158306.fb2 Mauern aus Holz, M?nner aus Eisen: Admiral Bolitho am Kap der Entscheidung - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 3

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III Wer ist die Albacora?

Der kleine Toppsegelschoner Miranda erinnerte an eine riesige, flatternde Motte. Möwen umkreisten ihn schreiend, als er gischtumhüllt wendete. Seine Spieren gingen über, dann fingen die Segel den Wind von der anderen Seite ein.

Die Miranda krängte so weit nach Lee, daß die See durch ihre Speigatten rauschte, sogar über die Reling einstieg und die Vierpfünder an Deck umspülte, als seien es Felsen im Meer. Das Donnern der Brecher und das Knallen der Leinwand umgaben das Schiff. Kommandos waren kaum nötig, denn jeder an Bord wußte, was er zu tun hatte und wo Gefahren drohten. Die See konnte einem Mann an Deck die Knochen brechen, der Wind ihn fauchend über Bord fegen. Ein so kleines, quirliges Schiff brauchte aufmerksame und erfahrene Männer.

Achtern am Kompaß hielt sich ihr Kommandant, Leutnant James Tyacke, an einer Pardune fest. Wie seine ganze Besatzung war er naß bis auf die Haut. Mit geröteten Augen starrte er durch die Gischt hoch zum brettharten Großsegel und seiner Flagge, während das Schiff mit südlichem Kurs durch die Seen pflügte.

Sie hatten die ganze Nacht und ein Gutteil des Tages dazu gebraucht, um sich aus der Saldanhabucht freizusegeln, weg von den ankernden Kriegsschiffen, Versorgern, Bombarden, Truppentransportern und kleineren Einheiten. Leutnant Tyacke war lange nach Westen abgelaufen, um genügend Raum für eine schnelle Reise hinunter zu Commander Warrens kleiner Flottille zu haben. Noch aus einem anderen Grund war er weit auf See hinaus gesegelt, und den ahnte allenfalls der zweite Mann an Bord. Tyacke wollte so viel Raum wie möglich zwischen sich und die Flotte legen, damit ihn nicht wieder ein Befehl zum Flaggschiff zurückrief.

Er hatte seinen Auftrag ausgeführt, hatte Bolithos Depeschen dem General und dem dortigen Commodore übergeben und war nun froh, wieder unterwegs zu sein.

Tyacke war dreißig Jahre alt und seit drei Jahren Kommandant der Miranda. Verglichen mit ihr war das Flaggschiff wie eine Stadt gewesen, in der es mehr Rotröcke gab als Seeleute. Natürlich kannte er solch große Schiffe. Vor acht Jahren war er Leutnant auf der Majestic gewesen, einem Zweidecker in Nelsons Mittelmeerflotte. Er hatte im unteren Batteriedeck gekämpft, als Nelson die Franzosen in der Bucht von Abukir vernichtete. Aber sie waren zu furchtbar, diese Bilder seiner Erinnerung. Im Lauf der Zeit verwischten sie sich wie Szenen aus einem Albtraum. Später zählte man ihn zu den Glücklichen — nicht wegen des Sieges, für den sich nur Leute rühmen konnten, die nicht dabeigewesen waren. Aber er hatte überlebt, wo so viele gefallen waren oder sich unter der Säge und dem Messer des Schiffsarztes zu Tode geschrieen hatten. Und er war auch nicht als mitleidheischender Krüppel daraus hervorgegangen, an dessen Verdienste sich niemand erinnern wollte.

Leutnant Tyacke blickte auf den Kompaß. Sein Schiff schnitt durch die Wogen, als seien sie Luft. Er legte die Hand aufs Gesicht und spürte, was er jeden Tag beim Rasieren im Spiegel sah. Eine Kanone war explodiert oder eine brennende Lunte herübergeschleudert worden und hatte eine Ladung Pulver entzündet. Niemand war übriggeblieben, der ihm den genauen Ablauf beschreiben konnte. Niemand außer ihm. Die ganze rechte Hälfte seines Gesichts war weggebrannt worden und sah nun aus wie gegrilltes Fleisch. Die Leute drehten sich weg, um ihn nicht sehen zu müssen. Ein Wunder, daß die Augen unverletzt geblieben waren.

Er erinnerte sich, wie er vor Stunden mit den Depeschen an Bord des Flaggschiffs gekommen war. Er hatte weder den dortigen Commodore noch den General gesehen. Ein gelangweilter Oberst nahm ihm den Umschlag ab, ein Glas Wein in der gepflegten Hand, und lud ihn nicht einmal zum Sitzen ein, schon gar nicht zum Mittrinken.

Als er dann über die Seite des riesigen Schiffes in sein Beiboot hinunterkletterte, war eben dieser Oberst an die Reling geeilt.»Leutnant! Warum haben Sie uns nichts von Nelson und seinem Sieg berichtet?«hatte er ihm nachgerufen.

Tyacke hatte an der schwarzen, gewölbten Bordwand hinaufgeblickt und seine Verachtung nicht länger verhehlt.»Niemand hat mich danach gefragt, Sir!»

