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Michel langte bei seinen Freunden an, als das Geschrei der um ihre Pferde gebrachten Araber zu einem Wutgeheul anschwoll.
Tscham lag neben Ojo auf dem Boden.
»Gracias de Dios«, hatte Ojo ausgerufen, »gracias de Dios, daß Ihr noch lebt, Don Tscham!«
Und Tscham hatte gelächelt und gesagt:
»Sí, sí, amigo.«
Beide hatten sich glänzend verstanden. Tscham nahm Ojo nicht übel, daß er seine schweren Stunden verschlafen hatte, und Ojo war Tscham nicht böse, daß er ihn nicht geweckt hatte.
Sie wollten aufstehen. Sie dachten, Michel würde jede Sekunde den Befehl zum Rückzug geben.
Aber Michel dachte nicht daran.
39
In diesem Augenblick zerrissen irgendwo ein paar Wolken, und der volle Mond stand am Himmel. Die Erde, der Wald rechts und die Büsche, die freie Steppe, alles war in helles, silbernes Licht getaucht. Es hörte auf zu regnen.
Aber dieses Spiel der Natur würde nicht lange anhalten.
»Adelante«, zischte Michel, »jetzt geben wir's ihnen! Du, Diaz, leg dich dort, hundert Fuß links von hier, hinter den Busch. Und du, Tscham, hinter den da, neunzig Fuß rechts. Ihr wartet, bis ich sechsmal geschossen habe, und feuert dann jeder einmal oder so oft ihr könnt, damit ich Zeit zum Laden gewinne! — Wieviel Pistolen hast du, Diaz?«
»Zwei.«
»Gut. — Dann gib sie Tscham. Du hast ja noch die Büchse und bekommst meine Pistolen dazu.«
Er gab sie Ojo und nicht Tscham, weil Ojo besser mit den doppelläufigen Pistolen umgehen konnte.
»Grandioso«, freute sich Ojo. »Wir werden's ihnen geben.«
»Aber nur in die Beine«, warnte der Pfeifer eindringlich.
Ojo und Tscham entfernten sich, jeder nach seiner Seite.
Michel beobachtete das Lager scharf. Die Araber kamen nach und nach von der Jagd auf die Pferde zurück. Abu Sef stieß ein paar Flüche und ein paar Befehle aus.
Michel legte die Villaverdische Muskete an. Er zielte sorgfältig. Der helle Mond gab gutes Licht.
Er schoß — einmal — zweimal — dreimal.
Drüben stürzten ebenso viele Gestalten ins Gras. Die übrigen standen wie zu Salzsäulen erstarrt.
Bang — bang — bang! Drei weitere brachen zusammen. Jetzt knallte Ojos Büchse. Wieder einer.
Gleich danach bellten die Reiterpistolen, richteten zwar keinen Schaden an, stifteten aber neue Verwirrung. Michel brauchte etwa eine halbe Minute, bis er wieder geladen hatte. Als auch der sechste Lauf wieder gefüllt war, krachten Tschams Schüsse.
Erst jetzt kam wieder Leben in die Sklavenhändler. Abu Sef schrie:
»Dort steht eine Pulverwolke über dem Gebüsch! Stürmt es!«
Er deutete dahin, wo Tscham lag.
Ausgerechnet, dachte Michel, weshalb hatte er nicht Ojo entdeckt! Der würde die Burschen bestens empfangen, wenn sie gegen ihn anstürmten.
Aber trotzdem: wenn sie kamen, würde die Muskete des Grafen de Villaverde y Bielsa ein gewichtiges Wort mitzureden haben.
Sie stürmten tatsächlich gegen den Busch an, hinter dem Tscham lag.
Als der erste noch etwa zwanzig Schritt entfernt war, riß ihn Michels Kugel nieder. Dann den nächsten, den dritten, den vierten. Und dann kam niemand mehr.
Zehn hatte Michel kampfunfähig gemacht. Sie lagen am Boden und krümmten sich vor Schmerzen. Es waren also noch fünf übrig. Zwei von ihnen standen bei Abu Sef, Aber wo blieben die anderen beiden?Michel setzte das Gewehr ab und lud die abgeschossenen Läufe nach. Wenn doch die drei da vorn nur nodi für einige Sekunden so stehen blieben!
Sie blieben stehen.
Und dann fielen sie um, zuerst Abu Sef, dann Hassan und dann der dritte.
Ojo und Tscham kamen.
»Zwei fehlen noch«, sagte Michel. »Habt ihr sie nicht gesehen?«
Sie verneinten.
»Vielleicht sind sie ihren Pferden nachgelaufen«, meinte Ojo.
»Hm, das wäre möglich. — Hier, Diaz, nimm meine Büchse und decke uns. Wir werden mitten unter sie gehen, um ihnen die Waffen wegzunehmen. Komm, Tscham.«
Tscham war zwar noch immer völlig erschöpft; aber er preßte die Lippen zusammen. Erstens wollte er sich vor Michel keine Blöße geben, den er von Tag zu Tag mehr bewunderte, und zweitens wollte er sich die Genugtuung nicht versagen, jetzt als Sieger zu seinen Peinigern zurückzukehren.
So sprang er mit drohendem Gesicht hinter Michel her, direkt zwischen den am Boden liegenden Feinden durch, bis sie vor dem wimmernden Abu Sef standen.
»Allah verdamme dich«, schimpfte der bärtige Kerl.
»Das wird er bleibenlassen«, erwiderte der Pfeifer gelassen, bückte sich und zog dem Anführer Pistole und Messer aus der Schärpe.
Auch Tscham begnügte sich damit, den Männern die Waffen abzunehmen und sie zu denen zu werfen, die Michel schon durch Tritte mit dem Absatz seines Stiefels unbrauchbar gemacht hatte.
So gingen die beiden von einem zum anderen. Die meisten taten es ihrem Chef gleich und fluchten das ganze orientalische Schimpfwörterbuch durch. Manche flehten um Gnade. Der Pfeifer blieb völlig ungerührt.
Ojo, der hinter seiner Deckung lag, beobachtete scharf. Diesmal schlief er nicht ein. Mit Bangen erkannte er, daß sich jetzt neue Wolkenfelder am Firmament türmten. Jeden Augenblick konnten sie sich vor den bleicher werdenden Mond setzen. Dann war die Sicht weg. Und noch immer fehlten zwei von der Bande.
Diese beiden konnten gefährlich werden. Wenn sie klug waren und im Hinterhalt blieben, dann hatten sie die Möglichkeit, die Freunde da vorn wie die Hasen abzuknallen.
Ojo blickte wie zufällig einmal nach rechts hinüber.
Da — was war das?