158320.fb2 Nahkampf der Giganten: Flaggkapit?n Bolitho bei der Blockade Frankreichs - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 13

Nahkampf der Giganten: Flaggkapit?n Bolitho bei der Blockade Frankreichs - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 13

XIII Wieder auf Cozar

Die Mannschaft des Kommandantenboots stellte die Riemen hoch und saß reglos auf den Bänken, während das Boot ruhig an den Landungssteg glitt, wo es unverzüglich an den großen rostigen Eisenringen festmachte. Bolitho schlug den Mantel um sich, trat vorsichtig auf die glatten

Stufen, blieb einen Moment stehen und überblickte den voller Schiffe liegenden Hafen von St. Clar. Es war Abend, und in dem purpurnen Dämmerlicht wirkten sie friedlich, beinahe heiter mit ihren blinkenden Laternen und den wegen der feuchten Hitze des Tages offenen, von innen schwach erhellten Stückpforten. Das Flaggschiff, die Tenacious, ankerte in der Mitte; Schnüre mit bunten Laternen waren längs der Kampanje gespannt, und von dem alten Steg aus konnte Bolitho eines jener melancholischen Lieder hören, die alle Seeleute der Welt lieben.

Wenn er sich so umsah, ließ sich schwer glauben, daß so viel passiert war, daß die Hyperion erst im Morgengrauen desselben Tages an der noch schwelenden Saphir vorbeigesegelt war, um den Hafen zu übernehmen. Er rückte seinen verwundeten Arm unter dem Mantel zurecht, und ein stechender Schmerz durchfuhr ihn. Wieder durchlebte er die scheußlichen Minuten, als Rowlstone ihm den Rock- und Hemdärmel aufgeschnitten, die klaffende Wunde freigelegt und von Blut und Stoffetzen gereinigt hatte, wobei das Blut von neuem aus dem tiefen Schnitt zu strömen begann. Er hatte die Zähne zusammengebissen, zögernd einen Finger nach dem anderen bewegt und Gott dafür gedankt, daß der Arzt den Arm nicht zu amputieren brauchte.

Jetzt stieg Herrick aus dem Boot, blieb neben ihm stehen und sagte:»Kaum zu glauben, daß wir in Frankreich sind, Sir. Diese Schiffe sehen aus, als ob sie seit langem hierher gehörten.»

Das stimmte. In den wenigen Stunden seit der Ankunft von Pom-frets Geschwader waren die Transporter entladen worden; dankbar, der Enge des Schiffes entronnen zu sein, hatten sich die Soldaten im hellen Sonnenlicht formiert, waren dann durch das Städtchen auf die Berge zu marschiert und hatten auch längs der Küstenstraße Stellungen bezogen. Außer Oberst Cobbans Infanterie und einer kleinen Abteilung leichter Artillerie waren noch tausend Mann spanische Fußtruppen und sogar Kavallerie mitgekommen, eine prächtige, stolze Schwadron in hellgelben Uniformröcken. Auf ihren herrlichen Pferden waren sie durch die engen Gassen getrabt, fasziniert und ehrfurchtsvoll von den Bürgern angestarrt und von den Kindern bejubelt.

Aber jetzt lag das Städtchen wie tot da, denn sobald die gelandeten Truppen von den Straßen verschwunden waren, hatte Pomfret

Ausgangssperre verhängt. Die engen Gassen, die Brücke über den Fluß wurden von britischen Marine-Infanteristen bewacht, und ständig sorgten Patrouillen dafür, daß Pomfrets Anordnungen eingehalten wurden.

Die Sperre vor dem Hafen war nicht erneuert worden, aber ein halbes Dutzend Wachboote fuhren regelmäßige Patrouillen. Die verkohlte Hulk der Saphir mochte jedermann daran erinnern, wie teuer Sorglosigkeit und Vertrauensseligkeit zu stehen kamen.

«Fahren Sie zum Schiff zurück, Allday«, sagte Bolitho.»Ich signalisiere, wenn ich das Boot brauche.»

Allday nahm Haltung an und faßte an den Hut.»Aye, aye, Cap-tain. «Seine Stimme klang besorgt, aber Bolitho beruhigte ihn:»Ich glaube nicht, daß sich dieser Besuch lange hinziehen wird.»

Wäre der besorgte Allday bei dieser Unterredung dabeigewesen, hätte sie ihm noch mehr Kummer gemacht.

Der Admiral hatte Bolitho sehr kühl empfangen. Den Bericht über den Überfall und die Ereignisse, die dazu geführt hatten, hörte er sich wortlos an, ohne eine Miene zu verziehen.

Dann sagte er ärgerlich:»Sie nehmen sich zu viel heraus! Sie kannten meine Befehle, und doch haben Sie völlig nach eigenem Ermessen gehandelt!«Dabei war er aufgestanden und in der Kajüte auf und ab gegangen.»Es wäre durchaus möglich gewesen, daß die Franzosen ein doppeltes Spiel trieben. Diese angeblich glühende Loyalität für ihren toten König konnte ebensogut ein taktisches Manöver sein, um unsere Operationen zu verzögern.»

Bolitho hatte an Charlois gedacht und an seine verzweifelte Entschlossenheit, ihn zu warnen.»Charlois hat sein Leben dafür gelassen, Sir. Ich handelte, wie ich es für richtig hielt, um eine militärische Katastrophe mit großen Verlusten an Menschen und Material zu verhindern.»

Mißtrauisch blickte Pomfret ihn an.»Aber Sie sind als erster in den Hafen eingelaufen, Bolitho vor mir und dem Geschwader! Das kam Ihnen wohl sehr gelegen?»

Bolitho entgegnete:»Ich konnte nicht rechtzeitig Verbindung mit Ihnen aufnehmen, Sir. Ich mußte so handeln.»

