158193.fb2 Indiana Jones und das Geheimnis der Sphinx - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 2

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KAPITEL ZWEIMeister Sokai

In der Gefängniszelle war es düster, feucht und einsam. Seit seiner Gefangennähme auf dem Berg Hua hatte Indy nichts zu Gesicht bekommen als die Ladefläche eines Lastwagens der kaiserlichen Armee und das Innere des Gefängnisses, in das er mitten in der Nacht eingefahren war. Man hatte ihm alles abgenommen, auch seine Kleidung und Papiere, und ihm dafür nichts gegeben außer einer Uniform, die aus kaum mehr als Lumpen bestand. Was an Licht und frischer Luft die Zelle heimsuchte, stammte von einem winzigen vergitterten Fensterloch hoch oben über Indys Kopf. In diesem Gefängnis gab es keine Elektrizität. Sobald die Sonne unterging und das Licht vor dem Fenster verlosch, versank die Zelle bis zum nächsten Morgen in Dunkelheit. Nachts war es in der Zelle kalt, und wenn es regnete, spritzte das Wasser durch das offene Fenster und durchfeuchtete den Haufen Stroh, der als Bett diente.

Die Latrine bestand aus einem Topf, der einmal am Tag geleert wurde.

Indy hatte keine Ahnung, wo er sich befand oder was die Japaner mit ihm zu tun beabsichtigten. Er bekam keine anderen Gefangenen zu Gesicht. Zweimal täglich brachten ihm die Wärter eine Schale kalten Reis und eine Blechbüchse mit brackigem Wasser, und Indy war froh, dass man daran dachte, ihm überhaupt etwas zu essen zu geben. Er argwöhnte, dass sie ihn am Leben hielten, um mehr über das Innere der Schatzkammer im Grabmal zu erfahren, sonst hätten sie ihn sicher auf der Stelle erschossen.

Am fünften Tag seiner Gefangenschaft wurde er von zwei Soldaten aus seiner Zelle gezerrt. Die Soldaten unterschieden sich deutlich von den schlampigen, ungebildeten Provinzwachtposten, die ihm jeden Tag die Schale kalten Reis brachten,- diese beiden waren gepflegte Berufssoldaten mit wachem Blick. Der jüngere der beiden war glatt rasiert und besaß außergewöhnlich fein geschnittene Gesichtszüge sowie tiefschwarzes Haar, trotzdem dauerte es einen Augenblick, bis Indy merkte, dass der Soldat eine Frau war. Sie trug eine schwere Fliegermontur aus Segeltuch über einem hellbraunen Dienstanzug, und auf ihrem Kragenspiegel bemerkte Indy das gelb-rote Band eines Leutnants. Der andere Soldat war schwerer, ein paar Jahre älter und kräftig gebaut. Er war kahl, hatte ein kantiges Kinn, und die Falten um seine Augen schienen seinem Gesicht einen dauerhaft finsteren Ausdruck zu verleihen. Er trug den dunkelbraunen Overall eines Stabsoffiziers, und um seinen linken Arm befand sich ein weißes, mit dem Emblem der aufgehenden Sonne verziertes Band. Beide trugen Schirmmützen mit einem goldenen Stern auf der Stirnseite. Als diese neuen Soldaten ihn durch den Korridor schleppten, machten ihnen die regulären Wachtposten lümmelnd Platz und grüßten, vermieden es jedoch, mit ihnen in Blickkontakt zu treten. Das ist ein schlechtes Zeichen, dachte Indy. Sie warfen Indy in einen Raum, der bis auf zwei Stühle mit gerader Lehne und eine Holzbank leer war. Fenster gab es nicht, und das Licht stammte von einer unter der Decke hängenden Kerosinlampe. Der Lampendocht musste dringend gestutzt werden, und die Flamme brannte ungleichmäßig und spie Kohlenstoff durch den verrußten Zylinder Richtung Decke.

Die Soldaten pflanzten Indy unsanft auf einen der Stühle/dann stellten sie sich hinter ihn und nahmen Haltung an.