Benjamin Simcox, als Master-Gehilfe für Navigation auf der Miranda zuständig, saß im Beiboot neben seinem Kommandanten. Im gleichen Alter wie Tyacke, war er wie der Schoner selbst aus der Handels- zur Kriegsmarine gewechselt. Mit Bob Jay, dem zweiten Master-Gehilfen, machten sie den nur 22 Meter langen Schoner zu einem perfekten Segler, auf den jeder an Bord stolz war.

Tyacke, Simcox oder Jay waren die drei Wachführer, und Tyacke und Simcox waren in den drei Jahren Freunde geworden. Ihr unterschiedlicher Rang trennte sie nur bei so offiziellen Anlässen wie jetzt beim Besuch des Flaggschiffs.

Tyacke sah Simcox an, vergaß seine Entstellung für einen Augenblick und sagte:»Das war seit einem Jahr das erste Mal, daß ich wieder den Degen angelegt habe, Ben.»

Simcox nickte und erinnerte sich daran, wie er einmal nachts in der Kammer neben der des Kommandanten erwacht war. Tyacke hatte im Traum laut auf ein Mädchen eingeredet, das versprochen hatte, auf ihn zu warten. Das Gestammel war herzzerreißend gewesen. Simcox hatte Tyacke an der Schulter gerüttelt, damit nicht das ganze Schiff mithörte. Eine Erklärung war nicht nötig. Tyacke hatte eine Flasche Brandy geholt, die bis zur Morgendämmerung leer gewesen war. Tyacke hatte dem Mädchen, das er seit seiner Jugend kannte, keine Vorwürfe gemacht. Niemand würde sein Gesicht jeden Morgen sehen wollen, sagte er.

Nachdem sich die Miranda auf dem neuen Kurs stabilisiert hatte, rief Simcox durch den Lärm seinem Kommandanten zu:»Prima, wie sie läuft!«Er zeigte auf eine Figur, die sich bei der Luke angeleint hatte, Hose und Strümpfe mit Erbrochenem bekleckert:»Dem allerdings geht's nicht so gut!»

Es war Midshipman Roger Segrave, seit Gibraltar auf der Miranda. Sein früherer Kommandant hatte Tyacke gebeten, ihn zu übernehmen, damit der Junge auf einem kleineren Schiff mehr praktische Seemannschaft lernte als auf dem Dreidecker und Selbstvertrauen gewann. Es hieß, der Onkel des Midshipman sei

Admiral in Plymouth und bange um den guten Namen der Familie. Roger durfte auf keinen Fall durch das Leutnantsexamen fallen. Tyacke hatte klar gesagt, daß er nichts davon hielt. Der junge Mann störte die eingespielte Bordroutine wie ein unwillkommener Besucher.

Simcox war von der alten Schule. Von einem Tampen oder einer Ohrfeige zur rechten Zeit hielt er mehr als von langen Reden über Disziplin. Doch verbohrt war er nicht. Also erklärte er dem Midshipman, was ihm bevorstand. Leutnant Tyacke war der einzige Offizier an Bord, und Segrave als Kadett durfte auf diesem kleinen Schoner keine Privilegien erwarten. Hier waren alle eine einzige Besatzung, anders als auf einem übervollen Linienschiff.

Segrave sank stöhnend über die Luke. Sechzehn Jahre war er alt und fast so hübsch wie ein Mädchen; er benahm sich wie ein scheuer Edelknappe, auch der Besatzung gegenüber. Zwar gehörte er nicht zu den verwöhnten Monstern, von denen Simcox gehört hatte, aber leider auch nicht zu den jungen Männern, die alles erfolgreich anpacken konnten. Er gab sich Mühe — ohne Erfolg. Jetzt starrte er in den Himmel, gleichgültig gegenüber dem peitschenden Gischt und seiner beschmutzten Kleidung. Leutnant Tyacke musterte ihn kühl.»Binden Sie sich los, gehen Sie nach unten und holen Sie uns Rum. Leider kann ich niemand anderen schicken, alle werden hier gebraucht.»

Simcox grinste hinter dem Jungen her, der ächzend unter Deck verschwand.»Gehen Sie nicht ein bißchen hart mit ihm um, James?»

Tyacke zuckte mit den Schultern.»Schadet nichts. In ein oder zwei Jahren läßt er Männer an der Gräting auspeitschen, nur weil sie ihn scheel angeschaut haben.»

«Der Wind räumt«, rief Jay, der zweite Gehilfe.

«Geht höher ran. Setzt die Marssegel und dann ab mit Vollzeug.»

Unter Deck hörte man Scherben klirren. Jemand erbrach sich.

«Den kleinen Affen bringe ich noch mal um«, murmelte Tyacke.

«Was halten Sie von Bolitho?«fragte Simcox, um ihn abzulenken.

Der Kommandant hielt sich fest und beugte sich vor, als eine See über Deck rauschte. In dem schäumenden, gurgelnden Wasser standen seine halbnackten Männer und grinsten einander zu. Niemand von denen würde über Bord gehen.

«Ein guter Mann, ganz bestimmt. «Tyacke erinnerte sich an die Hurrarufe, als Bolithos Schiff in die Schlacht eingegriffen hatte.»Ich kannte viele, die unter ihm gedient haben. In Dover gab's noch einen alten Mann, der unter Bolithos Vater kämpfte, als der seinen Arm verlor. In Dover war ich zu Hause, und da ist auch dieser Schoner gebaut.»

