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»Über uns und über den Treck. Adam wollte mich mitnehmen, aber er wußte nicht, wie er es seinem Vater beibringen sollte. Mr. Zachary hält nämlich nicht viel von mir.«
»Adam hätte sich nicht mit Ihnen einlassen sollen«, platzte es aus dem graugesichtigen Mann heraus. »Das hat ihm den Tod gebracht!«
Urilla wurde von einem Weinkrampf geschüttelt und verbarg ihr Gesicht in den Händen.
Marshal Webb warf dem Prediger einen tadelnden Blick zu und meinte dann: »Es sieht alles so aus, als sei Mr. Bauer unser Hauptverdächtiger. Unser einziger Verdächtiger, um genau zu sein. Ich muß Sie bitten, Ihre Waffen abzulegen und mich zum Gefängnis zu begleiten.«
»Aber welchen Grund soll ich gehabt haben, Adam Zachary zu töten?« fragte Martin erregt.
»Eifersucht«, kam die Antwort von Aaron Zachary. »Jeder, der nur ein halbwegs gesundes Auge im Kopf hat, konnte sehen, daß Sie sich in. in das Mädchen verguckt haben, genau wie mein Bruder.«
Webb sah Martin prüfend an.
»Stimmt das?«
Der Deutsche nickte nur.
Urilla starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an.
*
Als Martin von Webb und Begley zum Stadtgefängnis gebracht wurde, begleitete sie Jacob.
Er konnte kaum glauben, was hier geschah. Es war wie in einem Alptraum.
Vor einer Stunde noch war die Welt in Ordnung gewesen. Das einzige Problem, was ihn und Martin beschäftigt hatte, war das Pferderennen.
Wirklich?
Jacob fragte sich plötzlich, weshalb Martin an diesem Morgen so einsilbig gewesen war. War es nur die Erkenntnis, daß Urilla Anderson seine Gefühle nicht erwiderte? Oder war es mehr gewesen, was ihn bedrückte? Das Wissen, einen anderen Menschen - seinen Rivalen - ermordet zu haben?
Jacob dachte an Martins verlorene Mütze. Vielleicht hatte er sie wirklich verloren, aber dann möglicherweise in der schmalen Gasse neben dem Saloon.
Und dann Martins blaues Auge. Gewiß, er mochte es sich bei einer Rauferei zugezogen haben. Aber vielleicht bei einem Kampf, den Adam Zachary um sein Überleben führte.
Jacob mußte Aaron Zachary recht geben: Das Motiv war da. Auch dem Zimmermann war aufgefallen, daß sich sein Freund Martin mächtig in das hübsche Mädchen aus dem Saloon verguckt hatte.
Wie schnell konnte bei einem Streit unter Rivalen, die im Saloon reichlich Bier und Schnaps genossen hatten, das Messer gezückt werden. Vielleicht hatte es Adam sogar zuerst gezogen, und Martin hatte sich nur verteidigt.
Aber wieso hatte er das dann verheimlicht? Aus Angst, niemand würde ihm glauben?
Zerknirscht mußte Jacob zugeben, daß alle Anzeichen gegen Martin sprachen.
Als Jacob sah, wie sein Freund hinter die dicken Steinmauern und die starken Gitterstäbe gesperrt wurde, schämte er sich plötzlich seiner Gedanken. Er dachte daran, welche Abenteuer und Gefahren er und Martin schon gemeinsam überstanden hatten, nachdem sie sich in Hamburg kennengelernt und dort das Auswandererschiff bestiegen hatten. Ohne Martins Hilfe wäre es dem wegen versuchten Mordes von der preußischen Polizei gesuchten Jacob nicht einmal gelungen, aufs Schiff zu kommen.
Martin hatte ihm stets treu zur Seite gestanden und niemals auch nur die Anzeichen eines schlechten Charakters offenbart. Es war fast ein Verrat, ihn als Mörder auch nur in Erwägung zu ziehen.
Es mußte eine andere Erklärung dafür geben, daß man Martins Mütze bei der Leiche gefunden hatte. Vielleicht ein Komplott wie das, was man in Deutschland gegen Jacob geschmiedet hatte, indem ihn Bertram Arning des versuchten Mordes bezichtigte.
Dabei hatte Jacob den Sohn des Bierkönigs Conrad Arning in einem Pistolenduell verletzt, zu dem der junge Arning ihn herausgefordert hatte. Aber das Wort des reichen Bierbrauersohns Bertram Arning galt mehr als das des armen Zimmermanns Jacob Adler.
