158184.fb2 Im Auftrag Seiner Majest?t - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 8

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SIEBENTES KAPITEL Mordanschläge

Er sprang die Stufen hinauf und riß stürmisch an der Klingel der Vorsaaltür seiner Mutter, während der Baron sich die gegenüberliegende Wohnung öffnete. Das Dienstmädchen kam und schloß auf. Als es den Sohn seiner Herrin erblickte, wagte es nicht, ihn zurückzuweisen.

„Wo ist Mama?“

„Im Salon.“

„Gut.“

Er stürmte an dem Mädchen vorüber, riß die Tür auf und blieb erstaunt stehen. An dem einen Fenster stand Königsau in inniger Umschlingung mit Margot, und auf dem Sofa saß die Mutter mit – dem Feldmarschall Blücher. Das hatte der Kapitän nicht erwartet. Die Anwesenheit dieses Mannes legte einen Dämpfer auf seinen Vorsatz, als Herr der Situation aufzutreten. Er grüßte mit einer Verbeugung und sagte:

„Ah, Besuch, Mama!“

„Allerdings Besuch, mein Sohn“, antwortete sie so unbefangen wie möglich; „und zwar höchst lieben und ehrenvollen Besuch. Feldmarschall von Blücher, Exzellenz, und der Herr Lieutenant von Königsau – mein Sohn.“

Mit diesen Worten stellte sie die drei Herren einander vor. Blücher zog mit einem eigentümlichen Lächeln die Spitzen seines Schnurrbartes aus, und Königsau nahm von der Vorstellung nur mit einem kurzen, stolzen Kopfnicken Notiz. Dieser Mangel an Höflichkeit gab dem Zorn des Kapitäns neue Nahrung. Er sagte:

„Ich habe nicht gewußt, daß Deutsche bei dir Zutritt haben!“

„Die Herren haben mich überrascht, und zwar in freudigster Weise. Du siehst in Herrn von Königsau nicht nur den Mann, welcher deine Wohnung verteidigte, sondern auch den Bräutigam deiner Schwester.“

„Du sagst mir da etwas ganz Unbegreifliches. Ich entsinne mich nicht, irgend jemanden mit der Verteidigung meiner Wohnung beauftragt zu haben, und bin also keinem Menschen dafür Dank schuldig. Und was den anderen Punkt betrifft, so darf ich doch wohl annehmen, eine gültige Stimme zu besitzen, falls es sich um eine Lebensgestaltung meiner Schwester handelt.“

Das klang herausfordernd; dennoch sagte die Mutter in mildem Ton:

„Ich will dir nicht widersprechen, zumal ich vollständig überzeugt bin, daß du nicht anstehen wirst, Margots Wahl zu billigen.“

„Und wenn ich sie nun nicht billige, Mama?“ fragte er mit Nachdruck.

„Das würde uns zwar betrüben, doch nichts an der Tatsache ändern.“

Da trat er einen Schritt vor und sagte im zornigsten Ton:

„Es gilt doch den Versuch, ob wirklich nichts zu ändern wäre. Hast du gewußt, daß ich diese beiden Herren kenne?“

„Ja.“

„Und daß sie mich beleidigt haben?“

„Nein, sondern daß du sie beleidigt hast.“

„Streiten wir uns nicht über Ansichten. Ich höre, daß du unser Zerwürfnis kennst und dennoch meine Gegner nicht nur bei dir empfängst, sondern in ihrem Interesse sogar über die Hand Margots verfügst. Ich lege mein Veto ein und erkläre die Verlobung für null und nichtig!“

Da trat Margot auf ihn zu und sagte in zwar milder, aber doch fester Weise:

„Du scheinst die Verhältnisse nicht richtig zu beurteilen, Albin. Es mag sein, daß dir eine mitberatende Stimme zusteht, wenn es sich um eine Neugestaltung meines Schicksals handelt; aber höre wohl, nur eine mitberatende, und auch nur soweit, als ich es in schwesterlicher Rücksicht dir gestatte. Zu befehlen hast du mir jedenfalls geradesowenig, als ich dir zu gehorchen habe –“

„Ah, ich werde dich vom Gegenteil überzeugen!“ unterbrach er sie.

„Versuche es“, antwortete sie; „ich werde dies sehr ruhig abwarten. Über meine Hand habe ich allein zu bestimmen. Du hast sie zum Gegenstand eines niedrigen Schachers machen wollen und Mutter und mich als deine Sklavinnen betrachtet, welche du verkaufen kannst. Es ist dir nicht gelungen, wir sind frei, und es ist für dich am klügsten, die bestehenden Tatsachen einfach anzuerkennen.“

„Meinst du?“ hohnlächelte er. „Sage mir zunächst, wem diese Wohnung gehört?“

„Doch uns.“

„Nein. Wer hat sie gemietet?“

„Du.“

„Gut, ich bin also der Besitzer. Es hat kein Mensch das Recht, ohne meine Erlaubnis Zutritt zu nehmen. Meine Herren, ich ersuche Sie, diese Räume zu verlassen. Setzen Sie sich nicht der Gefahr aus, wegen Hausfriedensbruchs belangt zu werden.“

Da stieß Blücher ein laut schallendes, herzliches Gelächter aus.

„Alle Teufel, das klingt gefährlich! Der alte Blücher vor Gericht als Hausfriedensbrecher! Wie er sich da wohl ausnehmen würde! Hören Sie, machen Sie sich doch um Gottes willen nicht so unendlich lächerlich, sondern vernehmen Sie, was ich Ihnen in aller Güte zu sagen habe.“

„Ich mag nichts hören!“ klang die Antwort.

„So werden Sie fühlen müssen!“

„Ah! Was?“

„Das ist es eben, was ich Ihnen sagen will, und was Sie doch wohl anhören werden müssen. Ihre häuslichen Verhältnisse gehen mich nichts an; ob Sie Herr Ihrer Schwester und Herr dieser Wohnung sind, das ist mir auch ganz egal; nicht egal aber ist es mir, wenn Sie fortfahren, mich zu beschimpfen und zu beleidigen. Sie verlangen von mir, diese Räume zu verlassen, und ich stelle als Antwort das gleiche Verlangen an Sie. Sie haben mich öffentlich beschimpft; Sie haben ebenso öffentlich die deutsche Nation beleidigt; es kostet mich ein einziges Wort, einen einzigen Wink, Sie in Untersuchungshaft zu bringen und verurteilen zu lassen. Sie haben diesem Herrn die Genugtuung verweigert und sind infolgedessen von ihm geohrfeigt worden. Ein Wort von mir an Ihr Generalkommando, so werden Sie aus dem Heer ausgestoßen und infam kassiert. Sie sind mir gegenüber ein Zwerg; ich habe es verschmäht, mich mit Ihnen herumzuhudeln, nun Sie aber selbst hier nicht Verstand zeigen, so muß ich Ihnen denselben beibringen. Verlassen Sie dieses Zimmer sofort, sonst gebe ich Ihnen mein Ehrenwort, daß Sie in einer Stunde sich in Untersuchungshaft befinden und in einigen Tagen aus der Armee gestoßen werden. Noch sind wir Deutschen Herren von Paris, und ich habe ganz und gar nicht die Absicht, einen kleinen Kapitän glauben zu lassen, daß wir uns vor ihm fürchten!“

Eine solche Zurechtweisung hatte der Kapitän nicht erwartet. Er zögerte einige Augenblicke, zu antworten, da er sich aber nicht sofort ergeben wollte, sagte er dann:

„Welcher von uns beiden Feldmarschall ist und welcher Kapitän, das ist gleichgültig. Wir stehen uns Mann gegen Mann gegenüber, und da fürchte ich Sie nicht!“

„Gehen Sie!“ gebot Blücher, indem er mit der Hand nach der Tür zeigte.

„Ich wiederhole, daß ich als Bruder –“

„Hinaus!“ unterbrach ihn der Alte.

„Daß ich als Bruder das Recht habe, über meine Schwester zu –“

„Hinaus!“

Dieses letzte ‚Hinaus‘ war in einem Ton gerufen, gegen welchen es absolut keinen Widerstand gab. Diese zwei Silben waren nicht etwa überlaut gebrüllt, aber sie drangen durch Mark und Bein; sie hatten einen so entschiedenen, schneidigen Ton, daß es dem Franzosen war, als ob er mit Fäusten ergriffen und aus dem Zimmer gestoßen werde. Er öffnete die Tür und ging. Er hatte nur von dem Eindruck, welchen der Befehl des Marschalls machte, die furchtsamen Bewegungen eines Wesens, welches mit Füßen aus der Tür gestoßen wird. Aber draußen, in dem Vorsaal angekommen, ballte er die Hand, erhob sie drohend rückwärts und knirschte:

„Das will ich euch eintränken, das sollt ihr mir büßen! Diese Blamage sollt ihr mir so teuer bezahlen, daß euch Hören und Sehen vergehen wird.“

Richemonte trat in seine Wohnung, in welcher ihn der Baron erwartete. Dieser bemerkte die Erregung, welche auf dem von Zorn verzerrten Gesicht zu lesen war, und fragte:

„Ah, hat man es mit Ihnen ebenso gemacht wie mit mir? Diese Deutschen haben den Platz behauptet, wie ich sehe?“

„Wie wollen Sie dies sehen?“ fragte der andere ergrimmt.

„Nun“, lachte der Baron, „Sie haben ja ganz das Äußere eines Schulknaben, welcher die Rute erhalten hat. Das bemerkt man, ohne Menschenkenner zu sein.“

„Holte Sie der Teufel!“ fluchte Richemonte.

„Ist dies wirkliche Ihre Meinung?“ klang die boshafte Frage.

„Ja, ganz ernstlich.“

„Nun, so will ich, ehe er mich holt, meine irdischen Angelegenheiten in Ordnung bringen, so wie es sich für einen Geschäftsmann schickt und ziemt. Hier, lieber Freund, habe ich einige Papiere, in welche Einsicht zu nehmen ich Sie bitte.“

Er zog mehrere Wechsel aus der Tasche und präsentierte dieselben dem Kapitän.

„Die mag der Teufel gefälligst mit holen!“ sagte dieser.

Er wendete sich ab, ohne einen Blick in die Papiere zu werfen.

„Gut“, sagte der Baron; „er mag sie immerhin holen, aber erst, nachdem sie bezahlt und wertlos geworden sind.“

„Aber, zum Donnerwetter, können Sie denn nicht warten, bis ich die Mittel besitze, Sie zu bezahlen? Sie selbst nennen sich meinen Freund. Ist es etwa eine freundschaftliche Handlung, mich jetzt zu drängen, jetzt, in dem Augenblick, der am allerwenigsten dazu geeignet ist?“

„Unsere Ansichten über den gegenwärtigen Augenblick sind da allerdings sehr verschieden. Mir scheint er sehr geeignet zu sein, unsere Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Warum soll ich warten, da ich doch weiß, daß Sie nie die Mittel besitzen werden, mich zu bezahlen? Und was unsere für mich so kostspielige Freundschaft betrifft, so hege ich den Grundsatz, daß Verbindlichkeiten zwischen Freunden strenger nachzukommen sei als jeden anderen. Ich habe bereits zulange und zuviel Nachsicht mit Ihnen gehabt, lieber Richemonte.“

„Ich kann nicht zahlen“, sagte dieser kurz.

„So wandern Sie in die Schuldhaft.“

„So weit werden Sie es nicht treiben.“

„Ah, ich werde es doch so weit treiben!“

„Wirklich?“ fragte der Kapitän.

Er war bisher erregt in seinem Zimmer auf und ab gegangen. Jetzt blieb er plötzlich stehen, und während er das letzte Wort aussprach, schien seine Stimme zu zittern.

„Wirklich!“ antwortete der Baron.

Er erhob sich von seinem Sessel, auf welchem er Platz genommen hatte, trat zu Richemonte, legte diesem die Hand auf die Achsel und fuhr in einem entschiedenen Ton fort:

„Sie wissen, daß ich Ihre Schwester liebe. Ich bin kein junger Geck mehr, und ich kann Ihnen sagen, daß die Liebe eines älteren Mannes eine ganz andere ist, als diejenige eines Menschen, der noch in den Knabenjahren steht. Margot ist schön, ihre Zärtlichkeiten hätten mich reich entschädigt für die großen Verluste, welche ich an Ihnen erleide. Dabei versprach ich Ihnen, die Wechsel zu vernichten, falls es uns gelänge, Ihre Schwester mir geneigt zu machen. Da diese Bedingung nicht erfüllt ist, so habe ich auch nicht nötig, meine Versprechen zu erfüllen. Das ist alles, was ich Ihnen zu bemerken habe, um mich zu rechtfertigen, falls es überhaupt einer Rechtfertigung bedürfen sollte.“

Der Kapitän stand vor ihm, ohne ihn anzusehen. Er blickte finster durch das Fenster auf die gegenüberliegende Häuserreihe. Erst nach einer längeren Pause meinte er:

„Müssen Sie denn nun wirklich die Hoffnung aufgeben?“

„Jede.“

„Weshalb jede?“

„Weil sie ihn liebt.“

„Diesen Deutschen? Ah, daß es auch gerade dieser sein muß! Sie meinen, die Sache in Ordnung zu haben, aber ich werde noch ein sehr entscheidendes Wort mit ihm reden!“

„Sie?“ lachte der Baron. „Sie haben ihnen gar nichts zu sagen.“

„Ich? Pah, bin ich nicht der Bruder?“

„Wenngleich. Ist sie Ihnen durch ein Testament oder durch die Vormundschaftsbehörde unterstellt worden? Nein. Und selbst wenn Ihnen ein gewisses Recht zustünde, über das Schicksal Ihrer Schwester zu entscheiden, so sind Sie ganz und gar nicht der Mann, dasselbe geltend zu machen.“

„Wer sagt Ihnen das?“

„Niemand braucht mir es zu sagen; ich habe es jetzt gesehen. Ich habe bei Ihrem Eintritt es Ihnen angesehen, daß Sie zur Tür hinausgewiesen worden sind.“

„Ja, sie haben dies allerdings gewagt!“ entfuhr es dem Kapitän.

„Also wirklich? Ah, Kapitän Richemonte ergreift vor diesen Deutschen Reißaus!“

„Schweigen Sie!“ brauste Richemonte auf. „Sie hätte es ebenso gemacht, wenn Ihnen dieser verdammte Feldmarschall Vorwärts so wie mir entgegengetreten wäre!“

„Ja, wenn der Marschall Vorwärts kommt, so konzentriert sich der Kapitän rückwärts. Wie nennen Sie dies? Ich nenne es Hasenfüßigkeit.“

„So sind Sie selbst ein Hasenfuß!“ rief der andere, sich sehr beleidigt fühlend. „Sie sind es ja, der bereits vor mir gewichen ist.“

„Oh, das trifft nicht! Ihre Position als Bruder ist eine ganz andere als die meinige, da ich ein Fremder bin. Das Wort, welches ich soeben ausgesprochen habe, mag Ihnen nicht recht sein, aber es enthielt dennoch die Wahrheit.“

„Inwiefern? Das möchte ich wissen!“

„Erstens haben Sie sich die Tür weisen lassen, und zweitens werden Sie sich ja wohl entsinnen können, daß Sie einem Duell mit dem Deutschen ausgewichen sind.“

„Donnerwetter! Sagen Sie mir, Baron, ob ich fechten kann!“

„Sie sind allerdings Meister.“

„Und ob ich schießen kann!“

„Sie zielen außerordentlich sicher.“

„Nun, habe ich mich also vor einem Zweikampfe zu fürchten?“

„Es soll scheinen, nein.“

„Wenn ich also ausgewichen bin, muß es aus einem anderen Grunde geschehen sein.“

„Möglich; aber ich kenne ihn nicht“, sagte der Baron.

„Sie können ihn erfahren. Es ist nämlich uns sämtlichen Offizieren die Kassierung angedroht worden, falls wir uns durch unseren Haß hinreißen lassen, mit einem Deutschen zur Mensur zu gehen. Da haben Sie es.“

„Und dies ist die Wahrheit?“

„Gewiß.“

„Sie glauben, das Duell wäre verraten worden?“

„Man würde ganz gewiß davon gesprochen haben, denn ich hätte den Kerl getötet.“

„So wäre Ihnen doch geholfen gewesen, denn er hätte Ihre Schwester nicht kennengelernt und konnte also nicht als mein Nebenbuhler auftreten. Übrigens ist ein Duell eine Ehrensache, bei welcher jeder Teilnehmer verpflichtet ist, das tiefste Stillschweigen zu beobachten. Wie also hätte diese Sache verraten werden können?“

Der Kapitän zuckte die Achseln und antwortete:

„Glauben Sie, daß diese Deutschen geschwiegen hätten, falls einer von ihnen von mir getötet worden wäre? Sie hätten ihn durch Verrat gerächt, und ich wäre dann doch aus der Armee gestoßen worden.“

„Das wird jetzt auch geschehen.“

„Ich hoffe es nicht.“

„Ich bin überzeugt davon.“

„Weshalb?“

„Man wird Sie wegen der Schulden zwingen, Ihren Abschied zu nehmen.“

„Pah! Sie werden es nicht wagen, mich meinem Commandeur anzuzeigen!“

„Wagen? Anzeigen? Wer spricht von wagen und anzeigen? Ich werde Ihnen den Greffier schicken, der Sie in Wechselhaft bringt; das ist genug. Sobald dies Ihre Vorgesetzten erfahren, können Sie unmöglich in der Armee bleiben.“

„Sie aber haben sich dann einen Feind gemacht, den Sie zu fürchten haben.“

„Einen Feind? Wer sollte dies sein?“ fragte der Baron lachend.

„Ich!“ antwortete Richemonte selbstbewußt.

„Sie? Ah, ich habe Sie auf keinen Fall zu fürchten, am wenigsten aber, wenn Sie sich im Gefängnis befinden. Allerdings würde es mir leid tun, in dieser Weise gegen Sie vorschreiten zu müssen. Darum wäre es mir lieb, wenn wir alle Unliebsamkeiten vermeiden und einen Ausweg finden könnten.“

Der Kapitän horchte auf. Es war ihm ängstlicher zumute, als er eingestehen wollte, und da der Baron von einem Ausweg sprach, so schien doch noch Hoffnung vorhanden zu sein.

„Suchen Sie.“

„Hm“, brummte der gewesene Armeelieferant. „Als Sie sich bei Ihrer lieben Mama und Schwester befanden und ich so einsam in Ihrem Zimmer saß, habe ich darüber nachgedacht, ob denn nicht vielleicht eine Abhilfe zu finden sei.“

„Nun? Haben Sie einen Ausweg gefunden?“

„Vielleicht.“

„So sprechen Sie.“

„Man muß da im Sprechen sehr vorsichtig sein. Sie hatten vorhin die Meinung, daß Sie den Deutschen im Duell ganz sicher getötet hätten?“

„Er wäre gefallen“, antwortete der Kapitän in sehr bestimmtem Ton.