«Es gibt einen Punkt, an dem Hartnäckigkeit zur Dummheit wird!«Pomfret hatte sich dann nicht weiter über die Angelegenheit ausgelassen, denn in diesem Augenblick war Kapitän Dash eingetreten und hatte gemeldet, daß die Soldaten zur Ausschiffung bereit seien.

Bolitho war zu müde, zu schwach und zu krank gewesen, um sich über Pomfrets kleinliche Wut lange zu ärgern. Später, in der Erinnerung, kam es ihm so vor, als hätte der Admiral ihn tatsächlich im Verdacht gehabt, er hätte den Überfall auf die Saphir nur geplant und ausgeführt, um Ansehen, Lob und Anerkennung für sich selbst zu erringen, auch auf die Gefahr hin, sein Schiff und jeden Mann an Bord zu verlieren.

So also war diese erste Unterredung verlaufen. Jetzt sagte Bolitho zu Herrick:»Der Admiral wünscht mit den Offizieren seines Stabes ein Glas Wein zu trinken. Wir wollen lieber sehen, daß wir pünktlich sind.»

Wortlos wanderten sie durch eine enge, kopfsteingepflasterte Gasse, deren Häuser sich einander zuneigten, als wollten sie sich berühren.

Endlich fragte Herrick:»Wie lange wird es dauern, bis der Feind einen Gegenangriff auf den Hafen unternimmt, Sir?»

«Wer kann das sagen? Aber Cobban hat seine Späher ringsum aufgestellt, und zweifellos wird Sir Edmund weiter Küstenpatrouillen fahren lassen, um die Straße nach Norden zu überwachen. «Das sollte möglichst beiläufig klingen, doch konnte er seine Enttäuschung darüber, wie sich die Dinge in St. Clar entwickelten, nicht ganz verbergen. Die Anordnungen und Befehle, die Pomfret als Ortskommandant erließ, warfen einen dunklen Schatten. Diese abendliche Ausgangssperre zum Beispiel. Die Bürger hatten Schiffe und Soldaten begrüßt, als seien es ihre eigenen, hatten den grinsenden Rotröcken Blumen zugeworfen, als wollten sie zeigen, wie sehr sie an diese Unternehmung glaubten. Schließlich waren sie nicht ganz unbeteiligt daran, auch sie würden die Kosten dafür zu tragen haben — unter Umständen mit Leib und Leben.

Und die helle Begeisterung an Bord der Hyperion war sehr schnell vergangen, als Pomfret lediglich den kurzen Befehl gab, Truppen und Vorräte so schnell wie möglich auszuladen. Hätte er nur ein Wort der Anerkennung gesagt! Die Hyperion hatte fünfzehn Tote und Vermißte verloren, und zehn weitere waren schwer verwundet. Im Verhältnis zu den Verlusten, die entstanden wären, wenn sie die Saphir nicht versenkt hätten, schien das zwar geringfügig. Aber innerhalb der Schiffsbesatzung war es ein ganz persönlicher, tiefgreifender Verlust.

Pomfret hatte es sehr eilig gehabt, seine Flagge an Land zu hissen. Als Bolitho und Herrick über den schattenverhangenen Marktplatz gingen, sahen sie, daß der Admiral sein neues Hauptquartier mit größter Sorgfalt ausgesucht hatte. Es war das Haus eines reichen Weinkaufmanns, ein hübsches, großzügiges Bauwerk mit Säulenportal, von hohen Mauern umgeben. Seesoldaten mit über der Brust gekreuzten Riemen standen stramm, nervös blickende Bediente erwarteten an den hohen Doppeltüren die von den Schiffen und aus der Garnison eintreffenden Offiziere und nahmen ihnen Kopfbedeckungen und Mäntel ab.

Besorgt sah Herrick zu, wie Bolitho seinen verbundenen Arm möglichst bequem unter dem Uniformrock zurechtrückte; wieder fiel ihm auf, wie scharf die Linien um Bolithos Mund geworden waren, wie ihm der Schweiß unter der rebellischen Locke auf die Stirn trat.»Sie hätten mich allein gehen lassen sollen«, sagte er schließlich.»Sie sind noch nicht wieder hergestellt, Sir. Noch lange nicht!»

Bolitho verzog das Gesicht.»Und mir dieses schöne Haus entgehen lassen? Kommt gar nicht in Frage!»

Herrick sah sich um: die Gobelins an den Wänden, die glitzernden, wundervoll zum Raum passenden Kronleuchter.»Sir Edmund ist anscheinend der Ansicht, daß ihm ein gewisser Luxus zusteht, Sir. «Herrick sagte das mit unverhüllter Bitterkeit. Warum ist er so wütend auf Pomfret? überlegte Bolitho. Wegen der alten Geschichten oder der neuen Ungerechtigkeit, die sich der Admiral — jedenfalls nach Herricks Ansicht — mit seinem Kapitän leistete?

«Sie werden eines Tages noch über Ihre Zunge stolpern, Thomas«, entgegnete er mit flüchtigem Lächeln.

Ein Lakai mit Perücke riß die Tür auf und rief, nachdem ein britischer Unteroffizier ihm etwas ins Ohr gemurmelt hatte, lauthals: «Capitaine de vaisseau M'sieur Boli…«Der Unteroffizier starrte ihn wütend an und bellte dann selbst mit einer Stimme, die eher für seine Scharfschützen im Masttopp geeignet war:»Kommandant Richard Bolitho von Seiner Britannischen Majestät Linienschiff Hyperion!»

Lächelnd trat Bolitho in den langgestreckten, holzgetäfelten Saal voller Menschen, anscheinend ausschließlich Heeres- und Marineoffiziere. Alle Gesichter wandten sich ihm zu, und das laute Durcheinander der Gespräche verstummte. Als erster fing Bellamy von der Chanticleer an, in die Hände zu klatschen, und während Bolitho etwas verwirrt stehenblieb, ging das Händeklatschen in Hurrarufe über; der Lärm erfaßte das ganze Haus und drang in den stillen Garten, wo die Wachtposten die Hälse reckten, um der Ovation zu lauschen.

Unsicher schritt Bolitho an den Männern vorbei, die ihn da mit fröhlichem Jubel empfingen. Er verstand kaum, was sie ihm zuriefen, und merkte auch nur vage, daß Herrick treulich an seiner Seite blieb, um mit seinem Körper den verwundeten Arm vor allzu begeisterten Offizieren zu schützen.

Pomfret erwartete sie am hinteren Ende des Saales, prächtig in Gala, den Kopf zur Seite geneigt, die Lippen zusammengepreßt — ob amüsiert oder ärgerlich, das war nicht ohne weiteres zu unterscheiden. Er wartete, bis ein Lakai Bolitho ein Glas Wein gereicht hatte; dann hob er, Stille gebietend, die Hand und sagte:»Wir haben bereits auf Seine Majestät getrunken. Und jetzt: Auf unseren Sieg! Und Tod den Franzosen!»

Bolitho nippte an seinem Wein. Der Lärm und die Hektik ringsum verwirrten ihn. Er fand den Trinkspruch banal und unter den Umständen wenig angebracht. Doch als er sich rasch im Raum umblickte, sah er zu seiner Überraschung keinen einzigen französischen Offizier und auch keinen der Honoratioren von St. Clar.

Pomfret sprach ihn jetzt an:»Das war ein rührender Empfang, Bolitho! Die Heimkehr des Helden, wenn ich so sagen darf. «Sein Gesicht war fleckig vor Hitze, und seine Augen glänzten übermäßig.

Leise fragte Bolitho:»Ist denn keiner der maßgebenden Franzosen gekommen, Sir?»

Kalt blickte Pomfret ihm ins Gesicht.»Ich habe keinen eingeladen.»

In Bolitho stieg der Zorn hoch, und seine Wunde fing an zu pulsieren.»Aber Sir, es war doch eine Gemeinschaftsaktion. Die Bürger wollten genau wie wir die Revolutionsregierung stürzen! Darin gleichen wir uns doch.»

«Wir gleichen uns?«Pomfret blickte ihn mit milder Überlegenheit an.»In den Augen des Allmächtigen vielleicht. Aber in meinen Augen sind sie Franzosen, und denen ist nicht zu trauen! Das sagte ich Ihnen schon früher. Ich habe hier das Kommando und lasse mir von diesen verdammten Bauern nicht dreinreden!»

Er wandte sich um und bemerkte jetzt zum erstenmal Herrick.»Ah — Ihr tüchtiger Leutnant. Hoffentlich hat er sich damit abgefunden, daß es bei diesem Unternehmen keine Prisengelder gab? Jetzt, da Saphir und Fairfax versenkt sind, kann es noch ein Weilchen dauern, bis wir wieder ein halbwegs lohnendes Schiff erwischen — eh?»

Herrick wurde rot.»Ich hörte nicht, daß sich jemand darüber beklagt hätte, Sir. Menschenleben sind meiner Ansicht nach wichtiger als Geld.»

Pomfret lächelte kühl.»Ich wüßte nicht, daß ich Sie um Ihre Meinung gebeten hätte, Mr. Herrick. «Er wandte sich brüsk um, denn soeben schob sich Oberst Cobbans massige Gestalt durch die Versammelten.

«Ah, Sir Tonquil! Sind inzwischen all Ihre Truppen in Stellung?»

Mit einem Grunzen nahm der Colonel ein Glas von dem silbernen Tablett.»Schanzen aufgeworfen, Geschütze in Stellung. «Grinsend zeigte er die Zähne.»Hier können wir bis in alle Ewigkeit sitzen, wenn' s nötig ist.»

Bolitho fragte:»War das angebracht, Sir? Es ist doch nicht sehr wahrscheinlich, daß wir hier lange bleiben. Sobald Verstärkung eintrifft, müssen wir landeinwärts marschieren, wenn das ganze Unternehmen überhaupt Sinn haben soll.»

Langsam drehte sich Cobban zu ihm um.»Darf ich fragen, was, zum Teufel, Sie das überhaupt angeht, Sir?»

Bolitho konnte den Brandy in Cobbans Atem beinahe schmek-ken. Unbewegt erwiderte er:»Es geht mich eine ganze Menge an. Und ich sehe keinen Grund für Ihre Flüche.»

Pomfret unterbrach lächelnd die Kontroverse.»Beruhigen Sie sich, Sir Tonquil. Captain Bolitho ist der Mann, der diesen Hafen eingenommen hat. Ihm liegt natürlich sehr daran, daß seine Bemühungen nicht umsonst waren.»

Cobban blickte von einem zum anderen. Dann sagte er grob:»Ich bin Soldat, und mir paßt es nicht, mich von solchen Leuten ausfragen zu lassen.»

Plötzlich waren alle totenstill. Bolitho erwiderte gelassen:»Sehr bedauerlich, Colonel. Und noch bedauerlicher ist es, daß Sie, als Sie sich Ihren Dienstgrad kauften, sich nicht gleich die nötigen Manieren mitgekauft haben!»

Cobban wurde blutrot. Er sagte, und es klang, als ersticke er in seinem hohen Kragen:»Sie impertinenter Emporkömmling! Wie können Sie es wagen, so mit mir zu sprechen?»

Kühl unterbrach Pomfret:»Das reicht, meine Herren! Das reicht durchaus!«Er richtete die blassen Augen auf Bolitho.»Ich weiß, daß Duelle in Ihrer Familie nichts Ungewöhnliches sind, Captain Bolitho, aber unter meiner Flagge dulde ich sie nicht.»

Wütend murmelte Cobban:»Wie Sie meinen, Sir Edmund. Aber wenn es nach mir ginge…»

«Sie finden mich jederzeit bereit, Colonel, wenn Sie mir Gelegenheit geben«, sagte Bolitho. In seinem Kopf hämmerte es wie auf einem Amboß, und der Wein brannte ihm heiß im Magen. Aber ihm war jetzt alles gleichgültig. Pomfrets leise Bösartigkeit und Cobbans grobschlächtige Dummheit ließen ihn alle Vorsicht vergessen. Er sah in Herricks besorgtes, wachsames Gesicht und blickte dann überrascht hinunter, denn Pomfret legte ihm die Hand auf den Arm.»Ihre Wunde macht Ihnen sicher zu schaffen«, sagte er.»Ich will Ihnen deshalb den Ausbruch nicht übelnehmen. «Er seufzte, als sei das alles nicht so wichtig.»Sie gehen morgen wieder in See, Bolitho. Zurück nach Cozar. «Abwesend schaute er in den Saal.»Sie können der Garnison meine Depeschen bringen, und wenn Sie zurückkommen, nehmen Sie Miss Seton mit. «Er wurde beinahe vertraulich und jovial.»Wir werden den Leuten hier schon zeigen, daß wir zu bleiben gedenken. Vielleicht gebe ich sogar eine Art Empfang für sie, eh?»

Cobban hatte sich ein wenig beruhigt.»Und die Hochzeit, Sir Edmund? Werden Sie sie in St. Clar feiern?»

Pomfret, die Augen noch auf Bolithos ernstes Gesicht gerichtet, nickte.»Ja. Als Zeichen unseres Vertrauens in die Zukunft. «Er lächelte.»Das Pünktchen auf dem i, genau im richtigen Augenblick.»

Bolitho schwamm der Kopf. Pomfret machte sich über ihn lustig, das war offensichtlich. Und die Hyperion wurde schon wieder hinausbeordert. Dieses Schiff kam anscheinend nie zur Ruhe. Bekam nie Zeit, sich zu erholen und seine Wunden zu heilen.

Möglichst beiläufig erwiderte er:»Mit einer Fregatte ginge es schneller, Sir.»

«Ich möchte aber, daß Sie segeln, Bolitho. Dabei können Sie sich gleich ein bißchen erholen. Und inzwischen werden wir versuchen, diesen Krieg so zu führen, daß auch Sie damit zufrieden sind.»

«Ist das alles, Sir?»

Der Admiral dachte ein paar Sekunden nach.»Im Moment, ja.»

Ein Lakai präsentierte Pomfret ein Tablett mit Gläsern, aber er winkte ab und sagte abschließend:»Wollen Sie mich jetzt entschuldigen, Bolitho?«Unvermittelt wandte er sich um und ging auf die geschwungene Treppe zu.

«Ich werde Ihre Worte von vorhin nicht vergessen, Captain! Sie werden Ihnen noch leid tun, seien Sie sicher«, knurrte Cobban.

«Wollen wir wieder an Bord zurück?«fragte Bolitho und ging mit Herrick zur Tür, ohne Cobban eines Blickes zu würdigen.

Herrick folgte ihm verwirrt. Ihm schwirrte immer noch der Kopf von diesen nur mühsam kaschierten Beleidigungen. Es trieb ihn, den hier versammelten Offizieren laut und deutlich auseinanderzusetzen, was Bolitho für sie getan hatte und was jeder einzelne ihm verdankte. Draußen tat Bolitho einen tiefen Atemzug und starrte zu den blinkenden Sternen empor. Sein Gesicht war entspannt, aber er sah merkwürdig traurig aus.

Herrick bemerkte leise:»Der Admiral hat ein zweites Glas Wein abgelehnt, Sir. Ich begreife das nicht. An Bord der Phalarope hat er ziemlich viel getrunken.»

Bolitho hörte ihn gar nicht. Er dachte an Cheney Seton. Diesmal würde es noch schwerer sein, sie als Passagier an Bord zu haben. Wenn die Hyperion hier wieder Anker warf, würde Cheney heiraten.

Er hakte seinen Degen ein und sagte abwesend:»Wir werden, bevor wir an Bord gehen, mit Monsieur Labouret ein Glas Wein trinken. Ich habe einen üblen Geschmack im Mund. «Ohne ein weiteres Wort schritt er durch die Tore und hinunter zum Hafen.

«Laß fallen Anker!«Herricks Stimme hallte über die ganze Bucht. Er senkte das Sprachrohr, der Anker klatschte ins Wasser, kleine Wellen breiteten sich in Kreisen aus und verliefen zu den Klippen hin. Die Vormittagswache hatte kaum begonnen, doch nach der freien Luft auf offenem Meer fühlten sie sich in dem umschlossenen Naturhafen bereits wie in einem Ofen.

Wortlos beobachtete Bolitho die routinemäßige Geschäftigkeit auf dem leise an seiner Trosse arbeitenden Schiff: das Ausfieren der Boote und Aufriggen von Sonnendächern an Deck. Cozar hat sich nicht verändert, dachte er. Das einzige unter der Steilküste ankernde Schiff war die Fregatte Harvester; auch ohne Teleskop konnte er sehen, daß Leach, ihr Kommandant, mit seinen Reparaturen beinahe fertig war.

Langsam schritt er zu den Netzen und schaute zur Bergfestung hinauf. Vor der Hafeneinfahrt hing Dunst, der schon dem sich langsam nähernden Schiff grüßend entgegengekommen war, löschte den Horizont aus, schmiegte sich um die grauen Mauern der Festung und der Batterie wie eine Nebelwolke. Ein leichter Schauer überlief ihn, und er hielt den bandagierten Arm etwas vom Körper ab. Sie hatten die Insel schon gestern früh gesichtet, doch wegen des ungünstigen Windes mußten sie die Nacht beidrehen und konnten die Festung, die aus dem schützenden Nebel wie ein Zauberschloß aufragte, nur aus der Ferne betrachten.

