158185.fb2 Im Land der B?ffel - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 8

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Sie lauschten gebannt und hörten es bald alle. Das Wiehern eines Pferdes und Hufgetrappel, beides sehr leise und rasch verschwindend, als es sich vom Lager entfernte.

»Das kam von jenseits dieses Hügels«, stellte Liam O'Rourke fest und zeigte nach Osten. »Vielleicht ist ein Pferd über den Hügel und hat sich davongemacht.«

»Ein Pferd, das aufrecht geht wie ein Mensch?« entgegnete Jackson Harris zweifelnd.

»Wer oder was immer es war, jedenfalls hat Jackson es erwischt«, sagte Martin, der mit einer Fackel den Boden bei den von Harris bezeichneten Felsen abgesucht hatte. »Hier sind frische Blutspuren. Sie führen den Hügel hinauf.«

Ein bewaffneter Trupp wurde zusammengestellt und suchte das Gelände jenseits der Hügel ab. Vergeblich. Von dem nächtlichen Besucher fehlte jede Spur.

Spekulationen machten im Lager die Runde, und bald sprach jedermann von wilden Indianern und einem bevorstehenden Überfall. Damit war die Feier zu Ende.

Den Rest der Nacht verbrachten die Auswanderer still und unter verstärkter Bewachung. Auch auf den Hügeln rings um das Lager wurden Wachtposten aufgestellt. Jacob gehörte zu ihnen.

Irene, die mit Jamie im Wagen lag, dachte darüber nach, ob der Schuß gerade zur richtigen Zeit gekommen war. Als ihr Blick auf das von Jacob gezimmerte und mit kunstvollen Schnitzereien verzierte Kinderbett fiel, war sie sich dessen nicht sicher.

*

Die schlanke Gestalt huschte fast lautlos durch die Nacht und setzte alle viere ein, um möglichst rasch den Hügel zu erklimmen. Jedesmal, wenn der sehnige Mann seine linke Hand gebrauchte, um sich an einem Felsvorsprung, einem Moosbüschel oder einem Wurzelstrunk festzuhalten, durchfuhr ein stechender Schmerz seinen Körper.

Die von dem Wachtposten abgefeuerte Kugel hatte seinen Ellbogen getroffen. Zum Glück war es nur ein Streifschuß. Einen Zoll daneben, und sein Knochen wäre zerschmettert gewesen. Doch der Schmerz war auch so stark genug, seinem Arm einen Teil der natürlichen Kraft zu nehmen.

Der bronzehäutige Mann, der sich dicht am Boden hielt und fast mit den Schatten der Nacht verschmolz, biß die Zähne zusammen und kletterte weiter, der Hügelkuppe entgegen. Er hatte schon viel größere Schmerzen aushalten müssen und würde auch die in seinem Arm überwinden.

Viel mehr als die frische Wunde schmerzte ihn, daß sein Plan vereitelt worden war.

Tage- und nächtelang hatte er den Treck verfolgt, mit der Schlauheit eines Fuchses und der Geduld und Zähigkeit eines Wolfs. In dieser Nacht, in der die Auswanderer ihr großes Fest feierten, sah er seine Stunde für gekommen. Das Vieh war in einem von der Wagenburg abgetrennten Tal untergebracht und wurde von nur zwei Männern bewacht. Eine bessere Gelegenheit würde er kaum erhalten.

Also schlich er sich an, langsam, leise und vorsichtig, wie er es gelernt hatte. Und doch war er entdeckt worden. Er wußte nicht einmal, wodurch er sich verraten hatte. Der Mann, der auf ihn geschossen hatte, mußte außerordentlich scharfe Augen besitzen.

Unter ihm liefen die durch den Schuß alarmierten Auswanderer in den kleinen Canyon mit dem Vieh. Er hörte ihre erregten Rufe und sah die Fackeln in ihren Händen, die ihn an tanzende Irrlichter erinnerten.

Würden ihn die Männer jagen?

Er wußte nicht einmal, ob sie ihn erkannt hatten. Vielleicht, wenn er Glück hatte, hielten sie ihn für ein Raubtier, daß in dem Canyon leichte Beute zu finden gehofft hatte. Wenn das der Fall war, würden sie nicht übermäßig mißtrauisch sein, und er erhielt sicher eine zweite Chance, um seine Beute zu machen.

Als er die Hügelkuppe erreichte, kroch er wie eine Schlange über den Boden. Er wußte, daß sich sein Körper sonst gegen den Nachthimmel abheben würde. Und wenn der Mann, der auf ihn geschossen hatte, keinen Zufallstreffer gelandet hatte, war er ein ernstzunehmender Gegner.

