158087.fb2
Fünf Mann, unter ihnen Paulus, hangelten an einem Seil hinunter und nahmen die Riemen zur Hand. Dem Kapitän ging auch das Hangeln nicht schnell genug. Als er drei Viertel des Seils hinter sich hatte, ließ er sich einfach fallen und landete zwischen den anderen.
»Legt euch in die Riemen, Jungs, was das Zeug hält«, befahl er mit heiserer Stimme.
Paulus Krämer schuftete wie ein Pferd. Er schien wieder gutmachen zu wollen, was er durch seine Dummheit verbockt hatte. Wie ein Pfeil schoß das kleine Boot zur Mole.
»Wartet hier. Du, Paulus, kommst mit.«
Der Kapitän sprang auf den Steg und ging mit Riesenschritten dem Hafen zu. Von dort eilte er quer durch die Stadt, Paulus immer im Gefolge, bis er das große portugiesische Hotel erreicht hatte.
Er stürmte durch das Portal in die Halle.
Der Empfangschef runzelte die Brauen. Aber Philip Weber störte sich nicht daran. Er schritt auf ihn zu und blieb schweratmend vor ihm stehen.
»Ich möchte Mr. Baum sprechen, Doktor Baum, den Deutschen, Sie wissen schon.«
Bei Nennung dieses Namens wurde das Gesicht des Empfangschefs etwas freundlicher. Er verneigte sich leicht und sagte mit einem Achselzucken:
»Es tut mir leid, Sir, Mr. Baum ist gestern abgereist.«
»Abgereist? Wohin?«
»Soweit ich unterrichtet bin, unternimmt er eine neue Expedition in das Innere des Landes.«
»Alle guten Geister«, entfuhr es dem Kapitän in seiner Muttersprache.
»Wie bitte?« fragte der Empfangschef.
»Ihr könnt mir die Route seiner Reise nicht näher bezeichnen?« fragte er dann.
»Darüber hat sich Mr. Baum nicht ausgelassen.«
»Hm, hm.«
Der Kapitän blickte verstört um sich. Welch ein Streich, welch ein Streich, dachte er. Ich scheine tatsächlich vom Pech verfolgt zu sein!«
»Kann ich Euch sonst noch irgendwie behilflich sein?« fragte der andere.
»Ihr wißt nicht, auch nicht ungefähr, in welche Richtung sich Mr. Baum gewandt hat?«
»Nein, Sir.« Der Empfangschef gab sich sichtlich Mühe, den portugiesischen Akzent in seinem Englisch nicht hören zu lassen.
»Habt Ihr auch keine Möglichkeit, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen?«
Der Empfangschef zögerte etwas; dann meinte er:
»Ihr könnt einen Brief hier zurücklassen. Ich nehme an, daß Mr. Baum nach seiner Rückkehr wieder in unserem Hotel Wohnung nehmen wird.«
»Hat er gesagt, wann er zurück sein wird?«
»Nein.«
»Verfluchte Situation«, murmelte Kapitän Weber vor sich hin. »Habt Ihr Tinte und Papier zur Hand? — Ich möchte gern von Euerm Angebot Gebrauch machen. Ihr könnt mir doch versichern, daß Mr. Baum den Brief bestimmt ausgehändigt erhält, wenn er wieder in Euer Hotel zieht?«
Der Empfangschef nickte vornehm, und es hatte den Anschein, als sei er ein wenig beleidigt, daß man eine solche Frage überhaupt an ihn richtete.
»Ihr dürft dessen sicher sein, Sir. Ein bei uns aufgegebener Brief ist noch nie weggekommen.«
»Nichts für ungut«, sagte Weber, »ich meinte es nicht böse. Ich bin in einer vertrackten Situation; aber das könnt Ihr natürlich nicht wissen.«
Der Empfangschef rief nach dem Boy und trug diesem auf, Tinte und Federkiel beizuholen.
Kapitän Weber nahm an einem der kleinen Tischchen Platz und schrieb. Mit unbeholfenen Fingern — ein alter Seemann ist kein Schreibkünstler — malte er verschnörkelte Buchstaben aufs Papier. Das Ganze war nicht länger als etwa zwanzig Zeilen; aber Kapitän Weber hatte immerhin eine Stunde dazu gebraucht.
Dann kniff er den Zettel zusammen, stopfte ihn in ein Kuvert und klebte dieses zu. Als ihm der Empfangschef Siegellack und Hotelsiegel reichte, wußte er im ersten Augenblick nicht, was er damit anfangen sollte. Aber der weltgewandte Mann des Hotels entzündete einen Fidibus, träufelte Siegellack auf die Rückseite des Briefes und übergab dem Kapitän das Siegel, um es darauf zu drücken.
Als Weber das Hotel verließ, wischte er sich mit einem riesigen Taschentuch den Schweiß von der Stirn.
»Unsere Rückfahrt war vergebens«, sagte er zu Paulus. »Ich möchte wissen, wie wir deine Dummheit jemals wieder gutmachen können.«
Paulus Krämer hatte seit Tagen eine Leichenbittermiene aufgesetzt. Er hätte sich am liebsten auf jeden Araber gestürzt, dem sie auf ihrem Weg zum Hafen begegneten. Seine Wut war unbeschreiblich. Er hatte sich geschworen, daß er, wenn ihm Imi Bej jemals in seinem Leben zwischen die Finger kommen sollte, diesem alle Knochen einzeln brechen würde.
Kapitän Weber grübelte und grübelte. Aber er fand keinen Ausweg aus seiner mißlichen Lage.
»Da hat man nun sein ganzes Leben lang noch keinen einzigen Pfennig veruntreut«, murmelte er vor sich hin, »und dann verliert man auf die dümmste Weise von der Welt Millionenwerte, die einem ein Landsmann anvertraut hat! Es ist, um aus der Haut zu fahren.«
69
Als Abu Sef und Imi Bej, der Satan, in Tanga das Schiff des Imam von Maskat verlassen hatten, verweilten sie nicht lange, sondern brachen am nächsten Morgen auf. Sie ritten an der Spitze eines stattlichen Jagdzuges, und es blieb daher nicht aus, daß sie ins Gespräch kamen.
Abu Sef fixierte seinen Kompagnon von der Seite und fragte:
»Wenn wir diese Richtung beibehalten, so kommen wir in das Stammesgebiet der Usamara. Die Usamara aber bringen nicht gerade die besten Preise auf dem Sklavenmarkt.«
»Afrika ist groß«, antwortete Imi Bej.
»Ah, du gedenkst also durch das Gebiet der Usamara hindurchzuziehen?«»Ich gedenke wenigstens nicht die übliche Route der Sklavenjäger einzuhalten«, erwiderte Imi Bej spitz.
»Entschuldige, ich wollte dir keine Belehrungen geben. Aber ich habe im afrikanischen Busch meine Erfahrungen.«
»Ich sagte dir bereits, daß es mir auf deine Erfahrungen nicht ankommt. Ich glaube wohl, daß Ugawambi ein ausgezeichneter Führer ist. Und ich möchte behaupten, daß er bessere Sklavenjagdgründe kennt als du.«
»Sicher«, lachte Abu Sef, »er wird sie kennengelernt haben, auf dem letzten Zug mit dem Weißen nämlich.«
»Eben«, antwortete Imi Bej.
»Nun gut«, meinte Abu Sef mit erschreckender Offenheit, »ziehen wir zum Berg der bösen Geister. Vielleicht gibt es ihn wirklich, und vielleicht wohnen Menschen in seinem Schatten.