158218.fb2 Kanonenfutter - Leutnant Bolithos Handstreich in Rio - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 12

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XII Geheimnisse

Die Tage von Bolithos Genesung vergingen ihm wie ein Traum. Von seinem zwölften Lebensjahr an, seit er als Kadett zur See gegangen war, war er an die ständigen Anforderungen des Bordlebens gewöhnt. Bei Tag und bei Nacht, jederzeit und unter allen Bedingungen, war er bereit gewesen, mit seinen Kameraden zusammen jeden Befehl zu erfüllen, und war sich gleichzeitig stets der Folgen bewußt gewesen, wenn er seine Pflichten vernachlässigte.

Als aber die Destiny jetzt langsam durch die Karibik nordwärts segelte, war er gezwungen, sich mit seiner Tatenlosigkeit abzufinden, stillzuliegen und auf die vertrauten Geräusche vor der Kajüte oder über seinem Kopf zu lauschen.

Dieser Traum wurde ihm erträglich durch die Gegenwart Auroras. Selbst die schrecklichen Schmerzen, die ihn plötzlich und erbarmungslos überfielen, wurden durch sie irgendwie gemildert, gerade weil sie seine kümmerlichen Versuche, sie vor ihr zu verbergen, durchschaute.

Sie hielt dann seine Hand oder legte ihm ein feuchtes Tuch auf die Augen. Manchmal, wenn der Schmerz seinen Schädel wie ein glühendes Eisen zu durchbohren schien, umschlang sie seine Schultern und drückte das Gesicht an seine Brust, wobei sie leise Worte murmelte, als könne sie damit den Anfall besänftigen.

Wenn er sie von seinem Lager aus sehen konnte, beobachtete er jede ihrer Bewegungen. So lange seine Kräfte reichten, erklärte er ihr die Schiffsgeräusche, nannte ihr die Namen der Seeleute, soweit er sie selber kannte, und machte ihr deutlich, wie sie alle Hand in Hand arbeiten mußten, um das Schiff in Bewegung zu halten. Er erzählte ihr von seinem Zuhause in Falmouth, von seinem Bruder, den beiden Schwestern und der langen Reihe seiner Vorfahren, die zu einem Teil der See selber geworden waren.

Aurora war immer sorgsam darauf bedacht, ihn nicht mit Fragen zu beunruhigen, und ließ ihn erzählen, so lange ihm danach war. Sie futterte ihn auch, aber so, daß er sich nicht gedemütigt oder wie ein hilfloses Kind vorkam.

Nur wenn es ums Rasieren ging, war es ihr unmöglich, ernst zu bleiben.

«Aber lieber Richard, Sie brauchen doch noch gar keine Rasur!»

Bolitho bekam einen roten Kopf, weil er wußte, daß sie recht hatte. Er rasierte sich ja auch sonst nur einmal in der Woche.

Schließlich sagte sie:»Ich tue es nur Ihnen zuliebe.»

Sie führte das Rasiermesser mit größter Vorsicht, achtete auf jeden Strich und warf gelegentlich einen Blick aus dem Heckfenster, um abzuwarten, bis das Schiff wieder auf ebenem Kiel lag.

Bolitho versuchte, sich zu entspannen, und war froh darüber, daß sie seine Verkrampfung der Angst vor dem Messer zuschrieb. In Wirklichkeit war ihre aufregende Nähe daran schuld, die Berührung ihrer Brust, als sie sich über ihn neigte, und ihrer Hände auf seinem Gesicht und Hals.

«Fertig. «Sie trat zurück und musterte ihn beifällig.»Sie sehen sehr. «Sie suchte nach einem passenden Wort ihres Vokabulars,». sehr vornehm aus.»

Bolitho fragte:»Darf ich sehen?«Er bemerkte ihr Zögern.»Bitte.»

Sie nahm einen Handspiegel vom Kajütbord und sagte:»Sie sind sehr kräftig. Sie werden wieder ganz gesund.»

Er starrte das Gesicht im Spiegel an. Es schien einem Fremden zu gehören. Der Arzt hatte das Haar über der rechten Schläfe wegrasiert und zwischen Haaransatz und Augenbrauen war seine Stirn rot und schwarz angelaufen. Bulkley schien zwar zufrieden, als er den Verband abgenommen hatte, aber für Bolithos Augen wirkte die noch nicht verheilte Wunde, die noch durch die kreuz und quer laufenden Stiche der zusammenziehenden Naht vergrößert war, abstoßend.

Er sagte leise:»Ich muß dich anwidern.»

Sie legte den Spiegel weg und sagte:»Nein, ich bin stolz auf dich. Nichts kann dich aus meinem Herzen vertreiben. Seit dem Augenblick, als du hereingetragen wurdest, war ich bei dir. Ich habe über dich gewacht und kenne deinen Körper wie meinen eigenen. «Sie begegnete seinem fragenden Blick.»Diese Narbe wird bleiben, aber sie ist ein Ehrenzeichen und keine Schande.»

Etwas später verließ sie ihn, da Dumaresq sie zu sich gebeten hatte.

Der Kommandantensteward Macmillan erzählte Bolitho, daß die Destiny am kommenden Tag die Insel Saint Christopher sichten würde. Es war daher wahrscheinlich, daß der Kommandant die Angaben

Egmonts noch einmal überprüfen und sich vergewissern wollte, daß er auch jetzt dabei blieb.

Die Jagd nach dem verschwundenen Gold war Bolitho unwichtig. Während der Schmerzanfälle und als er dann in Auroras Armen der Genesung entgegenging, hatte er viel Zeit gehabt, über seine Zukunft nachzudenken. Vielleicht zu viel Zeit.

Der Fortschritt in seinem Befinden zeigte sich auch darin, daß verschiedene Besucher kamen. Rhodes, der vor Freude, ihn wiederzusehen, über das ganze Gesicht strahlte, war unverfroren wie immer, als er meinte:»Jetzt sehen Sie wirklich wie ein Schreckgespenst aus, Richard. Da werden sämtliche Dirnen Reißaus nehmen, wenn wir in den nächsten Hafen einlaufen. «Im übrigen war Rhodes sorgsam darauf bedacht, Aurora nicht zu erwähnen.

Auch Palliser erschien, und seine Worte kamen fast einer Entschuldigung nahe:»Wenn ich — wie Colpoys vorschlug — Seesoldaten mitgeschickt hätte, wäre das Ganze nicht passiert. «Er zuckte mit den Schultern und sah sich in der Kajüte um. Sein Blick blieb auf den weiblichen Kleidungsstücken ruhen, die von der Zofe vor den Heckfenstern zum Trocknen aufgehängt waren.»Aber offenbar hat Ihr Krankenlager auch angenehme Seiten.»

Bulkley und der Schreiber des Kommandanten beaufsichtigten Bo-lithos erste Schritte aus der Kajüte. Bolitho genoß es, wie das Schiff unter seinen nackten Füßen lebte, aber er wußte auch, daß er noch sehr schwach und schwindlig war, so sehr er das auch zu verbergen suchte.

«Dürfte eine schwere Fraktur sein«, sagte Spillane, und Bulkley wünschte ihn und seine medizinischen Kenntnisse dafür zum Teufel. Er antwortete barsch:»Unsinn! Aber immerhin ist es erst ein paar Tage her.»

Bolitho hatte mit dem Tod gerechnet; je weiter seine Genesung fortschritt, desto undenkbarer schien es ihm, einen anderen Weg einschlagen zu müssen: daß er mit dem nächsten Schiff nach Hause geschickt, aus der Marine entlassen und nicht einmal auf Halbsold» zur späteren Verwendung «gesetzt werden würde.

Gerne hätte er sich bei Stockdale bedankt, aber dem war es trotz seiner guten Beziehungen an Bord bisher nicht gelungen, am Posten Kajüte vorbeizukommen. Alle Midshipmen mit der bemerkenswerten Ausnahme von Coldroy hatten ihn besucht und seine schreckliche Narbe mit einem Gemisch aus Mitleid und Ehrfurcht angestarrt. Jury war es unmöglich gewesen, seine Gefühle zurückzuhalten.»Und ich habe wegen eines Nadelstichs geheult wie ein Baby!«rief er aus.

Es war schon später Abend, als Aurora in die Kajüte zurückkehrte. Er spürte eine Veränderung an ihr, bemerkte die Geistesabwesenheit, mit der sie sein Kopfkissen glattstrich und nachschaute, ob seine Wasserkaraffe gefüllt war.