Auf der Bank lagen Indys Sachen, seine Mappe, seine Papiere, die Peitsche, das Halfter mitsamt Revolver, sogar der Elfenbeinmond.Die Kleidungsstücke waren gewaschen und gebügelt worden. Auf der anderen Seite des Raumes stand ein Mann in einem knielangen schwarzen Wettermantel. Er war jung -vielleicht fünfundzwanzig -, von mittlerer Körpergröße, schlank, hatte braune Augen und kurz geschorenes, schwarzes Haar. Seine Wangen waren schmutzverschmiert, und noch von der anderen Zimmerseite aus konnte Indy den Geruch von Benzin und Auspuffgasen riechen. Um seinen Hals hing eine Fliegerbrille, und darunter sah man einen weißen Seidenschal. Er rauchte eine Zigarette mit einer geübten Lässigkeit, die Indy an den männlichen Hauptdarsteller eines Hollywoodfilms erinnerte.

Er machte den Soldaten ein Zeichen, den Raum zu verlassen. Sie verbeugten sich und entfernten sich rückwärts gehend aus dem Zimmer.

»Geht es Ihnen gut?«

Der Mann sprach völlig akzentfreies Englisch.

»Wie man es nimmt«, antwortete Indy.

»Gut.«

Der Mann griff in die Tasche seines Wettermantels und holte beiläufig eine Schachtel Lucky Strike hervor. Er hielt Indy die

Packung hin.

»Ich rauche nicht«, sagte Indy.

»Das hatte ich auch nicht erwartet, Dr. Jones«, erwiderte der

Mann, während er die Zigaretten wieder in die Tasehe steckte. »Ich habe bei Ihren Sachen nichts gefunden, was darauf hingedeutet hätte. Andererseits ist es ziemlich üblich, im Gefängnis zu rauchen. Eine der wenigen Freiheiten, derer sich die Insassen erfreuen.«

Die Zigarette locker im Mundwinkel, stieg der Mann auf den Stuhl und stellte die Flamme der Kerosinlampe nach. Sie brannte jetzt heller, mit weniger Rauch.

Indy kniff die Augen gegen die plötzliche Helligkeit zu sammen. Er strich sich mit der Hand übers Kinn und fühlte einen Wald aus Stoppeln, der sich rasch zu einem Bart aus wuchs. »Kommen Sie zur Sache«, sagte Indy. Der Mann lächelte.

»Verzeihen Sie mir«, meinte er. »Das Ganze ist etwas unangenehm, finden Sie nicht? Ich muss mich für Ihre Behandlung entschuldigen. Ich hoffe, der Trupp, der Sie hergebracht hat, hat Ihnen keine übertriebenen Verletzungen zugefügt. Nein? Gut. Mein Name ist Meister Mishima Sokai. Ich arbeite für das Außenministerium in Tokio.« »Dann sind Sie Spion«, stellte Indy fest. »Ganz recht, und zwar ein ziemlich guter«, erwiderte Sokai mit einem Lächeln.

»Dann werden Sie mir sicher verraten können, warum Ihre Schläger mich hierher verschleppt haben«, sagte Indy. »Ich bin Professor für Archäologie an der Universität Princeton und war mit der Durchführung einer legalen wissenschaftlichen Untersuchung auf dem Berg Hua beschäftigt, als -« Sokai hob seine Hand.

»Bitte ereifern Sie sich nicht«, bat er freundlich. »Ich bin nicht leicht einzuschüchtern, außerdem weiß ich mehr über Sie als selbst Ihre Kollegen in akademischen Kreisen. Sie führen ein ziemlich faszinierendes Doppelleben. Wohin sich Dr. Jones auch begibt, der Ärger scheint ihm stets auf Schritt und Tritt zu folgen. Das kann unmöglich Zufall sein.«

»Sagen wir, ich habe dafür eine gewisse Begabung.«

»Wie wahr«, sagte Sokai. »Und ich bin mir durchaus be-wusst, dass Sie ein Bedürfnis nach Verschwiegenheit haben.«

»Da Sie über mich so viel zu wissen scheinen«, sagte Indy, »warum erzählen Sie mir nicht ein wenig über sich?« Ohne zu fragen griff er nach seinen Kleidungsstücken und zog sie vom Tisch. Sokai zog erstaunt eine Braue hoch, unternahm aber nichts, um ihn am Umziehen zu hindern.