„Ich glaube es, denn ich weiß, wie Sie fechten. Wenn er nun jetzt noch fiele?“

Der Gefragte blickte den Sprecher rasch an, dann sagte er:

„Sie meinen, daß ich ihn jetzt noch fordern solle? Das geht nicht, das ist unmöglich.“

„Ich meine etwas anderes“, meinte der Baron langsam und zögernd.

„Was?“

„Könnte dieser Mensch nicht fallen auch ohne Duell?“

Der Kapitän wurde blutrot im Gesicht. Er wandte sich rasch zum Fenster und blickte lange wortlos hinaus. Dann drehte er sich um, trat auf den Baron zu und fragte:

„Sie meinen, daß ich ihn hinterrücks töten soll?“

Der Gefragte lächelte überlegen, zuckte die Achseln und antwortete mit scharfer Betonung:

„Ich sage nichts, sondern ich meine nur folgendes: Der Weg zum Schuldturm ist Ihnen sicher; sollte aber bis morgen früh der Lieutenant Königsau gestorben sein, so vernichte ich die Hälfte Ihrer Akzepte. Die andere Hälfte folgt nach, sobald ich mit Ihrer Schwester verlobt bin.“

Die Augen des Kapitäns zogen sich zusammen, und sein Schnurrbart stieg in die Höhe, so daß es war, als ob er die Zähne fletschen wollte. Es war ganz dasselbe Mienenspiel, welches man auch noch in seinem Greisenalter auf Schloß Ortry an ihm beobachtete. Sein Gesicht hatte dabei das Aussehen eines wilden Tieres, welches mit dem Gebiß drohte.

„Das ist deutlich gesprochen, trotzdem Sie nichts sagen wollen“, meinte er schließlich.

„Ich bin zufrieden, wenn ich verstanden worden bin. Was antworten Sie?“

Da faßte der Kapitän den anderen beim Arm, blickte ihn finster an und fragte:

„Sie würden Wort halten in Beziehung der Wechsel?“

„Ja.“

„Und Sie glauben, des Sieges bei meiner Schwester sicher zu sein, falls dieser Königsau stirbt?“

„Vollständig sicher.“

„Gut, abgemacht! Dieser Mensch ist erstens ein Deutscher und zweitens mein Feind. Er soll mir und Ihnen nicht länger im Weg stehen.“

„Wie wollen Sie es anfangen?“

„Nichts leichter als das. Er wird natürlich den Abend bei seiner Braut verbringen.“

„Jedenfalls.“

„Liebende sollen sich sehr viel zu sagen haben. Er wird also sehr spät nach Hause gehen.“

„Dies ist vorauszusehen.“

„Nun gut; er wird zwar nach Hause gehen, aber nicht nach Hause kommen.“

Der Baron nickte schadenfroh. Der Überfall mochte enden, wie er wollte, so hatte er dann den Kapitän in der Hand, mehr noch als jetzt. Er sagte, scheinbar besorgt:

„Ich bin mit Ihnen zufrieden, habe aber zu Ihrem Besten eine Bemerkung zu machen.“

„Reden Sie!“

„Es gibt Fälle, in denen es sehr geraten erscheint, eine Verkleidung anzulegen.“

„Pah!“ sagte der Kapitän in wegwerfendem Ton. „Sie scheinen mich für einen Dummkopf zu halten. Ich weiß ebensogut wie Sie, was geraten ist oder nicht.“

„Nun gut, so sind wir also einig.“

„Ich hoffe es.“

„So kann ich Sie verlassen. Wo und wann werde ich das Resultat erfahren?“

„Kommen Sie heute abend nach unserem Kaffeehaus. Sie werden mich da früher oder später sehen. Auf alle Fälle hoffe ich, in Ihnen einen Zeugen zu finden, mit dessen Hilfe es mir möglich ist, mein Alibi und also meine Schuldlosigkeit zu beweisen.“

„Ich stehe gern zu Diensten und hoffe, daß unser Plan Erfolg haben wird. Adieu, Kapitän!“

„Adieu, Baron!“

Der Baron ging. Er hegte die feste Überzeugung, daß der Kapitän das seinige tun werde, die Mißachtung, mit welcher man sie beide behandelt hatte, zu rächen. Derselbe blieb in seinem Zimmer zurück, schritt eine Zeitlang in demselben auf und ab und trat dann in ein Nebengemach, in welchem er zu arbeiten pflegte. Diese Arbeit bestand allerdings nur in der Anfertigung eines Briefes oder in dem flüchtigen Durchblättern irgendeines Romanes. Dort hingen verschiedene Waffen an der Wand.

Der Kapitän nahm eine Pistole herab, untersuchte dieselbe und murmelte dabei:

„Es ist die beste, welche ich habe. Mit ihr habe ich noch keinen Fehlschuß getan. Sie würde mich auch heute nicht verlassen. Soll ich mich ihrer bedienen? Hm! Es ist viel Lärm bei solch einem Schuß, und das könnte gefährlich werden. Nein!“

Er hing sie wieder an den Nagel und griff nach einer Stockflinte, welche daneben hing.

„Diese Windbüchse machte kein Geräusch; es wäre besser, sie zu nehmen, auch schießt man aus ihr öfters, ohne laden zu müssen, aber leider ist sie nicht zuverlässig. Nein, auch sie nicht; ich muß sichergehen, denn der Kerl darf mir auf keinen Fall entkommen.“

Er hängte die heimtückische Waffe wieder an die Wand und suchte weiter.

„Ah, da ist ein alter venezianischer Banditendolch! Er ist scharf und spitz und aus dem besten Glas gemacht. Beim Stoß bricht die Spitze ab und bleibt in der Wunde stecken, so daß eine Heilung unmöglich ist, wenn nicht eine sehr schwierige und geschickte Operation das Opfer von dem tödlichen Glas befreit. Ein fester und kräftiger Stoß genügt. Diese Waffe ist sicher und still. Kein Laut erschallt, sie werde ich nehmen und keine andere.“

Während er in dieser Weise überlegte, wie er seinen Feind am sichersten töten könne, befand sich dieser in der glücklichsten Stimmung bei der Geliebten. Er stand wieder mit ihr am Fenster und hielt sie innig umschlungen, indes der Marschall bei der Mutter saß und sich mit ihr von seinen und ihren Erlebnissen unterhielt. Der Alte konnte sehr liebenswürdig sein, wenn er wollte, und heute war er es im höchsten Grad. Die drei anderen waren über ihn entzückt; er selbst sprach sich immer tiefer in die beste Stimmung hinein und sagte endlich, einen Blick auf das schöne Mädchen werfend:

„Sehen Sie einmal hin, Madame! Da stehen die beiden und halten sich fest, als ob eine ganze Armee anmarschiert käme, um sie zu trennen. Aber so ist die Liebe, und so sind die jungen Leute! Na, erröten Sie nicht, Mademoiselle! Ich bin auch einmal jung gewesen. Jetzt aber freilich bin ich ein alter Eisbär geworden, um den sich keiner mehr bekümmern mag!“

Da faßte sich Margot ein Herz und antwortete:

„Exzellenz meinen doch nicht, daß nur die Jugend imstande sei, Liebe zu erwecken?“

„Ja, gerade dies meine ich, mein Kind.“

„Da haben Exzellenz sicher unrecht!“

„Meinen Sie? Können Sie mir Beweise bringen?“

„Ja. Es ist eine alte Erfahrung, daß es Damen gibt, welche für bejahrte Herren schwärmen können. Ich kenne einige meiner Freundinnen, deren Ideal nicht ein Jüngling, sondern ein gereifter Mann ist.“

Blücher nickte mit seinem schönen, ehrwürdigen Greisenhaupt und sagte:

„Ja, ich habe einmal mit einem Professor darüber gesprochen, der ein sehr berühmter Psychologe war. Ich glaube, dieses Wort bedeutet Menschenkenner oder Seelengrübler. Dieser Mann sagte, daß besonders unter jungen Damen, unter den sogenannten Backfischen, viele seien, welche am liebsten einen Mann mit grauen Haaren haben möchten. Später aber ändert sich diese Gesinnung und sie gehen doch in die Falle, welche ihnen ein junger, schmucker Jäger gestellt hat. Unsereiner muß sich also jetzt begnügen, für einen anderen Kastanien aus dem Feuer zu holen, wie zum Beispiel ich für den Lieutenant da.“

„So bin ich also die Kastanie?“ lachte Margot.

„Ja, und zwar eine Kastanie zum Anbeißen. Ich würde – ich möchte – hm, Donnerwetter, ich wollte, ich dürfte auch einmal anbeißen!“

„Exzellenz sehen aber gar nicht so bissig aus!“

„Meinen Sie?“ lachte er fröhlich. „Nun, da irren Sie sich sehr, und das werde ich Ihnen sogleich beweisen. Ein jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert, sagen wir Deutschen. Ich habe mich nun ganz fürchterlich abgemüht, um euch zusammenzubringen; belohnt muß ich also werden. Und was denkt ihr wohl, was ich verlangen werde?“

Margot errötete. Sie ahnte, was nun kommen werde.

„Na“, fuhr er fort, „das Mädchen wird ja rot wie Zinnober! Es denkt sich also schon, wonach ich Appetit habe. Wird meine Bitte gewährt sein, Mademoiselle?“

„Exzellenz haben sie ja noch gar nicht ausgesprochen“, antwortete die Gefragte, noch tiefer glühend.

„Gut, so will es sagen; einen Kuß fordere ich als Belohnung.“

Da zog ein lustiges, schelmisches Lächeln über ihr Gesicht, und sie antwortete:

„Einen Kuß? Von wem? Von meinem Bräutigam?“

„Von dem da? Fällt mir gar nicht ein! Was habe ich mit seinem Schnurrbart zu schaffen! Nein, von Ihnen selbst, Mademoiselle. Ich bin allerdings kein Lieutenant, der Ihnen das Köpfchen verdreht, aber so einen konventionellen, großväterlichen Kuß wird Ihr schönes Mäulchen doch vielleicht fertigbringen. Nicht?“

„Vielleicht“, antwortete sie. „Aber da möchten wir denn doch diesen Lieutenant erst vorher um Erlaubnis bitten!“

„Den?“ fragte er in komischem Stolze. „Warum den? Fällt mir gar nicht ein! Ich habe Paris und Frankreich erobert, ohne einen Lieutenant um Erlaubnis zu fragen. Soll ich mich wegen zweier Lippen an ihn wenden, die doch auch zu meiner Eroberung gehören? Nein. Immer vorwärts, sage ich, und so auch hier. Geben Sie getrost Ihr liebes Mäulchen her! Ich werde es nicht ganz abbeißen, sondern ihm einen Teil davon übriglassen.“

Er erhob sich vom Sofa und trat auf das Mädchen zu. Dieses erglühte zwar bis in den Nacken hinab, aber es kam ihm doch zwei Schritte entgegen.

„Exzellenz“, sagte Margot, „ein Kuß von Ihnen ist die höchste Ehre, welche einer Dame werden kann. In diesem Sinne wage ich es, Ihrem Befehl zu gehorchen.“

„Papperlapapp, ich meine das anders. Aber, na, nur erst her mit dem Ehrenschmatz, dann wird sich das übrige finden.“

Er schritt mit der Courtoisie eines Höflings aus der Zeit Ludwig des Vierzehnten auf sie zu und küßte sie leise und höflich auf die Wange, dann aber sagt er:

„So, das war der Feldmarschall. Nun aber kommt der gute Gebhard Leberecht Blücher dran, der einmal sehen will, ob er nur um seinetwillen und nicht um des Marschalls willen einen herzhaften Kuß erhält. Was meinen Sie, Margotchen?“

„Oh, er ist so lieb und gut, daß er zwei erhalten soll, anstatt einen!“

Dies sagend, legte sie zutraulich, als ob er ihr Vater sei, die Arme um seinen Hals, drückte sich mit ungeheuchelter Zärtlichkeit an ihn und küßte ihn ein-, zwei-, dreimal so herzhaft, wie er es gewünscht hatte, auf die Lippen.

„Alle Wetter“, sagte er, „das war eine Delikatesse, wie sie unsereiner jetzt so oft nicht mehr findet!“

Seine Augen glänzten feucht vor Rührung. Er hielt sie noch bei dem Händchen fest und fragte:

„Kam das wirklich aus dem Herzen, du kleine, süße Hexe?“

„Ja, Exzellenz“, beteuerte sie.

„Nun, dann habe Dank, meine Tochter! Du hast mir altem Kerl eine Freude gemacht, so groß, wie du es gar nicht denkst. Ich werde euch nicht vergessen und erwarte, daß ihr an mich denkt, wenn ihr einmal einen tüchtigen Jungen habt, zu dem Ihr einen Paten braucht. Wenn der alte Blücher Pate steht, so wird wohl unser Herrgott Einsehen haben und einen ganz besonderen Segen darauf legen, da ich armer Teufel doch nichts geben kann als mein Ja und Amen! Nun aber ist mein Geschäft hier beendet, und ich habe noch anderes zu tun, wobei ich leider keinen Kuß zu erwarten habe. Wie steht es, mein Junge, du bleibst doch noch hier?“

Königsau war mit Blücher gekommen; es wäre der größte Verstoß gewesen, wenn er ihn jetzt hätte allein gehen lassen; daher sagte er, obgleich er am liebsten noch recht lange bei der Geliebten geblieben wäre:

„Wenn Exzellenz erlauben, schließe ich mich Ihnen an. Auch ich habe noch Dienstliches zu tun.“

„So mache es rasch ab! Der Dienst hier bei der Herzdame wird dir doch wohl der angenehmste sein, und ich hoffe, daß du dir nichts zuschulden kommen läßt!“

Königsau mußte Margot versprechen, am Abend wiederzukommen; dann verabschiedeten sich die beiden von den Damen, welche die Ehre, den berühmten Feldmarschall bei sich gesehen zu haben, sehr wohl zu schätzen wußten.

Als die beiden Offiziere aus dem Vorsaal traten, öffnete sich die gegenüberliegende Tür, und der Kapitän erschien; er stand im Begriff, seine Wohnung zu verlassen, fuhr aber wieder zurück, als er die beiden bemerkte. Er hatte sich dabei so wenig in der Gewalt, daß sein Gesicht die ganze Fülle des Hasses zeigte, welcher ihn gegen den Lieutenant von Königsau erfüllte.

Als dieser mit Blücher die Straße erreicht hatte, fragte ihn der letztere:

„Hast du den Blick gesehen, welchen der Franzmann auf dich warf, mein Junge?“

„Ja.“

„Nun, was sagst du dazu?“

„Nichts. Dieser Kerl geht mich nichts an!“

„Nimm es nicht so leicht!“ warnte Blücher.

„Er kann mir nichts anhaben.“

„In offener, ehrlicher Weise allerdings nicht, aber sein Gesicht gefällt mir ganz und gar nicht. Weißt du, was in seinen Augen zu lesen war?“

„Haß natürlich.“

„Haß und Rache, glühende Rachsucht. Mir scheint, daß du dich vor ihm in acht nehmen sollst. Dieser Mensch ist ein Bösewicht, das steht ihm an der Stirn geschrieben.“

„Exzellenz mögen recht haben“, sagte Königsau nachdenklich. „Er ist dem Baron bedeutende Summen schuldig, und dieser scheint geneigt gewesen zu sein, sie ihm zu schenken, falls er Margots Hand erhält. Aus dem Gespräch, welches ich belauscht habe, geht das deutlich hervor. Ja, der Baron wollte ihm sogar noch eine bare Summe auszahlen, obgleich ich es kaum glaube, daß er ein ehrliches Spiel mit ihm treibt.“

„Nun, so schließe einmal weiter! Ich will sehen, ob du nicht auf den Kopf gefallen bist.“

„Der Baron drohte vorhin, ihm die Wechsel zu präsentieren. Tut er das, so kommt der Kapitän in das Schuldgefängnis und muß aus der Armee treten. Er wird alles aufbieten, diese Schande zu vermeiden.“

„Und auf welche Weise kann dies am sichersten geschehen?“

„Dadurch, daß er mich zur Seite räumt.“

„Ja, nur dadurch. Du bist also doch der Dümmste nicht, mein Junge. Seine Augen funkelten wie Katzenaugen, und sein Schnurrbart zog sich in die Höhe, als ob du gebissen werden solltest. Der Kerl plant Schlechtes, er will dir an den Kragen, das war ja ganz deutlich zu sehen. Nimm dich in acht. Du willst heute abend wirklich zu deinem Schatz?“

„Ja.“

„Nun, so gehe ja nicht unbewaffnet.“

Sie trennten sich, und Königsau schritt nach seiner Wohnung, heimlich über den Alten lachend, der da mitten auf dem Trottoir vor der Tür hatte wissen wollen, auf welche Weise er seine Liebeserklärung gemacht habe.

Die Warnung Blüchers ging ihm durch den Kopf. Er vergegenwärtigte sich im stillen noch einmal die ganze Situation; er dachte an das Gesicht, welches der Kapitän gezeigt hatte, und mußte sich sagen, daß daraus die offenste Mordlust zu lesen gewesen war. Er nahm sich vor, höchst vorsichtig zu sein. Die Bevölkerung von Paris war den Deutschen nicht hold; es kamen täglich kleinere Tumulte und Kundgebungen vor, die Sicherheit war eine zweifelhafte; er sandte, als er nach Hause gekommen war, seinen Diener zu einem befreundeten Offizier von den Kürassieren, um anzufragen, ob dieser ihm für heute abend seinen Panzer leihen wolle. Der Betreffende hatte zwar verwundert gelächelt, aber das Verlangte doch ganz bereitwilligst hergegeben.

Als Königsau später zu der Geliebten ging, trug er Zivil, um nicht sogleich erkannt werden zu können, dazu den Küraß unter dem Mantel und eine geladene Pistole in der Tasche. Auch machte er einen Umweg und erreichte so von der anderen Seite die Straße, in welcher die beiden Damen wohnten.

Auf dem Vorsaal brannte eine Lampe. Beim Schein derselben glaubte er zu gewahren, daß die Tür, hinter welcher sich die Wohnung des Kapitäns befand, um eine ganze schmale Lücke offen stehe, und es war ihm, als ob er ein von innen fest an diese Lücke gedrücktes Auge auf sich funkeln sehe. Er vermied jedoch, dies näher zu untersuchen, da er nicht wissen lassen wollte, daß er auf seiner Hut sei.

Er klingelte und wurde eingelassen. Margot kam ihm entgegengeeilt und bewillkommnete ihn mit einem herzlichen Kuß. Während der innigen Umarmung fühlte sie die harte Schutzwehr unter seinem Mantel. Sie legte die Hand darauf, blickte ihn erschrocken an und fragte in ängstlichem Ton:

„Was ist das, Hugo?“

„Nichts, mein Kind“, antwortete er beruhigend; „nur ein Panzer.“

„Ein Panzer? Warum legst du ihn an?“

„Du brauchst keine Sorge zu haben, mein Herz. Ich sollte ihn für einen Freund, welcher bei den Kürassieren steht, aus der Reparatur mitbringen, und ich habe ihn nur deshalb angelegt, weil es zu unbequem gewesen wäre, ihn in der Hand zu tragen.“

Er schien seinen Zweck erreicht zu haben, wenigstens sagte sie kein Wort, welches einen Zweifel verraten hätte. Aber die Liebe sieht scharf, und ein Weib ist oft viel scharfsinniger als ein Mann; es errät auf der Stelle, was der Mann erst nach längerem Sinnen, Schließen und Grübeln erreicht.

