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»Ein Schicksalsschlag, von dem ich gestern noch nichts wußte.«
Hassan zog die Brauen hoch. Das klang ernst.
»Ist Eurer schönen Tochter etwas zugestoßen, mein König? Oder hat Euch der Zauberer eine böse Zukunft vorausgesagt?«
Tunatatschi schüttelte das Haupt.
»Drüben an der anderen Seite der Insel sind Weiße gelandet.«
Er beobachtete den Araber scharf, gespannt darauf, wie dieser reagieren würde. Und Hassan reagierte prompt.
Er sprang von seinem Sitzkissen auf, so heftig, daß dieses, von einem ungewollten Stoß getrieben, in eine Ecke rollte.
»Wie ist das möglich?« fragte er erregt. »Sind sie schon mit Euch in Verbindung getreten?
Wollen sie etwa auch Rotang haben?«
»Das weiß ich nicht. Verbindung habe ich mit ihnen, allerdings eine, die ihnen nicht gefallen wird. Meine Krieger haben einen der ihren heute nacht gefangen. Er liegt in meinem Zelt.«
»Sind es viele?« fragte Hassan.
»Doppelt so viele wie Eure Männer. Sie kamen mit drei Schiffen.«
»Bei Allah, drei Schiffe auf einmal? Das können nur die Holländer sein. Mit ihnen kann ich nicht anbinden; denn ihnen gehört ja das ganze Gebiet hier.«
Obwohl diese Tatsache Hassan genauso wenig befriedigte wie den Häuptling, nahm er es doch als gegeben hin, das Kolonialrecht der Niederländer zu respektieren. Niemals würde er sich mit einer offiziellen Flotte auf Streitigkeiten einlassen.
Tunatatschi allerdings war anderer Meinung.
»Diese Insel gehört mir, und auch kein Holländer kann etwas daran ändern.«
In Hassans Gesicht stand auf einmal der Spott. Seine Miene schien zu sagen: was kannst du schon ändern, du dummer Wilder!
»Und außerdem sind es keine Holländer«, fuhr Tunatatschi fort. »Der Gefangene jedenfalls spricht kein Wort von dieser Sprache.«
»Das will nichts besagen. Es gibt auch auf meinem Schiff Seeleute, die kein Wort arabisch sprechen. Wer soll es sein, wenn nicht die Leute aus den Niederlanden?«
»Engländer vielleicht.«
»Noch schlimmer. Sie haben noch stärkere Kanonen als die Holländer. Nein, gegen diese kann man ebenso wenig machen. Weshalb habt Ihr einen von ihnen gefangen?«
»Meine Krieger taten es. Was ratet Ihr mir, was soll ich mit ihm machen?«
»Laßt ihn schnell wieder frei, sonst macht Ihr sie Euch alle zum Feind.«
»Gut«, meinte Tunatatschi, »ich will Euern Rat befolgen. Ihr meint, daß ich Ihnen auch so viel Rotang geben soll, wie sie haben wollen?«
Die Augen des Eingeborenen funkelten listig. Er wußte, daß er eine gute Frage gestellt hatte.
Was würde dieser Hassan erst sagen, wenn er wüßte, daß die anderen dieMuskatnußbäume entdeckt hatten? Würde ihn diese Tat- : sache vielleicht doch sein Zögern aufgeben lassen?
»Ihr werdet ihnen doch den Rotang nicht anbieten, bevor sie danach fragen. Vielleicht verfolgen sie ganz andere Absichten als Handel zu treiben. Sie können doch genügend Rotang auf ihren Inseln ernten.«
»Hm«, machte Tunatatschi und fuhr listig fort: »Ich glaube, bei mir ist er billiger.«
Hassan blickte lange zu Boden. Es arbeitete hinter seiner Stirn. Er überdachte seine Chancen.
Achtunddreißig Kanonen hatte er an Bord, eine gut geschulte Mannschaft ; und genügend Pulver und Kugeln. Er sah auf.
»Was haltet Ihr davon, wenn ich sie angreifen würde?«
In den Augen des Eingeborenenfürsten blitzte es.
»Ihr würdet von mir jede Unterstützung bekommen, um sie zu vernichten. Wenn Ihr den festen Willen habt, das zu tun, so gehen wir beide am besten gemeinsam auf Kundschaft und finden heraus, wie dieser Plan am einfachsten verwirklicht werden kann.«
»Gut«, sagte Hassan. »Ich werde meine Mannschaft darauf vorbereiten und komme gegen Mittag heimlich zu Euch, um die Einzelheiten festzulegen.«
Tunatatschi nickte eifrig.
»Ich freue mich, daß Ihr so mutig seid. Wir werden die Eindringlinge gemeinsam verjagen.«
6
Taitscha saß Stunde um Stunde neben ihrem Gefangenen. Jede seiner Bewegungen beobachtete sie, und wenn er zu sprechen anhub, lauschte sie der angenehmen Stimme, obwohl sie die Worte nicht im mindesten verstand.
Fernando de Navarra hatte sich von dem Schlag mit der schweren Keule soweit erholt, daß er seine Gliedmaßen nach freiem Willen bewegen konnte. Nur der Druck im Schädel, ein ständiges Brummen und Sausen, ein Schmerz wie von tausend Nadeln blieb. Körperlich hätte er wohl an eine Flucht denken können; aber geistig war er noch zu erschöpft.
Zudem war da dieses Mädchen, das ihn unverwandt anstarrte. Immer öfter ertappte er sich dabei, daß auch seine Augen zu ihr wanderten. Ihre Gegenwart, ihr Vorhandensein war vielleicht das einzige, was sein Gehirn in diesen Stunden wirklich registrierte.
Er vernahm nicht einmal das Geschrei und den Tumult, der von draußen hereindrang, als der Pfeifer, Ojo und Mutatulli erschienen.
Als die drei das wellige Land hinter sich hatten und an das Ufer des Sees gelangten, blieben Michel und Ojo mit einem Ausruf des Entzückens stehen.
»Wie im Paradies«, murmelte der große Spanier in seinen dichten Bart, und der Pfeifer nickte zustimmend.
»Es wäre ein Paradies geblieben«, schaltete sich Mutatulli ein, »wenn wir es nicht entdeckt hätten.«
»Keine Angst«, meinte Michel, »wir werden den paradiesischen Frieden nur dieses eine Mal stören, um diediesjährige Muskatnußernte für uns zu erhalten. Nie wieder wollen wir dieses Eiland betreten.«
Mutatulli verzog den Mund und schwieg.
Sie gingen weiter und erreichten die Pfahlstadt.
Zuerst nahmen sie wahr, wie aus den Hütten neugierige Augen auf sie blickten; aber es ließ sich kein Mensch außerhalb seiner Behausung sehen. Wären die Augen nicht gewesen, hätte man denken können, die Stadt im Wasser sei ausgestorben. Kein Atmen, kein Husten, nicht einmal der Schrei eines Babys war vernehmbar.
»Meint Ihr, daß sie Angst vor uns haben, Mutatulli?« fragte Michel.