Endlich lag die Kuppe hinter ihm. Er richtete sich auf und rannte den Hügel hinunter bis zu dem verkrüppelten Pflaumenbaum, an dem er seinen Piebald angebunden hatte. Er löste die Zügel von dem verwachsenen Ast, schwang sich in den Sattel und trieb sein Pferd mit leisen Rufen und dem Druck seiner Schenkel an. Sein Ziel war die östliche Prärie, wo er hinter den vielen wellenförmigen Hügeln verschwinden würde.

Der Piebald griff kräftig aus, und seine Kraft übertrug sich auf den Reiter. Die Schmerzen im Arm ließen nach und störten ihn bald genauso wenig wie die frischen Narben auf seinem Rücken.

Diese Narben, Strafe für seine Niederlage, waren ein Zeichen seiner Erniedrigung.

Er haßte den Mann, der ihm das angetan hatte. Und doch war er jetzt hier, um für ihn einen Auftrag auszuführen. Er mußte es tun, um seinen Platz in der Welt dieses Mannes zu sichern. Es war die Welt, in der auch der Reiter des Piebalds lebte.

Die Welt des weißen Mannes.

Die Nacht verschluckte den bronzehäutigen Reiter, aber nicht den Haß in seinem Herzen.

*

Am nächsten Morgen wurde der Treck wieder von der üblichen Routine beherrscht. Frühes Wecken, Essen und Abbruch des Lagers ließen die Menschen kaum noch an den Vorfall in der letzten Nacht denken. Mit der Dunkelheit war auch ihre Angst vor einem Überfall verschwunden. Man nahm jetzt allgemein an, daß ein Raubtier es auf das Vieh abgesehen hatte. Keine drei Stunden nach dem Wecken war die Wagenkolonne bereit zur Weiterfahrt.

»Wagen vorwärts, nach Westen!« rief Oregon Tom, der neben Abner Zacharys Conestoga an der Spitze ritt.

Wie sich der Ruf von Wagen zu Wagen nach hinten fortsetzte, ruckte ein Prärieschoner nach dem anderen an. Peitschen knallten, Männer fluchten, Frauen schimpften, Pferde wieherten, Mulis schnaubten, Ochsen stöhnten, Räder knarrten, und der große Treck rollte weiter.

Die Gedanken und die Augen der Auswanderer waren nach vorn gerichtet. Niemand dachte daran, daß es in ihrem Rücken einen hartnäckigen Verfolger gab, der seinen Piebald antrieb, sobald der letzte Wagen und die Viehherde am Horizont verschwunden waren.

Der romantische Lagerplatz mit den beiden Tälern und dem kleinen Creek blieb hinter dem Treck zurück, der wieder über die gleichförmige Prärie rollte. Vielleicht lag ja hinter dem nächsten Hügel rechts oder links ein ebenso romantischer Ort, aber das interessierte die Menschen nicht. Solange die Sonne am Himmel stand, kannten sie nur ein Ziel: möglichst viele Meilen hinter sich zu bringen.

Jacob hatte an diesem Tag Dienst bei der Herde, so daß ihn Irene bis zur Mittagsrast nicht sah. Sie war ganz froh darüber. Das, was sie ihm in der letzten Nacht fast gesagt hätte, lag noch auf ihrer Zunge. Aber je länger sie bei Tag darüber nachdachte, desto mehr gelangte sie zu der Erkenntnis, daß es besser war, alles zwischen ihnen so zu belassen, wie es war.

Nicht Jacob war Jamies Vater, sondern Carl. Carl, der Irene und Jamie in Oregon erwartete, auch wenn er von der Geburt seines Sohnes noch nichts wissen konnte. Es wäre ungerecht gegenüber Carl gewesen, ihm nicht nur die Frau, sondern auch den Sohn zu nehmen.

Außerdem - sie liebte Carl doch, wenn es ihr nach der langen Trennung auch zuweilen Mühe bereitete, sich die Einzelheiten seiner Züge vor das geistige Auge zu rufen.

Carl war nach Amerika gefahren, um hier eine neue Existenz für sich und Irene aufzubauen. Sein Vater, der reiche Reeder Wilhelm Dilger, hatte Carl verstoßen und enterbt, als dieser Irene, ein einfaches Dienstmädchen im Haus der Dilgers, heiraten wollte. Irene floh aus Hamburg, als Wilhelm Dilger ihr ungeborenes Kind - seinen eigenen Enkel - gewaltsam vor der Geburt wegmachen lassen wollte.

Nach alledem konnte sie sich nicht einfach einem anderen Mann zuwenden, mochte sie für ihn auch ähnlich empfinden wie für Carl. Gewiß, so redete sie sich ein, war es nur Jacobs unmittelbare Nähe, die ihre Gedanken veranlaßte, sich so oft auf den jungen Zimmermann zu konzentrieren.

Martin, der neben ihrem Planwagen herritt, lenkte Irene ab, die nichts weiter zu tun hatte, als den Wagen in der Spur der vorausfahrenden Prärieschoner zu halten. Sie ging auf seine Scherze ein, und beiden tat es gut. Denn auch Martin hatte seinen Kummer, seit Urilla und Clayton zum Treck gestoßen waren. Er versuchte es zwar zu verbergen, aber sein seltsamer Blick verriet ihn - jedesmal, wenn er in Urillas Nähe kam.

Der Treck war erst seit knapp einer Stunde unterwegs, als Oregon Tom vorausreiten wollte, um das Gelände zu erkunden.

»Der Vorfall in der vergangenen Nacht hat mich nachdenklich gemacht«, sagte er zu Abner Zachary. »Will doch mal sehen, ob nicht doch ein paar Rothäute um unseren Treck herumschleichen. Die Wagen werden keine Schwierigkeit haben, dem ausgefahrenen Weg zu folgen.«

Tatsächlich hatten die anderen Trecks, die in diesem Jahr bereits den Oregon-Trail bewältigt hatten, eine deutlich sichtbare Spur hinterlassen. Die großen Räder der schweren Wagen hatten Rillen in den Boden gepflügt, so breit und tief, daß ihnen die Witterung nichts anhaben konnte.

Außerdem stieß der Wagenzug, je weiter er nach Westen kam, immer öfter auf die Hinterlassenschaften früherer Trecks, sichere Wegemarkierungen für den Prediger und seine Leute. Man fand zerbrochene Räder und einmal sogar einen ganzen morschen Wagen, der unter der Last seiner Fracht mitten entzweigebrochen war.

Auswanderer hatten ihre Gefährte erleichtert, indem sie auf einen Teil ihrer kostbaren Habe verzichteten. Den Wegesrand säumten Möbel, Geschirr, Bücher und sogar eine große Standuhr, die aufrecht in der Einsamkeit wartete, als wollte sie Zacharys Leute daran erinnern, daß sie einen Wettlauf gegen die Zeit austrugen.

Einige Augen leuchteten gierig auf, als die Auswanderer die ungeahnten Schätze erblickten. Frauen stiegen von den Wagen und Männer aus den Sätteln, um sich einen Teil davon zu sichern. Aber der alte Zachary schickte seine Söhne aus, das zu verhindern. Was ihre Vorgänger von den Wagen geladen hatten, um ihr Leben zu retten, sollte Zacharys Leuten nicht zum Verhängnis werden.

Dazwischen lagen die von der Sonne ausgebleichten Schädel und Knochen verendeter Zugtiere. Einmal fand man sogar die seltsam verrenkten Gebeine eines Menschen, der von seinen Gefährten - vielleicht wie im Fall von Ben Miller - aus Zeitnot nicht bestattet worden war. Agnes Miller, die auf dem Bock ihres Wagens saß, erschauerte bei dieser Begegnung. Davon, daß der Tod häufig auf dem Weg nach Oregon zuschlug, zeugten zahlreiche Gräber und aus Bretter zusammengenagelte Kreuze, auf die man jetzt in fast regelmäßigen Abständen stieß.

»Nach dem Schuß war doch alles wieder ruhig«, meinte der Prediger, der die acht Maultiere über die ausgefahrene Spur lenkte, zu dem Scout. »Ich dachte, Bruder Jackson hätte auf ein wildes Tier geschossen.«

In Bidwells sonnenverbranntem Gesicht zeichnete sich Skepsis ab, und er wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. »Kann sein, kann auch nicht sein, Mr. Zachary. Wer oder was immer es war, es ist geflohen. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, was es war. Deshalb sollten wir vorsichtig sein. Vermutlich war es nur ein Raubtier. Aber ich halte es für besser, mich davon zu überzeugen, daß wir nicht in eine Falle der Roten laufen.«

»Gibt es denn überhaupt noch Wilde in diesem Gebiet?«

»Das kann man nie so genau sagen, Captain. Die wilden Stämme sind heute hier, morgen da. Und selbst die Indianer aus den Reservaten ziehen gern durch die offene Prärie, wenn es ihnen innerhalb der Reservatsgrenzen zu eng oder zu langweilig wird.«

Zachary fuhr mit der Hand durch seinen wallenden Graubart und schaute nachdenklich über das Meer aus Hügeln und Tälern, deren Tausende und Abertausende Grashalme von einem starken Wind nach Norden gebogen wurden.

»Ich denke, Sie haben recht, Tom«, brummte er schließlich. »In einem fremden, wilden Land kann man nicht vorsichtig genug sein. Schließlich ist uns das Leben von fast zweihundert Männern, Frauen und Kindern anvertraut. Also gut, reiten Sie. Und geben Sie auf sich acht!«