Königsau legte im Vorzimmer Mantel, Panzer und Hut ab und trat in den Salon. Kaum jedoch befand er sich mit der Mutter in angeregtem Gespräch, so verließ Margot die beiden und suchte das Dienstmädchen auf; sie erkundigte sich bei ihm:

„Ist mein Bruder zu Hause?“

„Bis jetzt war er da; aber soeben hörte ich ihn gehen“, lautete die Antwort.

„Hast du ihn sicher gehört?“

„Ja.“

„Es kann jemand anderer gewesen sein. Gehe hinüber und überzeuge dich!“

Die Dienerin hatte die Wohnung des Kapitäns mit in Ordnung zu halten; darum besaß sie einen Schlüssel zu derselben, da sie ihre Arbeiten nur in seiner Abwesenheit besorgen durfte. Sie ging hinüber und kehrte bald darauf mit der Nachricht zurück, daß der Kapitän wirklich gegangen sei. Er hatte sich überzeugt, daß der Deutsche gekommen sei, und da es ihm zu langweilig erschien, einsam zu warten, bis dieser das Haus verlassen werde, so hatte er es vorgezogen, einstweilen ein Café aufzusuchen und dann sein Opfer auf der Straße zu erwarten und zu überfallen.

Margot nahm jetzt den Schlüssel und ein Licht und begab sich nach der Wohnung des Stiefbruders. Wie von einer Eingebung getrieben, durchschritt sie mit dem sie begleitenden Mädchen das vordere Gemach und trat in die zweite Stube, in welcher der Kapitän zu arbeiten pflegte. Sie leuchtete mit dem Licht an die Wand, an welcher die Waffen hingen, und bemerkte einen leeren Nagel. Sie konnte sich nicht sofort besinnen, was hier gehangen hatte, und sie fragte darum das Mädchen:

„Du pflegst auch diese Waffen abzustauben?“

„Ja.“

„Kennst du sie alle?“

„Ich glaube. Ich habe sie ja sehr oft in den Händen gehabt.“

„Besinne dich, was an diesem leeren Nagel gehangen hat!“

Die Gefragte blickte ihre Herrin an, einigermaßen befremdet darüber, daß diese sich so plötzlich um die Waffensammlung des Bruders bekümmere, sann aber doch einige Zeit nach und antwortete dann im Ton des Überlegens:

„Ich weiß es für den Augenblick wirklich nicht genau; aber warten Sie, Mademoiselle! Hier die Flinten, da die Pistolen, dort die Degen und dann die Jagdmesser und – ah, ich habe es! Hier hing ein Dolch.“

„Ein Dolch?“ fragte Margot, welche ihr Erschrecken kaum verbergen konnte.

„Ja, ein Dolch, dessen Griff von schwarzem Holz, die Klinge aber von Glas war. Ich habe mich oft darüber gewundert, warum man solche Dinge aus Glas und nicht aus Eisen gemacht hat. Das Glas ist ja so sehr leicht zerbrechlich.“

„Ja, er hatte einen venezianischen Dolch“, sagte Margot. „Komm, es ist gut!“

Sie wußte gar wohl, warum man diese Klingen von Glas macht. Sobald die Spitze auf den Knochen trifft, bricht sie ab, und die Wunde wird dadurch doppelt gefährlich, vielleicht sogar absolut tödlich. Warum hatte der Bruder diesen Dolch mit sich genommen? Sie erriet es. Sie wußte, daß er kein Herz, kein Gemüt hatte; sie kannte ihn als einen harten Egoisten, der selbst ein Menschenleben nicht schonen würde, wenn dasselbe seinen Zwecken im Weg stand. Er hatte seine kalte, allen Gefühlen bare Herzlosigkeit ja schon bereits in seinem Verhalten gegen sie und die Mutter bewiesen.

Als sie drüben wieder die eigene Wohnung betrat, forschte sie vergebens in den edlen Zügen des Geliebten. Sie konnte nicht das mindeste Zeichen von Angst oder Besorgnis in ihnen entdecken. Sie gaben nur den frohen Ausdruck des unendlichen Glücks wieder, welches sein Inneres erfüllte, und sein Auge lachte ihr so offen und unbefangen entgegen, daß sie beinahe überzeugt war, sie allein sei es, welche erraten habe, in welcher Gefahr er stehe.

Sollte sie ihn warnen? Sollte sie eine frohe, glückliche Stimmung vernichten? Sollte sie vielleicht ohne allen Grund und alle Ursache ihren Bruder, der so schon in so tiefem Mißkredit stand, auch noch in den Verdacht des Meuchelmordes bringen? Sollte sie glauben, daß Königsau ihr wirklich die Wahrheit gesagt habe und den Panzer nur zufällig trage? Oder hatte er, ohne daß sie wußte, auf welche Veranlassung hin, ganz denselben Verdacht geschöpft, den auch sie hegte? Hatte er es vorgezogen, ihr davon keine Mitteilung zu machen, weil er sie nicht beängstigen wollte? Diese Fragen gingen durch ihre Seele, während sie sich möglichst heiter mit ihm unterhielt, um ihre Unruhe zu verbergen.

Aber da kam ihr ein Gedanke. Hatte Königsau wirklich Verdacht geschöpft, so trug er nicht nur den Panzer, sondern jedenfalls noch eine andere Waffe bei sich. Es ergab sich sehr bald ein Grund, sich zu entfernen, und so griff sie im Vorzimmer in die Taschen seines Mantels, welcher dort hing. Sie waren leer. Bereits wollte sie sich beruhigen, da aber dachte sie daran, daß er eine Verteidigungswaffe wohl kaum in den Mantel stecken werde, den er überwarf, und dessen Taschen also nur unbequem zu erreichen seien. Eine Waffe steckt man nur dahin, wo man sie augenblicklich ergreifen kann.

Darum kehrte sie in den Salon zurück, ohne ganz befriedigt zu sein; aber als er einmal neben ihr stand und seinen Arm um sie legte, lehnte sie ihr Köpfchen zärtlich an seine Schultern und fuhr leise und wie liebkosend an seiner Brust herab. Ja, da fühlte sie es. In seiner Brusttasche, welche sehr tief zu sein schien, stak eine Pistole. Sie fühlte die Umrisse desselben ganz genau, ohne daß er es bemerkte, wie ihre Hand mehrere Male leise tastend zu dieser Stelle zurückkehrte.

Jetzt nun wußte sie, daß er ihren Verdacht teilte, und nun trieb es sie, zu sprechen. Sie pflegte vor ihrer Mutter kein Geheimnis zu haben, und so ließ sie sich von der Gegenwart derselben nicht beirren. Sie legte die Hand an seine Tasche und fragte:

„Was hast du hier verborgen, lieber Hugo?“

Er bemerkte erst jetzt, worauf ihre Aufmerksamkeit gerichtet gewesen war; er konnte eine kleine Verlegenheit nicht verbergen, antwortete aber anscheinend unbefangen:

„Hier in dieser Tasche? Das ist meine Pistole, Kind.“

„Eine Pistole? Warum hast du sie bei dir?“

„Aus bloßer Gewohnheit. Du wirst glauben, daß wir Offiziere gewöhnt sind, Waffen zu führen, zumal in einer Stadt, welche wir erobert haben, und deren Bewohner uns infolgedessen wohl nicht sehr freundlich gesinnt sein werden.“

„So hegst du Besorgnis?“

„Das eigentlich nicht, aber wir stehen auf dem Kriegsfuß und sehen uns vor, selbst wenn wir Zivil angelegt haben. Du weißt ja, daß ihr selbst bei der Demonstration letzthin in Gefahr gekommen seid. Und wieviel mehr müssen wir, die Feinde, Veranlassung haben, auf der Hut zu sein.“

„Denkst du dabei an eine bestimmte Persönlichkeit?“

„Nein, Margot.“

Er gab sich Mühe, so aufrichtig wie möglich zu erscheinen, und es gelang ihm dies ziemlich gut, so daß sie wirklich annahm, daß er aus allgemeiner Vorsicht die Waffe zu sich gesteckt habe. Aber sie war dennoch nicht vollständig befriedigt und fragte:

„Hast du vielleicht einen persönlichen Feind, dem du nicht traust?“

„Ich glaube nicht.“

„Und mit dem Panzer ist es so, wie du mir vorhin erzählt hast?“

„Gewiß, mein liebes Kind.“

„Einen Panzer?“ fragte da die Mutter. „Was ist's mit dem Panzer?“

„Oh“, antwortete Margot, „Hugo trug einen Panzer, als er kam. Er hat ihn im Vorzimmer abgelegt, liebe Mama.“

„Einen Panzer haben Sie an?“ fragte Frau Richemonte, zugleich erstaunt und besorgt. „Warum diese Vorsichtsmaßregel? Fürchten Sie eine Gefahr?“

„Ich weiß von keiner anderen Gefahr, als derjenigen, in welcher wir Deutschen hier alle stehen, und die vielleicht ganz illusorisch ist“, antwortete Königsau. „Den Panzer trage ich ganz zufällig, und diese Pistole steckt noch seit meinem letzten Ausgang in der Tasche. Die Sache hat ja ganz und gar nichts zu bedeuten.“

Damit beruhigte sich zwar die Mutter, nicht aber die Tochter. Diese letztere beschloß zwar zu schweigen, aber dann später zu handeln. Sie war ein mutiges Mädchen; sie hatte für sich jedenfalls nichts zu befürchten, und sie liebte den Bräutigam mehr als sich selbst. Darum wollte sie ihm bei seinem Fortgehen heimlich folgen, bis sie ihn in seiner Wohnung in Sicherheit wußte.

Aus diesem Grund befahl sie dem Mädchen, ihren Hut und Paletot hinunter nach der Loge des Portiers zu schaffen und diesem zu bedeuten, wach zu sein, da sie noch spät ausgehen werde. Erst als dies besorgt war, gab sie sich weniger ängstlich dem Glück hin, welches sie in der Anwesenheit des Geliebten fand.

Es war ganz so, wie der Baron und der Kapitän gedacht hatten. Die Liebenden hatten sich so vieles zu sagen und zu erzählen, daß eine lange Zeit verging, ehe sie sich zur Trennung entschließen konnten. Als Königsau aufbrach, war es bereits nach Mitternacht.

Er nahm Abschied von der Mutter, die ihn von Minute zu Minute lieber gewonnen hatte, legte draußen im Vorzimmer seine Sachen an, und war nicht wenig verwundert, als anstelle des Mädchens Margot selbst das Licht ergriff, um ihm hinab zu leuchten, da die Hauslampe um Mitternacht verlöscht zu werden pflegte.

Unten am Ausgang umarmte und küßte er sie herzlich.

„Darf ich morgen wiederkommen, mein Leben?“ fragte er.

„Ja, Hugo“, antwortete sie. „Ich werde dich mit Sehnsucht erwarten; darum bitte ich dich, rechtzeitig zu kommen. Aber noch um eins habe ich dich zu bitten.“

„Sage es!“

„Sei heute abend recht vorsichtig. Mir ist so außerordentlich bange um dich.“

Er drückte sie innig an sich und flüsterte, ganz glücklich über ihre Ängstlichkeit:

„Das ist die Besorgnis der Liebe, meine Margot. Aus ihr ersehe ich, daß ich dir wirklich teuer bin, und ich danke dir, daß du mich dies wissen läßt.“

„Oh nein, diese Besorgnis hat außer der Liebe noch einen anderen Grund.“

„Welchen?“

„Mir ahnt, du stehst in Gefahr.“

„Glaube dies nicht. Die Straßen sind ruhig. Gefahr könnte ich nur von einem persönlichen Feind erwarten; aber ich kenne keinen, dem ich eine solche Gewalttätigkeit zutrauen möchte. Übrigens stehen wir ja nicht in der Zeit des Mittelalters und befinden uns nicht in Italien, dem Land der gedungenen Meuchelmörder.“

Sie schauderte. Gerade der Dolch war ja ein italienischer.

„Oh, Geliebter“, flüsterte sie, „ich kann nicht anders, ich muß an einen Bestimmten denken, vor dessen Rache du dich sehr in acht zu nehmen hast.“

„Wer sollte dies sein?“

„Mein – Bruder.“

Er fühlte sich betroffen. Also auch sie hatte bereits Verdacht geschöpft? Darum also die Aufmerksamkeit, welche sie seiner Bewaffnung gewidmet hatte! Sie war sehr unruhig; er fühlte dies an dem leichten Beben ihrer Gestalt, darum antwortete er:

„Dein Bruder, oh, er ist ein Bramarbas, im Herzen aber feige. Er tut mir nichts.“

„Feig? Nein, feig ist er nie gewesen. Und er ist zu jeder Tat fähig, die er einmal beschlossen hat. Es ist gar traurig, den eigenen Bruder so schildern zu müssen, aber ich muß es zu deiner Sicherheit tun. Er mag kein Meuchelmörder sein, aber ich traue es ihm zu, rohe Arbeiter zu dingen und sie auf dich zu hetzen, um dich umzubringen.“

„In diesem Fall werde ich mich zu wehren wissen, mein Kind. Habe also keine Sorge. Schlafe im Gegenteil recht gut, und träume ein wenig von mir!“

Er nahm, wie er meinte, für heute von ihr Abschied und verließ das Haus.

Draußen war es dunkel; aber der Schein der Sterne erlaubte doch, in einer nicht zu weiten Entfernung die Umrisse größerer Gegenstände zu erblicken. Königsau zog den Mantel fest an, damit ihm dieser bei einer etwaigen Verteidigung nicht hinderlich sei, und holte die Pistole aus der Tasche, deren Hahn er spannte, um schußbereit zu sein. Dann schritt er weiter, seinen Schritt möglichst dämpfend, um zu hören, ob ein Verfolger hinter ihm sei.

Am liebsten wäre er mitten auf der Straße gegangen, aber damit hätte er dem Feind verraten, daß er vorbereitet sei. Ging er auf dem Trottoir, so boten ihm die Häuser im Fall eines Kampfes von der einen Seite Deckung.

Auf diese Weise passierte er die Straße, ohne belästigt worden zu sein. Er machte ganz denselben Umweg zurück, den er herwärts gegangen war. So hatte er die Straße erreicht; er befand sich bereits in der zweiten Hälfte derselben, als er sich, obgleich er weder etwas gehört noch gesehen hatte, aus einfacher Vorsicht umwendete. Da war es ihm, als ob er eine dunkle Gestalt bemerkte, welche in einer Entfernung von vielleicht fünfzehn Schritten ebenso wie er stehenblieb, um ihre Anwesenheit nicht zu verraten.

„Das ist er“, dachte Königsau. „Warte, Halunke, dich werde ich zu täuschen wissen.“

Königsau schritt langsam weiter, rückwärts, ohne sich umzudrehen, und behielt die Gestalt fest im Auge, von der er deutlich bemerkte, daß sie ihm mit unhörbaren Schritten folgte. –

Margot war, sobald der Geliebte gegangen war, in die Loge des Portiers getreten und hatte dort schnell den Paletot angezogen und den Hut aufgesetzt.

„Aber, Mademoiselle, wohin wollen Sie noch so spät?“ fragte dieser verwundert.

„Nicht weit, nur um die Ecke“, antwortete sie.

„Aber allein und in den jetzigen Kriegszeiten! Erlauben Sie, daß ich Sie begleite.“

„Ich danke Ihnen! Ich muß allein gehen, ich will etwas beobachten.“

„Ah, ich verstehe“, meinte der Portier pfiffig. „Sie wollen sehen, wohin der Herr gehen wird, welcher Sie soeben verlassen hat.“

„Sie irren“, sagte sie in verweisendem Ton. „Es wird wohl keine anständige Dame einem Herrn nachlaufen, um zu spionieren. Lassen Sie mich so hinaus, daß die Tür kein Geräusch macht. Man darf weder hören noch sehen, daß ich auf die Straße trete.“

Er gehorchte ihr. Als sie sich draußen befand, blieb sie zunächst stehen, um zu lauschen. Königsau war kaum zwanzig Schritte entfernt, auch er war ja einige Augenblicke stehengeblieben, um seinen Mantel festzuziehen und die Pistole hervorzunehmen.

Ihr Auge durchforschte die Straße. Es war, als ob die Sorge ihrem Blick doppelte Schärfe verleihe. Gerade gegenüber löste sich eine dunkle Gestalt vom Torweg ab, huschte mit völlig unhörbaren Schritten über die Straße herüber und schlich dem Geliebten nach.

Das war kein anderer als der Kapitän, ihr Bruder. Das Herz zog sich ihr zusammen; ob vor Angst um Königsau oder vor Scham darüber, den Bruder als Meuchelmörder erkennen zu müssen, sie konnte es sich wohl selbst nicht sagen.

Sie hatte aus Vorsorge keine Stiefel angezogen, sie trug dieselben Hausschuhe, welche sie in der Wohnung zu tragen pflegte. Diese waren weich, und darum konnten auch ihre Schritte nicht gehört werden. So folgte sie den beiden durch die Straße und in die Nebenstraße hinein. Dort hörte sie, daß der Geliebte, den sie wohl hören, aber nicht sehen konnte, stehenblieb, denn seine Schritte waren verhallt.

„Hat er etwas bemerkt?“ fragte sie sich. „Jetzt wird er vorsichtig sein!“

Einige Sekunden später vernahm sie die Schritte wieder; sie hatten einen sehr eigentümlichen Klang, den sie sich im ersten Augenblick nicht enträtseln konnte. Bald aber dachte sie:

„Ah, er ist listig! Er tritt erst mit der Sohle und dann mit den Absätzen auf; er geht rückwärts, um seinen Mann im Auge zu behalten. Jetzt bin ich fast beruhigt.“

Sie huschte weiter und erblickte bald den heimlichen Verfolger wieder, der alle seine Aufmerksamkeit so ausschließlich auf den Leutnant richtete, daß er gar nicht bemerkte, daß er eine Person hinter sich habe, die ihn ebenso scharf beobachtete, wie er jenen.

Margot hatte sich nicht getäuscht; es war ihr Bruder. Dieser hatte das Café vor Mitternacht verlassen und sich dann an dem Tor des gegenüberliegenden Hauses auf die Lauer gestellt. Er sah die Schatten der Personen, welche sich droben in der Wohnung seiner Mutter bewegten, sich an den Gardinen abzeichneten und dachte mit Grimm daran, daß sein Todfeind jetzt die Liebkosungen der Schwester empfange, deren Verheiratung mit dem Baron de Reillac ihn, den tief Verschuldeten, von allen seinen quälenden und drückenden Sorgen erlösen konnte.

„Es ist das letzte Mal, daß du bei ihr bist!“ murmelte er. „Dieser Dolch soll dafür sorgen, daß du verschwindest und uns den Weg wieder freigeben mußt.“

Er zog den Dolch aus der Tasche und setzte die Spitze desselben prüfend an den Finger.

