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»Ich meine Ihren toten Freund, Carl Dilger. Hieß er wirklich so?«
»Worauf wollen Sie hinaus, Adler?« fragte der Reverend.
»Ich kenne Irene gut. Und sie hat mir viel über Carl Dilger erzählt. Der Carl Dilger, von dem ich gehört habe, wäre nie und nimmer der Mann, der eine Frau überfällt und vergewaltigt.« Jacob erhob seine Stimme. »Oder irre ich mich, Pape?«
»Nein«, sagte der Gefesselte leise. »Es stimmt. Wir haben unsere Namen geändert, weil wir steckbrieflich gesucht wurden. Ich heiße eigentlich Alwin Rohlfing. Mein Freund hieß August Mohl. Wir nahmen die Namen von Pape und Dilger an, die wir auf dem Treck über die Rockies kennengelernt hatten.«
»Also ist Dilger hier in Oregon?« fragte Jacob erregt. »Und er lebt?«
»Ich weiß nicht, ob er lebt. Aber er ist wahrscheinlich nicht in Oregon. Als wir in Fort Hall von den neuen Goldfunden in Kalifornien hörten, spaltete sich ein Teil unseres Trecks ab, um den California Trail zu nehmen. Dilger und sein Freund Pape gehörten dazu. August und ich wären auch lieber zu den Goldfeldern gereist. Aber unter den Leuten, die weiter nach Oregon wollten, befand sich ein Geldsack, den wir ausnehmen wollten. Wir haben es auch geschafft und uns von dem Geld diese Farm gekauft.«
»Haben Dilger und der richtige Pape gesagt; wohin sie sich in Kalifornien wenden wollten?«
Franz Pape alias Alwin Rohlfing schüttelte seinen Kopf. »Keine Ahnung.«
»Jetzt wissen Sie ja alles, was Sie interessiert, Adler«, sagte Haggard ungeduldig. »Sie brauchen diese Ratte nicht mehr. Lassen Sie uns allein, wenn Sie nicht mitansehen können, was ich mit ihr vorhabe.«
»Nein!« schrie der Gefesselte und sah Jacob flehend an. »Sie haben mir versprochen, mir zu helfen!«
»Das werde ich auch«, sagte Jacob mit fester Stimme und machte einen Schritt nach vorn, näher an Rohlfing und Haggard heran. »Wenn Sie nicht sofort den Revolver senken, schieße ich, Reverend!« »Das kann ich nicht tun, Adler.« Wieder stand das irrsinnige Flackern in Haggards Augen. »Das kann ich nicht tun!«
Zwei Schüsse krachten, und der Mann auf dem Stuhl schrie auf.
Keine Kugel hatte Alwin Rohlfing getroffen. Er hatte nur aus Angst geschrien.
Und auch Jacob hatte nicht geschossen, obwohl er den Zeigefinger, der um den Abzug seines Karabiners lag, schon gekrümmt hatte.
Aber gerade noch rechtzeitig erkannte er, daß die Kugel aus Haggards Webley in die Holzbohlen des Fußbodens fuhr.
Mit einem ungläubigen Ausdruck in seinem eingefallenen Gesicht brach der Mann in Schwarz neben dem Stuhl zusammen. Jacob entdeckte ein Einschußloch auf seiner Brust.
Und dann sah er den Mann, der den ersten Schuß abgefeuert hatte - die Kugel, die Haggard erwischt hatte. Er stand in der plötzlich aufgestoßenen Eingangstür, die direkt in die Wohnstube führte.
Ein kalter Wind fegte von draußen herein. Der Durchzug ließ die auf einem Tisch stehende Petroleumlampe heftig flackern. Die Schatten von Menschen und Gegenständen führten einen wilden Tanz an den Wänden auf.
Der Mann war groß, massig und von wildem Aussehen. Ein schwarzer Vollbart wucherte in seinem breiten Gesicht und fiel tief auf seine Brust. Es war Black Joe Haslip.
»Laß die Knarre fallen, Dutch!« forderte der Mountain Man.
Der Revolver in seiner Rechten zeigte auf den Zimmermann. Es würde zu lange dauern, den Sharps herumzuschwenken. Also gehorchte Jacob.
