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Folsom hatte die Lage schnell erkannt, ließ die Zügel los und zog seine Revolver. Da krachte Webbs 44er. Die Kugel traf die rechte Schulter des Ledergesichtigen, und seine Waffe fiel aus der rechten Hand.
»Ich würde auch das andere Schießeisen fallen lassen!« rief der Marshal. »Mehr als ein Dutzend Mündungen sind auf euch gerichtet!«
Das Ledergesicht zog seine Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und ließ seinen Blick über die Hänge des Canyons gleiten. Als er die vielen Waffen sah, die im grellen Sonnenlicht aufblitzten, erkannte er seine aussichtslose Lage, und sein zweiter Revolver folgte dem ersten.
»Was ist mit dir, Goliath?« fragte Webb den Riesen.
Big Hatch ließ die Zügel des Packpferdes los, schnallte seinen Waffengürtel ab und ließ ihn in den Bach fallen.
Webb, Jacob und die anderen verließen ihre Stellungen und gingen langsam, die Waffen noch schußbereit in den Händen, zum Creek hinunter.
Die ersten Männer waren noch nicht ganz unten, als Stanton, den alle für bewußtlos gehalten hatten, plötzlich mit gezogenem Colt aufsprang und einen Sprung zum Packpferd machte. Dort drückte er die Mündung seiner Waffe gegen den Mehlsack.
»Jetzt laßt ihr die Waffen fallen!« befahl er. »Sonst stirbt der Nigger.«
»Wir sind in der Überzahl«, ermahnte ihn Webb.
»Na und? Wenn ihr mich auch tötet, den Nigger nehme ich mit!«
Man sah dem vor Haß und Erregung verzerrten Gesicht des Sklavenjägers an, daß er es ernst meinte. Er hatte seinen Hut verloren. Sein Schädel war naß von Wasser und Blut. Beim Sturz in den Creek hatte er sich die Stirn aufgeschlagen. Sein sonst lockiges Haar klebte jetzt an seinem Schädel.
Die Männer des Verfolgertrupps sahen einander ratlos an und richteten ihre fragenden Blicke dann auf den Marshal.
»Was ist jetzt?« fragte Stanton ungeduldig. »Ich zähle bis fünf!«
»Sie brauchen nicht zu zählen«, erwiderte der Marshal. »Wir ergeben uns.« Er wandte sich an seine Männer. »Laßt die Waffen fallen, Boys!«
Ein zufriedenes, siegesgewisses Grinsen zeichnete sich auf Stantons Gesicht ab.
Webb senkte den rechten Arm mit dem Revolver. Als sich die Waffenhand nur noch in Hüfthöhe befand, krachte ein Schuß.
Die Kugel des Marshals traf den Sklavenjäger in die Brust und ließ ihn zusammenzucken. Ungläubiges Staunen vertrieb das Grinsen von seinem Gesicht. Aber noch stand er aufrecht und richtete seinen Navy Colt wieder auf den Mann in dem großen Sacke.
Webb feuerte eine zweite Kugel ab, die in Stantons Oberschenkel schlug und ihn endlich von den Beinen riß. Der Schuß aus seinem Colt löste sich, richtete aber keinen weiteren Schaden an, außer das Packpferd scheuen zu lassen.
Mit schnellen Schritten waren die Männer der Posse am Creek und fesselten Stantons Begleiter. Ein nach Luft schnappender, überglücklicher Jackson Harris wurde aus dem Sack geholt und von seinen Fesseln befreit.
Everett Stanton lag zusammengekrümmt im Bach. Das aus seinen Wunden fließende Blut bildete dünne Fäden im Wasser, bis es sich mit ihm vermischte. Der Sklavenjäger atmete nur noch schwach. Webbs erste Kugel hatte ihn nahe dem Herzen getroffen. Es war nur noch eine Frage von Minuten.
Webb bückte sich plötzlich und fischte etwas nahe dem Sterbenden aus dem Wasser. Es war eine goldene Taschenuhr, die an einer goldenen Kette hing.
