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»Er muß sehr, sehr hoch sein«, meinte sie sachlich. »Ob die »Pfeifende Donnerbüchse« wohl hinaufklettern wird?«
Unogi sah sie erschrocken an.
»Was für Gedanken du hast, Zapa ! Wie könnte er das wagen! Die Geister würden ihn zerschmettern.«
Zapa dachte praktisch.
»Ich kann mir nicht denken, was er hier will, wenn nicht hinaufsteigen.«
»Es wäre eine Freveltat ohnegleichen! Die Rache der Geister könnte sich auch auf uns erstrecken ! Wir würden alle verderben!« —
»Hm«, sagte Ojo zu Michel, »da haben wir ja eine ganz hübsche Kletterpartie vor uns.«
»Ich glaube auch«, antwortete Michel.
»Hinunter wird es noch schwieriger«, schaltete sich Tscham ein. »Dann müssen wir auch noch die Schätze tragen.«
»Dieser Mühe will ich mich gern unterziehen«, lachte Ojo. Und sein Lachen klang so schallend, daß die Neger erschrocken zusammenfuhren. Ihnen war der Heiterkeitsausbruch im Angesicht des erhabenen Geistersitzes unverständlich. —
»Ich glaube nicht, daß sie den Berg achten werden«, fuhr Zapa fort. »Sie lachten, als gelte es, über eine blumige Wiese zu tollen. Sie sind viel mächtiger als der Berg.«
»Zapa!« entfuhr es Unogi, und Bestürzung lag in seiner Stimme. »Du darfst nicht so sprechen!«
»Doch«, sagte Zapa eigensinnig. »Ihr seht, wenn es um die bösen Geister geht, nur das Schlechte in Menschen, die sich nichts aus ihnen machen. Aber ich bin nicht so. Die »Pfeifende Donnerbüchse« hat unser ganzes Volk aus den Händen der Sklavenjäger befreit. Er ist ein tapferer und guter Mann. Und seine Freunde sind auch tapfer und gut. Wie sie die schrecklichen Bestien im Fluß besiegt haben ! Sagtet ihr nicht, die Krokodile seien die Torhüter des bösen Geistes? Wenn sie die Torhüter überwanden, werden sie auch den bösen Geist besiegen. Das glaubt Zapa. Zapa hat keine Furcht.«
Sie hatte so laut gesprochen, daß auch andere ihre Worte vernommen hatten. Viele mißbilligende Blicke streiften die junge Frau, die noch ein halbes Kind war und doch Worte sagte, die nicht einmal der Häuptling auszusprechen gewagt hätte.
Der Zug hatte jetzt die Niederung verlassen und drang in das Hochland vor, das terrassenförmig anstieg.
Hier wurde die Gegend wunderbar. Der steppenartige Charakter ging in weiches Grüngelände über. In einer Schlucht, in der ein frischer, klarer Bach rieselte, machten sie am Abend halt und schlugen das Lager auf.
Die Höhen ringsum waren bewachsen und bewaldet und boten in der untergehenden Sonne — der Regen hatte wieder einmal für ein paar Minuten aufgehört — ein Bild von grandioser Schönheit.
Ein Feuer wurde entfacht. Aber es gab nicht viel zu braten, denn die Büffelkühe waren fast aufgezehrt. Aber da die Gegend fruchtbar war, litten die Eingeborenen keine Not. Es war ihnen ein leichtes, Schnecken in Massen zu finden. Auch der Bach gab Nahrung her. Forellenähnliche Fische, die sich allerdings nur schwer greifen ließen, lebten in seinem Wasser. —
Michel, Ojo und Tscham saßen stumm neben ihrem Feuer und starrten in die Flammen.
»Ich weiß nicht«, nahm Ojo das Wort und fuhr sich mit dem Zeigefinger zwischen Hals und Kragen, »ich habe so ein komisches Gefühl — so, als ob wir nicht mehr allein wären!«
»Du könntest mit deinen Gefühlen Geld verdienen, amigo«, spöttelte Michel. »Sie sind gut und echt. Du fühlst schon das Richtige.«
»Demonio, wie meint Ihr das, Señor Doktor?«
»Wie ich es sage. Das Gefühl, daß wir beobachtet werden, habe ich schon seit heute mittag.«
»Weshalb habt Ihr nichts gesagt?«
»Das würde auch nichts an der Tatsache ändern. Wir können doch unmöglich die ganzen Bergrücken absuchen.«
»Aber wir könnten innerlich auf einen Angriff vorbereitet sein!«
»Wozu?«
»Nun, wenn die Bewohner dieser schönen Gegend hier kommen, dann müssen wir uns schließlich verteidigen!«
Michel schüttelte den Kopf.
»Du kannst dir wohl gar nicht vorstellen, daß es vielleicht auch Völker geben könnte, deren erster Gedanke nicht gleich immer Krieg ist?«
»Ah, Ihr meint, daß sie uns ungeschoren lassen?«
»Wenn wir nicht etwas tun, was sie reizen könnte, hoffe ich es zumindest.«
Ojo mußte an die jüngst vergangenen Abenteuer auf der Muskatnußinsel Mulung-Tulung denken und lächelte.
»Ihr seid immer optimistisch, Señor Doktor.«
»Nicht optimistisch. Meine Hoffnung besteht nur darin, einmal ein Volk oder einen Stamm zu finden, der nicht immer gleich an feindselige Absichten glaubt, wenn man sein Gebiet durchreist.«
»Das gibt es nicht«, sagte Tscham bitter, aber mit Bestimmtheit.
»Na, wir werden ja sehen. Gute Nacht jetzt. Ich bin müde.«
»Buenas noches«, nickte Ojo.
»Good night«, schloß sich Tscham dem Wunsch an.
Ojos Schnarchen verriet bald, daß er trotz seiner Befürchtungen einen gesunden Schlaf hatte.
Michel hatte zwar als erster die Augen geschlossen, dachte aber nicht daran, einzuschlafen. Ihm war es während des Marsches am Tage gewesen, als hätte er hin und wieder beobachtende Augen in den Büschen gesehen, die links und rechts die Schneise säumten.
Vorsichtig schob er sich ein paar Schritte zur Seite. Dann richtete er sich halb auf und verschwand in Richtung auf die Berge.
Als er weit genug von den Gefährten entfernt war, ging er aufrecht weiter. Trotzdem versuchte er, ständig in Deckung zu bleiben, obwohl bei der ägyptischen Finsternis keineswegs die Gefahr des Entdecktwerdens bestand.
Von Baum zu Baum eilend, erklomm er die Hänge des zur linken Hand liegenden Bergrückens.
Seine Schritte waren vorsichtig und fast unhörbar, seine Sinne bis zum äußersten gespannt.
So sorgfältig er die Gegend auch absuchte, er fand vorläufig nichts, was seinen Verdacht bestätigt hätte. Kraft und Ausdauer eines einzelnen Menschen würden ohnedies nicht ausreichen, um das ganze Gelände zu durchforschen.
Aber Michel folgerte, daß ein geschickter Beobachter sich wahrscheinlich unter Ausnutzung der Dunkelheit so dicht wie möglich an den Lagerplatz der fremden Eindringlinge schleichen würde.
Und demgemäß wollte ihm der Pfeifer aus den Bergen heraus in den Rücken kommen.
Er rechnete nicht damit, daß es viele Kundschafter waren, die man auf sie angesetzt hatte.