»Davon abgesehen, dass ich in Kreisen, die dies beurteilen können, als Nippons Meisterspion gelte, bin ich Kampfpilot, ein Chutai-Führer im 24. Sentai der Luftwaffe der kaiserlichen Armee.«

»Und ich dachte schon, Sie tragen die Fliegerbrille nur zum Vergnügen.«

»Um die Wahrheit zu sagen, es hat seine Vorteile, Pilot zu sein. Man ist unabhängig von Schiffs- und Zugfahrplänen, verfügt über überlegene Feuerkraft und hat den Vorteil einer Luftaufklärung aus erster Hand.«

»Faschisten scheinen eine besondere Vorliebe für Luftfahrzeuge zu haben, habe ich herausgefunden«, erwiderte Indy. »Was sind die beiden, die gerade hinausgegangen sind? Ihre Bord- und Bombenschützen?«

»Nein, das sind die anderen Piloten in meiner Chutai«, sagte Sokai. »Leutnant Musashi und Stabsoffizier Miyamoto. Wir fliegen Ki-10-Doppeldecker-Jagdbomber vom Typ 95. Dieser Typ erreicht eine maximale Flughöhe von nahezu 10.000 Fuß, verfügt über eine Höchstgeschwindigkeit von 248 Meilen in der Stunde und ist mit zwei 7.7-Millimeter-Maschinengewehren im Bug bewaffnet.«

»Tragen Sie ein Foto davon in Ihrer Brieftasche?«

»Ich weiß Witz durchaus zu schätzen, allerdings nur, wenn man ihn sparsam einsetzt. Sie beginnen meine Geduld auf die Probe zu stellen wie ein altkluges Kind. Sorgen Sie dafür, dass sie mir nicht reißt.«

Sokai sah Indy einen Augenblick lang unverwandt an, um seiner Bemerkung Nachdruck zu verleihen, dann fuhr er fort: »Lassen Sie mich überlegen, wie lauten die Fragen, die man mir üblicherweise stellt? Ich spreche gut Englisch, weil ich im Westen erzogen wurde. Mein Vater war Ausländer, ein gaijin, ein Diplomat. Meine Mutter? Eine Geisha, die das Pech hatte, sich in ihn zu verlieben. Ich wurde, an jenem Tag des Jahres 1904 geboren, als man ihn als Spion im russisch-japanischen Krieg hinrichtete. Sie sehen also, ich bin im eigenen Land als gaijin aufgewachsen. Das hat mich zu einem großen Verehrer amerikanischer Filme, amerikanischer Zigaretten und amerikanischer Kleidung gemacht.« »Aber Ihre politische Einstellung ist entschieden kaiserlich.« »Amerika ist für mich nichts weiter als ein Zeitvertreib«, sagte Sokai. »Japan hingegen ist das Land meiner Väter. Außerdem stehen wir auf derselben Seite. Wir befinden uns nicht im Krieg.« »Erklären Sie das mal den Chinesen«, sagte Indy. Sokai lachte, ließ den Zigarettenstummel fallen und zertrat ihn mit dem Absatz seines auf Hochglanz polierten Schuhs. »Das Leben ist ein Kampf«, fuhr er fort. »Ich bin ein Schüler des Bushido, des Weges des Kriegers.« Sokai griff unter seinen Wettermantel und zog ein Samuraischwert hervor. Er hielt es vor seinen Körper, senkrecht, in beidhändigern Griff. »Die alten Methoden sind oftmals die besten«, fuhr er fort. »Dieses Schwert ist über fünfhundert Jahre alt und noch immer ist es die schärfste der Menschheit bekannte Klinge.«

Indy wollte etwas erwidern, doch Sokai legte einen Finger an die Lippen.

»Der Schwertmacher, der sie hergestellt hat, hat zehn Jahre seines Lebens dafür geopfert. Sie wurde erst geschmiedet, nachdem man die Werkstatt gereinigt und der Gottheit, die der aus einem einzigen Klumpen Eisenerz bestehenden Klinge innewohnen würde, Opfergaben dargebracht hatte. Anschließend wurde die Klinge erhitzt, geschlagen und fünftausendmal gefalzt - und jedes Mal im Schnee des Fujijama abgekühlt, um sie zu härten.« »Diese Geschichten habe ich schon gehört«, sagte Indy, während er sich bückte, um sich die Schuhe zuzubinden. »Der Geist, der in die Klinge fährt, ist ein Abbild der Frömmigkeit ihres Erzeugers«, fuhr Sokai fort. »Manchmal, wenn ein unguter Gedanke die geistige Reinheit des Schwertmachers beeinträchtigt, befällt ein böser Geist die Klinge. Doch das erfährt man erst, nachdem die Klinge das erste Blut zu schmecken bekommen hat.«