Simcox musterte das scharfe Profil seines Kommandanten. Ein Mädchen, das den Leutnant nur von dieser Seite sah, hätte sich leicht in ihn verlieben können.

«Erzählen Sie dem Admiral von diesem alten Mann?»

Tyacke wischte sich Wasser von Gesicht und Hals.»Wie denn? Er ist doch Admiral!»

Die Miranda jagte unter vollem Tuch durchs Wasser, daß der Schatten ihrer Segel wie eine riesige Flosse über die Wellen flog. Trotzdem lag sie leicht auf dem Ruder. Sie war als Paketboot in Dover gebaut worden, aber schon nach den ersten Fahrten von der Royal Navy requiriert worden. Siebzehn Jahr später segelte sie noch immer unter der Kriegsflagge, ein sehr lebendiges Schiff, das hoch an den Wind ging wegen seines einfachen Segelrisses und seines tiefen Kiels. Er verhinderte, daß sie zuviel Abdrift machte wie manche größeren Schiffe. Mit ihren vier Vierpfündern und zwei Karronaden war sie als Kurier gebaut, nicht für Gefechte. Eine einzige Breitseite von einer Fregatte hätte sie in ein Wrack verwandelt.

Zwischen den Decks hing der kräftige Duft nach Rum und Tabak und der fette Geruch des Mittagessens. Als sich die Wache um den Messetisch versammelte, saßen Simcox und Tyacke in der Kajüte. Dieser Raum war so niedrig, daß sich die beiden großen Männer darin nur gebückt bewegen konnten.

Der Midshipman saß ihnen beschämt und ängstlich am anderen Ende gegenüber. Er tat Simcox leid. Schon der Gedanke an Essen bei diesem Seegang mußte seinen Magen aus dem Gleichgewicht bringen.

Plötzlich sagte Tyacke:»Sollte ich doch mit dem Admiral zusammentreffen, werde ich ihn um Bier für uns bitten. Ich habe gesehen, daß einige Soldaten auf dem Flaggschiff Bier tranken — warum also nicht auch wir? Das Wasser bringt hier sicherlich mehr Leute um als die Holländer.»

Beide sahen überrascht auf, als Segrave sich meldete:»In London wurde viel über Vizeadmiral Bolitho geredet.»

«Und was bitte?«fragte Tyacke mit täuschend freundlicher Stimme.

Segrave vergaß seine Seekrankheit und gab bereitwillig Auskunft.»Meine Mutter meinte, er hat sich unmöglich benommen. Unmöglich! Wie konnte er nur seine Frau wegen dieser Kokotte verlassen? Ganz London empört sich darüber. «Weiter kam er nicht.

«Wenn Sie das vor der Mannschaft sagen, werde ich Sie unter Arrest stellen und in Eisen legen lassen, junger Mann«, drohte Tyacke. Aber Simcox war sicher, daß die Freiwache trotzdem jedes Wort gehört hatte. Warum erregte sich der Kommandant so?

Tyacke beugte sich vor.»Und wenn Sie hier solchen Schwachsinn noch einmal sagen, werde ich Sie zum Duell fordern, egal wie jung und nutzlos Sie sind.»

Segrave wurde blaß. Simcox legte Tyacke eine Hand auf den Arm.»Ruhe, Ruhe. Woher soll's der Junge wissen?»

Tyacke schüttelte seine Hand ab.»Verdammt noch mal, Ben, was wollen diese Leute eigentlich?«Er wies mit dem Zeigefinger auf Segrave.»Wieso dürfen sie Männer verurteilen, die jede Stunde, jeden Tag ihr Leben aufs Spiel setzen, damit andere in Ruhe und Frieden daheim ihren Tee trinken und ihre Kekse essen können? Ich kenne Bolitho nicht, aber so etwas lasse ich nicht über ihn sagen.»

In der Stille gurgelte die See ums Heck.»Tut mir leid, Sir«, wisperte Segrave schließlich.

Tyacke lächelte unerwartet.»Ich hätte Sie nicht anbrüllen sollen, das war nicht fair. Sie können sich nicht wehren. «Er wischte sich die Stirn mit einem zerknüllten Taschentuch.»Aber jedes Wort zählt, also seien Sie auf der Hut.»

In dem frischen Nordwest war von draußen plötzlich der Ruf des Ausgucks zu hören:»Segel an Steuerbord voraus!»

Simcox klemmte seine Tasse in einem sicheren Winkel fest.

Der Ruf war gerade zur rechten Zeit gekommen.

«Kurs Südwest zu Süd liegt an, Sir. Voll und bei.»

Das Deck der Miranda neigte sich noch stärker, als der Schoner unter dem Druck von Groß- und Vorsegeln dem Ruder gehorchte. Wasser rauschte um die halbnackten Seeleute, die die gequollenen Leinen dichtholten und mit gekrümmten Zehen Halt an Deck suchten. Leutnant Tyacke zog sich zur Luvreling hoch. Am Bug sprang die Gischt empor und ließ den Klüver im Sonnenlicht metallisch glänzen.

