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Keine fünf Meter hinter ihm schoß ein Krokodil heran, das Roß und Reiter verfolgte.
Tscham trieb sein Tier an. Aber das hatte schon selbst die Gefahr gespürt. Wie von Furien gehetzt durchbrach es das Wasser.
In der Mitte des Flusses blickte sich Tscham wieder um. Das Tier folgte noch immer.
Jetzt wurden auch die Gefährten am jenseitigen Ufer aufmerksam. Michel sah die Wasserkreise.
Er riß die Büchse hoch, schoß und — — fehlte. Wieder ein Schuß. Die Bestie stutzte.
Wahrscheinlich war die Kugel auf irgendeine harte Stelle ihres Panzers geprallt. Um ein Tier tödlich zu treffen, muß man zwischen die Augen schießen. Das war vom anderen Ufer aus noch nicht möglich.
Dennoch hatte das Stutzen Tscham einen größeren Vorsprung gebracht. Wiehernd erhob sich das Pferd schon aus dem Wasser, als der Alligator heran war und zuschnappte. Aber es blieb nur ein Stück Schweif in seinem Rachen. Und dann traf Michels Schuß.
Tscham zitterte an allen Gliedern. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er erfaßte nachträglich erst, welches Glück er gehabt hatte.
45
Niemand hatte Lust, die Wanderung heute noch fortzusetzen. Es wurde ein Lager aufgeschlagen.
Trotz Nässe und Regen kamen fünf prächtige Feuer zustande. Und dann gingen die Frauen daran, die beiden Büffelkühe zu enthäuten.
Bald brodelte und bruzzelte das saftige Fleisch an den zugespitzten Holzstöcken. Der Duft regte den Appetit derart an, daß Ojos Magen laut knurrte.
»Das wird dir doch gar nicht schmecken, Diaz«, sagte Michel mit todernster Miene.
Ojo blickte ihn verblüfft an.
»Wie — wie — meint Ihr das, Señor Doktor? Weshalb sollte es gerade mir nicht schmecken?«
»Ich denke, du machst dir nichts aus Braten, wenn es keinen Wein dazu gibt?« —
Sie hatten nun den längsten Teil des Weges hinter sich. Der Kartenskizze nach mußten sie morgen auf die erste Terrasse kommen, über die es zum Gipfel des Berges hinaufging.
»So böse scheinen die Geister des Berges gar nicht zu sein«, lachte Ojo, als er endlich seinen Teil von der Kuh vor sich liegen hatte. Er hieb seine kräftigen weißen Zähne in das Fleisch, daß Tscham ihm bewundernd zusah. Es war unglaublich, was Ojo so mit einem Biß in den Mund stecken konnte. —
Unogi saß neben der kleinen, zarten Zapa auf der Erde und sah sinnend vor sich hin.
»Was hast du?« fragte Zapa, »freust du dich nicht, daß uns die bösen Tiere nichts anhaben konnten?«
»Ich kann mich nicht so recht freuen. Weißt du, ich frage mich, ob diese Krokodile vielleicht vom bösen Geist auf dem Kilima in den Fluß gesetzt worden sind, um uns daran zu hindern, ihn zu überschreiten.«
»Ach, was du glaubst«, sagte Zapa; aber überzeugend klang das nicht. Ihre Augen wanderten plötzlich furchtsam hin und her.
»Vielleicht ist es ein Frevel, den bösen Geist auf seinem Berg zu stören.«
»Meinst du? Was sagen die anderen?«
»Es ist allen nicht mehr ganz geheuer.«
»Aber wir haben doch nun die Feuerwaffen, die ihr von Abu Sefs Kriegern erbeutet habt.«
»Ja, können wir aber damit umgehen? Die »Pfeifende Donnerbüchse« hat uns schon wiederholt in ihrem Gebrauch unterweisen wollen; aber es ist nie etwas daraus geworden. — Und außerdem kann man gegen die Geister auch nicht mit den Feuerwaffen an. Sie sind gegen alles gefeit!«
»Aber die bösen Krokodile im Wasser starben doch davon!«
»Das sind ja auch nicht die Geister selbst! Ich weiß nicht, ich habe Angst. Wir sollten wieder umkehren und in unser Dorf zurückkehren.«
So oder so ähnlich waren die meisten Gespräche, die sich an den Feuern entspannen. Überall herrschte Furcht vor dem Unbekannten.
Und Michel? Der hatte die Schwarzen bewußt noch nicht mit den Schußwaffen vertraut gemacht, da er mit Recht annahm, daß sie das kostbare Pulver unnütz verschwenden würden. Er wußte, daß im Fall der Berührung mit irgendeinem unbekannten Feind seine Büchse vollkommen ausreichen würde, um dem Gegner die Macht zu demonstrieren.
Es ging nun auf die letzte und wahrscheinlich äußerst schwierige Phase des Unternehmens zu.
46
Eine hochgewachsene, hellhäutige Gestalt sprang von Felsenstück zu Felsenstück, bis sie eine Wiese erreichte, die, zwischen zwei etwa tausend Meter hohen Bergrücken liegend, taufrisch und mit saftigen, zarten Gräsern bestanden war.
