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Imi Bej verzog das Gesicht zu einer wütenden Grimasse.
»Ich habe dich nicht rufen lassen, um mir Märchen anzuhören.«
»Es ist kein Märchen. Mein Massa hat sie wirklich erschossen !«
»Beim Schejtan, er kann doch nicht sämtliche Krokodile erschießen, die beim Überschreiten des Flusses von allen Seiten herankommen!«
»Mein Massa hatte ein Zaubergewehr. Er konnte es.«
»Ein Zaubergewehr? Erklär mir das näher!«
»Das ist schwierig zu erklären. Es war ein Gewehr wie jedes andere. Nur, wenn man es an die Backe hielt, so konnte man immerfort abdrücken, ohne zu laden. Das müssen die Krokodile gemerkt haben. Und da war es ihnen zu gefährlich. Die Lebenden fraßen die Toten auf.Und als sie sich gesättigt hatten, waren sie nicht mehr so wütend.«
Man sah es dem Gesicht Imi Bejs an, daß er der Erzählung des Schwarzen keinen Glauben schenkte. Plötzlich brüllte er ihn an:
»Wenn du mir Geschichten aus »Tausend und einer Nacht« auftischen willst, so lasse ich dich peitschen!«
Wenn er dachte, den Neger mit dieser Drohung einschüchtern zu können, so hatte er sich geirrt.
Ugawambi verfügte über persönlichen Mut. Wütend stemmte er die Hände in die Seiten und schrie den Würdenträger des Imam von Maskat an:
»Drohen willst du mir, du Hund? Wie kannst du es wagen, mir Schläge anzubieten ! Bin ich vielleicht dein Bediensteter?«
Es war wohl das erstemal im Leben des Bej, daß ihn ein einfacher Mensch, noch dazu ein Schwarzer, derartig herausfordernd anschrie. Normalerweise hätte er einem solchen Gesprächspartner seine Nilpferdpeitsche zwei-oder dreimal mitten über das Gesicht gezogen.
Aber diesmal war seine Verblüffung größer als seine Wut. So schüttelte er nur den Kopf.
»Du redest irre«, sagte er zu Ugawambi.
Der Schwarze riß sich mit zornfunkelnden Augen seine Perücke vom Kopf, schwenkte sie drohend gegen Imi Bej und schrie so laut, daß es alle anderen hören konnten:
»Ich — irre? Wenn hier einer irre ist, dann bist du es! Glaubst du, ich habe ein Interesse daran, dich einen falschen Weg zu führen, wo mir doch ein Viertel des Gewinnes dieser Reise gehört?«
Abu Sef, der etwas abseits saß, stützte sein Gesicht in die offenen Hände, um sein Lachen zu verbergen. Für ihn war das Streitgespräch ein Hauptspaß. So hatte noch keiner mit Imi Bej gesprochen.
Jetzt begann der Zorn bei Imi Bej langsam die Oberhand zu gewinnen. Er erhob sich und trat dicht zu dem Schwarzen heran. Seine verschlagenen Augen funkelten tückisch. Aber Ugawambi dachte nicht daran, auch nur einen Schritt zurückzuweichen.
»Ich werde dir die Bastonnade geben lassen, du verdammtes schwarzes Tier!«
»Waaaaas? Kommst du mir so, du wortbrüchiger Dummkopf? Dir tun wohl die fünfundzwanzig Prozent leid, die du mir geben mußt, wie?«
Imi Bej erbleichte bis in die Haarwurzeln. Besinnungslos vor Wut griff er zur Nilpferdpeitsche.
Aber er kam nicht dazu, Ugawambi damit zu schlagen; denn dieser stülpte ihm jetzt die Perücke, die er noch in der Hand hielt, mitten über das Gesicht.
Imi Bej taumelte zurück, fiel hin und richtete sich mühsam wieder auf. Langsam zog er sich die Perücke vom Gesicht. Ihm war speiübel. Die Perücke, die jahrein, jahraus auf dem natürlichen, speckigen Haar des Negers gesessen hatte, stank fürchterlich und verursachte Brechreiz.
Der Bej kümmerte sich nicht mehr um Ugawambi, und Ugawambi ging dorthin, wo sein Pferd weidete. Ruhig, als wäre nichts geschehen, ließ er sich dort nieder.
Alle, die den Zwischenfall beobachtet hatten, bemühten sich verzweifelt, ein Lachen zu verbeißen. Viele vergönnten ihrem überheblichen Anführer diese Abreibung. Niemand aber wagte es, seinem Wohlgefallen offen Ausdruck zu verleihen. Nur einer machte ein finsteres Gesicht. Es war der Vertraute Imi Bejs, Malik el Suwa. Er trat jetzt zu seinem am Boden sitzenden Herrn und fragte :»Soll ich den verdammten Burschen züchtigen, Sayd?«
Imi Bej winkte ab.