Simcox nickte zustimmend, als der rundliche Bootsmann George Sperry noch zwei Mann ans Ruder stellte. Die Miranda wurde über eine geschnitzte Pinne gesteuert, was in dem harten Wind viel Kraft verlangte. Er sah Midshipman Segrave im Schatten des Großmasts stehen, der unter dem Segeldruck ächzte. Der Junge versuchte müde, den Männern auszuweichen, die an ihm vorbeihasteten, um die Brassen dichtzusetzen.»Wahrschau!«rief er ihm zu. Eine See stieg über die Leereling ein, begrub den Jungen unter sich und rauschte weiter. Segrave kam schnaufend und pitschnaß wieder frei.

«Her zu mir!«rief Simcox.»Achten Sie auf Segel, Wind und Kompaß, damit Sie endlich ein Gefühl für die Miranda kriegen.»

Hoch oben knallte etwas wie eine Peitsche: Eine Leine war gebrochen und wehte aus. Schon enterte ein Matrose auf, ein zweiter warf ihm eine Leine zum Anstecken nach, denn zum Spleißen blieb keine Zeit.

Segrave klammerte sich an die Beting unter dem Besanbaum und starrte nach oben. Die Männer, die da arbeiteten, scherten sich einen Teufel um den Wind, der sie aus der Takelage reißen wollte. Noch nie hatte er sich so elend, so verzweifelt und so mutlos gefühlt. Noch immer schmerzte ihn Tyackes Anpfiff wegen Bolitho. So wütend hatte er den Kommandanten noch nie erlebt.

Segrave wollte Tyacke ausweichen, doch das war auf einem so kleinen Schiff unmöglich. Es gab niemanden, mit dem er reden konnte, der ihn verstand. Auf seinem letzten Schiff hatte er gleichaltrige Kameraden gehabt, aber was blieb ihm hier? Sein Vater war ein Held gewesen, an den sich Roger Segrave allerdings kaum erinnern konnte. Bei seinen seltenen Besuchen daheim war er ihm fremd geblieben, ein unzufriedener Mann. Lag es daran, daß er drei Töchter, aber nur einen Sohn hatte? Eines Tages traf die Nachricht ein, daß Kapitän Segrave in der Schlacht von Camperdown gefallen war. Mit trauriger, doch gefaßter Stimme hatte die Mutter den Kindern den Tod des Vaters mitgeteilt. Da hatte schon ein Onkel, pensionierter Admiral in Plymouth, Roger unter seine Fittiche genommen — zum bleibenden Ruhm der Familie. Als der Onkel ein passendes Schiff gefunden hatte, wurde der Junge mit einer Seekiste an Bord geschickt. So begannen für ihn drei höllische Jahre auf See. Segrave haßte die Marine, ihm war die Familientradition herzlich gleichgültig. Ehe er Portsmouth verließ, hatte er seiner Mutter sein Herz ausgeschüttet, aber sie hatte ihn umarmt und dann von sich geschoben. Ihre Stimme klang verletzt:»Und das, nachdem der Admiral soviel für dich und unsere Familie getan hat! Sei tapfer, Roger. Wir wollen stolz auf dich sein!»

Segrave versteifte sich jetzt, als der Kommandant sich zu ihm umdrehte. Wenn er nur nicht dieses furchtbar entstellte Gesicht gehabt hätte! Segrave ahnte trotz seiner Jugend, wie sehr Tyacke darunter litt. Und obwohl er es gar nicht wollte, starrte er ihm immer wieder ins Gesicht.

Wenn er seine Prüfung bestand, würde er zum Leutnant befördert werden. Er duckte sich, als Gischt auf ihn niederprasselte. Dann mußte er die Messe mit anderen Offizieren teilen, und die würden schnell erkennen, was für ein Schwächling er war; eine Gefahr für alle, wenn es zum Kampf kam. Er ballte die Hände, bis es schmerzte, und schluckte vor Furcht.

Simcox köpfte ihm auf die Schulter.»Fallen Sie einen Strich ab. Neuer Kurs Südsüdwest. «Segrave gab den Befehl an den ältesten Rudergänger weiter, doch der übersah den Midshipman und suchte Simcox' Blick zur Bestätigung.

«An Deck! Der Fremde läuft davon und setzt mehr Segel.»

Tyacke schob die Daumen hinter seinen Gürtel.»Er versucht's also. «Durch die hohlen Hände rief er:»Mr. Jay, nehmen Sie ein Glas mit nach oben!«Der Mastergehilfe eilte zu den Webleinen, und da kam schon der nächste Befehl:

«Marssegel setzen!«Tyacke lächelte, was er selten tat.»Er wird uns nicht entkommen.»

Dann schien er Segrave zum erstenmal zu bemerken.»Entern Sie mit auf und lernen Sie was!«Damit ließ er den Midshipman stehen.

Segrave hatte endlich das Ende der schwankenden Webleinen erreicht und hielt sich neben Mr. Jay auf der Saling fest. Die Höhe machte ihm nichts aus, er starrte über die endlose See mit ihren weißschäumenden Wellen. Hier oben konnte man das Schiff vergessen. Er sah, wie die Gischt am Bug hochstieg und über das Deck geweht wurde, fühlte das Zittern des Mastes und merkte, wie die Segel den Wind einfingen, dessen Heulen alles an Deck übertönte.

Jay gab ihm das Teleskop.»Schauen Sie sich den mal an. «Dann brüllte er nach unten:»Ein Schoner, Sir! Ohne Flagge.»