Sie sagte leise:»Morgen muß ich dich verlassen, Richard. Mein Mann hat die Dokumente unterschrieben, damit ist alles erledigt. Der Kommandant hat versprochen, daß er uns gehen läßt, wohin wir wollen, sobald er den Gouverneur von Saint Christopher gesprochen hat. Was danach kommt, weiß ich nicht.»

Bolitho ergriff ihre Hand und versuchte, nicht an das andere Versprechen zu denken, das Dumaresq dem Kapitän der Heloise gegeben hatte, kurz bevor er starb. An einem Hieb von Bolithos Klinge.

Er sagte:»Auch ich werde das Schiff vielleicht verlassen müssen.»

Sie schien ihre eigenen Sorgen zu vergessen und beugte sich bekümmert über ihn.»Was heißt das? Wer hat gesagt, daß du gehen mußt?»

Er griff vorsichtig nach oben und berührte ihr Haar. Es fühlte sich an wie Seide.»Das ist jetzt nicht mehr wichtig, Aurora.»

Sie zeichnete mit ihrem Finger ein Muster auf seine Schulter.»Wie kannst du so etwas sagen? Natürlich ist es wichtig. Die See ist dein Leben. Du hast zwar schon viel erlebt und noch mehr geleistet, aber dein wirkliches Leben liegt immer noch vor dir.»

Er spürte ihr Haar an seinem Kinn und zitterte innerlich.»Ich habe beschlossen, die Marine zu verlassen.»

«Nach allem, was du mir über die Tradition deiner Familie erzählt hast? Das willst du alles wegwerfen?»

«Für dich, ja.»

Sie schüttelte den Kopf, wobei ihn ihr langes schwarzes Haar streichelte.»So etwas darfst du nicht sagen!»

«Mein älterer Bruder ist der Lieblingssohn meines Vaters, ist es immer gewesen. «Es war eigenartig, daß er dies jetzt ohne jede Bitterkeit sagen konnte.»Er kann die Tradition aufrechterhalten. Ich wünsche mir nur dich, weil ich dich liebe.»

Er sagte es so heftig, daß sie sichtlich erschrak. Sie griff sich an die Brust, und ihr heftiger Atem strafte ihre äußere Gelassenheit Lügen.

«Das ist doch Wahnsinn! Ich weiß alles über dich, aber du weißt überhaupt nichts von mir. Was wäre das für ein Leben für dich, zuzusehen, wie ich immer älter werde und du dich zurücksehnst nach der See, nach den Chancen, auf die du meinetwegen so unüberlegt verzichtet hättest. «Sie legte ihm eine Hand auf die Stirn.»Es ist wie ein Fieber, Richard. Kämpfe dagegen an, sonst verzehrt es uns beide.»

Bolitho wandte das Gesicht ab; seine Augen brannten, als er sagte:»Ich könnte dich glücklich machen, Aurora!»

Sie streichelte seine Arme in dem Versuch, seine Verzweiflung zu lindern.

«Daran habe ich nie gezweifelt. Aber zum Leben gehört mehr als das, glaub mir. «Sie rückte etwas von ihm ab, und ihr Körper wiegte sich dabei im Einklang mit den sanften Bewegungen des Schiffes.»Ich habe dir schon einmal gesagt, daß ich dich lieben könnte. In den vergangenen Tagen und Nächten habe ich dich beobachtet, dich berührt. Meine Gedanken waren oft sündhaft, mein Verlangen war größer, als ich zuzugeben wage. «Sie schüttelte den Kopf.»Bitte schau mich nicht so an. Vielleicht war diese Reise nach allem, was geschehen ist, zu lang, und die Trennung morgen kommt zu spät. Ich weiß selber nicht mehr aus noch ein.»

Sie wandte sich ab; ihr Gesicht lag im Schatten, als sie, von den salzüberkrusteten Heckfenstern umrahmt, mit hängenden Armen dastand.

«Ich werde dich nie vergessen, Richard, und mir später wahrscheinlich Vorwürfe machen, daß ich dein Angebot ausschlug. Aber ich bitte dich um deine Hilfe dabei, allein schaffe ich es nicht.»