„Er ist spitz wie eine Nadel, in der Wunde umgedreht und dann abgebrochen, bringt er den unvermeidlichen Tod. Hätte ich den Schurken doch bereits vor mir stehen!“

Aber er mußte sich gedulden, bis ihm die Schatten sagten, daß Königsau jetzt aufbrechen werde. Nach einiger Zeit sah er ihn drüben aus dem Tor treten, welches sich hinter ihm schloß.

„Es wird sich dir nicht wieder öffnen! Aber die Pforte der Hölle mag dir offenstehen!“

Er hätte diese Worte am liebsten laut ausgerufen, um seinem ergrimmten Herzen Luft zu machen; aber er mußte schweigen, um sich nicht zu verraten. Wäre es Tag gewesen, so hätte man seine Augen blutgierig funkeln und seine Lippen sich zu jenem häßlichen Fletschen öffnen sehen, welches ihm im Fall des Zorns so eigentümlich war.

Er legte die Hand fester um den Griff des Dolchs und wollte seinem Opfer folgen, aber bereits nach dem ersten Schritte blieb er überlegend wieder halten.

„Alle Teufel“, brummte er, „meine Stiefelsohlen knarren! Dies würde mich unfehlbar verraten. Daß ich auch nicht daran gedacht habe! Ich muß die Stiefel ausziehen. Aber sie mit mir tragen? Sie würden mich hindern. Soll ich sie hier im Torweg stehen lassen? Es ist ja finster hier. Aber nein. Es könnte jemand aus- oder eingehen wollen und sie finden, und dies könnte mich verraten. Bei solchen Gelegenheiten muß man vorsichtig sein. Ich werde sie doch mit mir nehmen. Trage ich sie in der linken Hand, so hat die Rechte genug Kraft und Spielraum, einen guten Stoß auszuführen.“

Er zog die Stiefel rasch aus, nahm sie in die Linke und huschte über die Straße hinüber, um dem Lieutenant zu folgen, von welchem er sich in solcher Entfernung hielt, daß er die Gestalt desselben trotz der Dunkelheit gerade noch zu erblicken vermochte.

In der Straße, welche er selbst bewohnte, wollte er den Überfall nicht ausführen, um allen Möglichkeiten im voraus vorzubeugen.

„Ich werde ihn gerade in das Herz treffen“, sagte er sich. „Er wird niederstürzen, ohne einen Laut auszustoßen. Dann beraube ich ihn. Wenn ihm, sobald er gefunden wird, die Börse fehlt, samt der Uhr und den Ringen, wo wird man einen Raubmord annehmen und nicht denken, daß ein Akt der Rache vorliegt.“

So hatte er die Hälfte der Straße passiert, als er bemerkte, daß Königsau stehenblieb. Sofort hielt auch er seine Schritte an. Die Gier, mit welcher er an seine dunkle Tat dachte, ließ es gar nicht zu, den veränderten Ton von des Lieutenants Schritten zu bemerken, der doch Margot sogleich aufgefallen war. Er folgte dem Verhaßten weiter und konnte dies scheinbar sicher, da zur damaligen Zeit die Straßenbeleuchtung in Paris sehr im argen lag. Es brannte keine einzige Laterne.

Da, als die Straße bereits zu Ende war, schien es ihm an der Zeit zu sein. Er eilte rascher vorwärts, bis er den Lieutenant so weit erreicht hatte, daß die Entfernung zwischen ihnen höchstens noch vier Schritte betrug. Jetzt erhob er scharf den Blick, um den Stoß mit Sicherheit von hinten führen zu können, wäre aber fast erschrocken zurückgeprallt, denn er bemerkte, daß Königsau rückwärts gegangen war und nun, daß Gesicht ihm zugewendet, stehenblieb, um ihn zu empfangen.

„Wer da! Was wollen Sie?“ fragte der Lieutenant mit lauter Stimme.

Die Bestürzung des Kapitäns hatte nur einen Augenblick gedauert. Jetzt galt es, trotzdem der Feind vorbereitet war, das Werk zu vollbringen. Er hielt den letzteren für unbewaffnet und im Nachteil bei einem etwaigen Ringen, und ebenso glaubte er, nicht erkannt zu werden, da es ja dunkel war. Übrigens, was lag daran! Wenn er ihn auch erkannte, ein Toter kann keinen Namen ausplaudern.

„Dich, du Hund!“

Indem er diese Worte mit verstellter Stimme als Antwort rief, warf er sich mit erhobenem Dolch auf Königsau. Der Stoß fuhr hernieder; aber zum Schrecken des Angreifers gab er einen lauten, metallenen Ton und fand einen festen Widerstand. Der Dolch glitt ab und fuhr in den Arm des Lieutenants. Dieser hielt mit der Linken den Angreifer beim Arm und rief:

„Töten will ich dich nicht, aber sehen will ich, wer du bist!“

Er drückte hart vor dem Gesicht des Meuchlers seine Pistole ab. Der Schuß blitzte auf und erleuchtete für einen Augenblick das Gesicht desselben hell.

„Ah, Kapitän, ich dachte, daß Sie es seien! Fliehen Sie, sonst erhalten Sie meine zweite Kugel!“

Mit diesen Worten schleuderte er den von der Pistolenflamme halb Geblendeten weit von sich und schickte sich an, seinen Weg weiter fortzusetzen, als er sich von zwei Armen fest umschlossen fühlte. Bereits glaubte er, sich eines neuen Feindes erwehren zu müssen, da aber hörte er in ängstlichem Ton die Worte:

„Hugo, um Gottes willen, hat er dich getroffen?“

„Ah, Margot?“ antwortete er überrascht. „Wie kommst du hierher? Was tust du auf der Straße?“

Sie schmiegte sich fest und innig an ihn und antwortete:

„Ich sah, daß er dir nachschlich, und hatte so große Angst, ich mußte euch folgen.“

„Du sahst es? So bist du aus dem Haus getreten, als ich fortging?“

„Ja. Er stand unter dem Tor gegenüber.“

„Du liebes, liebes, du heldenhaftes Mädchen!“ rief er, sie noch fester an sich drückend. „Was für ein herrliches Weib wirst du mir sein! Aber weißt du, wer es war?“

„Ja“, hauchte sie.

„Nun?“

„Der Kapitän.“

Sie sagte nicht ‚der Bruder‘; sie schämte sich, dieses Wort auszusprechen. Die Sorge um den Geliebten aber war noch nicht beruhigt, sie fragte zum zweiten Mal dringend:

„Hat er dich getroffen?“

„Nein, wie ich glaube. Aber hier stoße ich an etwas. Was ist es?“

Er bückte sich nieder und fand die Stiefel, welche dem Kapitän entfallen waren, als er von dem Lieutenant fortgeschleudert worden war.

„Ah, seine Stiefel!“ lachte dieser. „Das ist spaßhaft; man wird sie ihm wiederschicken müssen. Aber komm, Kind! Die Leute sind durch meinen Schuß aufmerksam gemacht worden; man öffnet bereits die Fenster und die Türen. Wir wollen gehen.“

Er nahm ihren Arm in den seinen, um sie zu führen; da aber fragte sie:

„Du willst wieder zu mir umkehren, Hugo?“

„Ja. Ich darf dich doch unmöglich allein nach Hause gehen lassen!“

„Oh, doch! Du darfst nicht mitkommen, denn er wird dich erwarten und abermals anfallen.“

„Glaube das nicht“, antwortete er im Ton der Überzeugung; „er ist davongelaufen wie ein Hase. Und wenn er es ja wagte, mich abermals anzugreifen, so würde ich ihn niederschießen, obgleich er dein Bruder ist. Komm, Geliebte, damit wir von den Leuten nicht gar noch belästigt werden. Ich müßte den Vorfall erzählen, und mag doch nicht als Ankläger auftreten, da es sich um einen Menschen handelt, der dein Verwandter ist, obgleich er es nicht wert ist, es zu sein.“

„Du Guter! Du willst ihm vergeben?“ fragte sie, indem sie zurückkehrten.

„Ja; aber ich werde ein Wort mit ihm sprechen.“

„Tue es nicht; vermeide ihn. Er könnte dir abermals gefährlich werden!“

„Ich werde dafür sorgen, daß dies nicht geschehen kann.“

Da auf den Schuß kein weiterer Lärm erfolgte, so machten die Bewohner der Straße ihre Fenster wieder zu. Es kam ja jetzt sehr häufig vor, daß geschossen wurde, und sie dachten, daß sich irgendein müßiger Mensch den Spaß gemacht habe, die Ruhe der Schlafenden zu stören, indem er sich die Mühe gab, ein wenig Pulver zu verblitzen.

Königsau hatte den rechten Arm um die Schulter der Geliebten gelegt und ihren linken Arm um seine Taille gezogen. So schritten sie nebeneinander wortlos hin. Beide nur sich den Gefühlen hingebend, welche die überwundene Gefahr in ihnen hervorgebracht hatte. Da fühlte Margot etwas Warmes und Nasses an ihrem Hals. Sie blieb erschrocken stehen.

„Mein Gott, was ist das?“ fragte sie. „Zeige deinen Arm her, mein Hugo.“

Er tat ihr den Willen. Sie untersuchte den Arm und sagte dann erschrocken:

„Gott, du bist verwundet! Hier im Oberarm quillt aus einer Wunde Blut.“

Er hatte den Stich, welchen er erhalten hatte, bisher gar nicht gefühlt, jetzt aber kam ihm die Empfindung, daß er verletzt worden sei.

„Ist's möglich?“ fragte er. „Ich habe es gar nicht bemerkt.“

„So komm, komm schnell nach Hause, damit wir die Wunde untersuchen“, sagte sie voller Angst. „Gütiger Himmel, es wird doch nicht gefährlich sein!“

„Auf keinen Fall“, beruhigte er sie. „Die Klinge des Dolches ist von dem Panzer abgeglitten und hat mir den Arm ein wenig gestreift; weiter ist es nichts.“

„Wie gut, daß du den Panzer trugst; er hätte sich sonst getötet!“

Sie zog ihn mit sich fort, erfüllt von jener Angst, welche durch die Besorgnis der Liebe verdoppelt wird. Diese Besorgnis verdoppelte ihre Schritte so, daß er ihr kaum zu folgen vermochte. So erreichten sie sehr bald das Haus, in welchem sie wohnte. Dort gab sie dem Portier das Zeichen, zu öffnen. Anstatt in seinem Zimmer an der Schnur zu ziehen, kam er persönlich. Dies benutzte sie, ihn zu fragen:

„Ist, seit ich fort bin, jemand eingetreten?“

„Ja“, antwortete er zögernd.

„Wer war es?“

„Oh, Mademoiselle, ich soll es nicht sagen.“

„Wer hat es Ihnen verboten?“

„Er selbst.“

„Mein Bruder?“

„Ah, Sie wissen es also bereits! Nun, so bin ich also nicht indiskret, wenn ich zugebe, daß er es gewesen ist!“

„Also doch. So ist er jetzt zu Hause?“

„Nein. Der Herr Kapitän schien sehr große Eile zu haben.“

„So ist er wieder fort?“

„Ja. Als er kam, dachte ich, Sie wären es. Sie wissen, daß ich Sie gern persönlich bediene; darum ging ich heraus aus meiner Loge. Ich erkannte den Herrn Kapitän.“

„Was sagte er?“

„Er gab mir fünf Francs und gebot mir, keinem Menschen zu sagen, daß er hier gewesen sei. Es mußte ihm ein kleines, eigentümliches Abenteuer passiert sein.“

„Inwiefern?“

„Nun, ich bemerkte zu meinem größten Erstaunen, daß er – daß – daß –“

„Nun, was? Bitte sprechen Sie doch.“

„Ich weiß nicht, ob ich es sagen darf, Mademoiselle. Er hat es mir streng verboten.“

„Ich glaube doch, daß Sie mit mir, die ich seine Schwester bin, eine Ausnahme machen dürfen.“

„Ich glaube das allerdings selbst auch. Ich sah nämlich beim Scheine meines Lichts, daß er keine Stiefel anhatte. Er kam in Strümpfen. Ich traute meinen Augen nicht, aber als er dann den Flur passierte und die Treppe emporstieg, bemerkte ich, daß ich mich doch nicht geirrt hatte. Der Herr Kapitän muß also ein kleines Abenteuer erlebt haben.“

„Möglich. Hat er sich lange in seiner Wohnung aufgehalten?“

„Nein, sondern nur eine Minute, gerade solange, als man bedarf, um Stiefel anzuziehen.“

„Und dann?“

„Nun, dann kam er herab. Er trug jetzt Fußbekleidung, nickte mir zu, denn ich war noch nicht in meine Loge getreten, und verließ das Haus in größter Eile.“

„In welcher Richtung?“

„Rechts. Ich habe sehr genau darauf aufgemerkt, denn die Sache kam mir doch ein wenig ungewöhnlich vor, so daß ich unwillkürlich horchte, wohin er ging. Ich hörte, daß er sich nach rechts wendete, obgleich er sich Mühe gab, leise aufzutreten.“

„Ich danke, und bitte Sie allerdings, das kleine Vorkommnis nicht zu erwähnen.“

„Oh, Mademoiselle. Sie kennen ja meine Ergebenheit“, versicherte der brave Mann. „Wenn Sie nicht seine Schwester wären, so hätte ich gar nichts erwähnt. Ein Portier muß verschwiegen sein können. Sie dürfen sich gewiß auf mich verlassen!“

„Das hoffen wir“, sagte jetzt Königsau. „Hier haben Sie noch eine Kleinigkeit!“

Er griff in die Tasche und gab dem Portier ein Goldstück. Als dieser das schimmernde Metall funkeln sah, machte er eine tiefe Verbeugung und sagte:

„Sie sind außerordentlich gütig, Monsieur. Eine solche Noblesse ist hier in diesem Hause selten. Sie können ganz und gar auf mich rechnen, meine Herrschaften!“

Er bekomplimentierte sie mit ausgesuchtester Höflichkeit nach der Treppe. Er war im stillen sehr überzeugt, daß diese beiden jungen Leute auch ein kleines Abenteuer erlebt haben. Der deutsche Offizier hatte ja erst vor kurzem das Haus verlassen, und Mademoiselle Margot war ihm heimlich gefolgt. Als diese beiden jetzt eben verschwunden waren, kehrte er in seine Loge zurück und betrachtete sich jetzt das Goldstück genau.

„Sapperlot!“ murmelte er. „Ich glaubte, es seien zwanzig Franken, und nun sehe ich, daß ich gar ein Vierzigfrankstück erhalten habe. Das ist allerdings sehr nobel, außerordentlich nobel. Ein solches Geschenk macht man nicht Portiers, sondern der Dame wegen, welche sich mit dabei befindet. Ich glaube, dieser deutsche Offizier setzt bei Mademoiselle Margot die Eroberungen fort, welche seine Landsleute in Frankreich gemacht haben! Na, er ist ein feiner Mann, wie ich sehe, und sie ist eine ausgezeichnete Dame; sie passen zusammen, obgleich ich sie lieber einem Franzosen gegönnt hätte.“ Er steckte das Goldstück in ein heimliches Kästchen, beliebäugelte es einige Augenblicke lang und fuhr dann in seinem Monolog fort:

„Er ging fort, und sie folgte ihm heimlich. Es ist da etwas Ungewöhnliches passiert, und ich halte es für sehr möglich, daß ihr Abenteuer mit demjenigen, welches der Kapitän erlebt hat, zusammenhängt. Na, mich geht dies ja nichts weiter an!“

Er hatte glücklicherweise nicht bemerkt, daß Königsau verwundet war, sonst wäre der Gang seiner Gedanken ein noch viel kühnerer gewesen.

Unterdessen standen die beiden Liebenden droben vor der Mutter, welcher Margot in fliegender Eile das entsetzliche Erlebte erzählte.

„Oh mein Gott, ist dies möglich!“ klagte die erschrockene Frau. „Mein Sohn ein Mörder, ein feiger Bravo, der andere aus dem Hinterhalt überfällt. Es ist mir fast unmöglich, daran zu glauben. Aber, Kind, in welche Gefahr hast du dich dabei begeben!“

Margot war beschäftigt, Wasser herbeizuschaffen und Leinewandstücke zum Verband zu suchen, doch hinderte sie diese eilige Beschäftigung nicht, an der Unterhaltung den lebhaftesten Anteil zu nehmen. Sie überhörte mit Absicht den liebevollen Vorwurf der Mutter und antwortete:

„Wie? Es ist dir schwer, zu glauben, daß Albin es gewesen ist?“

Frau Richemonte antworte mit Tränen des Schmerzes im Auge:

„Leider muß ich gestehen, daß ich ihm eine solche Schändlichkeit zutraue. Wer an den Gliedern seiner eigenen Familie so handelt wie er, der ist auch imstande, einen Fremden, welcher seinen Plänen im Wege steht, hinwegzuräumen. Aber dennoch fällt es mir unendlich schwer, an die vollendete Tatsache zu glauben.“

„So siehe seine Stiefel an; sie liegen hier.“

„Kind, können es nicht die Stiefel eines anderen Mannes sein?“

„Nein. Der Portier hat bemerkt, daß er in Strümpfen gekommen ist.“

„Vielleicht nur ein eigentümlicher Zufall, obgleich ich mir nicht denken kann, auf welche Weise ein Kapitän der Garde dazu kommen kann, in Strümpfen nach Hause gehen zu müssen.“

„So werde ich das Mädchen rufen. Sie hat seine Aufwartung übernommen und wird also seine Stiefel genau kennen.“

„Nein, nein! Das Mädchen darf in diese Angelegenheit unmöglich eingeweiht werden. Aber beeile dich! Siehst du nicht, daß Herr von Königsau mehr Blut verliert!“

„Mein Gott, ja! Ich mußte doch erst Wasser und Verbandzeug besorgen. Komm her, mein Guter! Mir ist so angst, daß deine Wunde gefährlich ist. Wir legen jetzt nur den Notverband an und werden dann gleich zum Arzt senden.“

Königsau antwortete mit beruhigendem Lächeln:

„Fürchte nichts, liebe Margot. Es handelt sich hier jedenfalls nur um einen kleinen Ritz oder Stich, welcher vollständig ungefährlich sein wird.“

„So lege schnell ab. Mama wird es gern erlauben.“

Frau Richemonte zog sich zurück, da Königsau gezwungen war, sich teilweise seiner Kleidung zu entledigen. Er legte den Panzer und den Rock ab, dessen Ärmel ebenso blutig war wie der des Hemdes. An dem glattpolierten Panzer war die Stelle zu erkennen, welche von der Spitze des Dolches getroffen worden war. Ohne den ehernen Schutz wäre die Waffe vielleicht in das Herz gedrungen.

Margot streifte ihm den Ärmel des Hemdes auf. Sie war todesbleich vor Besorgnis, aber ihre Hände zitterten nicht. Als ihr Auge die Wunde erblickte, stieß sie einen Ruf des Schreckens aus.

„Herrgott! Wie groß und tief, das ist ja gefährlich!“ rief sie.