Tyackes Stimme drang mühelos bis zu ihnen herauf:»Flieht er?»

«Aye, aye, Sir.»

Sie hörten das Quietschen eines Blocks, und Sekunden später entfaltete sich die Kriegsflagge unter der Gaffel der Miranda. Jay grinste:»Denen werden wir's zeigen!»

Segrave sah, daß das andere Schiff ebenso stark überholte wie die Miranda. Es schien plötzlich sehr viel näher. Segrave erkannte schmutzige, geflickte Segel und auswehende, gebrochene Tampen. Der Rumpf war wohl mal schwarz gewesen, aber jetzt hatten Wetter und Seen an vielen Stellen die Farbe abgefressen. Auf einem Schiff der Navy wäre so etwas unmöglich gewesen, auch nach härtesten Einsätzen.»Was ist das für einer, Mr. Jay?»

«Vermutlich ein Sklavenhändler. «Jay musterte das andere Schiff abschätzig.»Den schnappen wir uns ganz bestimmt.»

Tyackes Stimme schallte übers Deck:»Klar zum Gefecht! Mr. Archer nach achtern, bitte. «Archer war der Stückmeister.»Mr. Segrave! Nach unten, aber sofort!»

Jay sah zu, wie der Midshipman in den Webleinen abenterte. Sein helles Haar wehte im Wind. Über den Jungen konnte man sich nicht beklagen, doch ein so kleines Schiff hatte seine Tücken. Eine Hand fürs Schiff, eine für dich selbst, hieß die wichtigste Regel. Passagiere oder Muttersöhnchen hatten an Bord keinen Platz.

Als Segrave das Deck erreicht hatte, stand Simcox schon vor ihm:»Helfen Sie Mr. Archer, er wird vorn den Vierpfünder feuerklar machen und abfeuern. Lernen Sie dabei, soviel Sie können.»

Der rundliche Bootsmann grinste mit seinen schadhaften Zähnen:»Archer schießt einen Apfel vom Baum, selbst noch auf hundert Schritt.»

Tyacke sprach jetzt mit dem Rudergänger, und in der grellen Sonne sah sein Gesicht wie frisches Fleisch aus. Segrave folgte dem Stückmeister, aber am liebsten hätte er sich unter Deck verkrochen. Der grauhaarige Elias Archer stand lässig mit vor der Brust verschränkten Armen auf dem tanzenden Vordeck und ließ seine Männer das Buggeschütz laden.

«Haben Sie das schon mal gemacht?«frage er den Midshipman und starrte dabei zu dem anderen Schiff hinüber. Es war größer als die Miranda und konnte ihnen immer noch davonsegeln.

Segrave schüttelte den Kopf. Ihm war eiskalt trotz der Sonne, und er zitterte, wenn der Bug in die See fiel.»Nein«, antwortete er.

«Mein letztes Schiff hat mal einen französischen Zweidecker verfolgt, aber der lief auf Grund und ging in Flammen auf, ehe wir ihn entern konnten.»

«Wir machen das besser. «Der Stückmeister nahm eine glänzende Kanonenkugel aus dem Gestell und rollte sie prüfend zwischen seinen harten Händen.»Kurierschiffe müssen schnell und leicht sein. Ohne uns bekäme die Flotte keine Nachrichten. Und ohne uns wäre selbst Nelson damals am Ende gewesen. «Einem aus seiner Mannschaft befahl er:»Stückpforte auf.»

Segrave sah Männer an Schoten, Halsen und Brassen eilen. Der verfolgte Schoner war bestimmt abgefallen, obwohl das von hier aus schwer zu beurteilen war.

Archer beugte sich vor und beobachtete kritisch, wie die Kanone geladen wurde.»Manche Idioten verdoppeln die Pulvermenge«, sagte er,»aber nicht auf der kleinen Miranda.»

Segrave hörte den Befehl des Kommandanten:»Signalisieren Sie ihm, er soll beidrehen.»

Archer grunzte nur.»Darum kümmert der sich einen Dreck.»

«Vielleicht kennt er unsere Signale nicht«, meinte Segrave unschlüssig.

Ein Matrose deutete grinsend auf die Kanone.»Die versteht er bestimmt!»

Der andere Schoner zeigte sein Unterwasserschiff unter dem Druck der Segel. Köpfe wurden über der Reling sichtbar, aber niemand antwortete auf das Signal der Miranda. »Laden und ausrennen«, kam Tyackes Befehl.

Die Kugel wurde in die Mündung geschoben, ein Propf nachgestopft, dann zog die Mannschaft an den Brocktauen, und das Rohr schob sich durch die offene Pforte. Archer erklärte, was vorging.»Der hat zwar den besseren Wind, mein Junge, aber wir können ihm eins verpassen, wohin wir wollen.»

Jay im Ausguck brüllte plötzlich:»Die werfen eine Leiche über Bord, Sir. Und noch eine!»

Tyacke preßte das Teleskop ans Auge.»Der letzte lebte noch«, sagte er böse.»Vor ihren Bug, Mr. Archer!»

Archer duckte sich, peilte über den Lauf und riß an der Abzugsleine. Die Kanone ruckte zurück in ihre Halteseile, Rauch wehte aus der Pforte, und der Lauf wurde sofort für den nächsten Schuß ausgewischt.