Macmillan brachte das Abendessen für Bolitho; er sagte:»Verzeihung, Madam, aber der Kommandant und seine Offiziere lassen höflich sagen, ob Sie ihnen die Ehre geben würden, mit ihnen zu speisen. Es wäre heute das letzte Mal, sozusagen.»

Macmillan war eigentlich schon zu alt für seine Arbeit. Er diente seinem Kapitän wie ein angesehenes Faktotum der Familie. Von der Spannung im Raum schien er nichts zu merken, auch nicht die Gezwungenheit, mit der sie heiser erwiderte:»Es wird mir eine Ehre sein. «Noch sah er die Verzweiflung im Gesicht des Leutnants, als Aurora zum abgetrennten Teil der Kajüte ging, in dem sich ihre Zofe die meiste Zeit des Tages aufhielt.

Unterwegs sagte sie:»Dem Leutnant geht es schon besser. Er wird es schaffen. «Sie wandte sich endgültig ab, und ihre Worte waren kaum noch zu verstehen:»Aus eigener Kraft.»

Mit Hilfe von Bulkley, der ihn am Ellbogen stützte, wagte sich Bo-litho aufs Achterdeck und schaute von dort über die ganze Länge des Schiffes nach vorn zum Land.

Die brennende Mittagssonne brachte ihm zu Bewußtsein, wie schwach er noch war. Er sah die Matrosen mit nacktem Oberkörper geschäftig an Deck hin und her eilen; andere standen breitbeinig auf den Fußpferden der Rahen und machten Segel fest, die kurz vor dem Ankern nicht mehr benötigt wurden. Er fühlte sich verloren, nicht mehr dazugehörig in einer Weise, wie er es noch nie erlebt hatte.

Bulkley sagte:»Ich bin schon einmal in Saint Christopher gewesen. «Er zeigte auf die nächstgelegene Landzunge mit ihrem weiten weißen Strandbogen.»Das ist Bluff Point. Dahinter liegt Basseterre mit dem Hauptankerplatz, dort wird es eine Menge englischer Kriegsschiffe geben. Und bestimmt irgendeinen unbedarften Flaggoffizier, der darauf bestehen wird, unserem Kommandanten zu sagen, was er tun soll.»

Einige Seesoldaten marschierten heftig schnaufend nach achtern.

Bolitho hielt sich an den Netzen fest und betrachtete das Land. Es war nur eine kleine Insel, aber ein wichtiges Glied in der Kette des britischen Herrschaftsbereichs. Zu anderer Zeit wäre er über seinen ersten Besuch hier begeistert gewesen, aber jetzt starrte er auf die nickenden Palmen, auf die Eingeborenenboote, und sah nur das darin, was es für ihn bedeutete: daß sie sich hier trennen mußten. Was ihm die Zukunft auch bringen würde, hier endete die Beziehung zwischen Aurora und ihm. An der Art, wie Rhodes und die anderen das Thema gemieden hatten, erkannte er, daß sie meinten, er habe dankbar zu sein. Dankbar dafür, daß er den mörderischen Angriff überlebt hatte und danach von einer so schönen Frau gepflegt worden war. Mehr dürfe ein Mann nicht verlangen. Aber er tat es dennoch.

Dumaresq kam an Deck und warf einen kurzen Blick auf Kompaß und Segelstand.

Gulliver grüßte durch Handbewegung zum Hut.»Befohlener Kurs Nordnordost liegt an, Sir.»

«Gut. Mr. Palliser, bereiten Sie den Salut vor. Wir werden in einer Stunde querab von Fort Londonderry stehen. «Er bemerkte Bolitho und hob die Hand.»Bleiben Sie da, wenn Sie mögen. «Er überquerte das Deck und trat zu ihm. Mit einem Blick erfaßte er den schmerzgetrübten Ausdruck von Bolithos Augen und sagte:»Sie leben. Seien Sie dankbar.»

Er nickte dem Fähnrich der Wache zu.»Entern Sie auf, Mr. Lovela-ce, und kundschaften Sie Fleet Anchorage aus. Melden Sie mir die Anzahl der Schiffe. «Er beobachtete den Jungen, wie er die Webeleinen hinaufkletterte, und sagte:»Er ist erwachsener geworden auf dieser Reise, wie auch unsere übrigen jungen Herren. «Er warf Bolitho einen Blick zu.»Auf Sie trifft das noch mehr zu als auf alle anderen.»

