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»Ich reite lieber allein«, sagte er. »Eine Horde wilder Sonntagsjäger macht mir nur die Tiere scheu.«
Schließlich ließ er widerwillig Ben Miller mitreiten, der sich darauf berief, schon Büffel gejagt zu haben. Jeder führte ein Packpferd mit sich, um das erbeutete Fleisch zurück zum Treck zu bringen.
Wie viele andere Männer schaute auch Jacob den beiden Reitern neidisch hinterher, als sie zwischen den Hügelwellen im Norden verschwanden. Zu gern hätte er die urtümlichen Tiere mit eigenen Augen gesehen, von denen er bisher nichts als ihre Hinterlassenschaften am Rande des Trails kannte.
Die in der Sonne getrockneten Büffelfladen gaben ein hervorragendes Brennmaterial ab, wenn in der fast baumlosen Gegend nicht genug Holz, Strauchwerk oder brennbares Unkraut aufzutreiben war. Einige Frauen hatten sich anfangs voller Abscheu geweigert, ihr Essen über Büffelkot zu kochen, aber schließlich waren sie dankbar gewesen, überhaupt Brennstoff zu haben.
Der Treck zog weiter und hatte nach etwa einer Stunde die Büffel schon fast vergessen, als die Auswanderer eine gewaltige Staubwolke im Norden bemerkten, viel größer noch als die von den Prärieschonern aufgewirbelte. Sie schien immer noch größer zu werden, was daran lag, daß sie sich auf den Wagenzug zubewegte.
»Was kann das sein?« fragte Sam Kelley, der neben Jacob ritt.
»Die Büffel.«
»Aber das würde ja bedeuten...«, begann der dunkelhäutige Schmied mit erschrockenem Gesicht und brach dann ab. Zu schrecklich war die Tragweite seines Gedankens.
»Genau das«, sagte Jacob nur und trieb seinen Grauen an, bis er, gefolgt von Kelley, den vordersten Wagen erreicht hatte.
»Haben Sie die Staubwolke gesehen, Captain?« fragte er Abner Zachary, der neben seiner jüngsten Tochter auf dem Bock saß.
Die beiden anderen Töchter gingen, wie viele andere Frauen und Kinder, zu Fuß neben dem Wagen her, um den Maultieren die Last etwas zu erleichtern.
Der Prediger nickte und fragte: »Sind das die Büffel?«
»Das befürchte ich.«
»Wieso befürchten Sie es?«
»Wenn sich die Staubwolke mit einer solchen Geschwindigkeit auf uns zubewegt, kann das nur eins bedeuten.«
»Ja«, unterbrach ihn der alte Zachary, plötzlich verstehend, bestürzt. »Sie haben recht!«
»Haben Sie nicht ein Fernglas, Captain?«
Wieder nickte Zachary und schickte seine Tochter ins Wageninnere, das Glas zu holen. Nach einer Minute hatte sie es gefunden und reichte es Jacob. Der Deutsche ignorierte Bethenias anhimmelndes Lächeln, richtete sich im Sattel auf und spähte durch das Fernglas nach Norden.
»Was sehen Sie?« wollte Zachary wissen.
»Ein Meer aus dunklen Tieren, das schnell auf uns zukommt. Zu schnell, als daß wir die Wagen noch in Sicherheit bringen könnten.«
Das Lächeln auf Bethenias Gesicht erstarb, als auch sie die Gefahr erkannte, in der die Auswanderer schwebten.
»Was können wir tun?« fragte der Treck-Captain, dessen Aufgabe es eigentlich gewesen wäre, den Wagenzug außer Gefahr zu bringen.
Verzweifelt nach einer Antwort suchend, schaute Jacob nach Norden, wo die Staubwolke immer größer wurde. Bald mußte die riesige Büffelherde auch für das bloße Auge erkennbar sein. Die Staubwolke hüllte die Tiere nicht ganz ein, denn der kräftige Wind trieb sie über die Herde hinweg. Von Süden kommend, beugte er das Gras wie zur Begrüßung in Richtung der heranstürmenden Büffel.
»Der Wind!« stieß Jacob erregt hervor. »Nur er kann uns retten!«
Abner Zachary zog die Stirn in Falten und blickte ihn skeptisch an. »Geht es Ihnen gut, Jacob?«
Der erläuterte dem Treckführer seinen Plan, und Zachary blickte noch immer skeptisch drein.
»Wenn das schiefgeht«, brummte er, »zünden wir selbst das Fegefeuer an, in dem wir alle verschmoren werden.«
»Es wird nicht schiefgehen«, versprach Jacob. »Es kann nicht schiefgehen, der Wind ist stark genug.«
Und in Gedanken fügte er hinzu: Es darf nicht schiefgehen!