Herrick tippte an den Hut und meldete:»Boote zu Wasser, Sir!«Er blickte flüchtig zu den Berghängen hinüber.»Sieht so aus, als wären da noch eine ganze Menge Soldaten für St. Clar, Sir.»

Bolitho nickte. Den sonnengedörrten Hang bedeckten Reihen kleiner Zelte, hier und da konnte er eine rotuniformierte Gestalt mit blinkendem Bajonett ausmachen. Aber alles war sehr ruhig, als hätten die Inseleinsamkeit, die Hitze und der Staub allen Lebensmut aus der Garnison vertrieben.

«Ich habe Mr. Seton Bescheid sagen lassen, Sir«, fuhr Herrick fort und sah Bolitho dabei besorgt an.»Er ist zur Überfahrt bereit. Geht das in Ordnung?»

«Ja. «Eben bog die Jolle unten aus dem Schatten des Schiffsrumpfes; zwei Midshipmen saßen nebeneinander im Heck. Es war schon richtig, daß Seton Gelegenheit bekam, seine Schwester allein zu sehen, bevor die Hektik des Auslaufens wieder begann. Der

Junge hatte sich bemerkenswert rasch erholt und schien tatsächlich bei den Kämpfen auf der brennenden Fairfax an Persönlichkeit gewonnen zu haben. Die Kugel, die ihn niederriß, hatte eine böse Schramme in seine Schulter gebrannt, aber außer dem Schock und dem Blutverlust hatte er nichts Ernstliches davongetragen. Aber einen Zoll oder so tiefer, und. Bolitho biß sich auf die Lippen. Die Riemen nahmen Schlag auf und pullten die Jolle zur Pier.

War es ihm wirklich um Setons Gefühle gegangen, als er ihm den Besuch seiner Schwester erlaubt hatte? Oder war es nur ein Versuch, das Unvermeidliche hinauszuzögern?

«Wie geht es Mr. Fowler?«fragte er.

Herrick schüttelte den Kopf.»Der Schiffsarzt macht sich mächtig Sorgen um ihn. Sein Gesicht sieht furchtbar aus. An Fowlers Stelle wäre ich lieber tot.»

Halb zu sich selbst meinte Bolitho:»Das sagt sich so leicht, Thomas. Ich habe manchmal vor oder beim Kampf darum gebetet, lieber zu fallen, als verstümmelt zu werden. Aber als mir Rowlsto-ne den Ärmel vom Rock schnitt, habe ich ebenso ernsthaft ums Überleben gebetet.»

Besorgt fragte Herrick:»Was macht die Wunde, Sir?»

Bolitho zuckte die Achseln.»Ohne sie wäre mir wohler. «Ihm war nicht nach einer Unterhaltung zumute, nicht einmal mit Herrick. Während der kurzen Reise nach Cozar hatte er sich von seinen Offizieren ferngehalten und sich mit einem gelegentlichen Gang längs der Schanz begnügt, meist jedoch die Abgeschlossenheit seiner Kajüte vorgezogen. Das war unrealistisch und dumm, er wußte es. Immer noch fühlte er sich etwas fiebrig. Deshalb und wegen des ständig pochenden Wundschmerzes war er so niedergeschlagen. Oder redete sich das jedenfalls ein.

Er versuchte, sich für die bevorstehende Offensive mit St. Clar als Ausgangspunkt zu interessieren, doch das half nur wenig, seinen sonst so regen Sinn für taktische Probleme und Gefechtsvorbereitungen anzustacheln. Aber persönliche Verbitterung stand dem Kommandanten eines Liniens chiffes nicht an. Er mußte seine Zweifel und bösen Ahnungen beiseite schieben und all das Unheil wieder gutmachen, das Pomfrets Gleichgültigkeit auf seinem Schiff angerichtet hatte.

Eines Nachts, als ihn der quälende Schmerz im Arm aus der Koje getrieben hatte, war er auf das finstere Achterdeck hinausgetreten und hatte eine Unterhaltung zwischen Rooke und Gossett mit angehört.

«Was wir auch machen, ist verkehrt«, hatte Rooke wütend gesagt.»Wenn wir allein angreifen, kriegen wir hinterher Vorwürfe. Und wenn wir dabei Erfolg haben, kassiert immer jemand anderer die Anerkennung!«Der Master hatte gebrummt:»Es geht eben manchmal hart zu, wenn alte Rechnungen auf anderer Leute Kosten beglichen werden, Mr. Rooke. An sich macht der Admiral seine Sache ja ganz gut. Aber wie er unseren Captain behandelt, das kann ich ihm nicht verzeihen. «Und Rooke hatte sehr scharf darauf geantwortet:»Es ist verdammt unfair, wenn das ganze Schiff darunter leiden muß, daß sich die beiden nicht ausstehen können!»

«Bei allem Respekt, Mr. Rooke«, hatte Gossett sehr bestimmt erwidert,»meiner Ansicht nach hat der Captain gerade Sie mehr als fair behandelt!»

«Was, zum Teufel, wollen Sie damit sagen? Ich hätte Erster werden müssen, das stand mir zu!»

«Wir wissen beide, daß das nicht gemeint ist«, hatte Gossett sehr gelassen und kalt erwidert.»Unter Captain Turner wären Sie bei passender Gelegenheit rascher befördert worden, das mag schon sein. «Er senkte die Stimme.»Aber Cap'n Bolitho hat kein Wort über Glücksspiel zu Ihnen gesagt, nicht wahr? Nicht ein einziges Mal hat er gedroht, etwas gegen Sie zu unternehmen, weil Sie dem armen Mr. Quarme alle Ersparnisse abgeknöpft und Dalby zum Kameradendiebstahl getrieben haben. Wenn Sie wollen, tragen Sie mich ins Logbuch ein, weil ich das gesagt habe — aber meiner Meinung nach hat der Captain Sie mehr als milde behandelt. Ihre Bedürfnisse sind größer als Ihr Geldbeutel, und daher bessern Sie ihn mit dem einzigen auf, was Sie außer Kämpfen ausgezeichnet können. «Und Rooke hatte kein Wort darauf erwidert.

