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Die Männer lenkten ihre Pferde zu der Zeder und hatten sie noch nicht ganz erreicht, als Billy laut »Halt!« rief.
»Was ist denn?« fragte Sam Kelley. »Wir sind doch noch gar nicht da!«
»Wir steigen besser ab«, meinte das Halbblut. »Unsere Pferde würden alle Spuren zertrampeln.«
»Ein guter Vorschlag«, befand Jacob und rutschte als erster aus dem Sattel. »Zwei Männer bleiben bei den Pferden. Die anderen folgen mir.«
Ein paar der Männer wollten ihre Gewehre mitnehmen. Jacob befahl ihnen, die Waffen wieder in die Scabbards an den Sätteln zu schieben. »Wir kommen nicht als Feinde dieses Mannes, sondern als seine Freunde. Das soll er auch sehen!«
Als sie den Baum erreichten, war außer den Männern vom Treck weit und breit kein menschliches Wesen zu entdecken. Der Platz neben dem Baum erschien jungfräulich unberührt.
»Wo ist denn jetzt dein Lagerfeuer, Billy?« fragte ein wenig spöttisch Toby Cullen.
»Hier«, sagte der Scout, ging zielstrebig auf eine bestimmte Stelle zu und wischte mit der Hand den Schnee beiseite. Darunter kamen Asche und halbverbrannte Zweige zum Vorschein. Wärme stieg auf. Die Glut war noch nicht ganz verloschen.
»Noch warm, das Feuer«, stellte dann auch Sam Kelley fest. »Wer immer es angezündet hat, er muß es gelöscht haben, als er uns bemerkte. Wie hast du es entdeckt, Billy?«
»Der Fremde hat es zwar mit Schnee zugedeckt, aber die noch heiße Glut hat den Schnee unten schmelzen lassen. Die Stelle lag deutlich tiefer als die übrige Schneedecke.«
Billy sah sich gründlich um.
»Er hat seine Spuren gut verwischt, hiermit.« Er zog einen Zedernast zwischen zwei niedrigen Felsen hervor. »Aber nicht gut genug, weil er es eilig hatte. Wenn man genau hinsieht erkennt man, wo er mit dem Ast über den Schnee gewischt hat.«
»Zumindest, wenn man indianisches Blut in sich hat«, meinte Custis in einem anerkennenden Tonfall. »Und dumme Weiße« - er blickte in die Runde - »und Schwarze hätte Mondauge sicher getäuscht. Aber mit dir hat er nicht gerechnet, Billy. Wohin ist er gegangen?«
Der Scout zeigte zur Himmelsnadel.
»In die Felsen.«
»Dort gibt es allerdings eine Menge Verstecke«, seufzte Sam Kelley und sah Jacob an. »Wie gehen wir die Sache an?«
»Wie das höfliche Leute tun«, antwortete der junge Treck-Captain. »Wir stellen uns bei Mondauge vor.«
Er legte die Hände trichterförmig an den Mund und rief laut: »Mondauge, wir sind deine Freunde. Wir wollen dir nichts Böses tun. Wir brauchen deine Hilfe. Dein weißer Freund, der Einauge erlegt hat, hat uns zu dir gesandt. Seine Tochter ist bei uns. Zeige dich. Wir werden dir nichts tun, Mondauge!«
»Eine lange Rede«, knurrte Cullen. »Ich bezweifle allerdings, daß sie uns weiterbringt. Vielleicht hat der Rote längst die Flucht ergriffen und hört uns gar nicht. Jedenfalls antwortet er Ihnen nicht, Captain.«
Jacob glaubte, in den Worten des Barbiers eine Spur von Befriedigung mitschwingen zu hören.
»Er wird Zeit brauchen, um sich ein Urteil zu bilden«, erwiderte der Deutsche. »Wenn Ihnen auf einmal zwanzig Fremde in der Wildnis gegenüberstünden, wären Sie auch vorsichtig, Cullen. Ich glaube, er ist noch in der Nähe.«
»Das ist er bestimmt«, meinte Billy.
»Wie kommst du darauf?« fragte Custis.
»Er wird uns beobachten, um herauszufinden, was wir wollen. So würde ich es machen.«
»Pah«, machte Cullen mit einer wegwischenden Handbewegung. »Indianer sind unberechenbar!«
»Wieso gehen wir eigentlich immer davon aus, daß.«, begann Sam Kelley, wurde aber durch eine gutturale Stimme unterbrochen, die laut in seine Rede schnitt.
Es war die Sprache des weißen Mannes, aber sie kam unverkennbar aus dem Mund eines Menschen, dessen Muttersprache es nicht war.
»Mondauge hat deine Worte gehört, Fremder«, erscholl es von irgendwo aus dem Felslabyrinth. »Wie ist dein Name?«
»Adler«, sagte Jacob nach kurzem Überlegen auf englisch. Sein Vorname würde dem Indianer kaum etwas sagen, aber den Namen des Greifvogels kannte er gewiß.
»Das ist ein guter Name«, meldete sich der Unsichtbare wieder. »Der Adler ist ein stolzes, starkes und mächtiges Tier. Er zieht für alle sichtbar am Himmels seine Kreise und muß sich vor niemandem verstecken. Denn er ist ohne Falsch. Bist du auch ohne Falsch, Mann namens Adler?«
»Ja, das bin ich.«
»Wie kann Mondauge das glauben? Ihr seid viele und habt Feuerwaffen.«
»Ich werde allein zu dir kommen, Mondauge. Allein und ohne Waffen.«
Einen Augenblick herrschte Schweigen.
Dann rief die gutturale Stimme: »Mondauge ist einverstanden. Der Adler soll zu ihm kommen.«
»Wie finde ich dich?«
»Geh einfach auf die Himmelsnadel zu. Mondauge wird den Adler finden.«
»Gut, Mondauge. Ich komme zu dir.«
Jacob schnallte den Waffengurt mit dem schweren Army Colt ab und reichte ihn Sam Kelley. Nach kurzem Zögern zog er auch das Bowiemesser aus der Scheide an seinem Gürtel und gab es dem Schmied.
»Sind Sie sicher, daß Sie das Richtige tun, Jacob?« fragte der Schwarze und warf einen zweifelnden Blick in die Felsen. »Vielleicht ist es eine Falle.«
»Was sollte Mondauge gegen uns haben? Wir brauchen seine Hilfe und müssen sein Vertrauen gewinnen, nicht er unseres.«
Cullen legte die Hand auf den Revolver, der eine Tasche seiner flauschigen Büffelfelljacke ausbeulte.
»Wir folgen Ihnen in einem gewissen Abstand, Captain. Wir bilden eine weit auseinandergezogene Kette. Und wenn sich der Rote zeigt, schnappen wir ihn!«
Jacobs Augen funkelten den Barbier böse ein.
»Nein, Cullen! Niemand wird mir folgen. Und niemand wird seine Waffe auf Mondauge richten. Das ist ein Befehl!«
Er sah Sam Kelley an.
»Sam, Sie übernehmen das Kommando während meiner Abwesenheit. Wenn irgend jemand mir folgen will oder seine Hand zu nah an seinen Revolver bringt, schlagen Sie ihn ohne Vorwarnung nieder!«
»Wird mir ein Vergnügen sein, Captain«, versprach der muskulöse Schmied mit einem breiten Grinsen, wobei er Cullen ansah.
Mit gemischten Gefühlen machte sich Jacob auf den Weg und kletterte zwischen den Felsen hindurch. Der Schnee machte die Steine glatt und rutschig, weshalb sich der junge Deutsche oft abstützen mußte.