158192.fb2
Die Straße befand sich in einem heruntergekommenen Viertel Havannas; einem jener Viertel, in dem die Straßen breit, aber nicht asphaltiert waren, so daß sie sich bei jedem Regen in einen schlammigen Pfad verwandelten, an dem die meisten Häuser klein und aus Holz erbaut waren und mehr von den Gebeten ihrer Bewohner als von der handwerklichen Kunst ihrer Erbauer (die meist identisch waren) zusammengehalten wurden und früher einmal vielleicht weiß gewesen waren, im Laufe der Jahre aber die gleiche Farbe angenommen hatten wie die Menschen, die sie bewohnten: schwarz. Es war eine jener Straßen, die man nach Dunkelwerden mied; und am liebsten auch am Tage. Obwohl die Häuser zu beiden Seiten dicht an dicht standen, sahen sie nur wenige Menschen — hier und da lugte ein Gesicht aus einem Fenster, manchmal blitzte ein hellblaues Augenpaar in einem ebenholzschwarzen Gesicht auf, das ansonsten mit den Schatten verschmolz, aus denen es sie beobachtete.
Das Gebäude stand ganz am Ende dieser Straße, und es paßte so wenig in diesen Teil der Stadt, wie eine der ärmlichen Bretterbuden ringsum ins Herz von Manhattan gepaßt hätte. Mit seinen weißen Arkaden, den mannsdicken Säulen beiderseits des Eingangs und den großen, bleigefaßten Fenstern sah es eher aus wie eines jener luxuriösen Hotels der Kolonialzeit als ein Museum. Trotzdem war es genau das — jedenfalls behauptete das das kleine Messingschildchen neben der Tür.
«Was suchen wir hier überhaupt?«fragte Indiana. Nachdem der Wagen sie bis in die Stadt mitgenommen hatte, waren sie noch eine gute Dreiviertelstunde zu Fuß gegangen, und Joana hatte sich mehrmals an Passanten und Polizisten gewandt, um nach dem Weg zu fragen; offensichtlich war auch sie nie zuvor selbst hier gewesen. Seine Überzeugung, daß es richtig gewesen war, sich Joanas Führung anzuvertrauen, war im gleichen Maße geschwunden, wie der Ausdruck von Unsicherheit auf ihrem Gesicht zugenommen hatte. Und Indiana war auch das erleichterte Aufatmen Joanas nicht entgangen, als das Gebäude schließlich vor ihnen auftauchte. Obwohl sie sich Mühe gab, sich nichts anmerken zu lassen, spürte Indiana deutlich, daß sie sich in dieser Gegend ebenso unwohl fühlte wie er.
«Das werden Sie schon noch sehen, Dr. Jones«, antwortete sie nervös und erst nach einigen Sekunden.
Allmählich reichte es Indiana. Joana wollte auf die Tür zugehen, aber er streckte rasch den Arm aus und hielt sie mit einer groben Bewegung zurück.
«Jetzt langt’s, mein Kind!«sagte er streng. Joana wollte sich losreißen, aber Indiana hielt sie eisern fest.
«Du hast jetzt genau zwei Möglichkeiten«, sagte er ernst und deutete auf die Tür.»Entweder, du hörst mit dem Unsinn auf und erzählst mir jetzt, was das alles wirklich zu bedeuten hat, oder du kannst allein dort hineingehen und sehen, wieweit du kommst.«
«Ohne mich …«
«Suche ich mir ein gemütliches Hotel, in dem ich die nächsten beiden Tage verbringe und darauf warte, daß Josés Schiff einläuft«, unterbrach sie Indiana, ruhig, aber in einem Tonfall, der klarmachte, wie ernst er seine Worte meinte.»Ich werde schon herausfinden, was das alles zu bedeuten hat. Glaub mir, Kleines. Ich habe eine gewisse Erfahrung in solchen Dingen.«
Joana sah ihn abschätzend an. Ihre Augen funkelten noch immer zornig, aber sie hatte begriffen, daß er diesmal nicht nachgeben würde.»Das tun Sie ja doch nicht«, sagte sie schließlich. Aber es klang nur noch trotzig, nicht mehr überzeugt.
«Und ob ich das tue«, erwiderte Indiana grimmig.»Ich bin es nämlich allmählich leid, immer tiefer in eine Geschichte hineingezogen zu werden, von der ich nicht einmal weiß, worum es geht, und mit der ich vermutlich überhaupt nichts zu tun habe. Meinetwegen geh dort hinein und spiel allein Räuber und Gendarm. Ich fürchte nur, du wirst nicht allzulange allein bleiben«, fügte er nach einer winzigen, genau bemessenen Pause hinzu.
«Die beiden Herrschaften, denen wir das Flugzeug geklaut haben, versuchen garantiert nicht, den Weg bis hierher zu schwimmen. Und sie dürften alles andere als guter Laune sein, wenn sie dich wiedersehen.«
Diesmal fuhr Joana sichtlich betroffen zusammen und sah rasch nach rechts und links, als erwartete sie, die beiden Indios wie auf ein Stichwort hinter der nächsten Ecke auftauchen zu sehen.