Während Bolitho nun zusah, wie die kleine Jolle an der Pier festmachte, grübelte er darüber nach, warum er Rooke nicht daraufhin angesprochen hatte. Vielleicht wegen seines eigenen hitzigen Wortwechsels mit Cobban. Schon während des Sprechens hatte er sich selbst mit ganz anderen Augen gesehen. Er glich also doch seinem Bruder. Hätte er Gelegenheit bekommen, so hätte er sich auf ein sinnloses Duell eingelassen. Es war eine entnervende Entdeckung, um so mehr, als auch Pomfret das begriffen hatte.

Herrick sagte:»Nichts von den Sträflingen zu sehen, Sir. Wahrscheinlich arbeiten sie auf der anderen Seite der Insel.»

Bolitho nickte. Die Justice war nach England zurückgesegelt. Ihrem Kapitän waren die Sträflinge gleichgültig; seinetwegen mochten sie allesamt auf Cozar verrecken und verfaulen.

Unvermittelt sagte Bolitho:»Lassen Sie bitte mein Boot klarmachen. Ich gehe jetzt an Land. «Er konnte seine Unruhe nicht länger verbergen.

Herrick musterte ihn besorgt.»Hören Sie, Sir, es geht mich ja nichts an; aber als Sie im Fieber lagen, habe ich dies und das gehört. «Unter Bolithos unbeirrtem Blick schlug er die Augen nieder.»Ich muß es nicht erst sagen, Sie wissen auch so, daß ich alles für Sie tun würde. Das ist gar keine Frage. Ich würde sofort mein Leben hingeben, wenn es nötig wäre. «Und er schaute mit seinen trotzigen blauen Augen wieder auf.»Ich glaube, das gibt mir das Recht, offen zu sprechen.»

«Und worüber?«fragte Bolitho.

«Nur über dieses: Sir Edmund ist ein mächtiger Gegner, Sir. Er muß großen Einfluß haben, sonst hätte er den Verlust seines ersten Kommandos und all den Ärger, den er verursacht hat, dienstlich nicht überstehen können. Er ist trotz allem Flaggoffizier geworden. Er würde keinen Moment zögern, seinen Einfluß und seine Autorität gegen Sie zu verwenden, wenn er auch nur einen Moment dächte, Sie interessierten sich für seine Verlobte, Sir.»

«Ist das alles?«fragte Bolitho sehr ruhig.

Herrick nickte.»Aye, Sir. Ich kann nicht still und stumm dabeistehen und zusehen, wie so etwas passiert.»

Bolitho preßte die Finger zusammen, daß der Schmerz ihm wie mit Messern durch den Arm fuhr.»Dann können Sie jetzt mein Boot abrufen, Mr. Herrick. «Unbewegten Gesichts, obwohl er innerlich kochte, wandte er sich ab. Daß Herrick vollkommen recht hatte, war nur ein geringer Trost, ebenso wie der Gedanke, was es ihn gekostet haben mußte, das auszusprechen.»Sie brauchen me i-netwegen nichts zu fürchten«, sagte er kühl und abschließend,»aber in Zukunft wäre es mir lieber, wenn Sie nicht versuchen würden, mein Leben für mich zu leben. «Er sah Gimlett bei der

Schanztreppe stehen und rief ihm scharf zu:»Legen Sie meine Landuniform heraus!«Dann ging er, drehte sich aber neben dem unbesetzten Ruder noch einmal um und blickte in Herricks sorgenvolles Gesicht.»Also lassen wir es auf sich beruhen.»

Zwanzig Minuten später schritt Bolitho zur Fallreepspforte. Sein verwundeter Arm lag unter dem schweren Mantel in einer Binde. Herrick stand bei den anderen Offizieren, und Bolitho fühlte sich versucht, ihn beiseitezunehmen und diese dumme Verstimmung zu bereinigen, an der nur er selbst die Schuld trug. Wütend über sich — und noch wütender, weil Herrick seine kläglichen Verteidigungsversuche durchschaut hatte —, blaffte er:»Übernehmen Sie!«, lüftete den Dreispitz und kletterte in das wartende Boot.

Die Pfeifen schrillten und verklangen, als die Gig aus dem schützenden Schatten des Schiffsrumpfes glitt; wenn er achteraus blickte, sah er Herrick immer noch an Deck stehen und ihm nachschauen, weine untersetzte Gestalt wirkte auf einmal ganz klein im Vergleich zur haushohen Bordwand der Hyperion.

Leise fragte Allday:»Ist der Arm besser, Captain?«Dann sah er Bolithos steif zurückgedrückte Schultern und schob die Lippen vor. Da kann sich der eine oder andere noch auf was gefaßt machen, dachte er. Während er Kurs auf den Pier nahm, achtete er sorgfältig auf ein Zeichen, eine winzige Veränderung in Bolithos grimmigen Zügen. Er konnte sich nicht erinnern, ihn jemals so gesehen zu haben; und tiefgreifende Veränderungen paßten nicht zu Alldays Phlegma. Irgendwie schien ihm Bolitho unter einer merkwürdigen Spannung zu leiden, unter einer nervösen Erwartung, die ihm sonst völlig fremd war. Aber vor sich selbst konnte er ihn nicht schützen, und die Tragweite dieser Entdeckung machte ihm große Sorgen.

