niemand.«
»Doch«, behauptete Michel. »Ich kenne einen, der schon dort gewesen ist. Ich könnte es dir genau beschreiben. Aber du würdest es vermutlich nicht glauben.«
»Unsinn, albernes Geschwätz«, lachte der Araber. »Wie soll es hier einen Berg geben, auf dem ewiger Schnee liegt? — Dir selbst rinnt der Schweiß in Strömen von der Stirn. Wenn du ein Gelehrter sein willst, mußt du wissen, daß es Schnee nur in kalten Ländern gibt. Der Vater meines Großvaters hat einmal welchen gesehen und meinem Vater davon erzählt. Er ist weiß und fühlt sich an wie kaltes Pulver. Aber sobald die Sonne ihn trifft, wird er zu Wasser.«
»Deines Großvaters Vater hat richtig erzählt. Ich bin aus Frankistan, wie ich schon sagte. Dort liegt jetzt Schnee. Dort liegt jedes Jahr um diese Zeit Schnee, viele Monate lang.«
Der Araber blickte ihn erstaunt an. Dann meinte er :
»Wenn du aus dem kalten Land nach hier in die Wärme geflohen bist, weshalb suchst du dann hier den Schnee?«
»Ich bin Forscher.«
Der andere zuckte die Achseln.
»Nun gut, so will ich dir jemanden nennen, der dich führen kann. Es ist ein Schwarzer. Aber er wird Bezahlung fordern.«
»Natürlich. Jede Arbeit muß bezahlt werden.«
»Wenn du Sklaven hättest, brauchtest du sie nicht zu bezahlen.«
Diesem Manne ausreden zu wollen, daß das Halten von Sklaven nicht in sein Weltbild passe, erschien dem Pfeifer sinnlos. So meinte er:
»Deine Rechnung geht nicht auf. Wenn ich Sklaven hielte, so müßte ich ja für ihren Unterhalt sorgen. Das ist auf die Dauer teurer als die Miete für einen Führer.«
Der Araber war über diesen gänzlich neuen Gesichtspunkt überrascht.
»Schejtan«, sagte er, »du mußt wirklich ein Gelehrter sein. Darauf bin ich noch nicht gekommen.«
Er nannte den Namen des Führers. Er hieß Ugawambi und wohnte in einer Hütte jenseits der Lagune.
»Ich werde Allah für deine Freundlichkeit preisen«, sagte der Pfeifer.
28
Ugawambis Hütte, äußerlich eine Lehmhalbkugel, wies in ihrer Einrichtung schon moderne, europäische Züge auf. In der Mitte zum Beispiel, wo sonst die offene Feuerstelle zu sein pflegte, stand eine große Kiste mit der Aufschrift »Portugiesische Bananen, Ia Qualität«. Kleinere Kisten waren im Kreis darum gestellt, angeordnet wie Stühle. Darauf lagen Kissen, richtige Plüschkissen, allerdings verschlissen und verblichen; ihre ursprüngliche Farbe war nicht mehr zu erkennen.
An den Wänden standen Betten. Es waren große Jutesäcke, ebenfalls wieder mit den Beschriftungen irgendeiner Importfirma versehen, die, gefüllt mit Baumwolle, einem ausgewachsenen Mann bequem Platz boten.
Aus Lehm hatte der zivilisierte Besitzer in einer Ecke einen Ofen aufgebaut, die Krönung des Ganzen aber war ein verrostetes Ofenrohr.Ugawambis Weiber waren so stolz auf dieses Prachtstück, daß sie auch jetzt im Dezember, mitten im Hochsommer also, bei etwa fünfunddreißig Grad im Schatten, kräftig heizten.
Vor der Hütte spielte eine ganze Horde kaffeebrauner Kinder, die beim Nahen der drei wie Spatzen kreischend auseinandergeflogen waren.
Ugawambi selbst war nicht zu Hause.