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Oder war es nur eine zufällige Begegnung?
Ein kleiner, leichter Planwagen schälte sich aus der nur vom blassen Licht der Gestirne erhellten Dunkelheit. Die vier kräftigen Pferde des Gespanns hatten keine Mühe, ihn zu ziehen. Hinter dem Wagen war ein fünftes Pferd angebunden, ein schlanker, rötlichgelb gefleckter Pinto.
Die Fackeln der Auswanderer warfen ihr flackerndes Licht auf den Wagen, der in denselben Farben gehalten war wie so viele andere Fahrzeuge des Trecks: blauer Kasten und rote Räder. Jacob nahm das aber nur am Rande wahr. Gebannt starrte er auf die Gesichter der beiden Menschen, die auf dem Bock saßen. Ein Mann und eine Frau, die er aus Kansas City kannte.
Der Mann, der die Zügel hielt, war Anfang Dreißig, schlank, und hatte ein hageres, scharfes Gesicht, dessen bernsteinfarbene Augen konzentriert in die Runde blickten. Er wirkte wie ein Rasiermesser, dessen scharfe Klinge jeden Moment hervorspringen konnte. Für die Prärie war er unpassend gekleidet mit dem taubengrauen Dreiteiler, den Jacob ebenfalls schon aus Kansas City kannte. Von dieser Begegnung wußte er, daß in dem schwarzledernen Holster, das an der rechten Hüfte des Mannes unter der Jacke hervorlugte, ein vernickelter Revolver mit Perlmuttgriffschalen steckte.
Die in ein braunes Kostüm gekleidete Frau war mehr als zehn Jahre jünger als ihr Begleiter. Trotz ihrer Jugend wies sie alle Rundungen auf, mit der eine Frau das Begehren eines Mannes wecken konnte. Und das hatte die Frau mit dem feuerroten Haarschopf, der unter ihrem Hut hervorquoll, und dem hübschen Gesicht mit den hellgrünen Augen bei vielen Männern getan, nicht immer zu deren Bestem.
Wegen Urilla Anderson, die im Lightheart Palace, einem Saloon in Kansas City, gearbeitet hatte, waren Adam Zachary und der Sklavenjäger Everett Stanton aneinandergeraten, und Stanton hatte den jungen Auswanderer erstochen.
Jacob sah seinen Freund an, der sich in Urilla verliebt hatte. Martin stand starr da, mit unbewegtem Gesicht, aber der Blick seiner blauen Augen war auf die junge Frau fixiert.
Urilla mochte vielen Männern den Kopf verdrehen, aber sie war in festen Händen. Sie lebte mit ihrem Begleiter zusammen, dem Spieler Alan Clayton, der für seinen locker sitzenden Revolver und seine ebenso locker sitzenden Fäuste bekannt war.
Die beiden hier in der weiten, offenen Prärie wiederzutreffen, hätte Jacob niemals erwartet. Wie er an Martins Gesicht erkannte, ging es seinem Freund ebenso.
Clayton entbot den Auswanderern seinen Gruß und fragte ohne Umschweife, ob er sich dem Treck anschließen dürfte.
»Was veranlaßt sie dazu, Mr. Clayton?« fragte Abner Zachary, genauso verwundert wie alle anderen. »Sie scheinen mir nicht der Mann zu sein, der sich in Oregon mit seiner Hände Arbeit ein neues Heim schaffen will.«
»Ich arbeite auch mit meinen Händen«, erwiderte der Spieler. »Nur auf andere Art als Sie und Ihre Freunde.«
Der Prediger nickte. »Ich kenne die Art, wie Sie an das Geld anderer Leute kommen, Mr. Clayton. Aber ich kann nicht sagen, daß ich sie billige.«
»Ich will auch nicht mit Ihnen spielen, Mr. Zachary, sondern mich Ihrem Treck anschließen.« Ein leichtes Lächeln umspielte Claytons schmale Lippen. »Außerdem, haben Sie sich nicht auch dem Glücksspiel hingegeben, als sie Black Thunder ins Rennen schickten? Durch den unverhofften Sieg des Rappen habe ich eine Menge Dollars verloren.«
Clayton spielte auf das Pferderennen an, das Homer C. Asquith vor ein paar Tagen in Kansas City ausgerichtet hatte. George Kelley hatte auf Black Thunder den eindeutigen Favoriten Silver Dollar geschlagen und damit das Preisgeld von 5000 Dollar gewonnen. Die Summe kam den Auswanderern sehr zupaß, nachdem sie ihre Ersparnisse zusammengekratzt hatten, um Jackson Harris freizukaufen.
»Das war etwas anderes«, schnappte Abner Zachary verdrießlich. »Wir haben das Geld gebraucht.«
Wieder lächelte der Spieler.
»Ich brauche das Geld auch.«
»Aber wir haben niemanden betrogen.«
Das Lächeln erfror, und auf Claytons scharfen Zügen zeichneten sich Verärgerung und Wut ab. Seine Rechte ließ die Zügel los und wanderte unauffällig in die Richtung seines Revolvers.
»Was wollen Sie damit sagen, Mr. Zachary?« fragte er langsam, laut und deutlich, als wollte er alle Menschen zu Zeugen der ihm widerfahrenen Beleidigung machen.