Zu seiner Überraschung und seinem Ärger wurde Bolitho am Pier von einem jungen Infanterieoffizier begrüßt. In Erwiderung der strammen Ehrenbezeugung tippte er an den Hut.»Fähnrich Cow-per, Sir, vom 91. Infanterieregiment«, stellte sich der junge Mann vor. Er schluckte heftig, weil Bolitho ihn nur stumm und ohne zu lächeln anblickte, und fuhr unsicher fort:»Ich habe ein Pferd mitgebracht, Sir; ich — ich dachte, das wäre bequemer für Sie.»

Bolitho nickte.»Sehr aufmerksam von Ihnen. «Er hatte eigentlich zu Fuß auf die Festung gehen wollen, damit er Zeit zum Nachdenken bekam und um sich zu überlegen, was er sagen wollte.

Der Fähnrich bemerkte sein Zögern und sagte hilfsbereit:»Wenn Sie nicht reiten können, Sir, führe ich das Tier am Zügel.»

Bolitho musterte ihn kühl.»Ich mag ja Seeoffizier sein, Mr. Cowper, aber außerdem stamme ich aus Cornwall. Pferde sind in meiner Heimat nicht ganz unbekannt.»

Mit aller Würde, die er aufbringen konnte, schwang er sich auf das schläfrige Tier. Seine Bootsmannschaft und die Ordonnanz des Fähnrichs sahen ehrfürchtig und bewundernd zu.

Langsam trotteten sie den Sandweg hinan, und bei jedem Stolpern des Pferdes zuckte der Schmerz erneut durch Bolithos Arm. Er zwang sich dazu, die Umgebung zu studieren, wenn auch nur, um sich von seinen trüben Gedanken abzulenken. Der Weg war bis auf einen müden Wachtposten völlig menschenleer. Von den Schäden, die die Karronade und Ashbys siegestrunkene Seesoldaten angerichtet hatten, war nichts mehr zu sehen. Hinter der Wegbiegung erblickte er die Festung und die geraden Reihen der Armeezelte.

«Ich nehme an, Sie freuen sich darauf, wieder zu Ihren Kameraden in St. Clar zu stoßen?«fragte er.

Der junge Fähnrich wandte sich leicht im Sattel um und blickte ihn überrascht an.»Ich weiß nicht recht, wie es weitergehen soll,

Sir.»

Bolitho starrte die Festung an.»Hoffentlich ist Ihr Kommandeur besser informiert.»

Ungerührt von Bolithos Sarkasmus grinste Cowper.»Aber, Sir, der Kommandeur bin ich.»

Bolitho parierte sein Pferd und musterte den Fähnrich.» Was sind

Sie?»

Cowpers Grinsen verschwand, und er rückte unter Bolithos wütendem Starren ungemütlich im Sattel hin und her.»Also, das heißt, ich bin der einzige Offizier hier.»

Bolitho deutete auf die Zelte.»Und Sie allein befehligen all diese Männer? Um Gottes willen, was reden Sie da?»

Der junge Mann breitete die Hände aus.»Also — es sind ja nur noch zwanzig Mann und ein Sergeant. Die Zelte sind bloße Attrappen für den Fall, daß eine französische Fregatte rekognoszieren kommt.»

Bolitho fühlte das Pferd unter sich schwanken, während er Cow-pers wahnwitzige Erklärung zu verdauen suchte.»Keine Verstärkung für St. Clar? Überhaupt nichts?»

«Gar nichts, Sir. Ich habe vor zwei Tagen Instruktionen von Lord Hood bekommen. Aus Toulon. «Er bewegte die Zügel, denn Bo-litho hatte sein Pferd wieder angetrieben.»Meine Befehle lauten, die Stellung hier bis auf weiteres zu halten. Außerdem das Lager so weit wie möglich auszudehnen und zu erweitern. «Er sprach so rasch, als hätte er Angst vor dem, was Bolitho dazu sagen würde.»Wir haben jedes Stück Leinwand zurechtgeschnitten, das wir auftreiben konnten. Alte Segel, Hängematten, alles. Meine Leute gehen nur herum, zünden Lagerfeuer an und haben ein Auge auf die Sträflinge. «Seine schmalen Schultern sanken etwas zusammen.»Es macht einen richtig nervös.»

Bolitho schaute ihn mit plötzlichem Mitgefühl an. Ein Junge, mehr nicht. Er konnte noch nicht lange genug im Dienst sein, um viel Kampferfahrung zu besitzen, und doch hatte man ihm eine Aufgabe zugemutet, bei der ältere als er vor der Zeit graue Haare bekommen würden.

«Also steht es in Toulon nicht gut?«fragte er.

Cowper nickte.»Sieht so aus, Sir. Lord Hood hatte zwei Regimenter mit, aber sie können nicht viel mehr tun, als die Stadt zu besetzen und die Forts in der Umgebung zu halten. Anscheinend sind viele Franzosen, die man für treue Royalisten hielt, zu den Revolutionären übergegangen.»

«Und für St. Clar sind keine Truppen übrig. «Bolitho sprach seine Gedanken laut aus.»Aber zweifellos hat Lord Hood die Situation in der Hand.»

«Das steht zu hoffen, Sir«, sagte Cowper, aber es klang wenig überzeugt.

Stumm passierten sie die Holzbrücke über den tiefen Graben mit den gefährlich aussehenden spitzen Pfählen und ritten durch die offenen Tore in die Festung ein. Nur ein einsamer Soldat schritt an der Brustwehr auf und ab; ein zweiter rannte herbei, um die Pferde zu übernehmen. Außer ihm war der einzig sichtbare Mensch ein halbnackter, an ein Lafettenrad gebundener Mann, dem die Haut vom Sonnenbrand in Fetzen ging und der sich mit offenem Mund mitleiderregend in der glühenden Sonne wand.»Wegen Wachvergehens, Sir«, erläuterte Cowper bedrückt.»Mein Sergeant sagt, das wäre die einzig richtige Strafe. «Er wandte sich ab.»Disziplin muß wohl mit solchen Mitteln erzwungen werden.»

