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Aber es vergingen keine fünf Tage, als der Pfeifer bemerkte, wie aufdringlich und neugierig sie von den anderen Gästen des Hotels gemustert wurden. Es mußte sich demnach herumgesprochen haben, daß sie nicht als arme Leute aus Afrika zurückgekehrt waren.
Wo es etwas zu stehlen gibt, finden sich die Diebe sehr rasch ein.
Michel hatte vorgeschlagen, so bald wie möglich einen vertrauenswürdigen Menschen zu suchen, den sie zum Hüter ihrer Schätze bestellen konnten. Ojo und Tscham hatten eingewilligt.
Aber gab es hier überhaupt vertrauenswürdige Menschen? Die Kostbarkeiten waren zu hoch im Wert, als daß sie nicht auch dem Ehrlichsten in die Augen gestochen hätten.
So einigten sich die drei Freunde denn, daß sie die Perlen und Edelsteine vorläufig in ihrem Appartement stehen lassen und wechselseitig bewachen würden.
Aber das Schicksal schien ihnen günstig gestimmt. Denn keine acht Tage später lernten sie einen deutschen Kapitän kennen, der ganz durch Zufall mit seinem Frachter nach Sansibar verschlagen worden war und hier neue Fracht suchte.
Dieser Kapitän war kein Sklavenhändler. Ja, er war empört und erstaunt zugleich, daß auf Sansibar offener Sklavenhandel getrieben wurde.
Kapitän Weber war ein ehrlicher und frommer Mann und verabscheute den Handel mit Menschen.
Michel Baum trug ihm seine Sorgen vor, und Weber erklärte sich bereit, die Säcke mit dem wertvollen Inhalt an Bord zu nehmen und sicher nach Deutschland zu bringen, wo er sie in einem Hamburger Bankhaus gegen Quittung deponieren wollte.
Auch Tscham erklärte sich mit dieser Regelung einverstanden, obwohl er seinen Anteil — das war die größere Menge des gesamten Schatzes — lieber in Amerika gesehen hätte. Der Pfeifer jedoch beruhigte ihn und erklärte ihm, daß er ihn von Hamburg ohne weiteres nach Amerika transferieren lassen könne, wenn er dort angekommen sei.Schließlich hatten sie ja alle drei noch immer vor, Amerika, den Kontinent der Freiheit, irgendwann einmal zu erreichen. —
An diesem Vormittag hatte Michel die Wache übernommen. Für alle Fälle stand in greifbarer Nähe hinter dem Schrank die geladene und entsicherte Villaverdische Muskete.
Es klopfte.
Ein Page des Hotels erschien und brachte die Nachricht, daß zwei Araber in der Halle auf Michel warteten.
»Haben sie ihre Namen genannt?«
Der Page schüttelte den Kopf.
»No, Señor, sie scheinen auch nicht zu wissen, wie Ihr heißt; denn sie erkundigten sich nach jenem Caballero, der vor kurzer Zeit von einer Expeditionsreise aus Afrika zurückgekehrt sei.«
»Hm«, machte Michel nachdenklich. Dann schwieg er eine Weile. Kapitän Weber hatte die Säcke noch nicht abgeholt. Es war also schlechterdings unmöglich, das Zimmer unbeaufsichtigt zu lassen. Andererseits wäre es ein gewagtes Spiel gewesen, die beiden Araber, die gerüchteweise sicherlich auch von dem Vorhandensein des Schatzes gehört hatten, heraufbitten zu lassen.
Dennoch entschloß sich Michel dazu.
»Schick sie herauf«, sagte er zu dem Pagen. »Aber sieh zu, daß es tatsächlich nur zwei sind.«
Der Page nickte und verließ mit einem Bückling das Zimmer.
Kurze Zeit später kamen die beiden Besucher.
Der Pfeifer war überrascht. Einer der beiden war Hassan, der junge Diener Abu Sefs. Auch das andere Gesicht kam Michel irgendwie bekannt vor. Der, dem es gehörte, mochte ebenfalls zu den Sklavenjägern Abu Sefs gehört haben.
Die beiden Männer blieben höflich an der Tür stehen.
»Es-salam alejkum«, grüßte Hassan.