»Ich habe den Eindruck, Sie haben es bereits herausgefunden.« »Das war vor langer Zeit« , erwiderte Sokai. Dann ritzte er mit der Klinge seinen Daumenballen an und zapfte eine winzige Menge Blut ab. »Man sollte eine mit einer Schneide versehene Waffe niemals zurück in die Scheide schieben, ohne dass sie Blut gekostet hat. Ihre Gier danach könnte sonst übermächtig werden.« In einer einzigen eleganten, geübten Bewegung zog Sokai den Schwertrücken durch die fleischige Kerbe zwischen linkem Zeigefinger und Daumen, um die Klinge in die Scheide einzufädeln, dann schob er die Waffe vollends hinein. Indy sah Sokai kommentarlos an. »Ich trage diese Waffe stets bei mir«, sagte Sokai. »Man weiß nie, wann die zwingende Notwendigkeit entsteht, sie zu benutzen.«

»Ich ziehe modernere Methoden vor«, sagte Indy. Dann griff er nach dem Webley.

»Nur zu«, sagte Sokai. »Er ist selbstverständlich nicht geladen.«

Indy klappte die Trommel heraus. Sokai hatte nicht gelogen. Dann schloss er die Waffe und schob das vertraute Gewicht zurück ins Halfter.

»Und was ist hiermit?«, sagte Sokai und schnappte sich die Peitsche von der Bank. »Das betrachten Sie doch gewiss nicht als modern? Seit Anbeginn der Zeit haben Sklaven den Hieb der Peitsche zu spüren bekommen. Was für eine seltsame Wahl.«

Sokai warf ihm die Peitsche zu.

Indy fing sie auf.

»Manchmal«, sagte Indy, »kehren Sklaven die Peitsche gegen ihren Herrn.«

»Ein Idealist«, erwiderte Sokai. »Wie entzückend.«

»Was wollen Sie?«, sagte Indy, während er seinen Hut aufsetzte.

Sokai nahm den Elfenbeinmond zur Hand.

»Aus Qins Grab.«

»Wenn Sie es sagen«, gab Indy zurück.

»Haben Sie sich nie gefragt, woher Qins Astronomen die Kenntnis hatten, dass der Mond eine Kugel ist? Und zwar so detaillierte Kenntnis, dass sie die Krater und Meere auf der Rückseite eingeschnitzt haben? Selbst wir wissen nicht, wie sie aussieht. Der Mond kehrt uns nie den Rücken zu.«

»Kommen Sie zur Sache.«

»Ich bin nicht etwa nur hinter Schätzen her, Dr. Jones«, sagte Sokai, während er den Mond in Indys Mappe legte. »Mein Ziel ist Macht. Uraltes Wissen. Magie. Sie ist eine Kraft, auf die sich alle Kulturen vor uns verstanden haben. Die alten Samurai zum Beispiel haben mehr studiert als nur die Kunst des Krieges. Im gleichen Maße haben sie ihre Begabung für die Malerei, für Musik und Literatur, für das Spiel der positiven und negativen Kräfte innerhalb des Universums sowie für den Gebrauch von Beschwörungen und Zauberformeln entwickelt. Die Soldaten haben mir eine ziemliche Geschichte über Ihr Auftauchen aus dem Berg erzählt. Irgendetwas über den Geist des Kaisers, der Sie ihnen vor die Füße geworfen haben soll.«

»Sie müssen betrunken gewesen sein«, sagte Indy, während er seine Jacke überzog. »Als ich dieses Ding gefunden hatte, war ich so aufgeregt, dass ich ins Stolpern geriet, als ich vom Berg herunterkletterte, um meinem Führer davon zu berichten. Das ist alles.«

Dann hob er seinen Hut auf, bürstete ein wenig Staub vom Kopfteil und legte ihn in die Mappe. Er hängte die Mappe über seine Schulter.