«Also?«
Joana zögerte noch einen Moment, aber schließlich nickte sie abgehackt und biß sich wieder auf die Unterlippe.»Ich suche … Professor Norten«, sagte sie schließlich.»Er ist der Leiter dieses Museums. Er war ein Freund meines Vaters.«
«Und?«fragte Indiana barsch.
«Er wird uns … weiterhelfen«, antwortete Joana stockend, wobei sie weiter auf ihrer Unterlippe herumkaute und Indiana abschätzend ansah. Offenbar überlegte sie, wieviel sie ihm erzählen mußte, um seine Neugier zu befriedigen; gleichzeitig aber auch, wie wenig, um nicht mehr als unbedingt nötig zu verraten.
«Und weiter?«fragte Indiana, mühsam beherrscht.
«Er hat auch einen dieser Anhänger«, rückte Joana schließlich mit der Sprache heraus.
«Eine Kette mit einem Quetzalcoatl-Anhänger?«vergewisserte sich Indiana.»Es gibt noch mehr davon?«
«Ja«, sagte Joana einsilbig.
«Wie viele gibt es insgesamt?«wollte Indiana wissen.
«Das weiß ich nicht«, antwortete Joana.»Wirklich. Das ist die Wahrheit. Ich hab’ keine Ahnung«, fügte sie hastig hinzu.»Aber Norten weiß es. Ich habe ihn einmal mit Vater über die Kette reden hören. Ich konnte nicht genau verstehen, worum es ging. Wenn ich ehrlich sein sollte, interessierte es mich damals auch nicht besonders. Aber es klang sehr wichtig. Die beiden taten ungeheuer geheimnisvoll. Und ich glaube, daß … José wahrscheinlich zu ihm will.«
Indiana zögerte. Er hatte immer noch das Gefühl, daß das Mädchen ihm nicht ganz die Wahrheit sagte, aber er spürte auch, daß er im Moment nicht mehr aus ihr herausbekommen würde.
Er ließ ihren Arm los und unterdrückte den Impuls, sich zu entschuldigen, als er sah, wie sie die Hand hob und sich ihr schmerzendes Gelenk rieb. Sein Griff war fester gewesen als nötig. Es tat ihm leid, daß er so grob zu Joana gewesen war — aber sie mußte allmählich begreifen, daß vielleicht ihr beider Leben davon abhing, daß er die ganze Geschichte kannte.
«Also gut«, sagte er, noch immer im gleichen, bewußt unfreundlichen Tonfall.»Dann gehen wir und unterhalten uns mit diesem Professor Norten.«
Joana schenkte ihm noch einen feindseligen Blick, aber sie sagte nichts mehr, sondern drehte sich mit einem Ruck herum und stieß die Museumstür auf.
Das Innere des Gebäude bestätigte den ersten Eindruck, den Indiana gehabt hatte: Hinter der Tür erstreckte sich eine weitläufige, in schwarzweißem Schachbrettmuster geflieste Halle, von der mehrere Türen und eine gewaltige Treppe aus weißem Marmor abgingen. Zur Linken gab es sogar noch die alte Rezeption. Hinter der Theke befanden sich jedoch jetzt keine Schlüsselbretter und Postfächer mehr, sondern zwei große Glasvitrinen, in denen Handwerks- und Kunstgegenstände ausgestellt waren. Mehrere andere Vitrinen erhoben sich dort, wo früher, als dieses Haus wirklich ein Hotel gewesen war, kleine Sessel und Tische gestanden haben mochten.
Indiana sah sich neugierig um. Die Halle war völlig leer, und im Haus herrschte ein so vollkommenes Schweigen, daß es ihm im ersten Moment fast unheimlich vorkam.»Scheint niemand da zu sein«, sagte er enttäuscht.
«Das macht nichts«, antwortete Joana.»Ich weiß, wo Nortens Zimmer ist. «Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf die Treppe.
«Du warst schon einmal hier?«
Joana schüttelte den Kopf.»Nein. Aber der Professor hat mir Bilder gezeigt und mir alles erklärt. Er ist sehr stolz auf dieses Museum. Ich glaube, er hat es fast ganz allein aufgebaut. Das hier war einmal ein Hotel, weißt du? Es ging pleite und hat jahrelang leergestanden und war in einem erbärmlichen Zustand, als Norten es gekauft hat.«
Indiana hörte kaum hin.
Die Stille gefiel ihm nicht. Er kannte Orte wie diesen. Er war in Museen praktisch aufgewachsen und hatte mehr Zeit darin verbracht als andere in ihrem ganzen Leben. Aber es war nicht die ehrfürchtige Ruhe eines Museums, die ihnen hier entgegenschlug. Irgend etwas … fehlte. Dieses ganze Gebäude schien ausgestorben, tot. Ohne ein weiteres Wort folgte er Joana, die bereits die Treppe erreicht hatte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, nach oben lief.
Die unheimliche Stille, die das Gebäude erfüllte, setzte sich auch hier oben fort. Aus den Hotelzimmern waren, indem man immer vier, fünf der ehemals kleinen Räume zusammengefaßt hatte, drei lichtdurchflutete Säle geworden, die das gesamte obere Geschoß des Gebäudes einnahmen und mit Schränken und gläsernen Vitrinen angefüllt waren. Unter normalen Umständen wäre Indiana vermutlich hier und da einmal stehengeblieben, um einen Blick auf eine Auslage oder ein besonders interessantes Stück zu werfen. Aber jetzt verschwendete er nicht einmal einen Gedanken daran, sondern lief mit weit ausgreifenden Schritten hinter Joana her. Er spürte einfach, daß hier irgend etwas … nicht stimmte. Er wollte so schnell wie möglich hier wieder hinaus. Das allein war alles, was ihn im Moment interessierte.