Segrave sah an Steuerbord des fremden Schoners Gischt aufspritzen. Hatte Archer mit seinem Schuß so weit daneben gelegen? Aber die Kugel war übers Wasser gehüpft wie ein springender Delphin und vor dem Bug eingeschlagen. Segrave deutete auf die Gischt, die jetzt in sich zusammenfiel.»Was ist das?»

Sperry, der Bootsmann, sagte heiser:»Da toben Haie.»

Segrave fühlte, wie ihm schlecht wurde. Die beiden Körper, die man wie Abfall über Bord gekippt hatte, waren vor seinen Augen zerrissen worden.

«Bootsmann! Beiboot aussetzen!»

Segrave sah, wie das andere Schiff beidrehte, seine geflickten Segel flatterten wild. Aber die Mannschaft der Miranda war solche Jagden gewöhnt. Die Waffenkiste stand schon geöffnet an Deck, Jay rutschte eine Pardune hinunter, griff nach einem Säbel und ließ sich eine Pistole reichen.

«Wir bleiben in Lee. Geht an Bord und durchsucht sie, aber laßt euch auf nichts ein. Ihr wißt, was ihr tun müßt!«rief ihnen Tyacke zu.

Simcox wandte sich an Segrave.»Halten Sie sich am besten an Mr. Jay. Wenn der da drüben Sklaven an Bord hat, müssen wir ihn laufen lassen. Es gibt kein Gesetz gegen Sklavenhandel, jedenfalls noch nicht. Aber ich würde die Crew da drüben hängen, Gesetz hin, Gesetz her.»

Tyacke trat zu ihnen.»Unterstützen Sie Mr. Jay, wo Sie können«, sagte er zu Segrave.»Aber seien Sie auf der Hut, die dort drüben sind tückischer als Schlangen.»

Vom Beiboot aus sah die kleine Miranda riesig aus.»Klar bei Riemen. Ruder an!«Jay ergriff die Pinne, und das Beiboot hielt auf den anderen Schoner zu.

Sperry, mit einer Axt und einem Entermesser im Gürtel, sog Luft durch die Nase.»Kein Sklavenhändler!«sagte er.»Er stinkt nicht. Wir hier in Lee müßten es riechen.»

Segrave biß die Zähne zusammen. Was kam da bloß auf ihn zu? Er erinnerte sich, wie seine Mutter ihm und den Schwestern vom Tod des Vaters berichtet hatte. Wie würde sie auf seinen Tod reagieren? Mit Stolz? Oder laut klagend? Er starrte auf das andere Schiff, bis seine Augen schmerzten. Zur Hölle mit allem!

Jay rief hinüber:»Im Namen des Königs! Wir kommen jetzt an

Bord!»

Sperry grinste.»Wie schön du das mal wieder gesagt hast, Bob.»

Während die beiden sich neckten, starrte Segrave sie angstvoll an. Sklavenschiffe waren oft hervorragend bewaffnet, hatte er gehört.

Plötzlich wurde Jay ernst.»Also, wir machen's wie üblich, Männer. Übernehmt als erstes das Ruder und entwaffnet die Mannschaft. Und Sie bleiben in meiner Nähe«, wandte er sich an Segrave.»Also los!»

Ein Wurfanker flog über die Reling des Schoners, der Albacore hieß, und dann kletterten sie alle an Bord. Das Rauschen der See klang ferner, als sie auf dem fremden Deck standen. Segrave hielt sich an den Mastergehilfen, der sich jetzt vor einem Herrn in schmutziger weißer Kniehose und zerknittertem Seidenhemd verneigte.

«Sie sind wohl der Skipper?»

Segrave musterte die fremde Crew. Ein gemischtes Volk, der Abschaum der Gosse.

«Und was ist das?«Mit kräftigem Schwung zog der Bootsmann einen Mann aus der Gruppe, riß ihm das Hemd auf und drehte ihn um, so daß Jay die Tätowierung auf seiner Brust sehen konnte: gekreuzte Flaggen, eine Kanone und der Name eines Schiffs — Donegal.

«Ein Deserteur, ha! Das ist wohl das Ende für dich.»

Der Mann wand sich.»Um Gottes willen, laßt mich laufen! Ich bin doch auch nur so ein armes Schwein wie ihr.»

«Und bald eine Leiche mit einem Strick um den Hals.»

Das würde Segrave nie verstehen: Männer, die selbst zum Dienst gepreßt worden waren, wurden sauwütend, wenn sie auf einen Deserteur trafen.

Der Skipper zuckte nur mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Jay seufzte.»Sprichst wohl kein Englisch, oder?«Er sah sich um und zeigte mit seinem Säbel auf den Deserteur.»Wenn du uns hilfst, wirst du nicht gehängt.»

Der fremde Seemann ließ sich auf die Knie fallen.»Ich hab' doch erst eine Reise gemacht, Sir!»

«Und wer warf die beiden Männer über Bord?«Die Säbelspitze berührte die Kehle des Mannes.»Keine Lügen, oder du gehst selber zu den Haien.»

«Der Skipper hat sie über Bord geworfen, Sir!«Er sabberte vor Angst.»Sie haben gekämpft und einander umgebracht. «Er senkte den Blick.»Der Skipper wollte sie sowieso loswerden, sie waren nicht kräftig genug für harte Arbeit.»