„Oh nein, liebe Margot“, meinte Königsau. „Das sieht jetzt nur so schlimm aus, da alles blutig ist. Nimm den Schwamm und reinige die Wunde, dann wirst du sogleich sehen, daß du dich getäuscht hast.“

Sie folgte dieser Aufforderung. Wie schön war sie in ihrer Angst um den Geliebten. Wie leise und sanft war ihre Berührung. Er bekam hier eine Vorahnung des Glücks, welches er haben werde, wenn dieses schöne, liebevolle Mädchen als geliebtes Weib einst ganz ihm gehören werde. Er blickte nicht auf seine Wunde, sondern nur auf sie, auf ihre erregungsblassen Wangen, ihren vor angstvoller Spannung leise geöffneten Mund, zwischen dessen Lippen die herrlichen Zähne hervorleuchteten, auf ihre dunklen Augen, aus denen unendliche Zärtlichkeit und innigstes Mitleid leuchteten.

Endlich war die Wunde gereinigt und konnte genauer betrachtet werden.

„Sie ist nicht so groß, wie ich dachte. Gott sei Dank!“ hauchte Margot. „Aber tief. Nicht?“

„Nein“, antwortete er. „Die Spitze des Dolches ist am Panzer abgebrochen, und da der Stoß dadurch geschwächt wurde, so konnte die stumpfe Klinge nicht weit eindringen.“

„Aber warum blutest du so sehr? Es ist doch nicht etwa eine Pulsader getroffen?“

„Oh, dann würde die Blutung eine ganz andere gewesen sein, liebes Kind. Das stumpfe Instrument hat natürlich eine weitere Wunde hervorgebracht, als wenn die Spitze sich noch daran befunden hätte. Es sind einige kleinere Äderchen zerrissen worden; das sieht schlimmer aus als es ist.“

„Aber durch diesen stumpfen Stich wird die Wunde viel schmerzhafter sein!“

„Ich bin Soldat!“ sagte er einfach.

„Hugo, lieber Hugo, ich wollte, ich könnte den Schmerz auf mich nehmen!“

Er schlang den gesunden Arm um sieg, zog sie an sich, blickte ihr tief, tief in die nassen Augen und frage mit vibrierender Stimme:

„So lieb, so sehr lieb hast du mich?“

„Unendlich!“ hauchte sie, sich an ihn schmiegend.

„Wirklich?“

„O gewiß. Glaube es mir!“

Sie küßte ihn innig auf den Mund und machte sich dann mit allem Eifer daran, den Verband anzulegen. Zehnmal, hundertmal fragte sie sich nach seinen Schmerzen, und er hatte alle Mühe, die Sorge zu bekämpfen, welche sie um ihn fühlte. –

Unterdessen war der Kapitän, nachdem er sich mit neuen Stiefeln versehen hatte, nach dem Café geeilt, in welchem ihn der Baron de Reillac erwartete, um das Ergebnis des Überfalls zu vernehmen. Reillac hatte sich aus Vorsorge ein besonderes Zimmerchen geben lassen, um ungestört mit ihm reden zu können. Dort traf ihn Richemonte.

„Nun?“

In dieser einen Silbe, welche der Baron aussprach, lagen alle Fragen, die er hätte tun können.

„Wein!“

Dies war das einzige Wort, welches Richemonte antwortete. Seine Züge waren in diesem Augenblicke eisig zu nennen. Man konnte nichts aus ihnen lesen.

„Ah“, sagte der Baron lauernd. „Diese Antwort gefällt mir. Wer so dringend nach Wein verlangt, der muß eine tüchtige Arbeit, eine lohnende Anstrengung hinter sich haben. Habe ich recht oder nicht, lieber Kapitän?“

„Ja, eine verfluchte Arbeit war es“, antwortete der Gefragte zweideutig.

Der Baron verstand ihn nicht; er glaubte, daß der Anschlag gelungen sei und sagte:

„Nun, da sollen Sie Wein haben, vom allerbesten und soviel Sie trinken wollen.“

Er läutete und gab dem Kellner seine Bestellung. Bis dieser zurückkehrte, verhielten sich die beiden schweigend, aber als die Flaschen entkorkt waren und der dienstbare Geist sich entfernt hatte, griff Reillac zum Glas und sagte:

„Nun leeren Sie Ihr Glas, Kapitän, und erzählen Sie.“

Der Angeredete stürzte sein Glas hinunter, stampfte es grimmig auf den Tisch und begann:

„Sie sind ganz glücklich darüber, daß meine Arbeit eine lohnende gewesen ist?“

„Natürlich!“

„Wenn Sie sich nun aber doch irren?“

„Wie meinen Sie das?“

„So wie Sie es hörten.“

„Ich sollte mich geirrt haben?“

„Ja.“

„Pah! Sie wollen mich ein wenig auf die Folter spannen und dann mit der guten Nachricht überraschen. Aber mich täuschen Sie nicht. Ich schmeichle mir, Menschenkenner zu sein. So wie Sie hereintraten und so wie Sie hier sitzen, sieht nur ein Mann aus, der von gerade einer solchen Arbeit kommt, wie wir sie besprochen hatten.“

„Da mögen Sie recht haben, obgleich es größere Menschenkenner gibt, als Sie es sind. Ich komme allerdings direkt von einer solchen Arbeit; ob sie aber gelungen ist, das muß man erst wissen.“

„Na, ich hoffe doch, daß Sie einen guten Stoß zu führen verstehen.“

„Ich denke es auch!“ sagte der Kapitän zornig.

„Na, also!“ meinte sein Verbündeter im Ton der Befriedigung.

„Aber selbst der beste Stoß kann einmal danebengehen.“

„Dann war es eben nicht der beste Stoß, sondern ein sehr schlechter.“

„So will ich mich anders ausdrücken. Selbst der beste Stoß kann pariert werden oder auf einen unverhofften Widerstand stoßen.“

„Ich denke, Menschenfleisch bietet keinen bedeutenden Widerstand.“

„Nein, aber ein Panzer pflegt verdammt hart zu sein.“

Der Baron machte eine Miene unangenehmer Überraschung und sagte sehr schnell:

„Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß der Kerl einen Panzer getragen hat?“

„Gerade das und nichts anderes will ich sagen!“

„Donnerwetter! Königsau ist doch, wie ich denke, Husarenoffizier, und nur Kürassiere pflegen sich mit Stahl zu umgürten.“

„Er trug dennoch einen Panzer.“

Der Baron sah dem Kapitän eine Minute lang forschend in das Gesicht, machte dann eine wegwerfende Gebärde und sagte in beinahe beleidigendem Ton:

„Ah, Sie haben einen Mißerfolg gehabt?“

„Leider!“

„Und wollen denselben beschönigen?“

„Fällt mir gar nicht ein.“

„Oh doch fällt es Ihnen ein! Sie haben gar nicht gestoßen, oder vielleicht haben Sie ganz und gar auf das Unternehmen verzichtet. Sie sind zu feig gewesen, und um sich bei mir zu entschuldigen, sagen Sie, daß der Mann einen Panzer getragen habe!“

Die Augen des Kapitäns blitzten zornig auf, und seine Lippen öffneten sich, um seine Zähne zu zeigen. Es war abermals jenes gefährliche, raubtierartige Fletschen, welches ihm bis in das späteste Alter eigen blieb. Er erhob sich langsam und drohend.

„Baron!“

Er sagte nur dies eine Wort, aber es lag in ihm ein Grimm, vor welchem selbst Reillac zurückschreckte. Er drückte sich fest an die Lehne seines Stuhls und fragte:

„Was beliebt?“

„Wenn Sie noch einmal von Feigheit sprechen, so beweise ich es an Ihrem eigenen ‚Menschenfleisch‘, daß wirklich nur ein Panzer imstande ist, meinen Stoß aufzuhalten!“

„Donnerwetter, Sie drohen mir?“

„Ja“, sagte der Kapitän einfach, indem er sich wieder niedersetzte.

„Das verbitte ich mir.“

„Pah! Dieses Verbitten hilft Ihnen nicht das mindeste, wenn Sie fortfahren, mich in dieser impertinenten Weise zu beleidigen.“

„Aber Sie wollen mich doch nicht glauben machen, daß Königsau wirklich einen Panzer getragen habe?“

„Glauben Sie es oder nicht! Ich mache mir den Teufel daraus“, sagte der Kapitän.

„Aber wie sollte er denn auf diesen Gedanken gekommen sein! Das ist mir unbegreiflich.“

„Mir ebenso.“

„Sollte er geahnt oder gar vermutet haben, daß er etwas zu befürchten hat?“

„Vielleicht. Fragen Sie ihn.“

„Oder tragen diese deutschen Offiziere während der Feldzüge einen Panzer unter ihrem Waffenrock, um während des Gefechts gegen Hieb und Stich gesichert zu sein?“

„Dummheit! Diesen Gedanken kann nur einer haben, der nicht Militär ist.“

„Inwiefern?“

„Der Soldat darf nur die vorgeschriebenen Sachen und Waffen tragen.“

„Ah, wirklich?“

„Ja. Übrigens würde man einen Beweis großer Feigheit darin sehen, wenn ein Husar den Stahl eines Kürassiers anlegen wollte. Es wäre ganz um seine Ehre geschehen.“

„In der Tat? Das habe ich wirklich nicht gewußt.“

„Und sodann gibt es einen sehr naheliegenden Gedanken, auf welchen Sie allerdings nicht gekommen sind, ein Beweis, daß es mit Ihrer Menschenkenntnis nicht weit her ist.“

„Sie werden spitz, Kapitän! Das verbitte ich mir! Welchen Gedanken meinen Sie?“

„Selbst wenn es einem Husaren erlaubt wäre, die Eisenweste zu tragen, so ist der Krieg jetzt doch beendet, wie Sie wissen. Wie kommt dieser verdammte Kerl darauf, mitten im Frieden, und zwar gerade heute, einen solchen Schutz anzulegen?“

„Allerdings unbegreiflich. Sollte er so scharfsinnig sein? Er ist doch ein Deutscher!“

„Sie sprechen den Deutschen also die Fähigkeit ab, scharfsinnig zu sein?“

„Vollständig.“

„Da bedaure ich Sie.“

„Ah, wie kann ein Barbar Scharfsinn besitzen?“

„Gehen Sie zu den Indianern und zu anderen unzivilisierten Leuten. Diese werden Ihnen Beweise eines Scharfsinns geben, der Ihr größtes Erstaunen erregt.“

„Hm, das ist wahr.“

„Und zudem sind die Deutschen vielleicht gar nicht so große Barbaren, wie wir denken.“

„Verlaufen wir uns nicht in allgemeinen Betrachtungen; das kann uns hier ganz und gar keinen Nutzen bringen; bleiben wir vielmehr bei unserem Gegenstand! Also Sie sagen wirklich, daß sie Fiasko gemacht haben und daß Königsau ihnen entkommen ist?“

„Ja.“

„Alle Teufel! Und nur des Panzers wegen, den er getragen hat?“

„Nur aus diesem Grund“, nickte der Kapitän ergrimmt.

„Erzählen Sie!“

„Er war, ganz wie wir vermutet hatten, bei meiner Schwester und ging sehr spät fort.“

„Sie lauerten ihn ab?“

„Ja.“

„Welche Waffe hatten Sie?“

„Meinen gläsernen venezianischen Dolch.“

„So ein Stilett ist ein fürchterliches Ding. Wann ging er?“

„Es war bereits Mitternacht. Ich folgte ihm auf dem Fuße.“

„Trafen Sie noch in der Rue d'Ange auf ihn?“

„Nein, ich wollte dies vermeiden. Erst am Ende der nächsten Straße ereilte ich ihn. Aber denken Sie sich mein Erstaunen, als ich bemerkte, daß er rückwärts ging.“

„Rückwärts? Auf Sie zu?“

„Nein. Er ging seinen Weg fort, aber mit dem Gesicht nach rückwärts gewendet.“

„Alle Wetter! Höchst eigentümlich! Höchst sonderbar!“

„Ja; er hatte mich erwartet.“

„So hat er Sie kommen gehört und sich zur Verteidigung vorbereitet.“

„Er konnte mich nicht kommen hören, denn ich hatte mich meiner Stiefel entledigt.“

„Sie gingen in Strümpfen?“

„Ja.“

„So ist der Anschlag verraten gewesen.“

„Fast möchte ich dies glauben. Aber wer soll dies getan haben? Ich natürlich nicht.“

„Und ich noch weniger. Ich habe gegen keinen Menschen eine Äußerung getan, welche auch nur im geringsten auf unser Vorhaben Bezug gehabt hätte.“

„Ich auch nicht.“

„So ist es unbegreiflich, ja geradezu ein Wunder, daß er unsere Absicht erraten hat. Sie müßten, als Sie ihn mit dem Marschall bei Ihrer Mutter sahen, eine Drohung ausgestoßen haben, infolge derer er auf unsere Fährte gekommen ist?“

„Ist mir nicht eingefallen! Übrigens wissen Sie ja selbst, daß, als ich ihn sah und sprach, von dem Anschlag gegen ihn noch gar keine Rede war. Wir haben uns ja erst besprochen, als ich von ihm nach meiner Wohnung zurückgekehrt war, in welcher Sie mich erwarteten.“

„Dann ist die Sache nur um so undurchdringlicher. Aber erzählen Sie weiter. Also er stand bereit, Sie zu empfangen. Sie bemerkten, daß er einen Panzer trug, und verzichteten infolgedessen jedenfalls sofort auf den geplanten Angriff?“

„Das fiel mir gar nicht ein! Es wäre jedenfalls gut gewesen, wenn ich so gedacht hätte, denn dann wäre er über meine Absicht im unklaren geblieben. Übrigens habe ich den Panzer nicht bemerkt, da es ja dunkel war. Er rief mich an, und ich warf mich trotzdem auf ihn. Ich stieß mit aller Kraft nach seinem Herzen. Ich hätte es sicherlich getroffen; aber der Dolch glitt ab, und die Spitze brach. Erst daran merkte ich, daß er den Panzer trug.“

„Der Teufel soll ihn holen! Aber gab es denn keine andere Stelle des Körpers, an welcher ihm ein tödlicher Stoß beizubringen war, zum Beispiel am Hals?“

„Pah! Dazu kam ich nicht. Wir gerieten miteinander in einen Ringkampf. Er hielt meinen Arm fest, und zudem kam eine Person hinzu, deren Gegenwart ich am allerwenigstem vermutet hätte.“

„Wer?“

„Raten Sie!“

„Ich bin nicht allwissend. Wer war es?“

„Hören Sie, und staunen Sie: Es war – meine Schwester.“

Der Baron fuhr überrascht empor.

„Unmöglich!“ rief er.

„Haben Sie doch die Güte, zu ihr zu gehen, um sich bei ihr zu erkundigen, ob es wahr ist.“

„Aber wie kommt die dazu, ihm nachzulaufen?“

„Das weiß der Teufel!“

„Es ist kein Zweifel. Sie haben beide geahnt, daß er sich in Gefahr befindet. Margot ist ihm heimlich gefolgt, weil sie Besorgnis um ihn gefühlt hat.“

„Nur auf diese Weise läßt es sich erklären.“

„Also diesem deutschen Laffen läuft sie nach!“ meinte der Baron zornig. „Ich aber werde mit Verachtung abgewiesen. Ah, ich werde ihnen einen Salat einschneiden, den sie schlecht verdauen sollen. Wie ging es weiter?“

„Ich mußte natürlich fliehen, um nicht erkannt zu werden. Hätte ich den Kampf fortgesetzt, so wäre ich vielleicht gar ergriffen worden, da man bereits Türen und Fenster öffnete.“

„Sie meinen also, daß Sie nicht erkannt worden sind?“

„Dort noch nicht.“

„Ah, das ist noch gut!“

„Aber später jedenfalls.“

„Ah, warum?“

„Ich hatte die Stiefel ausgezogen und trug sie bei mir. Während des Kampfs entfielen sie mir. Sie haben sie gefunden, und Margot wird sofort sehen, daß es die meinigen sind.“

„Welch eine Unvorsichtigkeit! Konnten Sie Ihre Fußbekleidung denn nicht irgendwo verstecken?“

„Daß man sie unterdessen fand! Nein. Wäre der Panzer nicht gewesen, so hätte alles die gewünschte Wendung genommen; so aber hat sich alles nur auf das Schlimmste zugespitzt.“

„Aber ich sehe doch, daß Sie Stiefel anhaben!“

„Glauben Sie etwa, daß ich in Strümpfen oder gar barfuß hierher kommen konnte?“

„Woher haben Sie die Stiefel erhalten?“

„Es sind die meinigen. Ich rannte sofort nach Hause, um ein anderes Paar anzuziehen.“

„Unbemerkt?“

„Hm! Dieser verdammte Portier öffnete persönlich. Ich glaube, er hat bemerkt, daß ich in Strümpfen war. Aber ich habe ihm befohlen, nichts zu erzählen.“

„Das war klug von Ihnen“, sagte er, „ganz außerordentlich klug, denn nun wird er es erst recht erzählen.“

„Das Trinkgeld, welches ich ihm gab, wird ihm den Mund verschließen.“

„Ah! Wieviel gaben Sie?“

„Volle fünf Franken!“

„Volle fünf Franken!“ rief der Baron mit spöttischem Erstaunen. „Donnerwetter, ist das eine Summe! Na, Kapitän, lassen Sie sich entweder auslachen oder bedauern! Aber der Fehler ist einmal gemacht; er läßt sich nicht ändern. Hat der Portier gesehen, daß Sie das Haus wieder verlassen haben?“

„Ja.“

„So wird er Ihrer Schwester, sobald sie zurückkehrte, alles erzählt haben. Was gedenken Sie zu tun, wenn Sie morgen gefragt werden?“

„Von wem?“

„Von Mutter und Schwester, von Königsau selbst, von irgendwem, vielleicht sogar von der Kriminalpolizei, vom Richter.“

„Ich werde ihnen geradezu ins Gesicht lachen.“

„Gut! Man wird Ihnen nichts anhaben können, denn ich werde Ihr Alibi beweisen, Sie sind während der betreffenden Zeit bei mir gewesen.“

„Aber wenn Sie schwören müssen, Baron?“

„So werde ich natürlich schwören. Wir sind Verbündete und müssen uns unterstützen. Ich werde Sie auf keinen Fall sitzenlassen; das ist aber auch alles, worauf Sie von meiner Seite aus rechnen können.“

Der Kapitän verstand ihn gar wohl, ließ sich dies jedoch nicht merken. Er füllte sich das Glas, trank es bis zur Neige aus und sagte dann scheinbar gelassen:

„Was wollen Sie damit sagen?“

„Daß wir zu Ende sind.“

„Ah, inwiefern?“

„Sie haben Ihre Aufgabe nicht gelöst und sich in eine fatale Lage gebracht. Ich werde Ihnen behilflich sein, aus dieser Lage zu kommen; weiter aber kann ich nichts für Sie tun. Ich bin gezwungen, Ihnen morgen Ihre Akzepte zu präsentieren.“

„Unsinn!“

„Warum Unsinn? Es gibt nur ein Mittel, diesen Deutschen loszuwerden; das ist sein Tod. Sie haben das nicht fertiggebracht und werden es auch nicht fertigbringen.“

„Wer sagt das?“

„Ich, denn ich kenne Sie. Übrigens ist er jetzt gewarnt. Ja, wenn noch heute etwas geschehen könnte. Aber er wird sich nun zu Hause befinden.“

„Das bezweifle ich sehr.“

„Wieso?“

„Sie wollen Menschenkenner sein? Gestatten Sie, daß ich nicht daran glaube! Mein Dolch ist zwar von der Brust abgeglitten, ihm aber tief in den Arm gefahren; ich habe das ganz genau gefühlt. Glauben Sie, daß meine Schwester ihn gehen lassen wird? Sie hat ihn ganz sicher mit sich zurückgenommen, um ihn zu verbinden.“

„Hm, das ist nicht schwer zu glauben! Wenn man nur erfahren könnte, ob er sich dort befindet!“

„Wie ich Margot kenne, so garantiere ich, daß er sich dort befindet. Ich behaupte es.“

„Und wann wird er gehen?“

„Jedenfalls nicht sogleich.“

„Hm!“ brummte der Baron nachdenklich, indem er vor sich hinblickte.