Michel erwiderte den Gruß, konnte sich aber eines leisen Mißtrauens nicht erwehren. Was mochten die Leute Abu Sefs von ihm wollen?
»Darf ich dir meinen Begleiter vorstellen?« fragte Hassan.
Als Michel nickte, fuhr er fort :
»Er heißt Abd el Ata und ist der Führer der »Dreizehn Verlassenen«, zu denen auch ich gehöre.«
»Aus welchem Grunde habt ihr euch diesen sonderbaren Namen gegeben?« fragte Michel verwundert.
Hassan blickte zu Boden.
»Allah ist mein Zeuge«, erwiderte er, »daß wir nicht in schlechter Absicht gekommen sind. Der Name »Dreizehn Verlassene« trifft auf uns durchaus zu; denn wir sind dreizehn Verlassene.«
»Du wirst meine Neugier verzeihn, wenn ich dich nach den näheren Umständen frage, die zu diesem Namen geführt haben.«
»Um dir das noch mehr zu erklären, sind wir gekommen.«
»Gut«, sagte Michel, »dann nehmt Platz und beginnt.« Er wies auf zwei Polster. Die beiden Besucher setzten sich. Abd el Ata hatte ein finsteres Gesicht und war sehr schweigsam.
Hassan schilderte nun, wie Abu Sef seine Leute in verwundetem Zustand im Stich gelassen hatte. Er gab einen anschaulichen Bericht von ihrer schwierigen Reise zurück nach Tanga. Die Erinnerung übermannte ihn beim Er-zählen oft so, daß er in ungezähmte Haßausbrüche gegen Abu Sef verfiel.
»Es ist zwar sehr traurig, was du mir da erzählt hast«, sagte Michel, »aber ich muß gestehen, daß ich euch nicht bedauern kann. Menschen, die andere Menschen jagen, haben nichts Besseres verdient. Was wollt ihr nun eigentlich von mir?«
»Dich bitten, uns bei der Rache an Abu Sef, dem Sklavenhändler, zu helfen.«
Michel erhob sich.
»Da muß ich euch leider enttäuschen. Ich habe noch nie in meinem Leben an irgendeinem Menschen Rache genommen. Abu Sef ist bestraft; die Sklaven, die er gefangen hatte, sind wieder frei. Und damit habe ich meine Aufgabe erfüllt. Rache ist nicht mein Handwerk. Und laßt euch eins sagen: Rache bringt nie etwas ein.«
Hassan und Abd el Ata sahen einander an. Dann nickten sie einander zu. Wieder ergriff der jüngere das Wort:
»Wir wissen nicht, wer du bist, und wir kennen nicht dein wirkliches Gesicht. Wir können uns schlecht vorstellen, daß du ein Mensch bist, der niemals Rachedurst verspürt. Aber wenn du es sagst, wird es stimmen. Dennoch könntest du uns bei der Ausführung unserer Rache behilflich sein, ohne dich selbst zu rächen. Darf ich eine weitere Frage an dich richten?«
Der Pfeifer nickte.
»Würdest du mit uns ziehen, wenn es gälte, weiteren Sklavenfang zu verhindern?«
»Ob ich mit euch ziehen würde, das weiß ich nicht. Wenn es jedoch in meiner Macht steht, so werde ich jeden Sklavenfang verhindern.«
»Nun, so höre und entscheide dann.«
Hassan gab alles das wieder, was sie von Ugawambi über die Absichten Imi Bejs erfahren hatten. Er sprach auch von einer Verbindung, die angeblich zwischen Imi Bej und Abu Sef bestand. Was er nicht wußte, kombinierte er hinzu, so daß der Pfeifer ein Bild über die Lage erhielt, das zwar nicht den Tatsachen entsprach, aber in lockenden Farben gemalt war. Der junge Araber verstand es meisterhaft, Michel von der Gefährlichkeit der Absichten Abu Sef s und Imi Bejs zu überzeugen.
»Deine Erzählung klingt gut«, sagte Michel. »Und was habt ihr jetzt vor?«
Hier schaltete sich Abd el Ata ins Gespräch ein.
»Die »Dreizehn Verlassenen« werden Abu Sef bestrafen«, sagte er mit finsterer Miene.