Die Gestalt entpuppte sich bei näherem Hinsehen als ein herkulisch gebauter, unbekleideter Mann mit einem anmutigen, bronzefarbenen Gesicht, in dem zwei große Augen saßen.
Es war Maradsche, der Königsläufer der Wadschagga.
Die Wadschagga bevölkerten damals die Gegend um den Kilimandscharo. Kunde von ihnen war schon bis zur Küste gedrungen. Die Bantu-Neger hielten sie für die Riesen, die den bösen Geist auf dem Kilimandscharo bewachten.
Sie unterschieden sich von den Negern der Ostküste durch einen herrlichen Wuchs, hellere Haut und weniger krauses Haar. Erst Dr. Meyer, ein deutscher Afrikaforscher, entdeckte die Wohnstätten der Wadschagga über hundert Jahre später erneut und schloß Schutzverträge mit dem großen König von Moschi ab, mit Mandara, einem Nachkömmling des Fürsten, der zur Zeit im Dschaggaland regierte, da unsere Geschichte spielt.
Maradsche eilte zu einer klaren Quelle, die aus einem in der Nähe gelegenen Felsen entsprang, streckte sich ein paarmal wie eine Katze und sprang weiter. Mit Leichtigkeit erklomm er tausend Meter des anderen Bergrückens. Dann allerdings wurde das Hinaufkommen schwieriger. Aber Maradsche kannte hier jeden Fußbreit Boden. Wie eine Bergziege stieg er weiter, ohne auch nur ein einzigesmal fehlzutreten.
Maradsche war das letzte Glied einer Stafette, die von der Grenze des Reiches bis zu dieser Königsstadt führte. Alle Neuigkeiten, die die ständig auf Patrouille befindlichen Kundschafter entdeckten, wurden so auf schnellstem Wege in die Königsstadt gebracht. Dabei leisteten die Stafettenläufer Erstaunliches an Geschick und Ausdauer.
Maradsche hatte nun auch diesen Bergrücken erklommen. Sein Standort erlaubte ihm einen herrlichen Ausblick über das ganze Gebiet von Moschi. Jenseits dieses Berges lag zwischen diesem und dem nächsten Höhenrücken ein wunderschönes, mattenreiches Tal, das aber nicht so tief war wie jenes, das der Läufer soeben durcheilt hatte.
Das Tal, das jetzt vor seinem Blick lag, war das Königstal mit der Königsstadt. Es wölbte sich, schon zweihundert Fuß unter dem Kamm beginnend, etwa vierhundert Meter tief und stieg auf der anderen Seite wieder an, wo seine saftigen Felder fast bis zum nächsten Rücken hinaufreichten.
Das Königstal war auch von der Niederung her zugänglich, aber Aradman, der Herrscher, hatte die offene Seite mit großen und ausgedehnten Hecken zupflanzen lassen und den Weg durch diese Hecken verboten.
Jeder Besucher der Königsstadt mußte über die Berge.Und auch die Nachrichtenträger waren von dieser Anordnung nicht ausgenommen.
Im Dschaggaland gab es für die Männer nur eine Beschäftigung. Das war der Kriegsdienst.
Schon die Jungen wurden zu Lanzenwerfern, Bogenschützen oder Schleuderern erzogen und brauchten nie eine andere Arbeit zu verrichten. Alles, was in einem geordneten Haushalt und auf den Feldern an Arbeit anfiel, war Sache der Frauen.
Und diese Frauen, die ebenfalls nackt gingen, waren Schönheiten. Einer der letzten Könige vor Aradman hatte Gesetze erlassen, wonach alle alternden Männer und Frauen, deren Körper keinen schönen Anblick mehr boten, ein Tuch, eine Bastmatte oder ein Fell als Bekleidung zu tragen hatten, wenn sie ihre Heimstätten verließen. Dieses Gesetz wurde auch von Aradman mit eiserner Strenge durchgeführt. Für die Frauen war eine bestimmte Altersgrenze festgesetzt, etwa fünfunddreißig Jahre. Wer von den Männern einen unansehnlichen Eindruck machte, bestimmte der König. Ein Mann nämlich, der Kleidung tragen mußte, schied aus dem Stand des Kriegers aus. Nun konnte man es sich aber auch im Dschaggaland nicht leisten, jeden zu bekleiden, dessen Bauch vielleicht eine Speckfalte auf wies; denn dieser Mann konnte durchaus noch ein brauchbarer Krieger im Dienst des Königs sein. Und es ist wohl überall in der Welt so, daß sich die Könige nicht gern durch Gesetz ihrer eigenen Soldaten berauben.
Die Königsstadt selbst war ein Unikum. Sie hatte die Ausmaße einer europäischen Kleinstadt und war rings von einer aus gelbem Bast und Stroh geflochtenen Mauer umgeben.
Aus dem gleichen Material waren die niedrigen, meist einstöckigen Häuser. Die Straßen waren mit herausgebrochenem Felsgestein belegt, das von Zeit zu Zeit von marschierenden Truppen wieder festgetreten wurde, wenn es der Regen gelockert hatte.