»Sie schicken sich an, uns zu verlassen?«, fragte Sokai. »Würden Sie das nicht tun?«

Sokai bückte sich, hob eine hölzerne Kiste von der Größe einer Hutschachtel auf und stellte sie auf die Bank. Die Kiste war schwarz lackiert, der Deckel mit Scharnieren versehen und mit einem Vorhängeschloss versperrt. Sokai nahm einen Schlüssel aus seiner Tasche, entriegelte den Deckel und klappte ihn auf. Er schob die Kiste zu Indy herüber. »Schon mal so etwas gesehen?« Drinnen lag ein helmartiger Gegenstand, der aus sehr alt aussehendem Eisen gefertigt war. »Man nennt es Nussknacker«, erläuterte Sokai. »Ja, ganz recht. Er wird benutzt, um ganz harte Nüsse zu knacken.« Er klopfte gegen seinen Schädel.

»Ein wunderschönes Stück«, meinte Indy. »Wie ich schon sagte, oft sind die alten Methoden die besten«, fuhr Sokai fort, während er den Gegenstand aus der Kiste nahm. Dort wo er über Augen, Ohren und Mund zu liegen kommen würde, ragten dicke Schrauben hervor. Die beiden Hälften wurden mittels eines Stifts geschlossen, den man von oben durch die Öse führte. Sokai zog den Stift heraus und klappte die Hälften auseinander, sodass die korkenzieherähnlichen Dorne im Innern sichtbar wurden. Sie waren schwarz und mit getrocknetem Blut überkrustet.

»Und das beabsichtigen Sie bei mir zu benutzen?«

»Wenn ich dazu gezwungen werde«, erwiderte Sokai. »Aber ich hoffe, so weit wird es nicht kommen.«

»Tun Sie sich keinen Zwang an.«

»Überaus komisch«, sagte Sokai. »Und sehr mutig, angesichts des Umstandes, dass Sie nacheinander Ihres Gehörs, der Sprechfähigkeit und des Augenlichts beraubt werden sollen. Ah,wie ich sehe, habe ich jetzt Ihre Aufmerksamkeit. Es funktioniert wie folgt - zuerst wird ein Ohr zerstört, dann das andere. Dann wird die Zunge zerquetscht. Zu guter Letzt, da die meisten von uns das Augenlicht mehr als alles andere schätzen, wird Ihnen ein Auge genommen, und danach folgt die große Dunkelheit. Aber lassen Sie nicht alle Hoffnung fahren. Die meisten Nüsse brechen, bevor es so weit kommt.

Sokai betrachtete Indy voller Mitgefühl.

»Oder aber Sie können all diesen Unannehmlichkeiten aus dem Weg gehen und mir einfach die Geheimnisse von Qins Grabmal anvertrauen«, fuhr Sokai fort. »Vor allem interessiert mich, wie man lebend hinein- und wieder herauskommt, was Ihnen ja offenbar gelungen ist.«

»Sie können mich mal.«

Sokai rief seine Fliegerkollegen. Als sie hereinkamen, redete er mit ihnen leise auf Japanisch.

»Hai", antworteten beide und machten eine knappe Verbeugung, dann gingen sie an die Arbeit. Sie packten Indys Hände, bogen sie hinter seinen Rücken und versuchten, seine Handgelenke aneinander zu legen, um ihn mit einem Strick fesseln zu können.

»Was ist?«, herrschte Sokai sie an, als es ihnen nicht gelang, Indys Handgelenke aneinander zu legen.

»Der gaijin ist sehr stark«, beschwerte sich Leutnant Musashi.

»Wie stark kann er schon sein?«, schnaubte Sokai verächtlich. »Er ist zwanzig Jahre älter als Sie und hat seit nahezu einer Woche nur Gefängniskost bekommen.«

»Jawohl, Sokai Sensei«, gab sie zurück. »Wir werden uns noch größere Mühe geben.«

Im Verlauf der Rangelei wurde dem weiblichen Leutnant die ütze vom Kopf gestoßen, woraufhin darunter ein Schwall eidigschwarzen Haars zum Vorschein kam.

»Warum machen Sie ein so überraschtes Gesicht?«, erkundigte sich Sokai. »Fanden Sie nicht, dass die Gesichtszüge des Leutnants übertrieben fein waren und die Stimme ein wenig zu feminin?«

»Dass sie eine Frau ist, wusste ich«, erwiderte Indy. »Aber nicht, dass sie so schön ist.«

Daraufhin schnippte Sokai mit den Fingern.