Er und Sam Kelley sprengten auf ihren Pferden an den Wagen entlang und riefen den übrigen Auswanderern, die inzwischen auch die Gefahr erkannt hatten, zu, was sie tun sollten. Erst sahen sie genauso skeptisch aus wie ihr Captain. Aber schnell begriffen sie, daß Jacobs Plan ihre einzige Chance zum Überleben war.
Sobald ein Feuer entzündet war, steckten sämtliche Reiter des Trecks ihre eilends hergestellten Fackeln daran in Brand und preschten nach nördlicher Richtung in die Prärie, bis sie eine knappe halbe Meile vom Treck entfernt waren. Hier hielten sie die Fackeln an das trockene Gras, das sofort Feuer fing. In einer langen Linie ritten sie über das Grasmeer und steckten es auf einer Länge von etwa zwei Meilen in Brand.
Als sie damit fertig waren, waren die Büffel mit dem bloßen Auge deutlich zu sehen. Mit unverminderter Geschwindigkeit rasten die durch ein bislang unbekanntes Ereignis aufgebrachten Tiere auf einer eineinhalb Meilen langen Front heran, von dem Präriebrand offenbar gar nicht beeindruckt.
Dabei erwies sich Jacobs Einschätzung als richtig. Der starke Südwind trieb das Feuer strikt nach Norden, so daß der Treck von dem Brand unbehelligt blieb. Gierig fraßen sich die Flammen über das ausgetrocknete Gras den Büffeln entgegen. Es war fast wie ein Wettrennen zwischen Feuer und Büffelherde, wer bis zu ihrem Zusammentreffen eine größere Strecke zurücklegen konnte.
Die Luft flirrte vor Hitze und ließ die Umrisse der riesenhaften, zottigen Tiere verschwimmen. Aber die Reiter konnten genug sehen, um zu erkennen, daß die Büffel das Feuer bald erreicht haben würden.
»Es klappt nicht!« rief Sam Kelley laut, um das Donnern der unzähligen Büffelhufe zu übertönen, zu Jacob herüber. »Das Feuer beeindruckt die Büffel nicht im geringsten.«
»Abwarten«, sagte Jacob nur und mußte vor sich selber zugeben, daß er Kelleys pessimistische Einschätzung teilte. In ihrer Raserei mußte es den wilden Tieren ein leichtes sein, die nicht allzu breite Feuerfront zu durchbrechen. Und dann war ihnen der Treck schutzlos ausgeliefert.
Jacob kam ein neuer Gedanke, und er riß seinen Colt aus dem Holster.
»Schießt!« schrie er seinen Gefährten zu. »Macht einen Heidenlärm! Übertönt diese verfluchten Büffel!«
Und er feuerte in die Luft, bis die Trommel leer war, lud hastig nach, und gab die nächsten sechs Schüsse ab.
Die übrigen Reiter taten es ihm nach, aber in ihren Herzen keimte wenig Hoffnung. Die Schüsse vermochten kaum das Donnergrollen der Büffelhufe zu übertönen, und der Boden erzitterte bereits unter dem Stampfen der Tiere.
Die ersten Büffel waren nur noch etwa dreißig Yards vom Feuer entfernt, als sie plötzlich langsamer wurden und ihre Richtung änderten, um nach Osten abzuschwenken. Die nachfolgenden Tiere folgten den Leitbüffeln. Es war kaum glaublich, aber ganz dicht vor dem Feuer floß das Meer der dunklen, riesigen Leiber in eine neue Richtung.
Atemlos, mit aufgerissenen Augen verfolgten die Reiter, wie die Büffel vor dem Feuer davonrannten.
»Wir haben es geschafft!« rief Sam Kelley aus Leibeskräften und stieß einen lauten Jubelschrei aus.
Unter Freudengebrüll, ihre Hüte ausgelassen in der Luft schwenkend, galoppierten die Reiter zum Treck zurück, wo sich ebenfalls Erleichterung und Freude ausbreitete.
Nur von einem Planwagen starrten den Reitern besorgte Gesichter entgegen. Es war der Wagen der Millers.
Jacob hatte kaum seinen Grauen neben ihm gezügelt, als Ben Millers Frau Agnes vom Bock her fragte: »Wo ist Ben? Wie geht es ihm?«
»Das weiß ich leider nicht. Ben und Oregon Tom haben wir nicht gesehen.«
»Sind sie etwa unter die Büffel.«, begann Agnes, schaffte es aber nicht, den Satz zu Ende zu bringen.
»Das glaube ich nicht. Auf ihren Pferden sind sie schnell genug gewesen, um sich in Sicherheit zu bringen.«