„Was meinen Sie?“

„Ich habe da einen Gedanken.“

„Welchen?“

„Ist diese Tür wirklich gut geschlossen, so daß uns niemand hören kann?“

„Gewiß.“

Da legte sich der Baron über den Tisch hinüber und fragte mit lauerndem Blicke:

„Wollen Sie den Kerl so entkommen lassen?“

„Fällt mir nicht ein!“ antwortete der Kapitän finster. „Nun muß er erst recht daran glauben. Es ist mir jetzt ganz unmöglich, meine Rechnung zu zerreißen.“

„Aber er wird sich von jetzt an doppelt vorsehen.“

„Ist mir gleich.“

„Er wird Sie morgen vielleicht anzeigen!“

„Er mag es tun.“

„Er wird vielleicht Paris verlassen und uns entkommen.“

„Das geht nicht so schnell.“

„Oh, man spricht von dem baldigen Abzug der Deutschen!“

„So muß ich um so schneller handeln.“

„Gut! Aber wann?“

„Übermorgen, morgen, wenn es paßt. Ich werde es mir überlegen.“

„Übermorgen? Morgen? Überlegen? Sind Sie klug oder nicht, Kapitän?“

„Was wollen Sie?“

„Morgen und übermorgen wird es bereits zu spät sein. Wissen Sie, wann gehandelt werden muß?“

„Nun?“

„Bereits heute.“

„Alle Teufel, Sie haben es notwendig!“

„Weil dies das klügste und beste ist.“

„Aber wissen Sie, was dazu gehört?“

„Nichts als ein klein wenig Entschlossenheit.“

„Die ist da. Aber wer schafft mir die passenden Umstände, ohne welche es nicht geht?“

„Ich.“

„Sie?“ fragte der Kapitän erstaunt.

„Ja, ich“, antwortete dieser.

„Erklären Sie sich deutlicher!“

„Nun, die Sache ist sehr einfach. Stirbt der Kerl noch heute, so kann er nicht gegen Sie auftreten, ich zerreiße Ihre Wechsel und bekomme Margot zur Frau.“

„Aber der Panzer.“

„Wir geben ihm eine Kugel.“

„Das macht Lärm.“

„Wir stellen uns natürlich nicht hin.“

„Sie sagen ‚wir‘. Sie meinen also sich selbst damit?“

„Ja. Ich muß Margot partout haben. Ich weiß nicht, wie das kommt, aber ich bin bei Gott in dieses Mädchen vernarrt, daß ich alles hingeben würde, es zu besitzen. Ich sehe ein, daß es für Sie allein schwierig ist, diesem Deutschen entgegenzutreten, und werde Sie unterstützen.“

„Das heißt, Sie wollen mich begleiten?“

„Ja.“

Der Kapitän sah ihn erstaunt an. Endlich glaubte er zu erraten, welchen Grund der Baron habe, sich persönlich an dieser gefährlichen Affäre zu beteiligen. Er sagte daher:

„Ah, Sie gehen als eine Art Aufseher mit?“

„Hm!“ brummte der Gefragte, ohne eine weitere Antwort zu geben.

„Um sich zu überzeugen, ob ich ein Feigling bin oder nicht?“

Richemonte hatte das Richtige erraten. Aber Reillac wollte ihn nicht aufs neue erzürnen; daher antwortete er:

„Unsinn! Jemandem eine Kugel durch den Kopf zu treiben ist leichter, als mit dem Dolch in der Faust mit ihm zu kämpfen, wie Sie es ja bereits getan haben.“

„Das meine ich auch“, sagte der Kapitän befriedigt.

„Ich bin überzeugt, daß Sie keinen Fehlschluß tun werden. Wenn ich erkläre, mich persönlich zu beteiligen, so ist das nicht Mißtrauen, sondern es hat seine Gründe.“

„Welche?“

„Es kann einer dem anderen beistehen, wenn irgendein unvorhergesehener Fall eintreten sollte. Sodann ist es diese Nacht sehr finster. Man muß sich vor dem Schuß überzeugen, ob man auch auf den Richtigen zielt.“

„Sie meinen, man muß ihn ansehen?“

„Ja.“

Der Kapitän lachte.

„Das ist allerdings eine sehr ungewöhnliche Ansicht“, sagte er. „Wir ersuchen jeden Vorübergehenden, stehenzubleiben, um sich ansehen zu lassen, und machen also alle Leute auf uns aufmerksam. Und wenn der Richtige kommt, blicken wir auch ihm an die Nase, so daß er Zeit behält, unsere Absicht zu erraten, sich zur Wehr zu stellen und zu entkommen.“

„Sie nehmen die Sache allerding zu hölzern, Kapitän!“

„Wie soll ich sie sonst nehmen, daß Sie sich den Mann erst genau ansehen wollen?“

„Ansehen? Hm!“ lächelte Reillac überlegen. „Ich meine sogar, daß wir ihn vorher erst anleuchten werden.“

„Sind Sie toll?“

„Wenigstens nicht ganz. Ich habe zu Hause ein allerliebstes kleines Blendlaternchen.“

„Das wollen wir holen?“

„Ja. Ferner habe ich ein Paar ausgezeichnete Doppelpistolen. Wir brauchen sie nicht alle zwei. Eine wird genügen“, meinte Reillac voller Zuversicht.

„Das ist allerdings angenehm“, antwortete Richemonte. „Ich möchte nicht gern abermals nach Hause gehen, was doch geschehen müßte, wenn ich mich meiner eigenen Pistolen bedienen wollte.“

„Sehen Sie, daß ich nicht ganz toll bin! Also, wir müssen sichergehen. Passanten gibt es nicht viele; wir werden also nicht auffallen. Übrigens werden wir es jedem Kommenden am Schritt anhören, ob er ein Offizier ist oder nicht. Ferner wissen wir nicht, welchen Weg Königsau einschlagen wird, wenn er heimkehrt. Wir werden ihn also vor seiner Wohnung erwarten müssen. Auf diese Weise läuft er uns ganz sicher in die Hände, ohne daß wir einem anderen lästig fallen.“

„Aber das Anleuchten –?“

„Habe ich nur so gemeint, daß wir ihm, wenn er kommt, das Licht der Blendlaterne für einen Augenblick in das Gesicht fallen lassen. So überzeugen wir uns, daß er es wirklich ist, und zugleich erhalten Sie dabei ein sicheres Ziel. Sie nehmen die Pistole und ich die Laterne. Während ich ihn beleuchte, schießen Sie.“

„Hm, das ist wirklich nicht übel ausgedacht! Aber wenn er uns erkennt?“

„Wir werden im Dunkeln bleiben, und zudem wird er von dem plötzlichen Licht so geblendet sein, daß er gar nichts erkennen kann. Übrigens würde er auf keinen Fall etwas verraten können, da er ja bereits im nächsten Augenblick eine Leiche sein wird.“

Der Kapitän überlegte noch. Die Sache kam ihm zu rasch. Der verunglückte Anschlag war kaum vorbei, so sah er sich auch bereits vor eine Wiederholung gestellt.

„Und wenn es gelingt, was tun wir?“

„Wir entfernen uns natürlich!“ lachte der Baron.

„Wohin?“

„Nach meiner Wohnung. Das gibt ein Alibi.“

„Das bezweifle ich. Ihre Leute werden natürlich unser Kommen bemerken; man wird also wissen, daß wir nicht dagewesen sind.“

„Ich bedaure Sie, Kapitän. Ich bin nicht so töricht, wie Sie es zu sein scheinen. Meine Leute glauben mich in meiner Bibliothek. Dort brennt ein Licht, und niemand hat Zutritt, nicht einmal mein Kammerdiener, auf den ich mich übrigens verlassen könnte.“

„Ah, so haben Sie einen geheimen Ausgang?“

„Natürlich!“

„Oh, Sie sind schlau, Baron!“

„Was wollen Sie! In diesen Zeiten weiß man nie, was passieren kann. Übrigens hat man ja auch sonst seine kleinen Verhältnisse und Abenteuer. Da ist es stets gut, wenn die Dienerschaft mit gutem Gewissen beschwören kann, daß man zu Hause gewesen ist. Ich hoffe, daß Sie meinen Vorschlag annehmen?“

„Hm! Sie werden die Wechsel dann wirklich zerreißen?“

„Ja, auf Ehre!“

„Und mir nach der Verlobung die versprochene Summe ganz gewiß auszahlen?“

„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort.“

„Gut, so stimme ich bei, Baron. Hier meine Hand.“

„Und hier die meinige – Topp!“

Sie schlugen ein, und über Königsau war also abermals der Stab gebrochen.

„Da haben wir aber keine Zeit zu verlieren, Kapitän!“ meinte dann Reillac.

„Ja, wir müssen eilen. Ich mache einen Vorschlag.“

„Welchen?“

„Sie gehen nach Hause, um die Blendlaterne und die Pistole zu holen –“

„Und Sie?“

„Ich gehe nach der Rue d'Ange, um an dem Schatten, den man an den Gardinen sieht, zu erkennen, ob er noch da ist.“

„Ah, richtig; das ist gut! Und wo treffen wir uns?“

„Unter dem Tore, gegenüber von Königsau.“

„Gut. Wie lange bringen Sie zu?“

„Fünf Minuten.“

„Und ich zehn. Klingeln Sie dem Kellner. Ich werde bezahlen.“

Der Kapitän klingelte, und der Baron bezahlte; dann verließen sie das Lokal. Draußen trennten sie sich, da der Kapitän nach links und der Baron nach rechts gehen mußte.

Richemonte hatte gar nicht weit bis zur Rue d'Ange. Sie war finster und leer. Es war bereits spät, und so sah er nur noch einige Fenster erleuchtet. Auch die Wohnung seiner Mutter zeigte Licht. Es huschten Schatten hin und her, und nach einiger Zeit bemerkte er die schattenhaften Umrisse eines Mannes, welche sich deutlich an der Gardine abzeichneten.

„Das ist er“, murmelte er. „Gut, daß er noch da ist. Dieses Mal soll er mir nicht entgehen!“

Er wendete sich um und begab sich nach dem Stelldichein. –

Der Baron hatte auch keinen sehr weiten Weg zurückzulegen. Er erreichte seine Wohnung sehr bald, trat aber nicht ein, sondern begab sich in ein enges, finsteres Seitengäßchen. An dasselbe stieß die Mauer seines Gartens, in welcher es ein Pförtchen gab. Er öffnete dasselbe mit einem Schlüssel, welchen er bei sich führte, und trat in den Garten und von da in den Hof, welcher das Haus von dem letzteren trennte.

Hier gab es eine Veranda, welche auf vier Säulen ruhte. Von einer dieser Säulen zur anderen waren Latten gezogen, an denen sich Schlingpflanzen emporrankten. Diese Latten waren wohl befestigt und vermochten ganz gut, einen nicht gar zu schweren Mann zu tragen.

Der Baron kletterte an ihnen empor. Als er sich oben auf der Veranda befand, stand er gerade vor einem Fenster des ersten Stockwerkes. Es war von innen verschlossen, und er klopfte leise an eine Scheibe. Nach kaum einer Minute öffnete es sich.

„Wer ist da?“ fragte eine leise männliche Stimme.

„Ich“, antwortete Reillac.

„Der gnädige Herr?“

„Ja. Bist du denn heute blind, Pierre?“

„Verzeihung, Herr Baron! Es ist heute so finster, daß man nichts zu sehen vermag.“

„Tritt weg; ich komme hinein.“

„Soll ich Licht anbrennen?“

„Nein. Wir gehen nach der Bibliothek.“

Er stieg durch das Fenster in das Zimmer und begab sich von da aus mit dem Diener nach der Bibliothek, welche erleuchtet war und ganz dem Lesezimmer eines Mannes glich, welcher eine Bibliothek nur besitzt, um mit dem Einband der Bücher zu prunken.

Man sieht, daß der Baron gar nicht so unbeschwert in seine Wohnung kam, wie er dem Kapitän glauben gemacht hatte. Der Kammerdiener war sein Vertrauter, auf den er glaubte, sich in allen Fällen getrost verlassen zu können.

Pierre trug graue Livree, Samtgamaschen und ein weißes Halstuch. Er war von ebenso hagerer, langer Gestalt wie sein Herr, und hatte ein Gesicht, in welchem sich alle Lüste und Listen sehr deutlich aussprachen. Dieser Mann war jedenfalls in allen gestatteten und verbotenen Genüssen geübt und besaß in seinem spitzigen Fuchskopf die nötige Schlauheit, mit der gesellschaftlichen Ordnung ganz freundschaftlich zu verkommen, obgleich er der ärgste ihrer Feinde war.

„Der gnädige Herr kehren heute sehr früh nach Hause zurück“, meinte er.

„Ich gehe wieder.“

„Ah, der Herr Baron kommen nur, um einiges Geld zu holen?“

„Nein.“

„Ich dachte, der Kapitän hätte nach vollbrachtem Tagewerk –“

„Sofort seinen Lohn verlangt?“ lachte der Baron. „Nein, er hat seine Arbeit sehr schlecht getan, so schlecht, daß sie ganz und gar mißlungen ist.“

„Esel!“

Es war eigentümlich, welchen Ausdruck der Diener in dieses Wort zu bringen vermochte. Verachtung, Stolz, Selbstbewußtsein, demütiges Mitleid, alles das lag darin. Es klang deutlich heraus, daß er es besser getan hätte als der Kapitän. Übrigens verkehrte Pierre mit seinem Herrn zwar höflich und ergeben, aber doch in jener dienstfertigen, vertraulichen Weise, welche sich gewöhnlich bei älteren Dienern einwurzelt, welche sich in die Geheimnisse ihrer Herrschaft einzuschleichen gewußt haben.

„Ja, ein Esel ist er“, meinte der Baron.

„Ein Stich, ein einziger Stich! Wie leicht, gnädiger Herr!“

„Ja. Aber eine Entschuldigung gibt es doch.“

„Keine!“

„O doch. Der Deutsche hatte einen stählernen Harnisch angelegt.“

„Donnerwetter!“

„Ja. Der Dolch ging nicht hindurch.“

„So muß man eben schießen!“

„Allerdings. Wo sind meine Pistolen?“

„Dort im Sekretär. Sie wollen doch nicht – – –?“

„Freilich will ich!“

„Selbst – – –?“

„Ja“, nickte der Baron stolz.

„Kann denn der Kapitän nicht allein –?“

„Nein. Er braucht einen, der ihn anfeuert. Sind sie geladen?“

„Nein.“

„Lade eine, aber sorgfältig!“

„Aber, gnädiger Herr, die Gefahr –!“

„Pah, es ist keine Gefahr dabei. Es wird so arrangiert, daß wir sicher sind.“

„Gewiß?“ fragte Pierre im Ton der Besorgnis.

„Ja, habe keine Angst um mich, Alter. Nötigenfalls haben wir unser Alibi.“

„Sie sind ja den ganzen Abend zu Hause gewesen und von mir bedient worden. Aber der Kapitän; wie steht es mit seinem Alibi?“

„Er war bei mir.“

„Schön!“

Mit diesen Worten öffnete Pierre den Sekretär, nahm den Pistolenkasten hervor und begann, eine der Waffen zu laden.

„Wo hast du das Laternchen?“ fragte sein Herr.

„Auch im Sekretär.“

„Setze es instand.“

„Das ist gut, gnädiger Herr. Man weiß nicht – – –“

Er schien sich darin zu gefallen, in nur halb ausgesprochenen Sätzen zu reden. Übrigens war die Angelegenheit ja eine solche, über die man sich nicht gern vollständig ausspricht.

„Das Fenster lehnst du nur an, schließest es aber nicht zu“, befahl Reillac.

„Ah, warum, gnädiger Herr?“

„Es ist möglich, daß der Kapitän mitkommt. Er darf nicht wissen, daß ich dich mit in das Vertrauen gezogen habe. Mache schnell. Ich habe nur sehr wenig Zeit!“

Die Pistole war geladen; jetzt wurde die Laterne hervorgenommen.

„Wenn es nur gut abläuft!“ meinte der Diener.

„Wie soll es anders ablaufen?“

„Oh, oft hat in solchen Sachen der Teufel sein Spiel!“

„Na, hier werden jedenfalls wir selbst die Teufel sein“, lachte der Baron.

„Und dennoch – – –! Gnädiger Herr, ich liebe die Deutschen nicht; ich gönne diesem Königsau lieber zehn Kugeln anstatt einer; ich an Ihrer Stelle aber würde diese Angelegenheit denn doch auf eine andere Weise zu ordnen suchen.“

„Auf eine andere? Hm! Auf welche?“ fragte der Baron neugierig.

Der Diener spitzte den Mund wie ein Faun, küßte sich die Fingerspitzen und antwortete:

„Auf eine sehr, sehr interessante Weise.“

„Ach, ich kenne deine Pantomimen, weiß aber dennoch nicht, was du meinst. Heraus damit!“

„Hm! Ich setze den Fall, Mademoiselle Margot besäße meine Liebe und versagte mir ihre Gegenliebe, so würde sie doch auf die leichteste Weise der Welt meine Frau.“

„Ah! Laß mich doch diese Weise kennenlernen!“

„Ich behaupte sogar, daß sie mich bitten würde, ihr Mann zu werden.“

„Pierre, du bist nicht gescheit!“

„Aber auch nicht dumm, wie ich zu meinem Ruhm selbst gestehen muß.“

„So sage, wie du sie zwingen willst?“

„Ich würde sie zu mir einladen.“

„Und sie kommt auch?“

„Sie kommt sogar in mein Schlafgemach, gnädiger Herr!“

Sein Gesicht nahm jetzt einen so lüsternen Ausdruck an, daß sein Herr lachen mußte.

„Du irrst, alter Schelm!“ sagte er.