Stabsoffizier Miyamoto schlug Indy mit der Faust gegen den Hinterkopf, so fest, dass Indy Sterne sah. Er stieß Indy auf einen Stuhl, packte mit jeder Hand ein Handgelenk und bog sie ächzend zusammen, während der weibliche Leutnant sie mit einem Strick

fesselte.

»Gut«, sagte Sokai und trat näher. »Halten Sie seinen Kopf fest.«

Er klappte den Nussknacker weit auseinander, schraubte die Dorne heraus und arretierte ihn fest über Indys Kopf, während die anderen ihn hielten. Indy leistete Widerstand, bis der Helm geschlossen war. Er spürte, wie die Spitzen der Dorne an seinen Lidern, Ohren und der Unterlippe kratzten, sobald er nur die geringste Bewegung machte. Die einzige Richtung, in die er seinen Kopf bewegen konnte, wie er bald

herausfand, war nach hinten.

»Das hätten wir«, meinte Sokai. »Alles erledigt. Fühlen Sie sich wohl, Dr. Jones?«

»Nein«, murmelte Indy.

»Natürlich nicht! Wer würde das schon?«

Die Soldaten traten zurück, während Sokai sich hinter den Stuhl stellte und eine Hand auf den Griff legte, mit dem der Dorn über dem rechten Ohr hineingeschraubt wurde. Sokai begann, den Griff langsam zu drehen.

»So fängt es an«, erläuterte Sokai. »Das Vorgefühl so zahlreicher, überflüssiger Schmerzen. Das Geräusch der sich drehenden Schraube so dicht an Ihrem Ohr, gefolgt vom Gefühl des Doms, wenn er Ihre Ohrmuschel berührt -sehen Sie, Sie sind zusammengezuckt. Sie müssen es gespürt haben - und dann die entsetzlich quälenden Sekunden, während er in den Gehörgang eindringt und sich der zarten Membran des Trommelfells nähert.

Und wenn das Trommelfell reißt, gewahrt man einen spitzen Schmerz sowie ein lautes Dröhnen - ironischerweise in einem Ohr, dessen Hörvermögen soeben für immer erloschen ist.«

»Sie genießen das zu sehr«, versuchte Indy hervorzubringen, ohne sich die Lippe zu durchstoßen oder den Dorn noch tiefer in sein Ohr zu bohren, doch es kam nur etwas Unverständliches heraus.

»Tut mir Leid«, meinte Sokai. »Sie hatten Ihre Chance, sich zu -« Indy trat zu und erwischte mit der Spitze seines rechten Stiefels die Kante der Sitzbank. Die Bank kippte, schlug krachend mit einer Ecke gegen die Lampe, zertrümmerte den Glaskolben, brachte die Flamme zum Erlöschen und besprenkelte den Raum mit Kerosin.

Im Zimmer wurde es dunkel.

Indy warf sich nach hinten, und als der Stuhl mit ihm darauf kippte, traf die Rückseite des Helms Sokai in die Brust. Das trieb ihm den Atem aus den Lungen, und er ging keuchend zu Boden.

Indy empfand ein schmerzhaftes Klingen in seinem rechten Ohr und spürte, wie ihm Blut den Hals hinunterrann, doch er zwang sich, in Bewegung zu bleiben. Er befreite seine Arme von der Stuhllehne, kam auf die Knie, zog das Kinn auf die Brust und schüttelte dabei den Kopf. Der Stift rutschte aus der Öse, und der Helm landete scheppernd auf dem Boden.

Die Soldaten riefen in der Dunkelheit nach ihrem Meister. Das Luftholen bereitete Sokai noch immer Mühe, trotzdem hielt er die Hände tastend ausgestreckt.

Indy rappelte sich auf. Er begab sich rückwärts zur Wand, damit er mit seinen noch immer gefesselten Händen tasten konnte, und suchte hektisch nach der Tür.

Sokai bekam im Dunkeln Indys Bein zu fassen.

Indy versuchte, sich mit einem Tritt von ihm zu befreien, doch ohne Erfolg. Dann riss in dem Gerangel der Strick, der seine Hände fesselte, und er schlug blindlings in die Richtung, wo er Sokais Gesicht vermutete. Er wurde mit dem Klatschen von Knöcheln auf Fleisch belohnt.