Am Ende des dritten Saales blieb Joana stehen und öffnete eine Tür, die zwischen zwei Vitrinen verborgen war. Für jemanden, der angeblich noch nie hiergewesen war, kannte sie sich verdammt gut aus, fand Indiana. Aber er behielt auch das für sich und trat rasch hinter ihr in den angrenzenden Raum.
Und blieb überrascht stehen.
Das Zimmer war sehr viel kleiner als die davorliegenden Säle, und es war eine Mischung aus Büro, Salon und Museum. Aber die Ausstellungsstücke unterschieden sich total von denen, die sie draußen gesehen hatten.
Jedes einzelne Stück war sorgsam hinter Glas verborgen. Da gab es gewaltige, in grellen Farben schimmernde Federkopfschmucke, Dolche und kurze Schwerter aus rasiermesserscharf geschliffenem Obsidian, die in kunstvoll gearbeiteten Lederscheiden steckten; sonderbar geformte Streitäxte mit gebogenen Enden, die an die Schnäbel großer Vögel erinnerten; eine gewaltige Anzahl von Schmuckstücken, die fast allesamt aus Gold gefertigt waren; Tonscherben und Krüge; geflochtene Bastkörbe und buntbemalte Totenmasken. An der Wand über dem Schreibtisch hing eine originalgroße Kopie des berühmten Maya-Kalenders, und neben dem Fenster stand eine Schaufensterpuppe, die einen bunten Kopfschmuck und einen prachtvollen, rot und grün gemusterten Federmantel trug: Das Zeremoniengewand eines Maya-Priesters.
Alles hier drinnen hatte irgendwie mit den Mayas zu tun. Es mußte eine der größten — und vermutlich auch wertvollsten — Sammlungen sein, die es auf diesem Gebiet gab. In einer Stadt wie Mexico City zum Beispiel hätte der Anblick Indiana zwar beeindruckt, aber kaum überrascht — aber hier?
«Was ist das?«fragte er erstaunt.
«Professor Nortens Privatsammlung«, antwortete Joana. Sie war wie er stehengeblieben und sah sich staunend um, wirkte aber gleichzeitig auch ein wenig enttäuscht; vermutlich, weil sie Norten nicht hinter dem Schreibtisch vorgefunden hatte, wie sie wohl erwartet hatte.
«Die Mayas sind sein Hobby. Genau wie das meines Vaters. Die beiden haben nächtelang zusammengehockt und über nichts anderes geredet.«
Indiana blieb skeptisch. Das hier war mehr als ein Hobby. Was Norten hier zusammengetragen hatte, das mußte nicht nur die Ausbeute ganzer Generationen von Archäologen und Schatzsuchern sein, es war auch unvorstellbar wertvoll. Der Großteil des Schmuckes hier war zweifellos echt. Allein der rein materielle Wert des Goldes mußte in die Millionen gehen, vom wissenschaftlichen Wert der Sammlung ganz zu schweigen.
«Beeindruckend«, sagte Indiana. Seine Stimme war zu einem fast ehrfurchtsvollen Flüstern herabgesunken. Das, was er hier sah, das ließ sein Archäologenherz höher schlagen; aber er begriff auch im gleichen Moment, daß hier irgend etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Es war nicht so, daß er auch nur eine Sekunde an der Echtheit der ausgestellten Objekte zweifelte — ganz im Gegenteil: Er wußte einfach, daß jedes einzelne dieser Teile echt und einmalig war, daß jedes der ausgestellten Schmuckstük-ke unermeßlich wertvoll, daß jedes der sorgsam drapierten Kleidungsstücke vor tausend Jahren wirklich von einem Maya-Priester getragen, daß jede der Waffen wirklich benutzt worden war.
Aber sie gehörten nicht hierher. Nicht in dieses unscheinbare, winzige Privatmuseum, von dessen Existenz so gut wie niemand wußte und das jedem Kunsträuber der Welt wie eine Eintrittskarte ins Paradies vorkommen mußte.
Nichts hier war irgendwie gesichert. Die Vitrinen bestanden aus normalem Glas, und Indianas kundiges Auge entdeckte nirgendwo Spuren einer Alarmanlage. Einige der Waffen und Zeremoniengeräte — obschon zum Teil aus purem Gold! — lagen offen auf blauen und roten Samtkissen. Jeder, der hier hereinkam, brauchte nur die Hand auszustrecken und sich zu bedienen!
«Das ist … unfaßbar«, murmelte Indiana.