Ein Komplott ähnlich wie das auf dem Flußdampfer ONTARIO, auf dem Jacob und seine Freunde den Ohio hinuntergefahren waren. Damals hatte eine Südstaatenspionin versucht, Jacob und Martin den von ihr verübten Doppelmord an zwei Matrosen anzuhängen.
Auf der Straße vor dem Gefängnis aufbrandender Lärm riß Jacob aus seinen Gedanken. Es waren laute Stimmen, die etwas skandierten. Bald erkannte es Jacob. Sie forderten die Herausgabe von Martin - um ihn aufzuhängen.
Sein Freund hinter den mehr als fingerdicken Gitterstäben wurde noch blasser, als er es in den letzten Minuten ohnehin schon geworden war.
»Ich sehe mal nach«, versprach ihm Jacob und folgte dem Marshal und seinem Deputy Begley, die vor die Tür getreten waren.
Auf der Straße hatte sich eine Meute von etwa dreißig bis vierzig Männern versammelt, die ihre Stimmen anhoben, als sie den Marshal und seine Begleiter erblickten. Es waren durchweg Gesichter, die Jacob kannte. Sie gehörten Männern aus dem Treck. Angeführt wurde der Mob von Abner Zachary und den beiden ihm verbliebenen Söhnen. Der Prediger hatte einen dicken Hanfstrick in der Hand und hielt ihn hoch.
»Geben Sie den Mörder meines Sohns heraus, Marshal!« schrie er mit seiner mächtigen, dröhnenden Stimme. »Wir werden ihn selbst richten!«
»Um Recht zu sprechen und durchzusetzen, dafür sind die Gerichte da, Mr. Zachary«, belehrte ihn Webb.
»Wir halten uns an Gottes Gesetz!«
»Hat Gott gesagt, man darf einfach so Menschen aufhängen?«
»Wissen Sie nicht, was in der Heiligen Schrift steht, Webb? Auge um Auge, Zahn um Zahn!«
»Selbst wenn das wahr wäre, so müßte Mr. Bauers Schuld erst einmal erwiesen sein, bevor er bestraft wird.«
»Das ist sie doch!« fuhr Aaron Zachary den Marshal an. »Alles spricht gegen den Deutschen!«
»Sollte man ihm nicht wenigstens Gelegenheit geben, etwas anzuführen, das für ihn spricht? In einer ordentlichen Gerichtsverhandlung?«
»Das dauert viel zu lange«, widersprach Aaron. »Wir brechen morgen nach Oregon auf. Wir wollen sehen, wie der Mörder meines Bruders bestraft wird. Er soll hängen!«
Er stürmte nach vorn und wollte auf den Vorbau klettern, auf dem Webb, Begley und Jacob standen. Ein paar der aufgebrachten Männer folgten ihm.
Der schwarzglänzende 44er flog in Webbs Faust, und die Mündung zielte auf Aaron.
»Zwingen Sie mich nicht zu schießen!« sagte der Marshal mit viel mehr Härte als zuvor. »Ich würde es nämlich tun!«
Auch Begley und Jacob zogen ihre Waffen und brachten damit das Vorrücken des Mobs zum Stillstand.
»Sie würden auf unschuldige Menschen schießen, um einen Mörder zu verteidigen?« fragte Abner Zachary den Marshal.
»Daß Mr. Bauer ein Mörder ist, ist noch nicht bewiesen. Wenn Sie ihn einfach so hängen, sind Sie die Mörder! Gedulden Sie sich doch etwas. Vielleicht finden sich heute noch Anhaltspunkte, die Mr. Bauer entlasten. Schließlich ist er einer Ihrer Leute!«
»Das steht nicht fest«, sagte der Prediger hart. »Er ist noch nicht lange bei uns. Ob er zu uns gehört, halte ich für sehr fraglich nach dem, was ich jetzt weiß.« Er sah auf den Strick in seiner Hand, auf seine beiden Söhne und auf die Waffen in den Händen der drei Männer auf dem Vorbau. »Also gut, Marshal. Ich gebe Ihnen einen Tag Zeit. Aber wenn sich Bauers Unschuld bis morgen früh nicht erwiesen hat, kommen wir zurück!«
*
Jacob verließ das Gefängnis erst, als ihm Marshal Webb versprochen hatte, für Martins Sicherheit zu sorgen. Mehrere Bewaffnete sollten ständig auf Wache sein. Wenn Jacob einem Mann in Kansas City zutraute, daß er Martin vor einem Lynchmord bewahrte, war das der Marshal, der sich als ebenso aufrichtig wie couragiert erwiesen hatte. Fast schien Webb selbst nicht so ganz an Martins Schuld zu glauben. Aber bei der Lage der Dinge blieb ihm gar nichts anderes übrig.