»Noch nicht«, antwortete er mit leiser Stimme. »Die Zeit ist noch nicht gekommen. Wir brauchen ihn.«
»Aber wie kommen wir über den Fluß?«
»Ich weiß es auch noch nicht. Denk' einmal ein wenig darüber nach.«
»Ich habe es mir auch schon überlegt. Wir haben doch genügend Leute. Wir könnten Bäume fällen und ein großes Floß bauen. Von diesem Floß aus wäre es leicht, heranschwimmende Krokodile zu erschießen. Außerdem glaube ich nicht, daß die Reptilien das Floß erklettern werden.«
Imi Bej nickte vor sich hin.
»Dein Gedanke ist nicht schlecht, Malik, nur wird unsere Reise durch den Floßbau verzögert.«
»Lieber verzögert, als gar nicht ausgeführt; denn den Fluß zu durchschreiten, dürfte unmöglich sein.«
»Setz dich zu mir«, sagte Imi Bej. Dann schwiegen beide. Nach einer Weile raunte der Bej seinem Vertrauten zu:
»Bleiben wir noch einen Augenblick sitzen. Dann erheben wir uns und tun so, als würden wir das Ufer inspizieren. Ich habe etwas Wichtiges mit dir zu besprechen. Aber das braucht niemand zu hören.«
74
Michel und Hassan waren geritten, ohne sich umzuschauen, Tag und Nacht, Nacht und Tag. Sie hatten kaum ein Wort miteinander gewechselt. Wenn überhaupt einmal gesprochen wurde, so nur, um einen sachlichen Hinweis zu geben.
Ohne große Schwierigkeiten hatten sie am Ende der Lavastraße Spuren finden können, wo der wilde Sklavenjägerhaufen Imi Bejs in den wuchernden Urwald eingedrungen war. Da sie das Ende der Straße am Morgen erreicht hatten, zögerten sie nicht, der noch jungen Spur sofort zu folgen. Mit kräftigen Hieben ihrer Macheten zerteilten sie das Lianengestrüpp. Sie hatten den Eindruck, als würde sich der Urwald, sobald sie den eben geschaffenen Durchlaß hinter sich hatten, sofort wieder schließen.
Es dauerte nicht lange, und Michel gab das Suchen nach vorhandenen Spuren auf. Es waren nur hin und wieder noch ganz geringe Anzeichen zu finden, daß hier überhaupt je Menschen durchgekommen waren.
Michel richtete sich von nun an nach seinem Kompaß.
Sollte Imi Bej seine Richtung nach dem Dschaggaland beibehalten haben, woran es eigentlich keinen Zweifel gab, so mußten sie auf diesem Weg, dem Michel und Hassan bisher gefolgt waren, zuerst an den Fluß der Krokodile kommen. Diese Tatsache war sonnenklar; aber nichtsdestoweniger konnte sie Michel nicht begreifen. Ugawambi kannte doch den weitaus bequemeren Weg. Weshalb führte er die Leute nicht auf weniger gefährliche Weise zur Stadt des Königs Aradman?
Es war schwer für Michel, sich hierauf selbst eine Antwort zu geben. Und so ließ er es, kopfschüttelnd zwar, bei der Tatsache bewenden, daß Ugawambi nichts getan zu haben schien, um seinen Freunden den Weg zu erleichtern.
Streckenweise mußten sie die Pferde am Zügel hinter sich herzerren. Je tiefer sie in die wuchernde Wildnisvordrangen, um so seltener konnten sie reiten. Beide, Pferd und Reiter, waren fast bis zur Grenze ihrer physischen Möglichkeiten erschöpft. Den Rossen hing die Zunge weit aus dem Halse, obwohl der ständige Regen sie davor bewahrte, Durst zu leiden. Aber ihre Lungen waren ausgepumpt.
Oft streifte ein bedauernder Blick aus des Pfeifers Augen den jungen Begleiter. Hassans Leistung war erstaunlich. Und der Junge murrte nicht. Dennoch wäre er dankbar gewesen für eine Pause.
Aber Michel konnte nicht rasten. Der Gedanke an das, was sich ereignen würde, ja, ereignen mußte, trieb ihn unbarmherzig weiter. Hatte er, wie er glaubte, schon seelisch versagt, so durfte er seinen Körper nicht schonen, um das heraufziehende Unheil zu verhindern.
Weiter hetzten sie, durch den Tag, durch die Nacht. Und an einem Nachmittag wurden sie für ihre Anstrengungen belohnt.
»Lagerfeuer«, sagte Michel mit rauher Stimme. Hassan nickte.
Ein paar hundert Meter noch führten sie ihre Pferde mit sich. Dann meinte Michel zu Hassan: