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Diese versuchte Michel ungesehen zu erreichen, was ihm binnen kurzem auch gelang.
Und siehe da, seine Vermutung hatte ihn nicht getrogen. Als er vorsichtig um einen Strauch bog, wäre er fast über einen Mann gefallen, der hier am Boden hockte und zum Lagerplatz hinüberstarrte.
Michel wich sofort hinter seine Deckung zurück und beobachtete nun seinerseits den Mann.
So lagen die beiden etwa eine Stunde lang in unmittelbarer Nähe. Sonst zeigte sich niemand weit und breit. Undder Lauscher gab auch kein Zeichen an irgend jemand anderen, woraus Michel schloß, daß er allein war.
Da packte den Pfeifer der Schalk. Man müßte dem Kundschafter gleich beim ersten Zusammentreffen eine Lektion erteilen, die ihn beeindruckte. Denn von seinem Bericht würde vielleicht die Entscheidung über Krieg oder Frieden mit den Wanderern abhängen.
Langsam, Zentimeter um Zentimeter schob sich Michel so weit nach vorn, daß er den Bogen und den Köcher des Eingeborenen greifen konnte.
Vorsichtig, ganz, ganz vorsichtig zog er die Waffen des lauschenden Mannes zu sich heran.
Immer wieder hielt er in seiner Beschäftigung inne.
Zum Glück erwachte in diesem Augenblick Tscham. Er vermißte Michel und stand auf, blickte sich suchend um, ging durch die Reihen der Schlafenden und stieß dabei aus Versehen den einen oder anderen an.
Diese Tätigkeit Tschams ließ den Kundschafter die Aufmerksamkeit noch mehr als zuvor auf das Lager richten.
Ein Ruck, und der Bogen war ganz in Michels Hand. Der Köcher folgte schnell nach. Michel zog sich einige Schritte zurück. Hier hängte er den Bogen über einen vorspringenden Zweig und schnürte den Köcher ebenfalls daran fest. Dann machte er sich mit einem Lächeln auf den Lippen auf den Rückweg.
48
Maradsche, der Königsläufer, beobachtete Stunde um Stunde jede Bewegung im Lager. Er wollte, er mußte so viel wie möglich über diese Fremden erfahren ! Sein König erwartete einen ausführlichen Bericht von ihm. Noch immer aber hatte er nichts von dem Donner und Blitz gesehen und gehört. Und das war in seinen Augen das Wichtigste.
Er konnte nicht verhindern, daß seine Zähne in den späten Nachtstunden vor Kälte aufeinanderschlugen. Er hatte weder eine Decke noch ein Fell bei sich. Er stand auf, um sich durch Springen zu erwärmen. Dabei fiel sein Blick auf die Stelle, wo vorhin noch Köcher und Bogen gelegen hatten.
Er stieß einen halblauten Ruf des Schreckens aus.
Die Waffen, die Zier des Kriegers, waren verschwunden, weg, einfach weg!
Entsetzen malte sich auf seinen Zügen. Waren die Überirdischen im Spiel?
Mit seinen großen Augen blickte er sich um. Es war niemand da. Er ging ein paar Schritte zur Seite.
»Was war das?
Der Bogen schimmerte im Geäst eines Busches.
Maradsche stürzte darauf zu und riß ihn beglückt an sich. Dann griff er nach dem Köcher. Aber dieser war mit einem ihm völlig unbekannten Seemannsknoten an den Zweig gebunden.
Er zerrte an den Riemen, um ihn loszubekommen. Endlich löste sich der unheimliche Knoten.
Maradsche war voller Furcht. Wie waren seine Waffendorthin gekommen? Er wußte genau, daß er sie neben sich gelegt hatte.
Kopfschüttelnd und mit einem unbehaglichen Gefühl nahm er seinen Beobachtungsposten wieder ein. Würde ihm der König diese Erzählung glauben? Würde er vielleicht denken, daß Maradsche so müde gewesen war, daß er nicht mehr wußte, was er getan hatte? Da war der Knoten. Maradsche dachte, daß es besser gewesen wäre, ihn nicht aufzuknüpfen, sondern den Ast abzuschneiden. Das wäre ein Beweis gewesen, wie man ihn eindringlicher nicht hätte erbringen können. —
Michel hatte den Rest der Nacht gut geschlafen. Als am kommenden Morgen die schlaftrunkenen Menschen wieder hochtaumelten, regnete es.
