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Von hier aus war es nicht mehr schwer, mit Hilfe der Spuren zu jener Stelle zu gelangen, wo Fernando den Keulenschlag erhalten hatte. Auch für den im Spurenlesen ungeübten Blick war leicht zu erkennen, daß die Zerstörungen im Gerank der Buschgruppe von mehreren Menschen hervorgerufen sein mußten.
»Mir ist alles klar«, meinte Marina. »Unser Student wurde zuerst durch Euer Schnarchen aus dem Schlaf gerissen, lag dann wahrscheinlich eine Weile wach und hörte Geräusche, denen er nachging. Hier an dieser Stelle werden sie ihn erschlagen haben.«
Ernesto riß die Augen auf.
»Erschlagen«, stammelte er, »tot? Und nur weil ich geschnarcht habe? Oh, Señorita, sagt das nicht! Ich würde mein Leben lang keine Nacht mehr ruhig schlafen!«
»Vielleicht hat er Glück gehabt, und sie haben ihn nur betäubt. Fest steht jedenfalls für mich, daß sie ihn verschleppt haben.«
»Und was machen wir nun?«
Sie verließen das Gebüsch und gingen zwischen den diskutierenden Gruppen hindurch.
»Im Augenblick können wir gar nichts machen«, sagte Marina; »denn der Pfeifer ist mit Ojo und Mutatulli zu den Wilden gegangen, um ihnen auch noch Geld dafür zu geben.«
»Wofür? Dafür, daß sie Fernando verschleppt haben?«
»Nein, natürlich nicht. Für Nüsse, die wir gefunden haben und ernten wollen.«
»Wir sollten lieber hingehen«, murmelte Ernesto, »und die Bestien totschlagen.«
»Ihr habt manchmal auch ganz vernünftige Ansichten«, lächelte Marina und wandte sich ab.
Ernesto ließ sie aber nicht gehen.
»Entschuldigt, Señorita Capitán, aber wollen wir nicht Fernando suchen?«
»Wir müssen warten, bis der Pfeifer zurück ist. Wenn Fernando tot ist, können wir ihm auch nicht mehr helfen. Und lebt er noch, so werden sie ihn jetzt nicht erschlagen, da eine Abordnung von uns bei ihnen ist.«
»Der Señor Doktor«, murmelte Ernesto, »hat immer so sonderbare Gedanken.«
»Hm«, machte Marina und ging.
8
Tunatatschi, der ebenso gemächlichen Schrittes, wie er zu Hassan gegangen war, seinen Rückweg zur Stadt machte, stutzte und sah auf. Auf- und abschwellend wie die Wellen des Meeres drang das lärmvolle Schnattern seiner Untertanen in seine Ohren. Als er über die letzte Hügelkette schritt, die bis dahin noch sein Blickfeld unterbrochen hatte, konnte er das Gewimmel auf den Stegen der Pfahlstadt erkennen.
Er beschleunigte seinen Schritt, denn er ahnte Böses.
Nachdem er herangekommen war, ebbte der Lärm mit dem Tempo seiner Schritte ab. Er ging auf den Hauptsteg zu, blieb aber plötzlich stehen; denn dicht vor ihm richteten sich drei Gestalten aus dem Grase auf.
Es waren der Pfeifer, Ojo und Mutatulli.
Mutatulli trat vor und grüßte, wie er es von seinen eigenen Stammesangehörigen auf Borneo kannte.
Tunatatschi entbot daraufhin seinen Gegengruß.
Die Fremden schienen in friedlicher Absicht gekommen zu sein.
»Der Admiral unserer Flotte möchte dich sprechen«, sagte Mutatulli in dem malaiischen Sprachgemisch, das den Eingeborenen von Insel zu Insel als Verkehrssprache diente.
Tunatatschi verstand es; seine Untertanen allerdings sprachen nur den urbandanesischen Dialekt, wie er vor etwa hundertfünfzig Jahren noch auf den Banda-Inseln gebräuchlich war. Das war ein Zeichen der Weltabgeschiedenheit und völligen Isolierung dieser Insel.
»Du hast dich den weißen Eindringlingen als Dolmetscher zur Verfügung gestellt«, sagte Tunatatschi in verächtlichem Tone zu Mutatulli. »Du bist ein Knecht der Weißen!«
Mutatullis Gesicht war traurig.
»Mir scheint, daß ein König einen besseren Blick haben sollte. Ich habe aus der Bewegung, die bei deinem Nahen durch die Reihe deiner Leute ging, erkannt, daß du ihr Häuptling bist.«
»Dein Blick hat dich nicht betrogen. Ich bin Tunatatschi, der König von Mulung-Tulung.«
»Ist das der Name dieser Insel?«
»Es ist der Name meines Reiches.«
»Gut, o König von Mulung-Tulung, ich bin der König eines anderen Reiches. Ich war Gefangener und Sklave der Holländer auf Banda, bis mich diese Weißen, die du hier siehst, befreiten. Ich bin ihnen zu Dank verpflichtet. Sie sind meine Freunde.«
»Ich kenne die Holländer«, sagte Tunatatschi. »Ich spreche auch ihre Sprache. Ich kann also mit den Weißen direkt verhandeln.«
»Du hast mißverstanden. Diese Weißen sind aus einem anderen Land. Sie sprechen kein Holländisch.«
»Was wollen sie?«
»Sie sind gekommen, um ihre Schiffe voll Muskatnüsse zu laden. Und ich soll dich nun fragen, wie der Preis für diese Ernte ist.«
Tunatatschis Augen wurden schmal. Er glaubte, nicht recht gehört zu haben. Er kannte die Weißen anders, und es war das Natürlichste für ihn, daß er eine Finte hinter dieser Frage witterte.
Er blickte Michel an und dann den Riesen mit dem dichten schwarzen Bart. Der Riese flößte durch sein bloßes Dasein dem König von Mulung-Tulung gewaltigen Respekt ein.
Tunatatschi hatte seine Finger bisher über dem Bauch gefaltet gehalten. Nun fuhr er sich mit dem Daumen nach den lang herabhängenden, durchlöcherten Ohrläppchen und kratzte sich.
Michel fragte auf englisch: »Was habt Ihr für einen Eindruck von dem Häuptling? Wird er uns die Nüsse verkaufen?«
»Er überlegt. Und es wäre gut, wenn wir seine Überlegungen nicht stören.«
Michel nickte und schwieg.
Als die englischen Worte fielen, horchte Tunatatschi auf. Er hatte einen Teil des Gesagten verstanden. Der fremde Admiral schien tatsächlich einen ehrlichen Handel zu beabsichtigen.
Nun, er, Tunatatschi, würde sehen, ob jener Fremdling meinte, was er sagte.
Tunatatschi dachte an Hassan und rief sich die Einzelheiten seines Planes ins Gedächtnis zurück.
Jedenfalls war er klug genug, um zu wissen, daß man einen guten Preis nicht von vornherein zurückweisen soll.
Dennoch sagte er: