158186.fb2 Im Tal der B?renmenschen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 16

Im Tal der B?renmenschen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 16

Jacob hätte lügen müssen, hätte er gesagt, daß ihn das nicht interessierte. So folgte er dem Indianer willig in eine fremdartige Welt, die er nur in Teilen sah, vom Fackelschein herausgerissen aus der Finsternis.

Es war eine gigantische Tropfsteinhöhle, deren Stalaktiten und Stalagmiten, häufig miteinander verschmolzen, bizarre, die Phantasie anregende Figuren bildeten. Jacob glaubte verschiedene Tiere zu erkennen, Menschen in den unterschiedlichsten Haltungen und abstrakte Gebilde, die sich jeder Einordnung entzogen.

Noch wunderbarer als diese Kalksteinformationen war jedoch das, was Jacob an der hinteren Höhlenwand erwartete. Mondauge hatte nicht zuviel versprochen. Im Licht seiner Fackeln konnte der Deutsche hier die Geschichte des Volkes sehen, das im Tal der heißen Wasser lebte. Sie war in die Wand geschrieben. Nicht mit den Buchstaben der Weißen, sondern in unzähligen Zeichnungen. Als Jacob sein Gesicht näher heranbrachte, erkannte er, daß die Bilder nicht, wie er zuerst angenommen hatte, mit Kreide gezeichnet, sondern in den Stein geritzt waren.

»Das ist überwältigend«, staunte er. »Woher stammen diese Bilder?«

»Sie waren immer schon da. Solange die Erinnerung von Mondauge, von seinem Vater und dessen Vater reicht. Die Alten sollen sie in den Stein geritzt haben, um ihren Nachfahren ihre Geschichte zu erzählen.«

»Die Alten?«

»Die ersten von Mondauges Volk, die vor unzähligen Sonnen und Monden in das Tal der heißen Wasser gekommen sind. Als sie die große Sonnenstadt verlassen hatten.«

Mondauge zeigte auf das erste Bild, das eine Stadt zeigte, die dem Pueblo im Tal der heißen Wasser ähnelte. Aber sie war viel größer und bestand nicht nur aus in den Fels gebauten Häusern, sondern auch aus vielen Gebäuden in der flachen Ebene.

Breite und schmale Straßen führten aus allen Richtungen zu dieser Stadt. Stammte von dieser strahlenartigen Form des Straßennetzes die Bezeichnung als Sonnenstadt?

Oder weil es dort so warm gewesen war? Denn über der Stadt erhob sich eine strahlende Sonnenscheibe.

»Wo steht diese Stadt?« fragte Jacob und zeigte dann nach Süden. »Im warmen Land, wo immer die Sonne scheint?«

Als Mondauge nickte, dachte der Deutsche an die Geschichte von dem Navajohalbblut, die ihm Billy Calhoun erzählt hatte. Hatten die Bewohner dieses Tals etwas mit dem Volk im Süden zu tun, das einst in solchen Pueblos gewohnt hatte? Es mußte jedenfalls ein mächtiges Volk gewesen sein, wenn es in so großen Städten lebte.

Je länger sich Jacob mit den Felsenbildern befaßte, desto mehr fand er seine Vermutung bestätigt. Die nächsten Bilder zeigten, wie die Bewohner der Sonnenstadt ihre Heimat verließen, schwer bepackt mit ihrem Hab und Gut und mit ihrem Vieh im Gefolge.

Wenn er die Bilder richtig deutete, zerstreuten sich die Menschen in alle Himmelsrichtungen. Ein Teil, dessen Geschichte auf den folgenden Bildern erzählt wurde, zog durch die Berge. Die Indianer mußten viele Gefahren erlebt haben, Begegnungen mit wilden Tieren und Naturkatastrophen. Eine der schlimmsten Erfahrungen schien der erste Winter in den Bergen gewesen zu sein. Als der Schnee schmolz, ließ er viele Tote zurück.

Kein Wunder, daß den Menschen die Entdeckung dieses Tals wie ein Wunder vorgekommen war. Wahrscheinlich eher wie ein Fingerzeig ihrer Götter. Sie ließen sich hier nieder, bauten Häuser nach dem Vorbild der Sonnenstadt in den Fels, bestellten das Land und gingen auf die Jagd.

Eins der letzten Bilder zeigte die Indianersiedlung im Tal der heißen Wasser, über die sich ein riesenhafter Bär erhob. Jacob dachte wieder an den Begriff der Bärenmenschen, den er erstmals von Billy Calhoun gehört hatte.

»Hat der Bär eine besondere Bedeutung für Mondauges Volk?« fragte er und zeigte auf das betreffende Bild.

»Der Bär ist unser Leben. Kennt der Adler nicht die Geschichte vom Bären und vom Truthahn?«

Jacob schüttelte den Kopf.

»Schon den kleinen Kinder von Mondauges Volk wird sie erzählt, damit sie den Bär zu ehren und zu schätzen lernen.«

Mondauges Blick verklärte sich und richtete sich in weite Ferne, als er mit der Erzählung begann.

»Die Geschichte berichtet über zwei kleine Kinder, einen Jungen und seine Schwester. Sie spielt vor langer Zeit, als die Tiere noch wie die Menschen sprachen. Damals hörte der Truthahn durch Zufall, wie ein Junge seine Schwester um etwas zu essen bat. Der Truthahn fragte das Mädchen, was ihr Bruder von ihr wolle. >Er ist hungrige, sagte sie. >Aber der Winter war lang, und wir haben nichts mehr zu essen. < >Da kann ich helfen<, meinte der Truthahn, plusterte sich stolz auf und schüttelte dann sein prächtiges Gefieder. Heraus fielen alle nur erdenklichen Sorten von eßbaren Wurzeln, Pflanzen und Früchten, an denen sich Bruder und Schwester so satt aßen, wie sie es noch niemals gewesen waren. Aber der Truthahn schüttelte sich ein zweites Mal, und eine riesengroße Maistorte fiel aus seinem Gefieder. Auch die aßen der Junge und das Mädchen noch auf, so daß sie sich kaum noch rühren konnten. Doch der Truthahn schüttelte sich wieder, und goldgelber Mais rieselte auf die Erde. Die Kinder hatten ihn mit letzter Kraft vertilgt, als er sich ein viertes Mal schüttelte und weißen Mais folgen ließ. Die Kinder meinten, nie mehr etwas essen zu können, aber der Gedanken an den Hunger des langen Winters ließ sie auch noch den weißen Mais verspeisen. Da kam der Bär vorbei und fragte, als er die gemästeten Kinder sah, was hier geschehen sei. Der Truthahn plusterte sich wieder auf und verkündete voller Stolz: >Ich habe meinem Bruder und meiner Schwester mit Essen ausgeholfen. < Der Bär schüttelte seinen Kopf und meinte: >Du kannst dich nur viermal schütteln, damit Eßbares herausfällt. Ich aber habe jede Art von Nahrung an mir, von meinem Schädel bis zu meinen Füßen.< Damit trottete der Bär gemütlich davon. Der Junge und das Mädchen sahen ihm nach, waren aber viel zu unbeweglich, um ihm zu folgen. Als sie das reichliche Essen des Truthahns verdaut hatten und sich wider alles Erwarten neuer Hunger bei ihnen einstellte, bereuten sie ihre übermäßige Eßgier und wünschten sich, der Bär möge zurückkommen.«

Die Geschichte war zu Ende, und Mondauge sah Jacob abwartend an.

»Ich verstehe«, sagte der Weiße gedehnt, nachdem er über das Gehörte nachgedacht hatte. »Der Bär ist die wichtigste Nahrungsquelle dieses Stammes.«

»Das ist er, und mehr als das. Das Fleisch eines Bären bietet vielen Menschen meines Volkes für lange Zeit Nahrung. Sein Fett, vermischt mit dem Saft von Bäumen und Kräutern, gibt eine schützende, heilende Salbe für unsere Haut. Aus seinem Fell machen wir Kleidung und Decken, aus seinem Schädel Gefäße für unsere Nahrung. Sein Hirn verwenden wir, um das Fell beim Gerben geschmeidig zu machen. Seine Knochen und Zähne werden zu Werkzeug und Waffen. Seine Gedärme werden zu Bändern und Sehnen für unsere Bogen. Seine Krallen hängen wir um unseren Hals, damit sich die Kraft des Bären auf uns überträgt.«

Jacob hatte von Billy Calhoun gehört, daß die Büffel in den Prärien für die dort lebenden Indianer eine ähnlich wichtige Rolle spielten. Wie die Prärieindianer von den Büffeln, lebten die Menschen hier in den Bergen von den Bären und verehrten ihn gleichzeitig, weil sie wußten, was sie ihm schuldeten.

Eine andere Frage beschäftigte Jacob: »Warum haben die Ahnen deines Volkes die Sonnenstadt verlassen, Mondauge? Waren sie dort nicht mehr glücklich?«

»Nein, das Glück hatte sie verlassen. Die Sonne, die ihnen Leben spendete, wurde zu stark und dörrte das Land aus. Die Menschen hungerten. Und viele andere Menschen, die sonst gern zu ihnen gekommen und mit ihnen Waren getauscht hatten, blieben fort, weil die Alten alles für sich selbst brauchten und nichts mehr zum Tauschen hatten. So wurden sie immer ärmer und immer hungriger, bis sie die Sonnenstadt verließen und sich in alle Winde zerstreuten.«

Ein Ruck ging durch Mondauge, und sein Blick kehrte in die Gegenwart zurück.

