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Er blieb stehen und sah sich nach dem Pferd um. Nicht, weil er Angst vor seinem Vorhaben bekommen hatte. Er überlegte nur, ob er den Smith-Karabiner, der im regenfest verschlossenen Scabbard steckte, mitnehmen sollte. Doch das Gewehr würde ihn zu sehr behindern. Sein 44er Colt Dragoon und das Bowiemesser mußten reichen.
Außerdem rechnete er nicht mit einer Auseinandersetzung. Im Schutz der schlechten Sichtverhältnisse wollte er sein Vorhaben still und heimlich durchführen, unbemerkt von den Wachtposten der Auswanderer, die wegen des schlechten Wetters sicher nicht allzu aufmerksam sein würden.
Der Mann lief im schnellen Tempo auf den Treck zu. Bald war der Haselnußstrauch mit dem angebundenen Pferd hinter einem Regenschleier verschwunden.
Er hörte die Viehherde schon, bevor er sie sah. Vorsichtig erstieg er den sanften Hügel, kauerte sich dort hinter niedriges Buschwerk und sah hinunter in das Tal, in dem sich die Tiere zusammendrängten, um sich mit ihren Leibern gegenseitig vor dem Sturm zu schützen.
Dann konnte er auch die Wachtposten ausmachen, drei an der Zahl. Sie hatten sich unter Bäumen und Felsen zusammengekauert und waren so damit beschäftigt, nicht zu sehr durchnäßt zu werden, daß sie kaum ein Auge auf das Vieh warfen.
Ein grimmiges Lächeln huschte über das dunkle Gesicht des Mannes auf dem Hügel. Genauso hatte er sich die Sache vorgestellt. Er würde ein leichtes Spiel haben.
Jeden Strauch, jeden Felsen und jede Bodenerhebung als Deckung ausnutzend, glitt der Mann schlangengleich ins Tal hinunter, von den drei vor sich hindösenden Wächtern unbemerkt. Sein Ziel waren die Pferde, die sich in der nordöstlichen Ecke der Senke einen etwas regengeschützten Platz unter ein paar hohen Weiden gesichert hatten.
Er schlich sich gegen den Wind an die Tiere, damit sie nicht durch seine Witterung nervös wurden. Wieder lächelte er, als er das Pferd sah, hinter dem er jetzt fast drei Wochen her war. Ein großer, schlanker Rappe. Das Pferd, dem er die Narben auf seinem Rücken zu verdanken hatte: Black Thunder.
Der Rappe stand zwischen einem Braunen und einem Schimmel, sich zwischen ihren schützenden, wärmenden Körpern sichtlich wohl fühlend. Als sich der bronzehäutige Mann, immer gegen den Wind, zu Black Thunder durchzwängte, hob das pechschwarze Pferd seinen länglichen Kopf, schnaubte und sah den Mann mißtrauisch an.
Beruhigend redete der Mann auf das Tier ein, zog ein paar für diesen Zweck aufbewahrte Zuckerstücke aus der Tasche und hielt sie Black Thunder auf der flachen Hand vors Maul.
Noch immer bedachte ihn der Rappe mit einem skeptischen Blick und ließ sich schließlich dazu herab, die Hand des Fremden zu beschnuppern. Endlich war das Mißtrauen des Pferdes verflogen, und dankbar fraß es dem Mann aus der Hand.
»Brav, Black Thunder«, sagte dieser. »Siehst du, wir werden gute Freunde.«
Die drei Wächter hockten so weit entfernt, daß sie seine Worte unmöglich hören konnten. Der heftige Sturm verschluckte sie bereits auf kurze Distanz.
Vorsichtig legte der Mann Black Thunder das Zaumzeug an, kam aber nicht weit. Der Rappe scheute zurück, als ihm die Witterung verriet, daß es das Zaumzeug eines anderen Pferdes war.
»Was hast du denn, Black Thunder?« fragte der Mann im beruhigenden Tonfall und strich dem Pferd sanft über die Nüstern. »Wir kennen uns doch. Ich habe dir Zucker gegeben, Black Thunder. Wir sind jetzt Freunde.«
Beim zweiten Versuch hielt der Rappe still. Mit geübten Griffen legte ihm der Mann das Zaumzeug an und schwang sich auf den Rücken des Pferdes.
Bis zu dem Platz, wo er den Piebald zurückgelassen hatte, würde er ohne Sattel reiten. Das war für ihn kein Problem. Sobald er auf einem Pferd saß, verwuchs er mit ihm zu einer Einheit, gleichgültig, ob unter ihm ein Sattel, eine Decke oder nur das Fell des Tieres war.
Er lenkte den Rappen aus der Remuda hinaus auf einen Einschnitt zwischen den Hügeln zu, den er vorhin bei der Beobachtung der Senke entdeckt hatte. Die Unaufmerksamkeit des Wächter würde es ihm erlauben, von ihnen unbemerkt durch diesen Einschnitt zu reiten.
Als er die verschwommene Gestalt vor sich aus dem Regendunst auftauchen sah, wußte er, daß er sich geirrt hatte.
Ein vierter Wächter, den er vom Hügel aus nicht gesehen hatte!
Der Mann rief etwas, aber der Sturm verschluckte seine Worte. Wahrscheinlich sollte sich der Mann auf dem Pferd identifizieren.
Das fiel dem Reiter nicht ein. Er stieß seine Hacken in die Flanken des Rappen und trieb ihn mit lauten Schreien an, direkt auf den nächsten Hügel zu. Jetzt, wo er entdeckt war, würde es zuviel Zeit kosten, den Einschnitt zu nehmen. Und es war sinnlos geworden.
Ein Schuß krachte, und die Kugel pfiff dicht an dem Reiter vorbei.
»Vorwärts, Black Thunder!« rief er. »Zeig, was du kannst!«
Im schnellen Galopp erstürmte der Rappe den Hügel.
*
Anfangs hatte sich Jacob nichts dabei gedacht, als die in seiner Nähe weidenden Pferde in Unruhe gerieten. Wahrscheinlich kämpften sie um den trockensten Platz unter den Weiden.
Aber als die Unruhe nicht nachließ, kroch er aus seiner Felshütte, zog den Hut tief ins Gesicht und kämpfte sich durch den Sturm zu den Pferden vor. Den Karabiner trug er unter dem Regenmantel bei sich.
Er hatte die Remuda fast erreicht, als er ein Pferd auf sich zukommen sah. Wegen der Regenschleier erkannte er Black Thunder erst auf die Distanz von fünfzig Yards.
Dann sah er den Reiter auf dem Pferd und fragte ihn laut nach dem Namen.
Er erhielt keine Antwort, erkannte aber auch so, daß er nicht zu den Auswanderern gehörte. George Kelley, Black Thunders Besitzer, war es auf keinen Fall. Die Haut des Reiters war zwar auch dunkel, aber nicht so sehr wie die des farbigen Jungen. Es war der bronzene Hauttton eines Indianers.
Als der Reiter Black Thunder auf einen der Hügel zutrieb, holte Jacob den Sharps unter dem Regenmantel hervor, zielte kurz und schoß. Er hatte auf die Schulter des Pferdediebs gezielt, um ihn an der Flucht zu hindern. Aber Regen und Sturm ließen die Kugel fehlgehen, und der Dieb verschwand hinter dem Hügel.
Der Schuß hatte die übrigen Wachen und die Auswanderer in der Wagenburg alarmiert. Bald umstanden Jacob ein paar Dutzend bewaffneter Männer, denen er sein Erlebnis berichtete.
»Jetzt wissen wir, auf wen Jackson Harris neulich geschossen hat«, schloß er. »Der Mann muß uns lange verfolgt haben.«
»Woher wollen Sie wissen, daß es derselbe Kerl ist?« fragte Aaron Zachary. »Vielleicht war es eine Rothaut hier aus der Gegend.«
»Nein, ich habe den Mann erkannt. Beim Pferderennen in Kansas City hat er Silver Dollar geritten.«
»Das Halbblut?« fragte Sam Kelley erstaunt.
Jacob nickte. »Es muß ihm viel an Black Thunder liegen, wenn er uns von Kansas City aus gefolgt ist.«
Die Auswanderer stellten einen Verfolgertrupp zusammen. Bald schwärmten über dreißig Reiter aus, um das Gelände zu durchkämmen. Bei dem Sturm keine einfache Aufgabe. Die schlechten Sichtverhältnisse boten dem Pferdedieb einen hervorragenden Schutz.
Einer nach dem anderen kehrte erfolglos zur Wagenburg zurück. Martin war einer der letzten. Er führte ein reiterloses Pferd bei sich, einen gesattelten Piebald mit einem Karabiner im Scabbard, aber ohne Zaumzeug. Die Satteltaschen waren mit Vorräten für einen langen Ritt gefüllt. Es bestand kein Zweifel, daß es das Pferd des Halbbluts war.
Martin sah den enttäuschten George Kelley mitleidig an. »Leider habe ich nur dieses Pferd erwischt, aber nicht deinen Black Thunder.«
»Vielleicht bringt Mr. Adler ihn zurück«, sagte der Junge ohne große Hoffnung.
Jetzt erst fiel den Menschen auf, daß Jacob noch nicht zurückgekehrt war.
»Wo steckt er bloß?« fragte Irene sorgenvoll.
»Er ist mit seinem Freund geritten«, meinte Aaron Zachary und sah Martin an.
Der erklärte: »Als ich den Piebald entdeckte und zu ihm hinritt, habe ich Jacob aus den Augen verloren. Ich dachte, er sei längst zurück.«
»Hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen«, sagte Irene.
»Wir werden ihn suchen«, beruhigte Martin sie.
Aaron Zachary schüttelte seinen Kopf.