Der Prediger sah ein, daß er einen Schritt zu weit gegangen war, und antwortete: »Ich wollte Sie nicht beleidigen, Clayton. Ich kenne Ihre Art des Spiels nicht. Aber ich habe Vorbehalte gegen alle Menschen, die ihr Geld mit Würfeln und Karten verdienen.«
Urilla sah ihren Begleiter ängstlich an und entspannte sich erst ein wenig, als sich dessen Hand von der rechten Hüfte fortbewegte.
»Wie sieht es nun aus, Mr. Zachary?« fragte der Spieler. »Dürfen wir uns Ihrem Treck anschließen?«
»Sie haben uns immer noch nicht gesagt, was Sie zu diesem Entschluß bewogen hat«, erwiderte der Treck-Captain.
»Ich hatte einigen Ärger in Kansas City, schweren Ärger sogar.« Clayton schob seinen Hut nach hinten und enthüllte einen ehemals weißen und jetzt blutgetränkten Verband um seinen Kopf. »Ein paar Bürger haben mich des Betrugs beschuldigt, ohne dafür einen Beweis zu haben. Sie hätten mich fast getötet. Ich hielt es für besser, mir eine neue Stadt zu suchen.«
»Aber hier gibt es keine Stadt«, meinte skeptisch Aaron, der Sohn des Predigers. »Hier ist nur Wildnis. Warum haben Sie sich nicht nach Osten gewandt, wo es genügend Städte, Saloons und Spielhöllen gibt?«
»In allen größeren Städten im Umkreis kennt man mich schon. Und die Gebiete, in denen der Krieg tobt, ziehen mich nicht besonders an. Ich glaube, jenseits der Rockies habe ich bessere Möglichkeiten zum Geldverdienen.«
»Wir haben Auflagen für jeden Mitreisenden«, sagte Abner Zachary und zählte die Lebensmittel und Ersatzteile auf, die sich an Bord jedes Wagens befinden mußten.
Das meiste davon hatte Clayton im Wagen und bot dem Prediger an, sich mit eigenen Augen zu überzeugen. »Alles andere kann ich einkaufen, wenn wir nach Manhattan kommen.«
Dieses Manhattan war nicht zu verwechseln mit dem Stadtteil von New York, wo Jacob und seine Freunde erstmals amerikanischen Boden betreten hatten. Es war eine kleine Siedlung am Big Blue River, das erste Zwischenziel des Trecks, das man nach zwei Wochen Reise zu erreichen hoffte. Manhattan war ein Vorposten in der Wildnis und die letzte Gelegenheit, die Vorräte zu ergänzen, bevor es endgültig hinaus ging ins unbewohnte Präriegebiet.
»Das wäre möglich«, gab Abner Zachary zu. »Aber jeder Wagen hat außerdem mindestens eine Milchkuh mitzuführen, und zwar ab Beginn der Reise. Ich sehe nur Pferde bei Ihnen, Mr. Clayton, keine Kuh.«
»Jemand von Ihren Freunden hat sicher eine Kuh übrig, die er mir verkaufen kann.«
Der Spieler sah in die Runde, aber niemand machte den Mund auf.
Das spöttische Lächeln kehrte auf Claytons Gesicht zurück.
»Ich zahle zweihundert Dollar für eine Milchkuh.«
Kaum hatte er ausgesprochen, da konnte er sich vor angebotenen Kühen nicht mehr retten.
»Dieses Problem wäre also auch gelöst, Mr. Zachary«, stellte Clayton befriedigt fest.
»Da wäre noch etwas«, meinte der Prediger. »Ich bin der Captain dieses Trecks, und während der Reise haben sich alle meinen Befehlen unterzuordnen, ohne jede Ausnahme.«
»Einverstanden«, sagte der Spieler im gleichgültigen Tonfall.
Zachary sah Clayton herausfordernd an.
»Eine meiner Anordnungen lautet: Kein Glücksspiel während der Reise!«
»Seit wann besteht diese Anordnung?«
»Seit eben gerade.«
»Gut«, seufzte Clayton ergeben. »Kein Glücksspiel während der Reise.«
So ungern es Abner Zachary auch sah, aber jetzt konnte er nicht mehr verhindern, daß sich Clayton und seine Freundin dem Treck anschlossen.
Vielleicht, vermutete Jacob, richtete sich seine Abneigung weniger gegen den Spieler als gegen Urilla Anderson. Zachary hatte es nicht gern gesehen, als sie sich seinem Sohn Adam an den Hals warf, um ihn zu überreden, sie mit nach Oregon zu nehmen. Jacob fragte sich zum wiederholten Mal, was die junge Frau dort wollte.
Als der Prediger den neuen Wagen Jacobs Zug zuteilte, lief ein Zucken durch Martins Gesicht. Er würde Urilla Tag und Nacht nahe sein, über viele Monate hinweg, und doch war sie für ihn unerreichbar.
Martin erschien nicht zum Abendessen. Jacob ging in die Prärie hinaus, um seinen Freund zu suchen. Er fand ihn auf einem nahen Hügel. Dort kauerte Martin, die Arme um die an den Körper gezogenen Knie geschlungen, kaute geistesabwesend auf einem bräunlichen Grashalm herum und starrte hinaus auf das Meer aus Gras, das sich sanft im Wind wiegte und sein nächtliches Klagelied sang.