Joana nickte ein paarmal. Ihre Augen leuchteten.»Ja«, sagte sie.»Es ist phantastisch, nicht?«
Indiana sah sie einen Herzschlag lang verwirrt an, ehe er überhaupt begriff, was sie meinte. Dann schüttelte er den Kopf.»Ich meine nicht die Sammlung«, sagte er.»Oder doch — aber nicht nur. Sie ist phantastisch, aber wieso … liegt das Zeug einfach so hier herum?«Er sah sich demonstrativ in der Runde um.»Und wieso ist hier niemand?«
Joana zuckte mit den Achseln.»Das verstehe ich auch nicht«, sagte sie.»Normalerweise sind immer ein oder zwei Museumsangestellte hier.«
«Und eine ganze Armee von Wächtern«, vermutete Indiana.
Joana nickte erneut.»Norten hat einen alten Mann, der abends kommt und auf einem Feldbett unten in der Halle schläft.«
Indiana riß ungläubig die Augen auf.»Einen Nachtwächter?«
«Sicher«, antwortete Joana in leicht verwirrtem Tonfall.»Jedes Museum hat einen Nachtwächter, oder?«
Indiana starrte sie eine Sekunde lang ungläubig an, dann drehte er sich noch einmal im Kreis und blickte fassungslos auf die ausgestellten Stücke.»Und hier ist … noch nie etwas gestohlen worden?«fragte er.
«Soviel ich weiß, nicht«, antwortete Joana.»Aber jetzt, wo du es sagst …«Sie schwieg einen Moment und zuckte schließlich mit den Achseln.»Vielleicht weiß einfach niemand von diesem Museum.«
Diese Erklärung überzeugte Indiana nicht im mindesten. Aber sie klang auch kein bißchen weniger unlogisch als alle anderen, die er hätte finden können.
«Wieso ist niemand hier?«murmelte er.
Unschlüssig machte er ein paar Schritte, rief zwei-, dreimal deutlich» Hallo?«und trat schließlich an eine der Glasvitrinen heran. Auf blauem Samt lag unter der Scheibe ein massiver Armreif aus purem Gold, der mit daumennagelgroßen Rubinen besetzt war. Indiana war kein Spezialist für präkolumbianische Kunst, aber er schätzte, daß dieses Stück allein unter Sammlern mehrere zehntausend Dollar wert sein mußte. Er verstand immer weniger, was hier vorging. Hinter ihm schrie Joana spitz und gellend auf. Indiana fuhr herum — und erstarrte. Wie er hatte Joana sich einer der Vitrinen genähert, wohl, um eines der ausgestellten Stücke in die Hand zu nehmen und eingehender zu betrachten. Was sie jedoch in den Fingern hielt, das war kein Schmuckstück, sondern etwas Dünnes, sich Windendes von giftgrüner Farbe.»Rühr dich nicht!«sagte Indiana entsetzt.»Keine Bewegung! Bleib ganz still stehen!«Vorsichtig und in einem weiten Bogen um Joana herumgehend, um nicht ins Blickfeld des Tieres zu geraten und es vielleicht durch eine hastige Bewegung zum Zubeißen zu provozieren, näherte er sich dem Mädchen. Joana stand da wie zur Salzsäule erstarrt, kreideweiß, mit angstvoll aufgerissenen, dunklen Augen und fest aufeinandergepreßten Lippen. Aber sie bewegte sich nicht. Nicht einmal ihre Finger zitterten, obwohl die Schlange jetzt langsam über ihre Hand kroch und sich wie ein bizarres, lebendes Schmuckstück um ihr Gelenk zu winden begann. Ihre winzigen, kaum stecknadelkopfgroßen Augen schienen das Mädchen spöttisch zu mustern, als spüre sie seine Angst und amüsierte sich darüber. Ihre gespaltene Zunge bewegte sich nervös, und obwohl Indiana wußte, daß es unmöglich war, glaubte er, ihre winzigen Giftzähne wie kleine spitze Nadeln aufblitzen zu sehen.
«Keine Bewegung!«flüsterte er noch einmal, während er selbst ganz langsam die Hand zum Gürtel senkte und den Dolch zog. Sein Herz begann zu klopfen. Er spürte, wie sich sein Magen zu einem festen, harten Knoten zusammenzog, und unter seiner Zunge sammelte sich saurer Speichel, so daß er immer heftiger schlucken mußte. Kalter Schweiß brach ihm aus, und jedes einzelne Haar auf seinem Körper schien sich zu sträuben.
Seine Angst war fast übermächtig. Spinnen, Ratten, Krokodile oder Löwen — es gab kaum ein Tier, vor dem Indiana Jones Angst hatte. Vor vielen hatte er ein gesundes Maß an Respekt, aber Angst hatte er nur vor Schlangen. Ihr Anblick lähmte ihn, sprach etwas in seinem Unterbewußtsein an, auf das er keinen Einfluß hatte und das stärker war als sein logisches Denken, und es war gleich, ob es sich um eine harmlose Blindschleiche oder eine Tigerpython handelte. Der überraschende Anblick einer Schlange hatte schon mehr als einmal ausgereicht, Dr. Indiana Jones wie eine hysterische Jungfer aufspringen und schreien zu lassen.
Und auch jetzt wünschte er sich nichts mehr, als herumzufahren und aus dem Zimmer und aus dem Haus und am besten gleich aus der Stadt zu stürmen, um soviel Entfernung wie nur möglich zwischen sich und das winzige, hellgrüne Tier zu legen. Aber wenn er auch nur eine einzige hastige Bewegung machte, dann würde diese Schlange zubeißen, und Joana wäre tot, noch bevor sie überhaupt Zeit fände, den Schmerz zu spüren.