»Jetzt kennt der Adler die Geschichte von Mondauges Volk. Das hilft ihm hoffentlich, uns besser zu verstehen. Jetzt möge er Mondauge folgen. Die Heilerin hat uns gerufen.«

Jacob sah ihn überrascht an.

»Woher weiß Mondauge das? Ich habe nichts gehört.«

»Mondauge weiß es. Das genügt doch.«

Das kam Jacob unheimlich vor. Aber vieles war seltsam im Tal der heißen Wasser. Er konnte nichts anderes tun, als dem Indianer zu folgen. Der Gedanke an Martin verdrängte alles andere.

*

Der Mann, der hinter einem großen, quaderförmigen Felsen kauerte und das Pueblo beobachtete, lächelte. Es war kein warmes Lächeln, das von Herzen kam.

Eher wölfisch.

Das Steinhaus am Rand des Pueblos war wie geschaffen für seine Zwecke. Es lag ein Stück abgelegen von den übrigen Häusern. Als hätten die Erbauer der Felssiedlung vor vielen Jahren einmal vorgehabt, sie ein Stück in diese Richtung zu erweitern, den Plan dann aber aufgegeben, weil sie keinen weiteren Wohnraum benötigten.

Aber - und das war das Wichtigste für den einsamen Mann -es war bewohnt. Er hatte zwei der Krieger, die den Treck begleitet hatten, durch die Einstiegsluke im Dach verschwinden sehen.

Einen Einstieg zu ebener Erde gab es nicht. Nur Fensterluken, die aber jetzt, in der Nacht, mit Brettern verschlossen waren. Die Krieger hatten die Leiter, durch die sie aufs Dach gekommen waren, hinaufgezogen.

Das war kein Hindernis für den Rächer.

Er befestigte ein Ende des ihm verbliebenen Seils an seinem Bowiemesser, dicht hinter der Parierstange am Griff. Griff und Klinge hatte er zuvor mit einem dicken Lappen umwickelt, dessen Abrutschen durch den Seilknoten verhindert wurde.

Er schlich sich dicht an das Steinhaus heran, wirbelte den behelfsmäßigen Enterhaken durch die Luft und ließ das Ende mit dem Messer los. Es flog auf die hüfthohe Umrandung des Flachdaches zu, prallte dicht unter der Kante mit einem trockenen Geräusch ab und fiel in der Nähe des Mannes zu Boden.

Als der Rächer sah, daß er zu kurz geworfen hatte, brachte er seine Krider-Rifle in Anschlag. Jetzt stand er starr wie eine Salzsäule im Schatten eines mannshohen Felsens und beobachtete angestrengt das Haus. Er wartete auf Geräusche, auf das Öffnen der Fensterluken, auf nach draußen fallenden Fackelschein, auf die neugierigen, verwunderten Gesichter der indianischen Bewohner. Aber nichts von dem geschah. Niemand schien durch das Geräusch des abprallenden Enterhakens geweckt worden zu sein.

Der Mann hängte das kurzläufige Gewehr wieder über seinen Rücken, trat aus dem Felsschatten hervor, hob den Haken auf und unternahm einen neuen Versuch. Diesmal warf er hoch genug. Wieder ein trockenes Geräusch, und der Haken lag auf dem Dach.

Erneut wartete der Mann ein paar Minuten ab und setzte seine Bemühungen erst fort, als sich im Innern der Behausung nichts regte. Er zog ganz langsam an dem Seil, so daß sich der Haken Zoll um Zoll auf eine Ecke des Daches zubewegte. Dort klemmte er sich erwartungsgemäß fest.

Der Mann hängte sich an das Seil und zog fest daran. Der Haken hielt.

Der Mann begann den Aufstieg, hielt sich mit den Händen am Seil fest und stützte sich mit den Füßen an der Hauswand ab. Jede Bewegung erfolgte langsam, mit unendlicher Vorsicht, um die Bewohner nicht zu wecken.

Er fragte sich, ob sie jede Nacht die Leiter hochzogen, oder ob sie es wegen der Fremden getan hatten, die in ihrem Tal lagerten.

Endlich war er oben, kauerte sich auf das Dach und ruhte sich ein, zwei Minuten aus. Sein Atem ging heftig. Die gebotene Vorsicht hatte die Kletterpartie über Gebühr anstrengend gemacht. Er knotete das Seil los und schlang es wieder um seinen Oberkörper. Für den Abstieg konnte er die hölzerne Leiter benutzen, die neben ihm auf dem Dach lag. Dann befreite er das große, schwere Messer von dem Lappen und steckte es zurück in die rindslederne Scheide an seiner Hüfte.