„Ich bin überzeugt.“

„So sprichst du im Delirium!“

„Oh, ich bin sehr bei Sinnen.“

„Da kennst du diese Margot nicht!“

„Ich brauche sie nicht zu kennen. Es kommt ganz allein auf die Art an, in welcher sie meine Einladung erhält.“

Jetzt wurde der Baron doch aufmerksamer. Er merkte, daß der Kammerdiener irgendeinen Plan hatte; darum fragte er:

„Wie würde deine Art sein?“

„Hm!“ brummte der Gefragte nachdenklich. „Je nach den Umständen. Hat Mademoiselle ihren Verlobten bereits einmal in seiner Wohnung besucht?“

„Ich glaube es nicht.“

„Erzählten mir der gnädige Herr nicht, daß Blücher den Freiersmann gemacht habe?“

„Ja.“

„So steht dieser Königsau bei dem Marschall gut?“

„Höchst wahrscheinlich.“

„So, daß dieser ihn auch einmal einladen könnte, mit ihm zu speisen?“

„Gewiß, Blücher soll in dieser Beziehung ja ganz und gar nicht penibel sein.“

„Gut, gut, da hätten wir ja gleich einen Modus!“

„Erkläre dich deutlicher!“

„Nun, wohlan! Es kommt ein Ordonnanzoffizier in einer Equipage zu Madame Richemonte, natürlich ein deutscher Ordonnanzoffizier, gnädiger Herr.“

„Weiter, weiter!“ sagte Reillac, ganz begierig, den Plan Pierres zu vernehmen.

„Dieser Offizier bringt die Empfehlung von dem Marschall; Mademoiselle Margot ist eingeladen, das Souper mit demselben einzunehmen. Ihr Bräutigam ist ebenso eingeladen, holt sie aber nicht ab, weil er überrascht werden soll. Er weiß gar nicht, daß Mademoiselle erscheinen wird.“

„Schlaukopf, ich beginne zu ahnen!“

„Nicht wahr?“

„Aber ein Fehler, ein sehr großer Fehler!“

„Welcher, gnädiger Herr?“

„Die Mutter ist nicht mit eingeladen, das würde sehr auffallen.“

„Ah, sagten der gnädige Herr nicht, daß sie krank sei?“

„Allerdings.“

„Nun, da hat man ja gleich die gute Ausrede. Die Ordonnanz hat zu melden, daß der Marschall wegen ihres Unwohlseins lebhaft bedaure, die gnädige Frau nicht auch bei sich zu sehen. Das wird wohl genügen?“

„Jedenfalls.“

„Nun kenne ich da an der Seine in einem kleinen Gäßchen einen heruntergekommenen Apotheker, welcher davon lebt, daß er gewisse Sachen, welche der Privatmann sonst nicht erhält, an seine guten Freunde verkauft.“

„Bist du einer dieser guten Freunde?“

„Ich schmeichle es mir“, antwortete Pierre lächelnd. „Er besitzt ein Parfüm, davon einige Tropfen in ein Taschentuch geträufelt und einer Dame vor das Gesicht gehalten, machen, daß diese sofort die Besinnung verliert.“

„Schurke!“ lachte der Baron. „Hast du selbst dieses Parfüm bereits erprobt?“

„Mit Ihrer gnädigen Erlaubnis, ja“, antwortete Pierre zynisch.

„An wem? An einer Dame?“

„Natürlich! An einem Herrn würde die Probe zu uninteressant sein.“

„Du bist und bleibst ein schlechter Kerl.“

„Danke, gnädiger Herr!“ sagte Pierre mit einer sarkastischen Verbeugung.

„Fahre fort!“

„Also Mademoiselle sitzt mit der Ordonnanz im Wagen. Der Offizier träufelt zwei Tropfen des Parfüms auf ein Tuch und hält es ihr vor das Näschen.“

„Du bist bei Gott ein Bösewicht!“ bemerkte der Baron. „Weiter. Verliert sie sofort die Besinnung?“

„Sofort“, antwortete der durchtriebene Diener.

„Auf wie lange?“ forschte der Baron weiter.

„Auf eine halbe Stunde“, erklärte der Domestike.

„Es schadet ihr nichts?“ fragte der Baron lauernd.

„Im Gegenteil. Es stärkt sie außerordentlich. Sie erwacht wie nach einem langen, gesunden Schlaf und fühlt sich ganz frisch und wohl“, beruhigte der schurkische Kammerdiener seinen würdigen Herrn.

„Und dann? Ah, wo erwacht sie? Beim Feldmarschall Blücher?“

„Damit würde Ihnen wohl nicht gedient sein!“

„Wo denn sonst?“

„Natürlich bei Ihnen.“

„Ah, Teufel!“

„In Ihrem Vorsaal, in Ihrem Empfangs- oder Arbeitszimmer; sie wird überhaupt da erwachen, wo sie es für gut und bequem halten, gnädiger Herr.“

„Höre, dein Plan hat vieles für sich, aber er ist etwas zu phantastisch.“

„Wie phantastisch?“

„Er ist nicht gut auszuführen.“

„Das finde ich nicht, gnädiger Herr.“

„Man muß sich der Ordonnanz und dem Kutscher geradezu auf Gnade und Ungnade ergeben.“

„Das ist ganz und gar nicht notwendig.“

„Woher die Ordonnanz nehmen?“

„Oh, ich kenne einen jungen Mann, welcher für zwei- bis dreihundert Franken recht gern für eine halbe Stunde die Uniform eines deutschen Offiziers anlegen würde.“

„Hat er das nötige Geschick?“

„Oh, sehr! Er ist Schauspieler.“

„Hm! Er müßte Deutsch verstehen und sprechen.“

„Das tut er vollständig.“

„Er müßte verschwiegen sein.“

„Das ist er im höchsten Grad.“

„Kannst du garantieren?“

„Vollständig!“

„So mußt du seiner sehr sicher sein, denn bei der geringsten Plauderei würdest du deine Stelle bei mir einbüßen. Verstehst du wohl?“

„Ich verstehe, brauche aber keine Sorge zu haben. Der junge Mann ist – mein Sohn.“

Der Baron sah den Diener erstaunt an.

„Dein Sohn?“ sagte er. „Du warst ja nie verheiratet! Oder hast du mich da getäuscht?“

Pierre zuckte die Achseln, ließ ein leises Hüsteln hören und antwortete:

„Ich belüge den gnädigen Herrn niemals. Ich bin zwar unverheiratet, aber doch der Vater dieses jungen Mannes. Man hat so seine kleinen Fehler, gnädiger Herr!“

„Gut, gut! Weiß er denn, daß er dein Sohn ist?“

„Freilich. Ich habe ihn ja auf meine Kosten erziehen lassen. Seine Mutter ist jetzt tot. Sie war eine Deutsche; darum versteht er ihre Sprache wie das Französische.“

Der Baron fühlte sich von diesem Plan so eingenommen, daß er gar nicht daran dachte, daß der Kapitän bereits auf ihn wartete. Er schritt im Zimmer auf und ab und begann zu überlegen, während der Diener ihn mit einem heimlichen Lächeln betrachtete.

„Hm, hm!“ sagte er endlich. „So hast du also dieses Mädchen unglücklich gemacht?“

„Unglücklich? O nein. Sie war ja eine Deutsche, und diese sind ja immer froh, wenn sie im Arm eines Franzosen liegen können.“

„Ist dein Sohn in Paris?“

„Ja.“

„Er könnte also zu jeder Zeit zur Verfügung stehen?“

„Zu jeder Zeit. Er ist jetzt ohne Anstellung und privatisiert.“

„Gut. Aber der Kutscher! Wo nimmt man einen verschwiegenen Kutscher her?“

„Auch dafür ist gesorgt. Ich weiß einen, auf den sie sich verlassen können.“

„Wo? Wer?“

„Hier, ich selbst.“

„Ah, alle Wetter, an dich habe ich ja gar nicht gedacht! Du hast ganz und gar Recht; du bist ein Schlaukopf erster Güte. Aber den Wagen? Ich darf doch meinen eigenen Wagen nicht nehmen; das könnte mich schließlich verraten.“

„Ich kenne einen Verleiher von Equipagen, gnädiger Herr.“

„Ist er sicher?“

„Er braucht gar nicht sicher zu sein, denn er wird nicht erfahren, wozu ich den Wagen brauche.“

„So wird er ihn dir nicht geben.“

„Oh, sehr gern. Wir sind sehr gute Bekannte. Er ist Stammgast der Weinstube, in welcher ich zuweilen verkehre, wenn der gnädige Herr mir Urlaub geben.“

„So! Hm! Ich werde mir deinen Plan überlegen. Er bietet mir eine treffliche Chance, falls meine sonstigen Bemühungen vergeblich sein sollten. Die Bedenken, welche ich vorhin hatte, sind verschwunden, aber die größte Schwierigkeit kommt später.“

„Wieso?“

„Wie die Mademoiselle hereinbringen?“

„Oh, durch den Garten.“

„Man wird es bemerken.“

„Nein, denn die Diener werden Erlaubnis erhalten, auszugehen. Sie sind fort.“

„Richtig, das geht! Aber dann das Erwachen!“

„Wird ein interessantes sein.“

„Im Gegenteil. Was wird sie sagen, was wird sie tun? Wird sie schreien?“

„Jedenfalls nicht, denn sie wird gebunden sein und einen Knebel haben.“

„Donnerwetter! Ich bin kein Bandit!“

„Aber ein vorsichtiger Mann, gnädiger Herr. Später kann man die Dame befreien, denn sie wird von selbst schweigen.“

„Aber wenn sie es nicht tut?“

„Oh, es liegt zu sehr in ihrem eigenen Interesse! Sie wird nach Hause zurückkehren, als ob sie bei dem Marschall soupiert habe. Ihr Geliebter wird erfahren, daß dies nicht wahr ist, sie kann ihm nicht sagen, wo und wie sie diese Stunden verbracht hat; sie werden sich entzweien, und der gnädige Herr hat dann freies Feld.“

„Pierre, du bist wirklich ein Satan, aber deine Gedanken sind gut und richtig. Ich werde mir diesen Plan reiflich überlegen. Jetzt aber – Donnerwetter, ich muß fort; der Kapitän wartet auf mich.“

Er steckte die Pistole und die Laterne zu sich und schickte sich an, zu gehen.

„So wollen der gnädige Herr wirklich auf ihn schießen?“ fragte Pierre.

„Ich nicht. Richemonte wird es tun.“

„Aber der Herr Baron werden zugegen sein?“

„Allerdings.“

„So bitte ich untertänigst, sich nicht zu sehr zu exponieren. Die Sache hat Gefahr!“

„Weiß es, Pierre, ich werde vorsichtig sein. Also schließe das Fenster von innen nicht zu. Kommen wir zu zweien, so läßt du dich nicht eher sehen, als bis ich dich hole.“

Er kehrte in das Zimmer zurück und stieg zum Fenster hinaus und an der Veranda hinab. Er gelangte auf demselben Wege, den er gekommen war, wieder auf die Straße und begab sich eiligst nach dem Stelldichein.

Dort war er von dem Kapitän bereits seit langer Zeit ungeduldig erwartet worden.

„Mein Gott, wie lange bleiben Sie denn?“ fragte Richemonte.

„Es ging nicht eher. Der Weg war mir durch ein Liebespaar verlegt“, antwortete Reillac.

„Der Teufel hole die Liebespaare! Ich warte bereits seit drei Viertelstunden!“

„Ist er schon vorüber?“

„Nein, er muß aber jede Minute kommen. Haben Sie die Laterne? Es ist finster wie in einem Sack.“

„Ich habe sie und werde sie gleich anstecken.“

„Und die Pistole?“

„Ja. Hier ist sie.“

„Geladen?“

„Beide Läufe.“

Der Kapitän erhielt die Waffe und untersuchte sie mit den Fingern vorsichtig, ob er sich auf sie verlassen könne. Unterdessen trat der Baron in den tiefen Torbogen zurück und brannte seine Laterne an. Dann steckte er sie, zugeklappt, in die Außentasche seines Rockes, bereit, sich ihrer augenblicklich zu bedienen.

„Jetzt hinüber auf die andere Seite“, sagte er, „dort wohnt er ja.“

„Halt!“ sagte der Kapitän. „Vorher müssen wir unsere Rückzugslinie besprechen.“

„Wozu?“

„Man kann nie wissen, was passiert. Im Falle eines Mißlingens haben Sie mir ja versprochen, mir behilflich zu sein, mein Alibi beizubringen.“

„Gut. Sie bleiben diese Nacht bei mir, Sie sind überhaupt während des ganzen Abends bei mir gewesen.“

„Wir werden uns also nach Ihrem Haus flüchten, falls uns hier etwa Unerwartetes begegnen sollte?“

„Ja, aber nicht nach der vorderen Tür. Kennen Sie das kleine Nebengäßchen?“

„Ja.“

„Mein Garten stößt daran. In der Mauer befindet sich ein kleines Pförtchen, sehr leicht zu treffen, da es das einzige Gäßchen ist. Dort erwarten wir einander, wenn wir gezwungen sein sollten, uns zu trennen. Jetzt kommen Sie. Aber schießen Sie nur dann, wenn wir wirklich Königsau vor uns haben!“

Sie schritten leise über die Straße hinüber und warteten. Es verging einige Zeit, da hörten sie nahende Schritte. Sie drückten sich sehr tief in den Türbogen, um nicht sofort gesehen zu werden. Der Kapitän zog die Pistole hervor, und der Baron fuhr mit der Hand nach der Laterne.

„Aufgepaßt!“ flüsterte der letztere. „Das wird er sein. Sobald er hier bei uns stehenbleibt, um dem Portier zu klingeln, leuchte ich ihm plötzlich ins Gesicht. Sie halten ihm den Lauf dicht an die Schläfe und drücken los. Er ist sofort tot.“

Die Schritte kamen immer näher. Da sagte der Kapitän leise:

„Dieses Mal ist es nichts. Diese Schritte klingen nicht wie diejenigen eines Offiziers. Aber seien wir trotzdem gefaßt. Geht er vorüber, so ist er es auf keinen Fall.“

Der Erwartete kam langsam herbei. Den beiden Lauernden klopfte vor Erregung das Herz, dieses Mal jedoch unnützerweise. Der Mann ging vorüber.

Erst nach einer Pause meinte der Kapitän:

„Ich hatte Recht, aber ich wollte, Königsau wäre es gewesen.“

„Warum?“

„So wäre jetzt die Geschichte vorüber.“

„Ah! Haben Sie Angst?“

„Pah, Angst! Sie taxieren mich noch immer zu niedrig, wie ich höre. Aber warten wir!“

Und sie warteten. Es vergingen kaum zwei Minuten, so hörten sie abermals Schritte, welche sich auf ihrer Seite der Straße näherten. Richemonte lauschte und erklärte dann:

„Das ist ein Soldat, das ist ein Offizier.“

„Wirklich?“

„Ich gehe jede Wette ein.“

„Gut, Sie sind in diesem Fach Kenner. Geht er vorüber, so ist es wohl ein anderer, bleibt er stehen, so werde ich ihn anleuchten. Aber nur schießen, wenn er es ist.“

Die kräftigen, militärischen Schritte kamen näher. Jetzt war jener noch zehn Schritte von ihnen entfernt, dann acht, sechs, vier – da blieb er stehen. Sie konnten wegen der Dunkelheit nicht sehen, was er tat, aber es schien, als ob er emporblickte, um die Fensterfront zu mustern. Der Kapitän stieß den Baron an. Dieser zog die Laterne hervor, richtete die vordere Seite ganz auf die Gestalt und öffnete. Sofort wurde diese von einem hellen, blendenden Licht überflutet, während die beiden anderen im tiefsten Dunkel standen.

„Donnerwetter!“ rief der Mann, und dann fügte er in gebrochenem Französisch, welches ganz schrecklich klang, hinzu: „Wer seid ihr? Was macht ihr hier?“

Die beiden Männer waren fürchterlich erschrocken, denn sie hatten – den Feldmarschall Blücher erkannt. Der Baron klappte schleunigst seine Laterne zu, um zu verhüten, daß ihr Licht auf ihn selbst falle. Dabei aber machte er mit der Hand eine unwillkürliche Drehung, und das Licht fiel für einen kurzen Moment seitwärts, wo der Kapitän stand. Dieser hatte die Pistole bereits zum Schuß erhoben gehabt, aber vor Schreck die Hand halb wieder sinken lassen. Der Lichtblitz fiel nicht auf ihn, aber doch auf die Hand, welche die Pistole hielt. Blücher war zu sehr Soldat, um nicht die Waffe sofort zu bemerken, aber er besaß auch Schlauheit genug, um einen Fehler zu vermeiden. Als die beiden infolge ihres Schreckens nicht antworteten, wiederholte er:

„Ich frage, wer ihr seid, und was ihr hier wollt.“

Da faßte sich der Kapitän und antwortete:

„Wir sind crieurs de nuit – Nachtwächter.“

„Warum steht ihr hier?“

„Wir warten hier auf unsere Ablösung.“

„So, so! Zeigt doch einmal eure Gesichter! Nehmt die Laterne heraus!“

Das war ein schlimmer Befehl, aber der Baron wußte sich zu helfen. An der Laterne befand sich eine kleiner Schieber, um das Licht auszulöschen. Ein leichter Fingerdruck genügte, um dies zu bewirken.

„Sogleich“, antwortete er.

Bei diesen Worten griff er in die Tasche, drückte an den Schieber und zog die Laterne hervor.

„Ah!“ meinte er in bedauernden Ton. „Sie sind soeben ausgelöscht.“

„So mag es sein. Gute Nacht.“

Mit diesen Worten wandte Blücher sich um und schritt weiter.

„Donnerwetter, der Marschall!“ sagte der Kapitän. „Wer hätte das gedacht!“

„Und in Zivil! Sie hatten doch Recht, daß es ein Offizier sei.“

„Wissen Sie Baron, daß wir einen großen Fehler begangen haben?“

„Welchen?“

„Ich sollte ihn niederschießen.“

„Himmel! Warum?“

„So wäre Frankreich gerächt gewesen.“

„Allerdings, und ich auch, denn er hat den Freiersmann gemacht.“

„Ich war bei Gott ein Tor!“

„Nein, es ist besser so. Hätten wir jetzt erschossen, so wäre uns Königsau entgangen, und daß wir ihn treffen, ist jetzt die Hauptsache.“

Die beiden fühlten es bereits, aber sie gaben sich keine Rechenschaft darüber, daß es der Eindruck der gewaltigen Persönlichkeit des Marschalls und seines Rufes gewesen war, der sie erschreckt und verwirrt hatte. Dieser Eindruck ist sehr wohl imstande, eine bewaffnet erhobene Hand wieder sinken zu lassen.

„Ob er auch glaubt, daß wir Nachtwächter sind?“ fragte Richemonte.

„Es klang nicht so.“

„Ja, er wollte uns sehen. Wie gut, daß Sie den Gedanken hatten, die Laterne zu verlöschen. Er hätte uns sofort erkannt.“

„Ganz gewiß. Er scheint mir nun nicht mehr ganz geheuer zu sein. Ich möchte wissen, ob er in seine Wohnung tritt oder nicht.“

„Warum?“

„Tritt er ein, so ist alles gut. Geht er weiter, so ist sehr zu befürchten, daß er erraten hat, auf wen wir warten.“

„Horchen wir also!“

Sie lauschten, aber es ließen sich keine Schritte mehr hören.

