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Diese Worte waren in Kisuaheli gesprochen, und so verstand der arme Schwarze ihren Sinn.
Noch einmal nahm er alle Kraft zusammen. An sich war es ihm gleichgültig, ob er hier erschlagen wurde oder ob er später die grausame Sklaverei ertragen mußte. Aber er dachte an die kleine Zapa, seine kindhafte, junge Frau. Und dann: vielleicht konnte er fliehen! Vielleicht war sie noch am Leben! Vielleicht fand er den Weg zurück!
Plötzlich zerrte er an seinen Fesseln. Aber er konnte sie nicht sprengen.
Da kam eine Stockung in den Zug. Die ersten Läufer vorn hatten das Tempo ebenfalls nicht durchhalten können. Einige von ihnen brachen zusammen und rissen dadurch auch die anderen nieder.
Es gab großes Geschrei. Erbarmungslos schlugen die Araber auf das Menschenknäuel am Boden ein.
Die bärtigen Kerle versuchten, die Gestürzten wieder emporzuziehen. Eine ganze Leiter konnte man nicht vernichten. Das waren immerhin zehn kräftige Burschen. Der Verdienstausfall wäre zu groß gewesen.
Die erste Stockung zwang den ganzen Zug zum Halten; denn nun, durch die plötzliche Unterbrechung befiel die Schwäche auch andere. Besonders die Frauen hielten nicht mehr durch.
»Hunde! Halunken! Stinkkröten!« Abu Sefs Stimme überschlug sich fast.
Wahllos zischte seine Peitsche zwischen die braunen Leiber. Aber dann hielt er erschöpft inné.
Es war nichts zu machen. Ein Blinder hätte gesehen, daß es so nicht weitergehen konnte.
»Rast!« schrie Abu Sef und setzte sich, als erster, wo er stand. Später würde es besser werden; denn fünf von seinen Leuten warteten am Rand der Dschungelzone mit den Pferden.
Wo sie jetzt waren, bildete hartes Lavagestein den Untergrund einer unbewachsenen Schneise, die den ganzen Dschungel durchschnitt und so eine bequeme Straße bildete, die fast genau in östlicher Richtung lief. Hier hätte man mit einem Wagen fahren können. Und der Araberführer ärgerte sich nicht wenig, daß er diesen Weg erst auf der Endphase des schwierigen Marsches durch den Urwald entdeckt hatte.
In der Hälfte der Zeit, die sie gebraucht hatten, hätten sie die Strecke ohne Anstrengung zu Pferde zurücklegen können.
Nun, es gab sicherlich noch mehr Negeransiedlungen in diesem Gebiet. Und diese natürliche Straße würde, wenn es nach dem Willen Abu Sefs ging, noch viele Seufzer von den Lippen schwarzer Sklaven hören.
»Mokka!« rief Abu Sef jetzt. »Mokka will ich! — Los, kocht mir Kaffee! Bei Allah, ich habe einen mächtigen Durst!«
Zwei jüngere Araber nickten, trugen Holz vom Waldrand herbei und entfachten ein Feuer.
Es währte nicht lange, so hielt Abu Sef eines der kleinen Täßchen in den klobigen Fingern. Aber er schlürfte das starke Getränk nicht auf vornehme Weise, sondern goß es mit einem Ruck, wie ein Fuhrmann in Europa einen Schnaps, die Kehle hinunter. Und er mußte eine dickwandige Kehle haben; denn der Kaffee war kochend heiß.
»Ah«, äußerte er, »noch einen!«
Fünf solcher Tassen trank er, eine ungeheure Menge, wenn man die Stärke des Kaffees in Betracht zog.
Es hatte sich in den letzten Stunden zwar etwas abgekühlt; aber fünfundzwanzig Grad im Schatten herrschten immer noch.
Es dauerte auch nicht lange, so schwitzte Abu Sef aus allen Poren; denn der Kaffee tat seine Wirkung.
»Schejtan!« schimpfte er. »Welch eine Hitze! Ich koche, ich siede, ich bin schon ganz gar! Oh, wie hat mich Allah geschlagen, daß er mir den Gedanken eingab, Kaffee zu trinken!«
Plötzlich verstummte jedes Geräusch ringsum. Selbst das Stöhnen der Gefolterten war nicht mehr zu vernehmen.
Alle, Sklaven und Sklavenjäger, horchten auf ein Geräusch, das sich von Westen her auf der Lavastraße näherte.
Es gab keinen Zweifel. Was man vernahm, waren Hufschläge!
Die Araber waren starr. Wer konnte das sein? Die Gegend galt als noch völlig unerforscht. Abu Sef hatteimmer geglaubt, daß er der erste sei, der bis hierher vorgedrungen war.
Und nun näherten sich rasche Hufschläge von Westen her.
»Das ist entweder der Schejtan oder es sind unsere Leute, die mit den Pferden auf uns warten sollten! Aber wie kommen sie in unseren Rücken?«
Alle starrten auf die Reiter, die wie kleine Punkte von fern herangeritten kamen.
34
»Wollen wir offen gegen sie anreiten?« fragte Ojo den Pfeifer.
»Wir richten uns danach, was die Situation ergibt. Vielleicht bleibt uns nichts anderes übrig.«
»Da vorn«, rief Tscham, »da vorn brennt ein Feuer! Ob sie dort rasten?«
»Vermutlich«, nickte Michel.
»Vielleicht haben sie uns schon bemerkt.«
»Kann sein. Auf dem Lavagestein knallen ja die Hufschläge wie Gewehrschüsse. Warten wir ab.«
Michel hatte seine Büchse schußbereit quer vor sich über dem Sattel liegen. Jetzt drehte er noch einmal die Läufe. Sie liefen wie geschmiert um die Achse. Sollten die räuberischen Burschen ruhig das Gefecht eröffnen. Vor ihren alten Steinschloßflinten hatte er keine Angst.
Tscham und Ojo prüften ihre Pistolen, von denen jeder zwei doppelläufige im Gürtel trug.
Tscham glühte vor Kampfeseifer. Wenn es nach ihm gegangen wäre, so hätten sie zu dritt eine schneidige Attacke geritten. Aber dazu fehlten ihnen die Säbel, die sie als unbequeme Anhängsel in ihrem Hotelzimmer in Sansibar gelassen hatten.
Von den Arabern machte niemand Anstalten, die Fremden mit einem Kugelregen zu empfangen.
Abu Sef war sogar zu faul, seinen Platz zu verlassen.
Die drei Freunde ritten im Galopp dazwischen, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt.
»Wo ist euer Anführer?« fragte Michel auf arabisch.
Einer deutete schüchtern auf Abu Sef.
Sie ritten zu ihm. Er machte keine Anstalten, sich zu erheben.
»Es-salam alejkum«, grüßte Michel höflich.
»Alejk sal«, erwiderte Abu Sef nachlässig den Gruß. Aber plötzlich stutzte er. Und dann brach er in lautes Lachen aus. »Schejtan — Dschehenna, meinen Bart will ich verlieren, wenn das nicht der einfältige Weiße ist, der den »Berg der bösen Geister« sucht!«
Auch Michel hatte den Mann sofort wiedererkannt. Es war derselbe, den sie am Hafen in Sansibar nach einem Führer ins Innere Afrikas gefragt hatten und der ihnen gesagt hatte, wo sie Ugawambi finden konnten.
»Ein überraschendes Wiedersehen«, sagte Michel. »Allah läßt uns die seltsamsten Wege gehen.«