«Beweg dich nicht!«flüsterte er zum dritten Mal.»Ganz egal, was passiert!«Langsam, unendlich langsam, Zentimeter für Zentimeter, näherte sich seine Hand mit dem Messer Joanas Arm.
In Joanas Gesicht zuckte ein Muskel, als der kalte Stahl ihre Haut berührte, aber sie bewies ein erstaunliches Maß an Selbstbeherrschung und stand auch jetzt noch völlig erstarrt da. Ganz, ganz langsam schob Indiana das Messer an ihrem Unterarm herab und auf die Schlange zu. Seine eigenen Hände zitterten vor Aufregung, und sie waren so feucht vor Schweiß, daß er das Messer fest gegen Joanas Arm pressen mußte, um es ruhig zu halten, bis es den Kopf der Schlange erreicht hatte. Das winzige Tier musterte den blinkenden Stahl aus seinen kurzsichtigen Augen neugierig, machte eine Bewegung, als wolle es darüber hinwegkriechen, und zog sich dann wieder zurück. Indiana drehte die Messerklinge blitzschnell um neunzig Grad herum und riß sie in die Höhe. Er fügte Joana dabei einen tiefen Schnitt ins Handgelenk zu, aber die Schlange wurde enthauptet und fiel von Joanas Arm hinunter auf den Boden, wo sich ihr Körper noch einen Moment lang wand.
Joana taumelte keuchend zurück, preßte die linke Hand auf den blutenden Schnitt in ihrem Gelenk und blickte Indiana mit einer Mischung aus Erleichterung und Angst an. Jedes andere Mädchen an ihrer Stelle wäre jetzt vielleicht hysterisch geworden, hätte geschrien oder wenigstens einen Schmerzlaut von sich gegeben, denn der Schnitt mußte wirklich sehr tief sein, wie Indiana bestürzt erkannte: Zwischen ihren Fingern quoll hellrotes Blut hervor und zeichnete ein bizarres Muster auf ihre Hand, ehe es zu Boden tropfte. Aber Joana starrte ihn nur an.»Was … war das?«fragte sie schließlich.
Indiana blickte schweigend auf den winzigen grünen Schlangenkörper hinab, der sich noch immer vor seinen Füßen wand.»Eine Schlange«, murmelte er angeekelt.
«Das weiß ich auch«, sagte Joana. Ihre Stimme begann nun doch zu zittern, und Indiana begriff, daß sie den wirklichen Schrecken vermutlich erst jetzt spürte.»Ich meine … war sie … giftig?«
Indiana löste den Blick von dem Schlangenkörper und sah Joa-na fest an.»Du hast dich verdammt tapfer gehalten«, sagte er.
Joana lächelte verkrampft.»Ich war einfach gelähmt vor Schreck«, gestand sie.»War sie giftig?«
«Ich weiß es nicht«, sagte Indiana nach kurzem Zögern.
In die Furcht in Joanas Blick mischte sich etwas anderes, und er beeilte sich hinzuzufügen:»Eine Menge Schlangen sind giftig, nicht? Es ist besser, man geht auf Nummer Sicher.«
Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Indiana Jones fürchtete nichts auf der Welt so sehr wie Schlangen, aber vielleicht war gerade das der Grund, aus dem er sie auch besonders gut kannte. Das so harmlos aussehende, kaum dreißig Zentimeter messende Reptil war nichts anderes als eine grüne Mamba gewesen, eine der giftigsten Schlangen der Welt. Hätte sie zugebissen, dann wäre Joana binnen zwei oder allerhöchstens drei Sekunden gestorben. Aber er hatte das sichere Gefühl, daß es besser war, dem Mädchen das jetzt nicht zu sagen.
Joanas Augen weiteten sich.»Soll das heißen, du … du weißt nicht einmal, ob sie giftig war?«
Indiana schüttelte den Kopf.
«Du hast mir den größten Schrecken meines Lebens eingejagt und mich fast erstochen, nur weil es besser ist, sicherzugehen?«vergewisserte sich Joana, und plötzlich hörte Indiana einen eindeutig drohenden Unterton in ihrer Stimme.
«Ich glaube, sie ist giftig«, sagte er hastig.»Ich bin sogar sicher. Ich würde mich nicht wundern, wenn diese netten Tiere der Vorstellung dieses sonderbaren Professor Norten von einer preiswerten Einbruchssicherung entsprächen.«
In Joanas Augen blitzte pure Mordlust auf, aber sie sagte zu Indianas Überraschung nichts, sondern zog nur die Hand von ihrem Gelenk. Die Wunde war tiefer, als Indiana geglaubt hatte, und sie blutete immer noch heftig.
«Es tut mir leid«, sagte er.»Ich wollte dich nicht verletzen. «Er sah sich nach irgend etwas um, das er als Verband benutzen konnte, und begann schließlich in seinen Taschen zu kramen.
«Wo ist sie überhaupt hergekommen?«fragte er.»Hast du sie nicht gesehen?«
Joana deutete mit ihrer blutigen linken Hand auf die offenstehende Vitrine.»Nein. Sie muß dort drinnen gewesen sein.«Ärgerlich runzelte sie die Stirn.»Ich glaube fast, du hast recht. Irgend jemand muß sie dort hineingesetzt haben.«
«Vermutlich«, sagte Indiana, während er weiter heftig in seinen Taschen grub.»Aber wenn, dann werde ich ein paar Worte mit Norten wechseln müssen. So etwas grenzt an Mord.«
«Was suchst du überhaupt?«erkundigte sich Joana.
«Ein Taschentuch«, antwortete Indiana.»Oder etwas Ähnliches. Der Schnitt muß verbunden werden.«
Joana beugte sich vor, streckte die Hand nach ihrem Rocksaum aus und zog sie dann wieder zurück.»Reiß einen Streifen von meinem Unterrock«, sagte sie.»Wenn ich es selbst mache, mach’ ich das ganze Kleid blutig.«
Indiana trat auf sie zu, ließ sich auf die Knie sinken, streckte die Hände aus — und zögerte.»Bist du sicher …?«begann er verlegen.
«Stellen Sie sich nicht so an, Dr. Indiana Jones«, antwortete Joana spöttisch.»Sagten Sie nicht vorhin selbst, Sie könnten mein Vater sein?«
«Nun ja«, begann Indiana.»Aber …«
«Dann mach schon, Onkel Indy«, unterbrach ihn Joana. Obwohl sie große Schmerzen haben mußte, lachte sie.»Oder hast du zu große Hemmungen, einem kleinen Mädchen unter den Rock zu greifen?«
Indiana runzelte ärgerlich die Stirn, antwortete aber nicht darauf, sondern schob ihren Rock mit beiden Händen bis weit über die Knie nach oben und versuchte, den Saum ihres Unterrocks abzureißen. Der Stoff war widerstandsfähiger, als er erwartet hatte. Einen Moment lang zerrte er vergeblich mit aller Kraft daran, dann senkte er die Hand wieder zum Gürtel, um das Messer erneut zu ziehen.
Hinter ihm erklangen das Zuschlagen einer Tür und ein überraschter Ausruf, und Indiana zuckte erschrocken zusammen, verlor durch die abrupte Bewegung die Balance und fiel halb nach vorn zwischen Joanas Knie. Er fing den Sturz im letzten Moment mit beiden Händen auf, drehte sich überhastet wieder herum und verhedderte sich prompt in Joanas Unterrock.
Von der Tür her erscholl eine schrille, vorwurfsvolle Frauenstimme, die etwas auf spanisch sagte, das Indiana nicht verstand, und als es ihm endlich gelungen war, sich aus dem Durcheinander zu befreien und Joanas Rocksaum über das Gesicht nach oben zu schieben, da blickte er direkt in das Gesicht einer vielleicht fünfzigjährigen, übergewichtigen Matrone, die unter der Tür stand und abwechselnd Joana und ihn mit einer Mischung aus Entsetzen, Unglauben und heiligem Zorn anstarrte.
«Hallo«, sagte er verlegen.»Ich hoffe, Sie ziehen jetzt keine falschen Schlüsse. Das … das ist alles nicht so, wie es vielleicht aussieht.«
Die Dicke antwortete wieder auf spanisch. Indiana verstand die Worte nicht, aber ihr Klang und der sie begleitende Blick machte klar, daß sie garantiert nicht verstanden hatte, was er gesagt hatte. Einen Moment lang blickte sie Joana und ihn noch vorwurfsvoll an, dann kam sie mit kleinen, trippelnden Schritten auf sie zu, begann heftig mit den Händen zu gestikulieren und überschüttete sie beide mit einem schrillen Wortschwall, von dem Indiana nur einen Bruchteil verstand. Aber das, was er verstand, reichte vollkommen.
Er versuchte abermals aufzustehen, glitt prompt wieder aus und verlor diesmal vollends den Halt, so daß er nun genau zwischen Joanas Beine stürzte. Joana lachte leise und machte einen hastigen Schritt zur Seite, wobei sie ihm mit dem Absatz eine kräftige Schramme an der Schläfe verpaßte und ihm den Hut vom Kopf riß. Die dicke Spanierin kam, mit beiden Armen fuchtelnd und mit immer schrillerer, fast überschnappender Stimme, keifend auf sie zu, baute sich drohend über Indiana auf und stemmte die Fäuste in die Fettpolster, die sie für ihre Hüften hielt. Ihr Gesicht flammte vor Zorn.
«Hören Sie«, sagte Indiana.»Ich weiß, das sieht bestimmt alles sehr seltsam aus, aber …«
Die Dicke hörte gar nicht zu, sondern überschüttete ihn mit einem Schwall von Beschimpfungen und Vorwürfen — und brach dann mitten im Wort ab, als ihr Blick auf Joanas blutendes Handgelenk fiel.
«Genau!«sagte Indiana erleichtert. Hastig stand er auf und machte einen schnellen Schritt zurück, um sich vorsichtshalber aus der unmittelbaren Reichweite der Dicken zu bringen.»Ich wollte sie nur verbinden. Verstehen Sie?«Er beugte sich wieder zu Joanas Knien herab, tat so, als wollte er ihren Rock hochschieben und Stoff zerreißen, und deutete dabei gleichzeitig auf den blutenden Schnitt in ihrem Arm.
«Verband, verstehen Sie?«Die Dicke starrte ihn feindselig an. Ihre Augen wurden schmal.
«Aha«, seufzte Indiana.»Sie verstehen nicht.«
Behutsam hob er Joanas Arm an und gestikulierte mit der freien Hand, als würde er ihn verbinden.»Verband, capito?«
Nein, die spanische Zweizentnerdame verstand ganz offensichtlich nichts. Indiana seufzte erneut, entschied sich, das einzige zu tun, was er tun konnte — nämlich sie zu ignorieren — und ließ sich abermals neben Joana auf die Knie sinken. Als er das Messer hob, um den Saum ihres Unterrockes zu zerteilen, legte die Dicke wieder auf spanisch los, und Joana antwortete in der gleichen Sprache.
Indiana blickte erstaunt auf.»Du verstehst sie?«
«Ja. Willst du wissen, was sie gesagt hat?«
Indiana nickte.
«Wörtlich — oder sinngemäß?«Joana lächelte flüchtig.»Sinngemäß hat sie gesagt, du sollst den Unsinn lassen. Sie geht und holt Verbandszeug.«
Indiana blickte unsicher zu der Dicken auf, die wie ein Racheengel über ihm stand und noch immer auf ihn herabblickte, als überlege sie ernsthaft, sich mit ihren ganzen zwei Zentnern Lebendgewicht auf ihn zu stürzen. Aber dann beließ sie es bei einem finsteren Blick, drehte sich auf dem Absatz herum und stampfte aus dem Raum. Indiana stand auf und steckte das Messer wieder weg. Verwirrt blickte er die Tür an, durch die die Dik-ke verschwunden war. Er hörte sie irgendwo im Nebenzimmer lautstark rumoren.»Kennst du diese Frau?«
Joana nickte.»Consuela. Sie ist Nortens …«Sie suchte einen Moment nach den richtigen Worten und zuckte schließlich mit den Achseln.»Sie sieht hier ab und zu nach dem Rechten. Räumt auf, putzt Staub, bringt ihm etwas zu essen … Alles, was eben so anfällt. Ich kenne sie schon, solange ich lebe.«
«Dann solltest du ihr vielleicht erklären, was hier wirklich … ich meine, was wir eben nicht …«
Indiana begann zu stottern und spürte selbst, wie ihm die Röte ins Gesicht schoß, als er das schadenfrohe Grinsen in Joanas Gesicht sah.
«Ja?«fragte sie harmlos.
Consuelas Rückkehr bewahrte Indiana davor, antworten zu müssen. Die Spanierin brachte einen zerschrammten Rot-KreuzKasten mit, aus dem sie eine zusammengerollte Mullbinde hervorkramte, mit der sie Joanas Handgelenk geschickt, aber alles andere als sanft zu verbinden begann. Joanas Lippen zuckten ein paarmal, aber sie ertrug Consuelas Hilfe klaglos und schenkte der Spanierin sogar ein dankbares Lächeln, als sie endlich fertig war.
«Frag sie, ob sie weiß, wo Norten ist«, bat Indiana.
Joana übersetzte, und Consuela antwortete mit einem feindseligen Blick in seine Richtung in einem wahren Wortschwall und so heftig mit den Händen gestikulierend, daß es Indiana sicherer erschien, sich wieder einen Schritt zurückzuziehen.
«Was hat sie gesagt?«erkundigte er sich, als sie endlich zu Ende gekommen war und wieder herausfordernd die Fäuste in die Hüften stemmte.
«Professor Norten ist schon seit ein paar Tagen nicht mehr hier«, antwortete Joana.»Und die anderen auch nicht. Das Museum ist seit einer Woche geschlossen. Sie sind alle zu seiner Ha-cienda hinausgefahren.«
«Geschlossen?«fragte Indiana.»Die Tür war offen.«
«Das ist sie immer«, erwiderte Joana.»Ich habe dir doch gesagt — hier wird nichts gestohlen.«
Indiana warf einen schrägen Blick auf die tote Schlange, die vor der Vitrine auf dem Boden lag, und antwortete nicht.
Consuela stellte eine Frage, und Joana übersetzte:»Sie will wissen, was wir hier wollen.«
«Sag ihr die Wahrheit«, antwortete Indiana.»Sag ihr, daß wir den Professor sprechen müssen. Und frag sie, ob sie uns den Weg zu dieser Hacienda beschreiben kann.«
«Ich glaube nicht, daß sie das tut«, sagte Joana. Hörbar schadenfroh fügte sie hinzu:»Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, daß sie dir nicht traut.«
«Dann erzähl ihr irgendeine Lügengeschichte«, antwortete Indiana, während er Consuela das freundlichste Lächeln schenkte, das er zustandebrachte.»Sag ihr meinetwegen, ich wäre von einem seltenen, altperuanischen Käfer gestochen worden, und der Professor wäre der einzige, der das Gegenmittel hat.«
Joana sagte etwas auf spanisch zu Consuela, und der Gesichtsausdruck der Dicken verfinsterte sich noch weiter.»Das scheint sie mir auch nicht zu glauben«, sagte Joana fröhlich, nachdem Consuela geantwortet hatte.