Segrave beobachtete den Mann im Seidenhemd, er schien kühl und unbewegt. Man würde ihm nichts anhaben können, obwohl er zwei Sklaven umgebracht hatte.

«Behalt die Crew im Auge, George«, rief Jay. Und an einen Matrosen gewandt:»Wir gehen jetzt unter Deck. Sie kommen mit, Mr. Segrave.»

Unten war es noch schmutziger. Der Rumpf stöhnte und knarrte, während die Männer mit brennenden Lampen zwischen die leeren Handfesseln und Fußeisen traten, die verhinderten, daß die Schwarzen sich mehr als ein paar Schritte bewegen konnten — auf der langen Reise von Afrika zu den westindischen Inseln oder ans südamerikanische Festland.

«Darum nehmen sie nur die gesündesten. Andere würden die Reise nicht überleben. «Jay spuckte aus.»Sie liegen hier unten wochenlang im eigenen Dreck.»

Segrave würgte der Ekel, aber er konnte sich gerade noch beherrschen.»Wird der Deserteur wirklich begnadigt?»

Jay sah ihn groß an.»Natürlich, wenn er uns helfen kann. Dann wird er nicht gehängt. Aber zweihundert Peitschenhiebe kriegt er bestimmt, damit er in Zukunft nicht vergißt, wohin er gehört.»

Der Seemann, der sie begleitete, fragte:»Was ist da achtern im Heck, Mr. Jay?»

«Die Kajüte und die Kammern. Warum?»

«Ich hab' dort was gehört.»

«Guter Gott!«Jay zog seine Pistole und spannte sie.»Vielleicht will uns irgendein Schweinehund in die Luft jagen. Los, ran!»

Der junge Seemann warf sich mit aller Kraft gegen die Tür und riß sie aus den Angeln. Bis auf einen Fleck Sonnenlicht lag die Kajüte im Dunkeln. Und selbst das bißchen Licht hatte Mühe, durch das dreckige Glas des Skylights zu dringen.

Auf einer schmutzigen Koje lag zwischen Lumpen eine junge schwarze Frau. Sie stützte sich auf die Ellbogen, ihre Beine waren von einem schmutzigen Laken bedeckt. Sonst war sie nackt. Sie schaute die Eindringlinge ohne Überraschung an. Als sie sich bewegen wollte, hielt eine Fußkette sie zurück.

«Aha«, sagte Jay leise,»so vergnügt sich also der Skipper.»

Sie kehrten an Deck zurück. Miranda ging gerade auf den anderen Bug, um näher an die treibende Albacora zu kommen. Tyackes Stimme erreichte sie mit Leichtigkeit:»Wer ist die Albacora?»

«Ein Sklavenschiff, Sir. Hat zur Zeit aber nur eine Schwarze an Bord. Und einen Deserteur!»

Segrave dachte an das schwarze Mädchen: angekettet wie ein Tier, zum Vergnügen des Skippers. Wie schön sie gewesen war, trotz ihrer dunklen Haut…

«Zielhafen?«Jay sah auf die Karte.»Madagaskar, Sir!»

«Viel ist sie ja nicht wert«, murmelte einer der Männer neben Segrave,»aber ein kleines Prisengeld würden wir schon für sie kriegen, nicht wahr?«Sein Kumpel nickte.

Tyackes Stimme verriet nichts.»Sehr gut, Mr. Jay. Bringen Sie den Deserteur an Bord!»

«Nein, nein!«schrie der Mann, aber der Bootsmann streckte ihn mit einem gezielten Fausthieb nieder. Als der Kerl sich erholt hatte, kroch er übers Deck und umklammerte Jays Knie.»Er hat die richtige Karte unter Deck gebracht, als wir Sie sichteten«, stammelte er.»Das macht er immer, wenn sich ein fremdes Schiff nähert. Dann holt er die falsche Karte hoch, die jeder sehen kann.»

Jay schob die Hände des Deserteurs weg.»Daß ich daran nicht gedacht habe!«Er griff nach Segraves Arm.»Kommen Sie mit!»

In der Kajüte lag das Mädchen noch wie vorhin da, als habe es sich inzwischen nicht bewegt. Sie wühlten in Büchern und Karten, alten Kleidern und Waffen. Jay wurde nervös, weil er wußte, daß Tyacke schnell wieder weitersegeln wollte.»Das bringt nichts«, sagte er schließlich.»Der Deserteur wollte nur seine Haut retten und hat diese Kartengeschichte erfunden.»

Ein Spiegel lehnte an einem Kasten mit Duellpistolen. Jay hob ihn an — ein letzter Versuch.»Nichts, verdammt noch mal!«Er warf das Glas weg, und Segrave fing es auf, ehe es zu Boden fallen konnte. Die Schwarze auf der Koje bewegte sich, ihre Brüste glänzten im Sonnenlicht.

«Sie liegt auf was, Mr. Jay!»

Jay starrte zuerst ratlos zu ihr hinüber, dann ging er zur Koje, um sie zur Seite zu schieben. Aber ihr schweißnasser Körper entglitt seinem Griff, sie bewegte sich blitzschnell, und ein Messer blitzte in ihrer linken Hand. Segrave sprang Jay zu Hilfe.