„Er scheint doch hineingegangen zu sein“, meinte der Kapitän. „Man hört nichts.“

„Hm, ungewiß! Wir haben gesprochen, anstatt aufzupassen. Aber wir müssen Gewißheit haben, denn das ist das Notwendigste jetzt.“

„Wie diese aber bekommen?“

„Sehr leicht. Er hat doch zwei Ehrenposten an der Tür. Ich gehe hin und frage.“

„Gut. Aber wenn inzwischen Königsau kommt?“

„So geben Sie ihm die Kugel oder alle beide. Ich gehe.“

Er ging langsam im gemütlichen Schritt eines aus dem Wirtshause Heimkehrenden nach links hinauf, wo das Palais stand, welches Blücher bewohnte. Die beiden Posten standen zu seiten des Portals.

„Guten Abend“, grüßte er.

Einer der beiden radebrechte ein wenig Französisch und erwiderte seinen Gruß.

„War der Mann, welcher jetzt kam, der Feldmarschall Blücher selbst?“

„Ja“, antwortete der Posten auf diese Frage.

„Ist er weitergegangen?“

„Nein“.

„Also eingetreten?“

„Ja.“

Der Baron wandte sich befriedigt um und kehrte zu seinem Gefährten zurück, dem er die erhaltene Auskunft mitteilte. Er bückte sich dann nieder und zündete seine Laterne von neuem an, um bereit zu sein, wenn ihr Opfer erscheine.

Sie hielten sich wieder für sicher und doch täuschten sie sich. Blücher war seiner persönlichen Schlauheit wegen bekannt. Er hatte Verdacht gefaßt, sich aber wohl gehütet, ihn merken zu lassen. Als er von ihnen fortging, murmelte er:

„Nachtwächter wollen sie sein? Wart, ich werde sie benachtwächtern! Der eine hat die Laterne und der andere die Pistole? Verdammte Bande ist es, die hier irgendeinem auflauert! Und wer ist dieser eine? Tausend Teufel, doch nicht etwa der Königsau? Ich habe ihn gewarnt. Man will ihm zu Leibe! Sollte er noch bei seinem Mädel sein? Das ist unmöglich, obgleich es sehr spät ist, denn ein Verliebter horcht auf keinen Schwarzwälder Perpendikel. Ich muß sogleich hinschicken, aber wen? Wer weiß das Haus, und wer findet es? Niemand. Ich muß selber hin!“

Er wendete sich sofort um, blieb aber unter dem Eindruck eines neuen Gedankens stehen. Er schlug sich mit der Hand an den Kopf und brummte:

„Was? Feldmarschall willst du sein? Eine Dummhut biste! Wenn du an den zwei Kerls vorüberläufst, so merken sie den ganzen Kram! Ja, ich muß einen Umweg machen. Aber, zum Teufel, ja, wenn nun die Kerls bereits Unrat gewittert hätten, he? Vielleicht haben sie gemerkt, daß ich ihnen nicht traute; denn ich wollte, daß sie sich anleuchten sollten. Der Halunke hat die Laterne jedenfalls absichtlich ausgelöscht. Hm! Wenn sie denken, daß ich Verdacht geschöpft habe, so werden sie jedenfalls zum Posten gehen und sich erkundigen, ob ich mich ins Nest gelegt habe oder nicht. Höre, Blücher, du bist doch nicht so dumm, als ich soeben dachte! Du hättest Polizist oder Amtskopist werden können! Aber wartet, ihr Kerls, ihr sollt mich nicht beluxen! Euch mache ich ein X für ein U, daß ihr alle beide blau und rot anlaufen sollt, wie die Altweibernasen um Weihnachten herum!“

Er ging rasch auf sein Palais zu. Die Posten hörten ihn kommen. Als er tat, als ob er eintreten wolle, rief der eine:

„Halt! Wer da?“

„Junge, sei nicht voreilig!“ meinte Blücher gutmütig. „Ich bin's!“

„Wer denn?“

„Nu, ich!“

„Das ist kein Name. Hier darf ohne Erlaubnis niemand passieren.“

„Hm, ihr bewacht mich wirklich gar nicht übel! Hört, kennt ihr denn den alten Blücher nicht, he?“

„Wir kennen ihn.“

„Na, da guckt mir doch einmal unter die Haube.“

„Es ist zu dunkel hier draußen. Treten Sie unter die Einfahrt, wo die Lampe brennt; da werde ich Sie ansehen.“

„Schön, mein Junge. Du packst die Sache gar nicht schlecht beim Kragen an.“

Er tat die paar Schritte bis hinter das Portal, wo eine Lampe spärliche Helle verbreitete, man aber doch ein Gesicht deutlich erkennen konnte.

„Na, da komme her, du ungläubiger Thomas Zebedäus und setze die Brille auf“, meinte Blücher. „Viel Gescheites wirste aber wohl nicht sehen!“

Der Posten betrachtete den Marschall; er erkannte ihn, erschrak aber nicht im geringsten. Er kannte die Eigentümlichkeiten des Alten und wußte, daß er ganz sicher bestraft worden wäre, wenn er ihm erlaubt hätte, zu passieren.

„Na, kennste mich jetzt?“ fragte Blücher.

„Zu Befehl, Exzellenz“, antwortete der Mann präsentierend.

„Höre, tue die Flinte weg, sie könnte losgehen! Wie meinste denn, darf ich eintreten, oder muß ich draußen herbergen?“

„Exzellenz können passieren.“

„Gut, mein Junge! Jetzt haste deinen Willen gehabt, und nun werde ich dir zeigen, daß ich auch den meinigen haben will. Ich werde den Kopf aufsetzen und nun gerade erst recht draußen bleiben. Aber merkt euch eins, ihr Kerls: Es wird jetzt vielleicht jemand kommen, der nachfragt, ob ich hier eingetreten oder ob ich weiter fortgeschlumpert bin. Dem macht ihr weiß, daß ich zu Bett bin. Verstanden.“

„Zu Befehl, Exzellenz!“

„Schön! Na, haltet die Augen auf, daß sie mich nicht mausen. Und weil ihr so auf dem Damm seid, da sollt ihr euch eine Freude machen. Hier, da habt ihr jeder ein Achtgroschenstück!“

„Exzellenz verzeihen!“ meinte der eine in beider Namen. „Auf Posten darf man keine Geschenke annehmen. Eigentlich müßte ich Sie melden!“

Da klopfte ihm der Alte auf die Achsel und sagte:

„Du bist ein Luderkerl! Ich glaube, dir maust keiner das Pferd unter den Beinen heraus. Kommt morgen früh um neune zu mir, da sollt ihr anstatt der Achtgroschenstücke jeder einen Speziestaler erhalten und eine Pfeife Tabak dazu. Aber melden müßt ihr mich, daß ich euch habe verführen sollen. Verstanden?“

„Zu Befehl, Exzellenz!“

„Gut, also melden! Das bitte ich mir aus, sonst soll euch der Teufel Purzelbäume schlagen, ihr Himmelsakramenter!“

Er ging fort. Er merkte, daß er sich bei den beiden Soldaten doch etwas zu lange aufgehalten hatte; darum nahm er jetzt einen sehr eiligen Schritt an. Kurz nach seinem Fortgang kam auch wirklich Baron Reillac, um sich nach ihm zu erkundigen, und erhielt die von dem Marschall anbefohlene Antwort.

Blücher gelangte auf seinem Umweg nach der Rue d'Ange und sah, daß in der Wohnung der Frau Richemonte noch Licht sei. Er klingelte dem Portier. Dieser dachte, ein Bewohner des Hauses kehre heim und kam nicht heraus, sondern zog nur an der Leine, so daß die Tür aufging. Blücher wollte keine Zeit verlieren, mit ihm zu reden, sondern stieg schnell die ihm bereits bekannte Treppe hinauf und klingelte am Vorsaal.

Drin ertönten zögernde Schritte; die Tür wurde geöffnet, und Margots Köpfchen erschien.

„Wer ist da?“ fragte sie in den dunklen Vorplatz hinaus.

„Ich, mein liebes Fräulein!“

Beim Klang dieser Stimme wäre ihr vor Überraschung fast das Licht aus der Hand gefallen. Sie war zwar im Negligé, machte aber doch die Tür weit auf und sagte:

„Exzellenz, Sie hier! So spät!“

„Ja. Verzeihen Sie! Ist der Junge, der Königsau noch da?“

„Nein, Exzellenz. Wollen Sie doch eintreten?“

„Gott bewahre! Wenn er fort ist, da habe ich Eile. Wann ging er?“

„Vor kaum zwei Minuten ist er weggegangen.“

„Donnerwetter! Jetzt kriegt ihn diese Bande! Gute Nacht!“

Er stürmte, ohne auf die ängstliche Frage des Mädchens zu antworten, die Treppe hinab und unten zu der vom Portier rasch wieder geöffneten Tür hinaus. Draußen aber blieb er stehen.

„Heiliges Pech!“ sagte er. „Wohin nun? Ist er rechts oder links gegangen? Ach, von links her kam ich, ich hätte ihn treffen müssen; er ist also nach rechts.“

Er eilte fort im Trab, er, der Marschall, eines einfachen Lieutenants wegen. Er legte die Engelsstraße zurück und bog nun in diejenige ein, die er bewohnte. Es war eine weite Strecke bis da hinauf, aber er rannte weiter. Der Atem wollte ihm versagen. Da kam ihm der beste Gedanke, den er haben konnte: Er blieb stehen und horchte. Ja, da oben erschallte der laute, abgemessene, taktvolle Schritt eines Mannes, der jedenfalls Militär war. Aber der Gehende konnte, dem Klang seiner Schritte nach, gar nicht mehr weit von der gefährlichen Stelle sein. Darum legte Blücher die Hände um den Mund und rief so laut, wie er konnte:

„Königsau! Halt! Zurück! Sie wollen dich abmurksen!“

In demselben Augenblick sah er auch da vorn einen raschen Laternenblitz über die Straße leuchten, und dann fielen schnell hintereinander zwei Schüsse.

„Herrgott, er ist zum Teufel!“

So rief der Alte und setzte sich von neuem in Bewegung. In der Zeit von einer Minute war er an dem Tor, an welchem die beiden angeblichen Nachtwächter gestanden hatten. Er sah nichts. Er strich mit dem Bein über den Boden und stieß auf zwei Gegenstände. Er bückte sich nieder und hob sie auf. Es war die Laterne und die abgeschossene Pistole.

„Ein verdammter Kerl!“ rief er freudig. „Er ist also noch nicht zum Teufel!“

Jetzt holte er erst einige Male tief Atem. Und da kamen auch bereits mehrere Soldaten mit Laternen herbei. Sie gehörten zu dem Wachkommando, welches im Palais des Marschalls lag. Man hatte dort die Schüsse gehört und wollte nun sehen, was das zu bedeuten hätte.

„Hierher, Jungens!“ rief er. „Hier ist's gewesen!“

Der vorderste, ein Korporal, leuchtete ihn an.

„Kreuzbataillon, Exzellenz, hat man etwa gar auf sie geschossen?“ fragte er, den Marschall erkennend.

„Nein, mein Junge, auf mich und dich nicht, aber auf einen anderen. Sucht einmal hier umher, ob da vielleicht ein kaputtgemachter Husarenlieutenant liegt!“

„Ein Husarenlieutenant?“

„Ja, geehrtester Herr Korporal! Aber zu fragen hast du hier nichts, sondern zu suchen, sonst will ich dir Augen und Beine machen, du neugieriger Kater du.“

Es wurde gesucht, aber nichts und niemand gefunden. Nicht einmal ein Tropfen Blut wurde bemerkt, welcher hätte auf eine Verwundung schließen lassen.

„Das ist gut, das freut mich!“ meinte Blücher. „Korporal, komm her, halte einmal deinen Kometen in die Höhe!“

Der Gerufene gehorchte, indem er ihm die Laterne vorhielt. Blücher ließ das Licht derselben auf die beiden gefundenen Gegenstände fallen.

„Was ist das für ein Ding, Korporal?“ fragte er.

„Eine Laterne“, antwortete der Gefragte pflichtschuldigst.

„Gut, mein Junge! Und das hier?“

„Eine Pistole.“

„Sehr schön, mein Junge. Du entwickelst da ganz bedeutende Kenntnisse in der Physik und in der Waffenkunde. Wenn ich mal abdanke, so melde dich zum Feldmarschall. Jetzt aber lege dich mit dem Ohr wieder auf deine Pritsche, denn hier sind wir überflüssig geworden.“

Die Leute gehorchten. Blücher wunderte sich nicht darüber, daß die Schüsse nicht mehr Aufsehen erregt hatten. Es blieb ganz ruhig auf der Straße. Man war damals nächtliche Exzesse gewohnt geworden.

Er trat zu den beiden Posten, die seit vorhin noch nicht abgelöst worden waren.

„Kennt ihr mich noch?“ fragte er.

„Zu Befehl, Exzellenz“, lautete die Antwort.

„Na, ist einer gekommen?“

„Zu Befehl!“

„Und hat gefragt, ob ich zu Bett bin?“

„Zu Befehl!“

„Ihr habt ihn doch anlaufen lassen?“

„Zu Befehl!“

„Schön! Aber wie war das mit den beiden Schüssen? Wo fielen sie?“

„Ein Stück die Straße hinunter.“

„Also dort? Habt ihr nicht bemerkt, wer geschossen hat?“

„Nein. Aber bald nach dem letzten Schuß rannten zwei Männer hier vorüber.“

„Ihr habt sie nicht aufgefangen? Ihr Halunken?“

„Nein. Wir dürfen unseren Posten nicht verlassen, Exzellenz.“

„Gut. Ihr seid brave Kerle. Ich will nicht räsonieren, sonst müßt ihr mich morgen zweimal melden. Also zwei Menschen waren es, welche vorüberrannten?“

„Ja, und ein dritter kam hinter ihnen her.“

„Ah, der hat sie gejagt?“

„Es schien so, als ob er sie verfolgte. Und dort am zweiten Tor, da – da –“

„Da – da – was, da?“

„Da blieb er stehen.“

„Der dumme Kerl! Was hat er da zu stehen gehabt?“

„Er – er zog – er zog seine Stiefel aus.“

„Seine Stiefel? Heiliges Wetter! Zieht der Schlingel seine Stiefel aus, anstatt den Bengels nachzurennen. Dem gehören recht tüchtige Hiebe hinten drauf.“

„Er rannte ihnen dann wieder nach.“

„Wird ihm auch viel helfen. Mit den Stiefeln in der Hand! So ein Unsinn!“

„Entschuldigung, Exzellenz! Er ließ die Stiefel stehen.“

„Stehen? Das ist ja noch schlimmer! Wenn sie ihm die nun wegmausen!“

„Er rief uns zu, auf sie achtzugeben.“

„Was? Aufzupassen auf seine Stiefel? Ist der Kerl übergeschnappt? Ihr sollt wohl gar noch seinen alten Latschen das Gewehr präsentieren! Nein, so etwas! Die Ehrenposten des Feldmarschalls von Blücher sollen auf die Kotstampfer des ersten besten Kerls hier achtgeben! Wenn ich wüßte, wer der Flegel ist, so ließ ich ihn zitieren und hieb ihm seine Schaftsandalen mitsamt den Struppen höchst eigenhändig um die Nase herum! Der sollte vor Angst Sirup und Buttermilch niesen!“

„Exzellenz, er hat uns seinen Namen genannt.“

„Auch noch? Welche Frechheit! Wie hieß denn dieser Urian?“

„Lieutenant von Königsau.“

„Lieu – te – nant – von Königsau? Sapperlot, der war es, der? Ich alter Esel! Das konnte ich mir denken. Na, je höher man im Rang steigt, desto alberner wird man im Kopf! Und mit dem Feldmarschall geht der Kopf dann ganz ins Seebad. Jungens, daß ihr mir nicht etwa einmal Marschalls werdet, sonst könntet ihr mich dauern! Sagte er diesen Namen wirklich?“

„Zu Befehl!“

„Und dann rannte er ihnen nach?“

„Ja.“

„Ein pfiffiger Filou. Sie hören seine Schritte nicht mehr, weil er in Strümpfen läuft, und denken also, sie haben niemand hinter sich. Auf diese Weise wird er sie fangen. Hat er euch nicht gesagt, ob sie ihn totgeschossen haben?“

„Nein.“

„Nun, da lebt er jedenfalls noch. Aber seine Stiefel müssen wir in Sicherheit bringen. Gehe mal hin, mein Junge, und hole sie!“

„Verzeihung, Exzellenz, das kann ich nicht!“

„Nicht? Warum nicht, he?“

„Ich darf meinen Posten nicht verlassen.“

„Alle Teufel, das ist wieder wahr! Na, da mag der andere gehen.“

„Auch der darf nicht.“

„Liebe Kinder, euch soll der Teufel holen! Na, da es nicht anders geht, so will ich es einmal machen wie der alte Fritze, und Schildwache stehen. Gib mir dein Gewehr, mein Sohn. Ich will deine Stelle vertreten, während du hingehst und mir die Stiefel herbringst.“

„Exzellenz, das geht auch nicht!“

„Donnerwetter! Auch nicht? Warum denn nicht, du Kanaille?“

„Exzellenz sind in Zivil und nicht in Uniform.“

„Hol's der Kuckuck, das ist wahr. Höre, mein Sohn, du bist kein übler Kerl; du kennst das Reglement besser als ich. Das ist aber auch kein Wunder, denn es sind nun über fünfzig Jahre her, daß ich's gelernt habe. Wie ist denn dein Name?“

„August Liebmann.“

„Gut, mein lieber August. Komm nach zweiundfünfzig Jahren, gerade am heutigen Datum, zu mir und sage mir das Reglement her. Wenn du es noch auswendig kannst, so nenne ich dich Herr Liebmann anstatt August. Darauf kannst du dir dann noch mehr einbilden, als ich auf die Stiefel, die ich mir nun selber holen muß. Wo stehen sie?“

„Dort am zweiten Tor.“

„Schön. Ihr könnt nachher die eurigen noch hinsetzen. Ich bin einmal im Gang, da kann ich sie euch auch holen. Laßt mich nur gefälligst wecken, wenn ihr sie braucht.“

Er ging wirklich hin, nahm die Stiefel auf, steckte unter jeden Arm einen und sagte, nachdem er zurückgekehrt war:

„Der Lieutenant von Königsau wird jedenfalls wiederkommen und nach seinen Sauerkrautröhren fragen. Sagt ihm, daß sie bei mir sind. Er soll sofort kommen und sich melden, auch wenn ich schlafe; aber in den Strümpfen. Er darf beileibe nicht erst nach Hause gehen. Habt ihr's verstanden?“

„Zu Befehl.“

„Und solltet ihr abgelöst werden, ehe er kommt, so übergebt ihr diesen Befehl euren Nachmännern, die ihn auszurichten haben.“

„Zu Befehl, Exzellenz!“

„Gute Nacht, lieber August!“

„Gute Nacht, Exzellenz!“ –