Bolitho sagte:»Ich komme mir vor, als wäre ich hundert Jahre, Sir.»

«Das kann ich mir denken. «Dumaresq grinste.»Wenn Sie erst selbst ein Schiff führen, werden Sie sich auch der Rückschläge erinnern, hoffe ich. Aber ich bezweifle, daß Sie Ihre jungen Leutnants mehr bemitleiden werden, als ich es tue.»

Der Kommandant wandte den Kopf nach achtern, und Bolitho sah seine Augen interessiert aufleuchten. Ohne hinzuschauen, wußte er, daß sie an Deck gekommen war, um das Eiland zu betrachten. Als was sah sie es an — als zeitweisen Zufluchtsort oder als Gefängnis?

Egmont schien trotz seiner Niederlage unverändert. Er trat an die Reling und bemerkte:»Die Insel hat sich wenig verändert.»

Dumaresq fragte sachlich:»Sind Sie sicher, daß Garrick hier sein wird?»

«So sicher, wie man nur sein kann. «Er bemerkte Bolitho und nickte ihm kurz zu.»Ich sehe, Sie sind wieder genesen, Leutnant.»

Bolitho zwang sich zu einem Lächeln.»Vielen Dank, Sir. Es tut zwar noch weh, aber ich bin ganz geblieben.»

Aurora trat zu ihrem Mann und sagte ruhig:»Wir beide danken Ihnen, Leutnant. Sie haben uns das Leben gerettet, und das ist mehr, als wir Ihnen vergelten können.»

Dumaresq beobachtete beide abwechselnd wie ein Jäger.»Das ist unsere Aufgabe. Aber einige Dienstleistungen sind lohnender als andere. «Er wandte sich ab.»Ich erwarte, daß Garrick gefangengesetzt wird. Zu viele Männer sind seiner Habgier wegen gestorben, zu viele Frauen sind für seine ehrgeizigen Ziele zu Witwen geworden.»

Palliser formte einen Trichter mit seinen Händen:»Breitfock bergen!»

Dumaresqs Ruhe war plötzlich verflogen, als er rief:»Verdammt noch eins, Mr. Palliser, was macht Lovelace da oben?»

Palliser blinzelte zur Saling des Großmasts hinauf, wo Midshipman Lovelace wie ein Affe auf einem Baumast schaukelte.

Egmont vergaß Bolitho und seine Frau, als er Dumaresqs Stimmungsumschlag auszunutzen suchte.»Was beunruhigt Sie?»

Dumaresq verschränkte die kräftigen Finger hinter den Rockschößen und öffnete sie wieder.

«Ich bin nicht beunruhigt, Sir. Nur interessiert.»

Midshipman Lovelace glitt an einem Backstag hinunter und landete mit einem Plumps an Deck. Unter ihren vereinten Blicken schrumpfte er sichtlich zusammen und schluckte heftig.

Dumaresq fragte milde:»Müssen wir noch lange warten, Mr. Love-lace? Oder ist es so ungeheuerlich, was Sie sahen, daß Sie es nicht herunterrufen konnten?»

Lovelace stotterte:»Aber, Sir, Sie hatten mir befohlen, die Schiffe dort drüben zu zählen. «Er versuchte es noch einmal.»Da… da ist nur ein Kriegsschiff, Sir, eine große Fregatte.»

Dumaresq ging ein paar Schritte auf und ab, um nachzudenken.»Nur eines, sagen Sie?«Er blickte Palliser an.»Das Geschwader muß anderswohin gerufen worden sein. Ostwärts nach Antigua vielleicht, als Verstärkung für den Admiral.»

Palliser sagte:»Es könnte ein höherer Offizier hier sein, Sir. Auf der Fregatte vielleicht. «Sein Gesicht blieb unbewegt. Dumaresq war bestimmt nicht entzückt, wenn es hier einen ranghöheren Offizier gab.

Bolitho war es gleichgültig. Er näherte sich der Achterdecksreling und sah, daß sie die Hand daraufgelegt hatte.

Dumaresq schimpfte:»Wo ist dieser verdammte Federfuchser? Lassen Sie Spillane holen. Sofort!»

Zu Egmont sagte er:»Bevor wir ankern, muß ich noch einige weniger wichtige Dinge mit Ihnen besprechen. Bitte kommen Sie mit hinunter.»

Bolitho stand neben Aurora und berührte kurz ihre Hand. Er spürte ihre innere Spannung und sagte leise:»Meine Geliebte. Es ist die Hölle für uns.»

Sie wandte sich nicht um, sah ihn auch nicht an, sagte aber:»Sie haben versprochen, mir zu helfen. Bitte… Ich werde uns beiden noch Schande machen, wenn Sie weiterhin so reden. «Dann sah sie ihn gerade, aber mit verschwimmendem Blick an.»Was soll das alles? Sie werden unglücklich werden und zerstören Ihr Leben für etwas, das wir beide hochschätzen.»

Palliser schrie:»Mr. Vallance! Klar zum Salutschießen!»

Männer rannten auf ihre Stationen, während das Schiff ungerührt seine Fahrt in die Bucht fortsetzte.

Bolitho nahm ihren Arm und geleitete sie zum Niedergang.»Hier gibt es gleich eine Menge Qualm und Dreck. Sie gehen besser nach unten, bis wir näher am Land sind. «Wie war es möglich, daß er so ruhig über banale Dinge sprechen konnte? Er fügte hinzu:»Ich muß Sie unbedingt noch sprechen.»

Aber sie war schon gegangen.

Bolitho wandte sich ab und sah, daß Stockdale ihn von der Steuerbord-Laufbrücke aus beobachtete. Seine Kanone wurde für den Salut nicht gebraucht, aber er war wachsam wie stets.

Bolitho sagte:»Ich bin immer etwas ungeschickt, wenn es darauf ankommt, das richtige Wort zu finden, Stockdale. Wie kann ich Ihnen für das danken, was Sie für mich getan haben? Wenn ich Ihnen eine Belohnung anbiete, fürchte ich, Sie zu kränken. Aber Worte allein können nun einmal nicht ausdrücken, was ich empfinde.»

Stockdale lächelte.»Sie wieder an Deck zu sehen, ist uns allen eine Freude. Eines Tages we rden Sie selbst Kommandant sein, Sir, und einen guten Bootssteurer brauchen. Für den Posten wäre ich dankbar. «Er machte eine Kopfbewegung zu Johns, dem Bootssteurer ihres Kommandanten, der sich in seinem blauen Jackett mit den blanken Knöpfen und der gestreiften Hose von allen anderen deutlich abhob.»Wie der alte Dick da drüben: ein Mann mit viel Freizeit. «Stockdale schien sich köstlich zu amüsieren, aber seine übrigen Worte gingen im Krachen der Salutschüsse unter.

Palliser wartete, bis das Fort ihren Salut erwidert hatte, und sagte dann:»Mr. Lovelace hatte recht: nur eine Fregatte. «Er setzte sein Teleskop ab und sah Bolitho grimmig an.»Aber er übersah, daß sie die spanische Flagge führt. Ich befürchte, darüber wird der Kommandant wenig entzückt sein.»

Bulkley mahnte fürsorglich:»Sie sollten sich ausruhen, Richard. Schon seit Stunden sind Sie an Deck. Wollen Sie sich umbringen?»

Bolitho beobachtete die um den Ankerplatz verstreuten Gebäude und die Forts, beiderseits der Einfahrt wie stämmige Wächter postiert.

«Verzeihung, aber ich habe nachgedacht. «Er hob die Hand und berührte seine Wunde. Vielleicht würde sie völlig zugeheilt oder wenigstens zum Teil von Haar bedeckt sein, bevor seine Mutter ihn wiedersah. Zuerst war ihr Mann mit nur einem Arm zurückgekommen und dann ihr Sohn derart verunstaltet. Daran hatte sie mehr als genug zu tragen.

Er sagte:»Auch Sie haben viel für mich getan.«»Auch?«Die Augen des Arztes zwinkerten hinter den Gläsern.»Ich verstehe.»

«Mr. Bolitho!«Palliser tauchte im Niedergang auf.»Sind Sie kräftig genug für einen Landgang?»

«Da muß ich Einspruch erheben!«Bulkley schob sich vor.»Er kann sich kaum aufrecht halten.»

Palliser stand, die Hände in die Hüften gestemmt, vor ihm. Seit sie vor Anker lagen und die Boote ausgesetzt waren, hatte es für ihn keine ruhige Minute gegeben. Immer wieder war er hierhin und dorthin gerufen worden, um schwierige Situationen zu klären. Und immer wieder in die Kajüte, Dumaresq war, der Lautstärke seiner Stimme nach zu urteilen, sehr übler Laune. Palliser war daher nicht in der Stimmung für Diskussionen.

«Lassen Sie ihn selber entscheiden, verdammt noch mal!«Er sah Bolitho an.»Ich bin zwar knapp an Leuten, aber aus irgendeinem Grund will der Kommandant, daß Sie ihn an Land begleiten. Erinnern Sie sich an unser erstes Gespräch? Ich erwarte, daß jeder Offizier und jeder Mann sich auf meinem Schiff voll einsetzt. Egal, wie Sie sich fühlen: Bleiben Sie in Bewegung. Bis Sie umfallen oder sich nicht mehr rühren können, sind Sie einer meiner Offiziere. Ist das klar?»

Bolitho nickte, irgendwie froh über Pallisers Ausbruch.»Ich bin bereit!»

«Gut. Dann ziehen Sie sich um. «Ihm fiel noch etwas ein:»Sie können Ihren Hut ja unter dem Arm tragen.»

Bulkley sah ihm nach und explodierte:»Den soll einer verstehen! Bei Gott, Richard, falls Sie sich noch nicht kräftig genug dafür fühlen, werde ich verlangen, daß Sie an Bord bleiben. Der junge Stephen kann an Ihrer Stelle gehen.»

Bolitho wollte mit einem Kopfschütteln antworten, doch bei der Bewegung durchzuckte ihn Schmerz.

«Es geht schon. Aber vielen Dank. «Er ging zum Niedergang und setzte noch hinzu:»Es gibt wohl einen besonderen Grund, weshalb er gerade mich mitnehmen will.»

Bulkley nickte.»Sie lernen unseren Kommandanten langsam kennen, Richard. Er tut nie etwas absichtslos, bietet nie eine Guinee, wenn sie ihm nicht zwei wieder einbringt. «Er seufzte.»Aber der Gedanke, den Dienst unter ihm zu quittieren, ist noch schlimmer, als seine Absonderlichkeiten zu ertragen. Das Leben wird einen langweilig anmuten, nachdem man unter Dumaresq gedient hat.»

Es wurde fast Abend, bevor Dumaresq beschloß, an Land zu gehen. Er hatte Colpoys mit einem Brief, der seinen Besuch ankündigte, ins Haus des Gouverneurs geschickt, doch als der Leutnant der Seesoldaten zurückkam, hatte er gemeldet, daß nur der stellvertretende Gouverneur anwesend sei.

«Hoffentlich wird das nicht ein zweites Rio«, hatte Dumaresq ärgerlich bemerkt.

Jetzt saß er in der Kommandantengig, den Blick fest aufs Ufer gerichtet, den Säbel zwischen die Knie geklemmt. Die kühlere Abendluft machte die Fahrt einigermaßen erträglich.

Bolitho saß neben ihm. Sein Bemühen, Schmerz und Schwindelanfälle zu unterdrücken, trieb ihm den Schweiß aus den Poren. Er konzentrierte sich auf die vor Anker liegenden Schiffe und das Kommen und Gehen der Boote der Destiny, die Verwundete und Kranke an Land brachten und mit Vorräten für den Zahlmeister beladen zurückkehrten.

Plötzlich sagte Dumaresq:»Etwas mehr nach Steuerbord, Johns.»

Der Bootssteurer blinzelte nicht einmal, sondern legte die Pinne in die entsprechende Richtung. Aus dem Mundwinkel murmelte er:»Jetzt sehen Sie ihn besser, Sir.»

Dumaresq stieß Bolitho mit dem Ellenbogen an.»Er ist ein Schelm, nicht wahr? Kennt meine Gedanken früher als ich.»

Bolitho beobachtete den vor Anker liegenden Spanier, der sich turmhoch über ihnen erhob. Er sah mehr nach einem Linienschiff vierten Grades aus als nach einer Fregatte: zwar alt, mit sorgsam geschnitztem und vergoldetem Zierrat um Heck und Kajütfenster, aber gut in Schuß und gefechtsklar gehalten, was selten war bei einem spanischen Schiff. Dumaresq dachte wohl ebenso; er murmelte:»Die San Augustin. Das ist kein Lokalheiliger von La Guaira oder Porto Bello. Sie kommt aus Cadiz oder Algeciras, vermute ich.»

«Macht das einen Unterschied, Sir?»

Dumaresq drehte sich ärgerlich zu Bolitho um, unterdrückte die Aufwallung aber ebenso schnell wieder.

«Ich bin kein guter Kamerad. Nach dem, was Sie gelitten haben, schulde ich Ihnen zumindest Höflichkeit. «Er betrachtete das fremde Schiff mit so fachlichem Interesse, wie Stockdale seine Geschützbedienungen studiert hatte.»Vierundvierzig Kanonen, mindestens. «Dann schien er sich an Bolithos Frage zu erinnern.»Könnte möglich sein. Vor einigen Monaten gab es noch ein Geheimnis; die Dons hatten lediglich einen Verdacht, daß Spuren vom verlorenen Schatz der Asturias aufgetaucht seien. Jetzt scheinen sie mehr als nur einen Verdacht zu haben. Die San Augustin ist hier, um die Destiny zu bespitzeln und zu verhüten, daß Seine Katholische Majestät ungnädig wird, weil wir unsere Erkenntnisse nicht teilen. «Er lächelte grimmig.»Aber genau dafür werden wir sorgen. Ich bezweifle nicht, daß wir von einem Dutzend Teleskopen beobachtet werden, schauen Sie also nicht mehr hin. Sollen sie sich doch über uns die Köpfe zerbrechen.»

Als der Landungssteg nur noch fünfzig Yards entfernt war, sagte Dumaresq:»Ich habe Sie mitgenommen, damit der Gouverneur Ihre Verwundung sieht. Sie beweist am besten, daß wir uns für die Lords der Admiralität voll einsetzen. Niemand hier braucht zu wissen, daß Sie eine solch ehrenvolle Wunde davontrugen, als Sie nach Wasser suchten.»

Eine kleine Gruppe, darunter einige Rotröcke, erwartete das Boot, um es an den Landesteg zu dirigieren. Es war immer das gleiche: Alle warteten auf Neuigkeiten aus England, auf ein Wort aus dem Land, das sie so weit in die Ferne geschickt hatte, damit sie den kostbaren Kontakt zur Heimat aufrechterhalten konnten.

Bolitho fragte:»Werden die Egmonts Erlaubnis bekommen, an Land zu gehen, Sir?«Er hob das Kinn, selber überrascht von seiner Kühnheit.»Ich wüßte es gern, Sir.»

Dumaresq betrachtete ihn einige Sekunden ernst.»Es ist Ihnen wichtig, wie ich sehe. «Er klarierte sein Degengehänge, damit es ihm nicht beim Aussteigen zwischen die Beine geriet. Dann sagte er unverblümt:»Sie ist eine sehr begehrenswerte Frau. Das will ich nicht bestreiten. «Er stand auf und glättete seinen Hut mit besonderer Sorgfalt.»Sie brauchen mich nicht so anzustarren. Ich bin weder blind noch unempfänglich gegenüber weiblichen Vorzügen. Höchstens bin ich eifersüchtig. «Er klopfte ihm auf die Schulter.»Nun wollen wir uns mit dem Stellvertretenden Gouverneur, Sir Jason Fitzpatrick, in seinem Herrschaftssitz befassen. Danach werden wir über Ihr Problem nachdenken.»

Den Hut in der einen, den Degen in der anderen Hand, stieg Bolitho hinter dem Kommandanten aus dem Boot. Dumaresqs beiläufige Billigung seiner Gefühle für die Frau eines anderen hatte ihm völlig den Wind aus den Segeln genommen. Kein Wunder, daß der Schiffsarzt wenig Wert darauf legte, diesen Vorgesetzten mit einem ruhigeren und leichter durchschaubaren zu vertauschen.

Ein jugendlich wirkender Hauptmann der Garnison grüßte durch Handanlegen an den Hut und rief dann:»Mein Gott, Sir, ist das eine böse Wunde!»

Dumaresq weidete sich an Bolithos Unbehagen und hätte ihm beinahe zugezwinkert.»Der Preis für Pflichterfüllung. «Er stieß einen würdevollen Seufzer aus.»Sie äußert sich auf verschiedene Weise.»