Doch Sokai gab nicht auf. Er fing einen von Indys Schlägen mit den Händen ab, verdrehte ihm das Handgelenk, fixierte gekonnt seinen Ellbogen und zwang ihn zu Boden. Das Gesicht auf den Fußboden gepresst und Sokai über sich, hatte Indy nicht genügend Bewegungsfreiheit mit der rechten Hand, um sich zu verteidigen.Dann bekam seine umhertastende Rechte ein Stück des abgebrochenen Stuhlbeins zu fassen. Indy holte mit dem Holzstück zu einem heftigen Schwinger aus, und die Verlängerung reichte gerade, um seinen Widersacher am Kinn zu treffen. Sokais Kopf schnellte zurück, er entließ Indy aus seinem Haltegriff und wankte einen Augenblick,, bevor er nach vorne kippte - in die offene Vorderhälfte des auf dem Boden liegenden Nussknackers. Indy konnte nicht sehen, was geschah, doch das Geräusch dabei schockierte ihn, ein feuchtes, hohles Geräusch, wie es entsteht, wenn man einen Eispickel in eine Wassermelone sticht. Leutnant Musashi war das Geräusch ebenfalls bekannt. »Ich bin geblendet«, stellte Sokai nüchtern fest, als wären es die Augen eines anderen, die von einem rostigen Metalldorn aufgespießt worden waren.

Musashis Sorge um ihren Meister schlug schlagartig in Gier nach Rache um.

»Stehen bleiben!«, kommandierte sie, während der Lauf ihrer halbautomatischen Pistole auf der Suche nach Indy im Dunkeln mal hier-, mal dorthin schwenkte. Eine Sekunde bevor der Schuss krachte, spürte Indy instinktiv, dass eine Waffe auf ihn gerichtet war, und warf sich flach auf den Boden. Der Knall war in dem winzigen Raum ohrenbetäubend, und im orangenen Mündungsfeuer erstarrten ihre Positionen wie bei einer Blitzlichtaufnahme -Sokai auf dem Boden liegend, die Maske wie ein lebendiges Wesen über dem Gesicht, Miyamoto in geduckter Kampfhaltung, jedoch unschlüssig, wohin er sich wenden sollte, und der weibliche Leutnant mit einer 1914er Mauser, die sie mit beiden Händen vor dem Körper hielt. Die Kugel riss hinter Indy einen Krater in die Wand, dann versank der Raum abermals für einen kurzen Augenblick in Dunkelheit. Leutnant Musashi feuerte zwei weitere Schüsse ab, deren Mündungsfeuer aus der Mauser gespien wurde. Ihr zweiter Schuss ging fehl, der dritte jedoch fand sein Ziel. Die Kugel traf Indy in die linke Schulter und schleuderte ihn durch die Holztür nach draußen auf den Gang. Ein glühend heißer Schmerz zog sich von seinem Schlüsselbein bis in die Fingerspitzen.

Indy kam mühsam auf die Beine, schüttelte Teile der zertrümmerten Tür ab und stolperte den Gang hinunter. Am Ende des Korridors befand sich ein vergittertes Fenster mit einem Wächtertrio davor. Die Wächter sprangen zur Seite, als sie Musashi aus der Tür treten und mit der Pistole in ihre Richtung zielen sahen.

Sorgfältig nahm sie die Mitte von Indys Rücken ins Visier und drückte auf den Abzug. Doch der Abzug klemmte; die Waffe hatte einen Aussetzer, sodass eine Patronenhülse die Kammer blockierte.

Indy hielt sich den rechten Arm vors Gesicht und stürzte sich durchs Fenster. Die Gitterstäbe gaben in einer Wolke aus altem Putz und Glassplittern nach.

Musashi fluchte in fließendem Englisch und schleuderte die nutzlose ausländische Waffe angewidert fort. Sie blaffte den Gefängniswärtern Befehle zu, sie sollten einen Suchtrupp bilden und dem Amerikaner nachsetzen. Dann schrie sie sie an, sie sollten den ersten Arzt mitbringen, den sie auftreiben konnten, und nach dem besten Arzt in der Provinz schicken. Sie sahen sie mit leerer Miene an. Sie wiederholte die Befehle auf Japanisch, noch grimmiger als zuvor. Dann stapfte sie zurück ins Zimmer, wo Miyamoto Sokai in den Armen hielt. »Ist er tot?«, erkundigte sie sich. Miyamoto schüttelte den Kopf. »Aber er könnte es ebenso gut sein«, erwiderte er.