«Dann erzähl ihr, ich käme in Wahrheit von der Universität New York und müßte Norten dringend sprechen. Es geht um eine Millionenspende für sein Museum.«
«Ich glaube nicht, daß das viel Sinn hat«, antwortete Joana.»Aber bitte …«Sie übersetzte, und diesmal konnte Indiana schon am Klang von Consuelas Antwort erkennen, was sie von seiner Behauptung hielt.»Sie sagt, der Professor hätte sich auf die Ha-cienda zurückgezogen, um endlich einmal ein paar Tage wohlverdienten Urlaub zu machen«, antwortete Joana.»Er hat seit Jahren keinen freien Tag mehr gehabt. Niemand darf ihn dort stören.«
«Aber wir müssen zu ihm!«sagte Indiana, einer Verzweiflung nahe. Er lächelte Consuela weiter an und sagte gepreßt:»Ich drehe ihr den Hals um, wenn sie uns nicht hilft.«
«Soll ich das auch übersetzen?«fragte Joana.
Indiana schenkte ihr einen giftigen Blick.»Mach, was du willst«, sagte er.»Aber bring sie dazu, uns den Weg zu erklären.«
Während sich Joana leiser weiter auf spanisch mit Consuela unterhielt, ging Indiana noch einmal zu dem offenstehenden Schaukasten zurück und blickte nachdenklich abwechselnd hinein und auf die tote Schlange.
Der Anblick verwirrte ihn mehr denn je. In der Vitrine gab es absolut nichts, worin die Schlange sich hätte verstecken können; sie war leer bis auf das blaue Samtkissen, auf dem einige Schaustücke lagen. Ein Tier von der giftgrünen, auffälligen Farbe dieser Mamba hätte Joana gar nicht übersehen können. Und es war im Grunde auch ausgeschlossen, daß sich die Schlange durch einen puren Zufall hierher verirrt hatte.
Ganz abgesehen davon, daß das Museum schließlich mitten in Havanna und nicht irgendwo im Dschungel stand, hatte er Joana außer der Tatsache, daß sie eines der giftigsten Tiere der Welt berührt hatte, noch etwas anderes nicht gesagt. Schlangen dieser Art kamen normalerweise in Zentralafrika vor. Das Tier hatte sich nicht hierher verirrt.
Jemand hatte es ganz bewußt hier ausgesetzt.
Plötzlich hatte er es sehr eilig, das Museum zu verlassen.
Mit nur noch mühsam unterdrückter Ungeduld wandte er sich wieder zu Joana um und wartete auf eine Gelegenheit, Consuela und sie zu unterbrechen.»Nun?«fragte er, als Joana seinen nervösen Blick bemerkte und zu ihm aufsah.
«Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, daß sie dich nicht mag, Onkel Indy«, sagte Joana fröhlich.
Indiana schenkte Consuela das herzlichste Lächeln, das er zustandebrachte, und antwortete:»Ich sie auch nicht. Aber wir müssen deinen Onkel trotzdem sprechen. Erklär ihr …«
«Das ist gar nicht nötig«, unterbrach ihn Joana.»Ich weiß, wo diese Hacienda liegt.«
Indiana blickte sie verärgert an.»Du kennst den Weg?«
«Das habe ich nicht gesagt«, antwortete Joana.»Ich weiß, wo sie liegt. Ich glaube zwar nicht, daß ich den Weg über Land finde. Aber wir können das Flugzeug nehmen.«
Indiana blickte sie zweifelnd an.»Es ist ein Wasserflugzeug«, erinnerte er sie.
«Ich weiß«, antwortete Joana spitz.»Die Hacienda liegt direkt an einem Fluß. Kein Problem, dort zu landen.«
«Dann sollten wir das tun«, sagte Indiana.»Bevor deine Freundin auf die Idee kommt, doch noch die Inquisition zu rufen und mich verbrennen zu lassen.«
«Und José?«
Indiana sah sich demonstrativ um.»Wir haben noch Zeit, ehe er hier sein kann«, antwortete er.»Und ich möchte den Besitzer dieses Etablissements zu gern kennenlernen. Ich bin sicher, er weiß mehr über das Geheimnis dieser Anhänger, als wir ahnen. Zumindest, als ich ahne«, fügte er hinzu.
Joana überging diese Spitze und zuckte mit den Achseln.»Meinetwegen«, sagte sie. Eine Sekunde lang sah sie nachdenklich auf den sauberen weißen Verband hinab, den Consuela um ihr Handgelenk gelegt hatte.»Wahrscheinlich wird er sich freuen, mich wiederzusehen«, sagte sie.»Falls er mich überhaupt noch erkennt.«
Indiana sah sie fragend an.
«Es ist ziemlich lange her, daß wir uns gesehen haben«, sagte Joana. Mit einem letzten, sehr warmen Lächeln in Consuelas Richtung drehte sie sich um und ging zur Tür, während Indiana noch einmal zurücktrat, um seinen Hut aufzuheben.
Als er ihn aufsetzte und Joana folgen wollte, sagte Consuela in akzentfreiem Englisch:»Sei bitte vorsichtig mit dem Flugzeug, Kind. Und grüß den Professor von mir.«