»Wie kommen Sie hierher?« fragte er erstaunt.
»Wie schon? Ich bin euch gefolgt. Leider hatten meine Leute nach dem Überfall im Canyon die Schnauze voll von euch, sonst hätten wir euch schon früher abgeknallt. So war ich allein und mußte auf eine günstige Gelegenheit warten. Der Bibelfritze ist tot. Jetzt bist du dran, Dutch!«
»Ich. bin nicht. tot«, stöhnte der am Boden liegende Reverend mit schwacher Stimme.
Haslip sah ihn verwundert an.
»Ein zäher Brocken, wie? Na, macht nichts, dann bist du es jetzt!« Er schwenkte den alten Colt Walker herum und richtete die Waffe auf den Reverend.
»Warum?« fragte dieser.
»Ich will Rache für meinen Sohn!«
»Ihr. Sohn?«
»Ja, für Timmy, den du getötet hast!«
»Sie. töten mich. aus Rache für den Tod Ihres Sohnes?« fragte Haggard mit immer schwächer werdender Stimme. Seine Augen blickten nach oben. »Der Herr hat wirklich. Sinn für Humor.«
Er hatte kaum ausgesprochen, als der starke Wind die zitternde Flamme der Petroleumlampe zum Erlöschen brachte.
Jacob reagierte sofort und sprang den Trapper an. Als ihre Körper gegeneinanderprallten, krachte ein Schuß.
Die beiden Männer wälzten sich auf dem Boden hin und her. Haslip verfügte über Bärenkräfte, obwohl er im Canyon von Haggard am Arm verletzt worden war. Er schaffte es, rittlings auf Jacob zu sitzen.
Jacob spürte, wie etwas an seiner Wange entlangstrich - ein Gefühl wie heißes Metall. Der Lauf von Haslips Revolver!
Der junge Deutsche fand in der Dunkelheit den rechten Arm des Trappers und versuchte, die Hand mit der Waffe von sich wegzudrücken.
Wieder ein Schuß. Die Stichflamme blitzte so nah vor Jacobs Augen auf, daß es schmerzte.
Der Druck auf seinem Brustkasten ließ nach, und Haslip fiel neben ihm aufs Holz.
Jacob sprang auf, fingerte ein Streichholz hervor und riß es an seinem Gürtel an.
Dort lag der mächtige Black Joe Haslip, den Colt noch in der Hand. In seinem Bauch klaffte ein gewaltiges Loch. Seine Augen blickten gebrochen. Der Trapper hatte sich im Zweikampf mit Jacob selbst erschossen.
Das Streichholz erlosch. Jacob riß ein neues an und brachte den Lampendocht wieder zum Brennen.
Dann kniete er sich neben Haggard hin. Aber auch ihm war nicht mehr zu helfen. Black Joes zweite Kugel hatte, wie die erste, ihr Ziel gefunden.
»Tot«, sagte Jacob leise und stand auf.
»Machen Sie mich endlich los!« forderte der Gefesselte mit wenig Taktgefühl. »Ich habe genug von diesem Ort. Ich werde von hier verschwinden.«
»Das glaube ich kaum«, knurrte Jacob.
Rohlfing sah ihn entgeistert an. »Aber Sie haben doch versprochen, mir zu helfen!«
»Ja. Ich wollte verhindern, daß Sie ermordet werden.« Jacob sah hinunter auf den toten Reverend. »Diese Gefahr besteht jetzt nicht mehr. Aber ich werde Sie nicht einfach so davonreiten lassen. Wenn Sie tatsächlich Haggards Schwiegertochter vergewaltigt haben, gehören Sie vor ein Gericht. Sie und Barry Hood.«
»Wenn Sie meinen«, sagte Rohlfing nur, und ein dünnes Lächeln spielte um seine Lippen.
Jacob konnte sich denken, was in Rohlfings Kopf vorging. Die Gefahr, in Hoodsville vor Gericht gestellt zu werden, schätzte er als sehr gering ein. Schließlich war der Mitangeklagte der Sohn des Bürgermeisters, des mächtigen Wallace Hood.