»Das Ding kann noch nicht lange im Wasser liegen«, brummte der Marshal und klappte den Deckel auf. »Vermutlich ist es Stanton aus der Tasche gefallen.«
Mit dem Aufklappen des Deckels ertönte eine liebliche Melodie, die Jacob zusammenfahren ließ.
»Das Lied habe ich schon einmal gehört«, sagte er erregt. »Im Lager.« Er besah sich die Taschenuhr genauer. »Die Uhr gehörte Adam Zachary!«
Webb blickte ihn überrascht an. »Sind Sie sich da sicher, Adler?«
»Vollkommen.«
Sam Kelley trat an ihre Seite. »Jacob hat recht. Es ist... war Adams Uhr. Ich habe sie mehrmals bei ihm gesehen, und die Melodie erkenne ich auch wieder.«
Webb ging neben Stanton in die Hocke und fragte: »Haben Sie Adam Zachary ermordet, Stanton?«
Der Sklavenjäger schaffte es noch einmal, sein gemeines Grinsen aufzusetzen, und keuchte leise: »Fahren Sie. doch. zur Hölle.«
Dann fiel sein Kopf zur Seite. Er war tot.
»Von dem erfahren Sie nichts mehr, Marshal«, spottete McPherson.
»Ich habe ja noch euch«, sagte Webb scharf, als er sich erhob. »Entführung ist eine Sache. Aber wenn auch noch ein Mord dazukommt, ist euch der Strick sicher.«
»Wir haben nichts damit zu tun!« entgegnete Big Hatch empört.
»Mitgefangen, mitgehangen«, sagte Webb nur und tat, als interessierte ihn die Sache nicht weiter.
»Halt, Marshal!« rief der Riese. »Brad und ich waren wirklich nicht dabei!«
Webb drehte sich langsam zu ihm um und sah ihn fragend an. »Wobei?«
»Als Stanton den Sohn des alten Predigers getötet hat.«
»Warum wißt ihr dann, daß er es getan hat?«
»Stanton hat es uns erzählt. Im Saloon hat er Ärger mit dem Sohn des Predigers bekommen, weil Stanton sich an dieses Mädchen heranmachen wollte.«
»Urilla«, sagte der Marshal.
»Yeah, so hieß sie. Als Stanton diesen Zachary vor dem Saloon wiedertraf, kam es zum Streit. Zachary zog sein Messer, aber Stanton hat es ihm aus der Hand gerissen und ihn erledigt.«
»Wieso haben wir dann die Mütze des Deutschen bei der Leiche gefunden?«
»Stanton wollte besonders schlau sein. Er hatte gesehen, wie der Dutch seine Mütze bei der Prügelei im Saloon verloren hatte. Sie lag in der Nähe des Eingangs. Stanton holte sie und legte sie neben den Toten, bevor er wegritt.«
Jacob sah Webb an. »Ist mein Freund Martin jetzt entlastet, Marshal?«
Webb nickte. »Voll und ganz.«
*
Als die Posse nach Kansas City zurückkehrte, erregte sie großes Aufsehen. Folsom und McPherson wurden ins Gefängnis gesperrt, wo sich der Arzt um Folsoms verletzte Schulter kümmern sollte.
Martin war noch im Haus des Arztes. Er hatte sich von dem versuchten Lynchmord gut erholt. Noch viel besser ging es ihm, als er erfuhr, daß der schwere Mordverdacht nicht mehr auf ihm lastete.
Als Abner Zachary zum Haus des Arztes kam, blickten ihm Jacob, Martin, Irene und auch Marshal Webb skeptisch entgegen. Der Prediger wirkte gar nicht mehr so kräftig wie bisher. Er ging tief nach vorn gebeugt, was ihn ein ganzes Stück kleiner erscheinen ließ. Man sah ihm schon von weitem an, wie schwer ihn seine Tat bedrückte.