Jay fiel und rutschte durch Segraves Ansturm über den Boden der Kajüte. Der junge Mann sank über die Frau und stieß einen schrillen Schmerzensschrei aus.

Segrave spürte das Messer wie eine Flamme über seine Hüfte zucken und wußte, mit dem zweiten Stich würde sie seinen ungeschützten Rücken treffen. Aber dann knallte es, und das Messer flog zu Boden. Die Frau fiel mit blutendem Mund gegen die Wand. Jay hatte sie geschlagen.

Der junge Seemann kam jetzt in die Kajüte gerannt.»Helfen Sie Mr. Segrave«, befahl ihm Jay, schob die Frau zur Seite und zog einen Lederbeutel unter ihrem nackten Leib hervor.

Segrave untersuchte stöhnend den Schnitt in seiner Hose. Das Messer hatte ihn ganz schön erwischt. Überall war Blut. Er biß sich auf die Lippen, um nicht zu schreien. Der Seemann wickelte ein Hemd um die Wunde, aber der Stoff war schnell durchtränkt.

Jay riß die Ledertasche auf, fand die Karte und rollte sie mit zitternden Fingern halb auf.

«Ich muß sofort den Kommandanten sprechen«, sagte er dann, richtete sich auf und sah in Segraves schmerzverzerrtes Gesicht.»Sie haben mir gerade das Leben gerettet. Noch etwas Geduld, ich bin gleich zurück. «Seine Stimme klang sanft.

Oben an Deck schien der Abend zu dunkeln, die Wolken hatten Ränder aus schimmerndem Gold.

«Ihr wirklicher Zielhafen ist Kapstadt, Sir«, rief Jay hinüber.»Ich habe hier eine Nachricht — in französisch, denke ich.»

Tyacke befahl:»Schicken Sie mir den Skipper und diese Ledertasche herüber. Und den Deserteur. Ich laufe zum Geschwader weiter. Werden Sie und Mr. Segrave an Bord klarkommen?»

Jay grinste.»Natürlich. Jetzt haben wir hier keine Probleme mehr.»

Der Skipper der Albacora protestierte, als ein Seemann ihn packte.»Legen Sie ihn in Eisen«, knurrte Jay.»Wegen Mordversuchs an einem Offizier, Tötung von Sklaven und Handel mit dem Feind. «Als der Mann plötzlich schwieg, nickte er.»Aha, du hast mich also ganz gut verstanden.»

Als das Boot mit den Gefangenen zur Miranda zurückgekehrt war, plazierte Jay seine Männer sehr sorgfaltig auf der Albacore. »Wir nehmen gleich Fahrt auf. Beobachtet die Crew genau, und im

Zweifel schießt ihr sofort, klar?»

Mit dem Bootsmann kehrte er in die Kajüte zurück, wo der junge Matrose noch immer Segraves Blutung zu stoppen versuchte, der sich erbittert wehrte. Da drückte Sperry ihn zu Boden, der junge Matrose und Jay schnitten ihm die blutige Hose auf und legten die Wunde frei.

«Mit ein, zwei Stichen kann ich das nähen«, sagte Sperry.»Besorgt mehr Verbandszeug.»

«Um Gottes willen, was ist denn das?«rief Jay.

Der Midshipman lag jetzt da wie tot. Sein Gesäß und seine Oberschenkel waren voller Wunden und Narben — den Spuren zahlreicher Auspeitschungen. Aber nicht auf der Miranda. Er hatte die Schmerzen dieser Narben und halb verheilten Wunden sechs Wochen lang erduldet, ohne ein Wort zu sagen.

«Er ist ohnmächtig. Ich hole meine Sachen, Bob.»

«Bringt Brandy mit oder Rum.»

Der Midshipman lag immer noch reglos da, Blut sickerte durch seine Verbände. Ohne Segrave würde ich selber jetzt hier liegen, dachte Jay und blickte zu dem jungen Seemann hoch.»Das bringen wir auf der Miranda wieder in Ordnung, klar? Und wer ihn noch mal schikaniert, kriegt es mit mir zu tun.»

Als Midshipman Segrave wieder zu sich kam, sah er sofort, wie dunkel der sternenübersäte Himmel über ihm war. Er spürte Wolldecken und ein Rissen unter seinem Kopf. Ein Schatten beugte sich über ihn.»Geht's besser?«fragte Jay.

Dann kam der Schmerz wieder, pochte wie sein Herz. Er schmeckte Brandy im Mund und versuchte sich zu erinnern. An Hände, die ihn festhielten, an Schmerzen, seine Ohnmacht. Es schauderte ihn.

«Ist wieder alles in Ordnung?«fragte er schwach.

«In Ordnung? Natürlich!«Jays Stimme klang fröhlich.»Sie haben mir das Leben gerettet und sind der Held des Tages. Nur Ihretwegen haben wir jetzt eine Prise, die Albacora.»

Dann griff Jay vorsichtig nach Segraves Arm.»Wer hat Sie so ausgepeitscht?»

Doch der Midshipman schloß abwehrend die Augen. Was würde eine Antwort ihm bringen? Nichts. Aber der Mastergehilfe Jay, ein

Kerl aus Eisen, hatte ihn, Segrave, einen Helden genannt. Nur das zählte.