Der Pfeifer saß bald auf seinem Pferd und ritt wie zufällig in die Nähe des Gebüschstreifens, hinter dem er während der Nacht dem Eingeborenen den Streich mit dem Bogen gespielt hatte.
Er strengte seine Augen an, um das Dickicht zu durchdringen. Vielleicht war der nackte Krieger noch da.
Michel hielt sein Pferd an. Langsam und ohne Hast prüfte er seine Büchse. Dann riß er sie plötzlich an die Wange und drückte dreimal hintereinander ab. Es war eine Kugelverschwendung, wie er sie niemals bei anderen geduldet hätte; denn das Ergebnis dieser Schüsse waren drei Bleßhühner, die so klein und mager waren, daß sie höchstens einen einzigen Mann gesättigt hätten. Er kümmerte sich nicht um die Jagdbeute. Er nahm auch nicht die Büchse herab. et blieb in der Haltung, in der er den letzten Schuß abgegeben hatte und lauschte angestrengt ins Gebüsch. Dann glitt ein Schein der Befriedigung über seine Züge. Er vernahm das leise Knacken von Zweigen und das samtene Auftreten eines nackten Fußes. Der Späher war also noch da. Und Michel hoffte, daß das, was er soeben gezeigt hatte, seine Wirkung auf den bogengewohnten Eingeborenen nicht verfehlte.
Ojo kam heran. Er hob die toten Vögel auf und blickte den Pfeifer vorwurfsvoll an.
»Was ist los, Diaz?«
»Hm. Drei Kugeln wegen dieser mageren Viecher?«
»Nein«, sagte Michel, »nicht wegen der Viecher, sondern wegen des Kundschafters, der hinter diesen Büschen sitzt und uns belauscht.«
»Kundschafter? Soll ich den Burschen fangen?«
»Um Gottes willen, nein ! Er soll nach Hause gehen und von dem Schreck berichten, den ihm die drei Schüsse mit Sicherheit eingeflößt haben. Er belauscht uns übrigens schon seit gestern. Ich habe ihn mir während der Nacht aus der Nähe betrachtet.«
»Davon weiß ich ja gar nichts.«
»Davon kannst du auch nichts wissen, denn du hattest wieder einmal einen gesegneten Schlaf, als ich aus den Decken kroch.«
Ojo blickte Tscham an. Er wollte aus dessen Gesicht lesen, ob der Junge ebenfalls einen so festen Schlaf hatte. Aber zu seiner Enttäuschung nickte Tscham dem Pfeifer lächelnd zu.
»Stimmt, du warst lange weg, mein Freund.«
»Stimmt«, brummte Ojo. »Natürlich stimmt es. Oder meint ihr, ich habe es nicht gemerkt? —
Ich wollte es nur nicht zeigen, um — um — na ja, um den. Späher nicht zu verscheuchen!«
Sie lachten und folgten den anderen, die schon marschierten, nach Norden zu, immer nach Norden.
49
Am Abend jener Nacht erreichte Maradsche die Königsstadt. Er ging nicht in sein Haus und sprach nicht mit seinem Weib. Er hielt keinen Schwatz mit einem befreundeten Krieger, ja, er verzichtete sogar auf einen frischen Trunk Ziegenmilch. Er eilte durch die steinernen Straßen und erklomm die Stufen, die hinauf zum Königshaus führten.
Aradman kam sofort aus einem seiner Gemächer in die Audienzhalle. Sie unterließen die Begrüßung. Maradsche nahm sich nicht einmal die Zeit, sich zu setzen. Er wartete auch nicht die Aufforderung des Königs ab, seinen Bericht zu beginnen.
»Es stimmt, Aradman«, stieß er hastig hervor. »Alles was der Kirua erzählt hat, stimmt! Und nicht nur das. Sie können auch zaubern!«
Er erzählte die Geschichte mit dem Bogen und dem Köcher. Er schilderte den Knoten, den niemand hier zu binden vermochte.
»Und als sie am Morgen aufbrachen, hob ein Mann von sehr heller Hautfarbe, der eigenartig aufgeputzt war und eine Kappe mit breiten Rändern auf dem Haupte trug, ein Holzstück in die Luft, auf dem ein hohler Bambusstab befestigt war, und jagte Blitz und Donner in den Himmel, worauf drei wilde Hühner tot vom Himmel fielen. Es war schrecklich!«
Aradman blickte den verstörten Krieger an. Er beherrschte seine Stimme gewaltsam, als er fragte:
»Bist du auch ganz sicher, daß du dich nicht getäuscht hast?«