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»Ich fürchte mich«, sagte Zapa.
»Aber ich bin doch bei dir. Die bösen Geister kommen nicht«, meinte er im Brustton der Überzeugung.
»Ich fürchte mich nicht vor den Geistern. Es ist etwas anderes. Ich spüre, daß es etwas anderes ist.«
Er zuckte die Schultern. Er war ein Mann. Und ein Mann durfte sich nicht von der Angst einer Frau anstekken lassen. Sicher, er hätte nach draußen gehen können, um nachzusehen, ob es tatsächlich etwas gab. Aber es war Mittag, und der Regen war naß.
Er widmete sich wieder dem Schnitzen von Pfeilen.
Eine Weile verging. Zapa kroch immer mehr in sich zusammen. Plötzlich fuhr sie auf.
»Da — da ist es wieder! — Hörst du nichts?«
»Nein!«
»Doch — doch — jetzt!«
In ihr letztes Wort hinein knallte ein Schuß. Dann schien mit einemmal die Hölle loszubrechen.
Rings um das Dorf erhob sich Geschrei.
Die Bewohner kamen grau vor Schrecken aus den Schilfhütten. Zuerst glaubten sie nicht, was sie sahen.
Bärtige Männer stürmten auf sie zu, ergriffen sie, betrachteten sie, und wenn sie ihnen nicht gefielen, stießen sie ihnen ein Messer ins Herz, ließen sie liegen und wandten sich lachend dem oder der nächsten zu, um dort genauso zu verfahren oder ihn vor sich herzustoßen, in die Arme von anderen Männern.
Die arabischen Sklavenjäger waren da.
Die zweijährige Ruhe war dahin. Wieder war das Dorf zum Ziel einer Sklavenkarawane geworden.
31
Zapa drückte sich zitternd an Unogi.
»Siehst du«, flüsterte sie, »ich habe es gesagt! Ich habe solche Angst!«
Unogi konnte darauf nicht viel sagen; denn in ihm sah es ähnlich aus. Da hatten sich die Männer des Dorfes im Waffenhandwerk geübt und waren zu Kriegern geworden! Und nun wurden sie ahnungslos in den Hütten, am häuslichen Herd, gefangengenommen oder ermordet. Es war nicht zu fassen. Der böse Geist wollte die schwarzen Kinder der Erde vernichten.
Aber warum — warum?
Diese Frage legten sich im Augenblick auch die Menschen in den anderen Hütten vor. Anstatt zu handeln saßen sie da, fassungslos, und fragten nach dem Warum.
Unogi hatte eine Hand um seine kleine Frau gelegt. Die andere hielt Pfeil und Bogen. Wenn einer in die Hütte kam, würde er schießen.
Aber die Araber hatten eine neue Taktik. Sie wußten, daß sie sich einer Gefahr aussetzten, wenn sie die Neger einzeln aus den Hütten holen wollten. Die, die sie draußen erwischen konnten, nahmen sie mit. Dann umstellten sie das Dorf und warfen Pechfackeln in die nassen Hütten und zwischen den Mais.
Die Wirkung konnte nicht besser sein. Der Regen verhinderte das Übergreifen eines offenen Brandes. Aber Schilf und Fackeln schwelten. Rauchschwaden lagen binnen kurzem über den Hütten und drangen durch das Flechtwerk.
Hustend und halb erstickt kam einer nach dem anderen ins Freie. Es half ihnen nichts, daß sie sich auf den Boden warfen. Der Regen drückte den Qualm nach unten. Wenn sie frei atmen wollten, mußten sie nach irgendeiner Seite zu entkommen versuchen.
Dort standen die Araber und nahmen sie in Empfang.
Die Gesichter der Sklavenjäger zeigten ein zufriedenes Grinsen. Der Fang schien gut zu werden.
Allerdings mußte man damit rechnen, daß nicht alle den anstrengenden Marsch bis zur Küste überleben würden. Zu essen konnte man den Gefangenen natürlich unterwegs nichts geben.
Jeder, der aus dem Rauch ins Freie trat, wurde von harten Fäusten gepackt und in die Sklavenleiter gespannt. Familien, Frauen und Männer, wurden getrennt.
Die Sklavenleiter war ein fürchterliches Martergerät. Es sah wirklich wie eine Leiter aus. Nur die Sprossen waren beweglich und verstellbar. Der Kopf eines Gefangenen wurde durch die beiden Längsholme gesteckt. Die quer liegenden Sprossen wurden dann an der Gurgel und am Gesicht vorbeigeführt und so eng geschlossen, daß ein Mann den Kopf unmöglich nach unten hindurch zwängen konnte. Bis zehn Neger spannte man in eine Leiter. Und zwar willkürlich.
Nicht etwa nach Größe geordnet. Wenn mehr Große als Kleine in einer Leiter waren, so mußten die Kleinen die Hälse recken, damit die Sprossen nicht so furchtbar auf Kinn und Hinterkopf drückten. Waren mehr Kleine in einer Leiter, so waren die Großen gezwungen, sich kleiner zu machen. Und das den ganzen Weg entlang. Bis zur Küste waren es wenigstens sechzig Kilometer. Die Araber würden nicht zögern, sie zu schnellstem Tempo anzutreiben. Der Weg mußte in einem Zug zurückgelegt werden. Wer nicht durchhielt, wurde erschlagen und seine Leiche zum Fraß für die Hyänen zurückgelassen. —
»Ich ersticke«, würgte Unogi hervor.
Er lag dicht an den Boden gepreßt neben seiner kleinen, zarten Frau.
Sie unterdrückte den Husten, obwohl es fast unmöglich war, in diesem mörderischen Qualm nicht zu husten.
Mit bebenden Fingern löste sie ihren Lendenschurz, der aus Baumwolle war, kroch zum Wasserkrug, tauchte ihn ein und reichte ihn ihrem Mann.
»Vor die Nase halten«, keuchte sie.
Die Augen traten ihm fast aus den Höhlen. Aber noch hielt er aus, obwohl er schon fast nichts mehr von seiner Umgebung erkennen konnte. Sie kroch wieder zurück, riß mit äußerster Anstrengung von ihrem Lager ein Stück Fell und befeuchtete es ebenfalls.
Als sie es sich aufs Gesicht preßte bekam sie kaum Luft.
Aber sollte sie hinausgehen, sich fangen und wegschleppen oder gar erschlagen lassen? Wenn sie schon sterben mußte, so hier zusammen mit ihm, mit Unogi, ihrem Mann.
Minute um Minute verstrich. Das Geschrei entfernte sich vom Lager. Die Hitze wurde drückender und drückender. Wände und Schilfdach begannen zu schwelen, und noch immer war kein Ende ihrer Qual abzusehen.
Seine Finger krampften sich um den Bogen. Er war seiner Sinne kaum noch mächtig.
»Hinaus«, stöhnte er, »wir müssen hinaus !«
»Nein, nein«, wimmerte sie mit schwachem Stimmchen.
»Hinaus — komm!«
Sie hielt ihn fest. Sie klammerte sich an ihn. Sie rangen miteinander.
»Ich werde kämpfen! — Nur Luft —, Luft brauche ich.«
»Bleibe doch, bleib«, wimmerte Zapa.
Ein Hustenanfall machte ihm das Sprechen unmöglich. Mit einem wilden Ruck riß er sich von ihr los und stürzte nach draußen. Immer geradeaus rannte er, weg von dem Qualm, der die Lunge zerriß, in die Luft, in die freie, offene Luft.
»Da, da ist noch einer!« schrie ein Araber laut.