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Mutatulli hatte das erwartet. Er hatte längst herausgefunden, daß dieser Inselkönig ein gerissener Bursche war.
»Das wäre dein Schaden«, sagte er. »Der Admiral würde ohne dein Einverständnis unverrichteterdinge wieder abfahren. Aber seine Unterhäuptlinge würden die Nüsse trotzdem pflücken. Der einzige, der das Nachsehen davon hätte, wärest du.«
Tunatatschi nickte nachdenklich. Innerlich war er zufrieden.
»Ein solcher Handel ist kein guter Handel«, meinte er mit gespieltem Vorwurf. »Ihr zwingt mich, und ich muß mich darauf einlassen, wenn ich überhaupt etwas davon haben soll.«
»Deine Rechnung ist verkehrt«, sagte Mutatulli. »Du hättest auch nichts davon, wenn die Früchte vom Baume fielen, aufplatzten, und die Nüsse verdürben!«
»Ja«, sagte Tunatatschi. »Das stimmt. Aber schließlich bin ich hier der Herr!«
»Ein Herr ohne Reichtum!«
»Aber frei und unabhängig!«
»Sag ja oder nein! Der Admiral wird sich deinem Wunsch fügen, und mit den anderen mußt du selber fertig werden.«
Der Häuptling sagte ja.
»Und wie hoch ist der Preis?«
»Ein Feuerrohr für jeden Mann, dazu Pulver und Kugeln. Und für mich eine Kanne, die die Weißen Wein nennen.«
Als Michel den Preis hörte, schüttelte er entschieden den Kopf.
»Sagt dem Häuptling, er könne im gleichen Wert Lebensmittel, Stoffe oder Glasperlen bekommen. Gewehre sind Mordinstrumente, und ich handle nicht mit dem Tod. Er selbst, der König, mag eines erhalten. Am liebsten wäre es mir, wenn ich mit Gold zahlen könnte.
Tunatatschi könnte damit kaufen, was er will.«
Mutatulli berichtete in diesem Sinne.
Die Weißen sind doch alle gleich, dachte Tunatatschi. Sie haben vor ihren eigenen Waffen Angst. Aber er sah auch ein, daß ihm nicht übrigblieb, als das Angebot anzunehmen.»Gold will ich nicht, es sei denn, ihr bezahlt mit den kleinen runden Stücken, die die Weißen Geld nennen.
Und wie ist es mit einer Kanne Wein?«
Der Pfeifer stimmte zu.
Soweit war der Handel geregelt; aber nun dachte Tunatatschi an den Gefangenen in seinem
»Palast«. Er wunderte sich schon, daß die anderen noch nicht nach ihm gefragt hatten. Es galt zu überlegen, ob man die Rückgabe des Gefangenen in den Kaufpreis einschloß oder ob man eine Erhöhung der Summe für ihn forderte, zwei Gewehre vielleicht oder zwei Kannen Wein.
»Es hat sich heute nacht ein Mann von euren Schiffen zu uns verlaufen. Er ist bei meiner Tochter in Pflege. Ihr könnt ihn abholen, müßt aber dafür ein weiteres Feuerrohr zahlen.«
Michel und Mutatulli waren überrascht. Wer mochte das sein?
»Können wir ihn sehen?«
Tunatatschi nickte und ging auf den Steg zu. Die drei Fremden folgten ihm.
Nun gaben auch die Eingeborenen den Weg frei.
Sie traten in die geräumige Hütte, in deren Mittelraum Fernando lag.
Der Student hörte nichts von ihrer Ankunft, sondern starrte dem Mädchen Taitscha fasziniert in die Augen.
»Fernando«, rief Ojo erstaunt. »Wie kommst du hierher?«
Alle drei starrten auf den Liegenden.
Fernando sagte nichts. Er reagierte gar nicht.
»Fernando de Navarra«, meinte Michel eindringlich. »Was ist los mit Euch? Was tut Ihr hier?
Kennt Ihr uns nicht?«
Fernando starrte unverwandt Taitscha an. Und auch Taitscha sah nur einmal kurz auf, um ihren Blicken gleich wieder die alte Richtung zu geben.
Tunatatschi verzog die Lippen, sagte aber nichts. Seine Augen fielen auf eine kleine Tonschüssel, die neben seiner Tochter stand. An dieser Schüssel erkannte er, daß er vielleicht ein wenig voreilig gehandelt hatte, als er Taitscha die Obhut über den Gefangenen anvertraute.
Von ihrer Großmutter hatte Taitscha ein altes Rezept geerbt. Durch das Zerreiben und durch Aufkochen von bestimmten Gräsern und Pflanzen gab es einen dicken Sud, der, mit Honig gemischt, vortrefflich mundete, der aber vor allen Dingen die Kraft besaß, den Willen des Trinkenden völlig zu brechen und Gefühle für die Darreichende zu erwecken, die sonst nie von ihm Besitz ergriffen hätten.
Michel kniete neben dem Studenten, fühlte seinen Puls, zog ihm die Augenlider herunter, rüttelte ihn und sprach ihn immer wieder an.
Aber Fernando gab keine Antwort.
»Wir werden ihn forttragen müssen«, sagte Michel. »Wahrscheinlich hat er einen Schlag auf den Kopf erhalten, und sein Gehirn ist verletzt worden. Fragt den Häuptling, was ihm geschehen ist.«
Tunatatschi grinste nur und sagte, daß er nichts von den Geheimnissen der Seele eines weißen Mannes wüßte, daß er selbst aber noch heute morgen bei Sonnenaufgang mit ihm gesprochen hätte.
»Zu dieser Zeit«, meinte er, »war sein Geist noch bei ihm.«
Michel blickte sich mißtrauisch um. Er hatte viel davon gehört, daß die unzivilisierten Völker über Gifte verfügten, deren Wirkung man im Okzident nur vom Hörensagen kannte. Er trat zur Seite und ließ plötzlich einige seiner schrillen, teuflisch klingenden Triller hören.
Alle, auch Ojo und Mutatulli, fuhren erschrocken zusammen. Sogar Fernando wandte langsam den Kopf zum Pfeifer hin. Der Glanz eines schwachen Erkennens trat in seine Züge, erlosch aber sofort, als das Pfeifen verstummte.
»Wenn wir zu den Schiffen zurückkommen, werde ich Ernesto den Auftrag geben, mit einigen Leuten nach hier zu gehen, um den Kranken zu holen. Jetzt wollen wir den Vertrag aufsetzen.«
Er zog eine Rolle Papier aus dem Wams und zückte das letzte, kaum noch sichtbare Bleistiftstümmelchen, das er noch besaß.
Alle drei setzten sich, und Michel schrieb auf, was er dem Häuptling an Goldgulden und Sachwerten zugestand.
Es war ein stolzes Gefühl für Tunatatschi, als er mit dem Bleistift nach langem Überlegen einen hundertfach verschnörkelten Schriftzug unter den Vertrag setzte.
Michel besah sich die Hieroglyphen und — — — staunte nicht schlecht. Was der Inselhäuptling dort hingeschrieben hatte, waren europäische Schriftzeichen, natürlich ungelenk und nur mit großer Mühe zu lesen; aber sie hatten einen Sinn, und als Michel ihn erfaßte, fiel es ihm schwer, ein Lachen zu unterdrücken. Da stand nämlich:
Heute Schlachtfest!