«Bestrafung im Felde ist gut und richtig, wenn Sie eine ganze Armee hinter sich haben, Mr. Cowper«, entgegnete Bolitho.»Aber Sie sollten Ihrem Sergeanten lieber klarmachen, daß im Ernstfall ein schlechter Soldat immer noch besser ist als ein toter.»

Cowper nickte entschlossen.»Danke, Sir. Das sage ich ihm bestimmt.»

War man erst einmal in dem runden Turm, so fühlte sich die Luft nach der Gluthitze im Hof kühl, beinahe eisig an. Als Bolitho hinter dem Fähnrich die Stufen emporstieg, mußte er an damals zurückdenken, als der enge Raum voller Musketenqualm gewesen war und von den Schreien und Flüchen Verwundeter und Sterbender gebebt hatte.

Das Quartier, in dem Jahr für Jahr ein Festungskommandant nach dem anderen gehaust hatte, war düster und charakterlos. Der Hauptraum, der auf die Landspitze hinausblickte, war der Form des Turmes entsprechend gerundet, und seine schmalen, tiefeingeschnittenen Fenster leuchteten wie frohe Bilder aus einer anderen Welt. Hier lagen ein paar Binsenmatten auf dem Fußboden, und er sah auch einige der einfachen, aber wohlgeformten Möbel, die der Schiffszimmermann der Hyperion gebaut hatte.

Eine kleine Seitentür öffnete sich, und das Mädchen, gefolgt von ihrem Bruder und Midshipman Piper, trat ins Zimmer.»Captain Bolitho möchte Sie besuchen, Ma'am«, sagte Cowper mit einem drohenden Blick auf die Midshipmen.»Wenn Sie mich begleiten wollen, meine Herren, zeige ich Ihnen gern die — äh — ganze Festung.»

«Entschuldigen Sie, Sir, daß ich nicht an der Pier war, als Sie kamen, Sir«, stotterte Seton.

Etwas unbestimmt entgegnete Bolitho:»Ich habe auch nicht damit gerechnet. «Er blickte dem Mädchen nach, das an ein Fenster trat. Cheney trug ein lockeres weißes Kleid, und das volle kastanienbraune Haar hing ihr offen über die Schultern.

Als die anderen aus dem Zimmer gingen, sagte sie:»Sie sind mir willkommen, Captain. «Ihre Augen richteten sich auf seinen leeren

Ärmel.»Ich hörte von meinem Bruder, was geschehen ist. Es muß schrecklich gewesen sein.»

«Er hat sich gut gehalten, Miss Seton«, sagte Bolitho gepreßt.»Seine eigene Verwundung wäre auch für einen alten Seemann schlimm genug gewesen.»

Doch schien sie das gar nicht zu hören.»Als ich ihn mit seinem verbundenen Arm sah, glaubte ich, daß ich Sie hasse. Er ist doch noch ein Knabe und für so ein Leben überhaupt nicht geeignet. «Ihre Augen schimmerten im Licht der Sonne so grün wie das Wasser unten.»Diese Reaktion ist für eine Schwester wohl ganz natürlich. Aber als ich ihn reden hörte, wurde mir klar, daß er sich verändert hat. Mein Gott, und wie er sich verändert hat!«Sie blickte ihm voll ins Gesicht.»Er spricht überhaupt nur von Ihnen. Wußten Sie das?»

Ihm fehlten die Worte. All seine sorgfältig eingeübten Sätze waren ihm entfallen, als sie ins Zimmer kam. Ungeschickt erwiderte er:»Auch das ist ganz natürlich. Als ich so alt war wie er, dachte ich von meinem Kommandanten nicht anders.»

Sie lächelte zum erstenmal.»Gut, daß wenigstens Sie sich nicht verändert haben, Captain. Manchmal mache ich in der Abendkühle einen Spaziergang auf der Brustwehr und denke dabei an unsere Reise von Gibraltar nach Cozar. «Ihr Blick schweifte in die Ferne.»Dann kann ich das Schiff sogar noch riechen und höre den Donner dieser gräßlichen Kanonen.»

«Und nun bin ich gekommen, um Sie nach St. Clar zu bringen. «Die Worte schienen ihm im Hals steckenbleiben zu wollen.»Doch Sie haben ja wohl erwartet, daß ein Schiff kommen würde?»

«Ein Schiff, ja. «Sie nickte, und bei der Bewegung ihres Halses und ihres Haares brannte ihm aufs neue das Herz.»Aber nicht Ihr Schiff, Captain. «Sie blickte starr zu ihm empor, die Hände fest verschränkt.»Wurde Ihnen befohlen, mich abzuholen?»

«Aye. Es war der Wunsch Ihres — Sir Edmunds Wunsch.»

«Tut mir leid, daß gerade Sie es sein mußten. Ich dachte, wir würden uns nie wiedersehen — wir beide.»

«Ich weiß. «Er konnte seine Verbitterung nicht länger verbergen.»Wahrscheinlich muß ich sogar zusehen, wenn Sie Lady Pomfret werden.»

Sie trat einen Schritt zurück und errötete unter ihrer Bräune.»Also verachten Sie mich, Captain? Erlaubt Ihr Stolz es Ihnen nie, einen Fehler zu machen oder etwas zu tun, das gegen Ihr Pflichtgefühl geht?«Sie hob die Hand.»Nein, sagen Sie nichts. Ihr Gesicht verrät deutlich, was Sie denken.»

«Ich könnte Sie nie verachten«, entgegnete Bolitho leise.»Was Sie tun, ist Ihre Sache. Ich bin eben einer von Sir Edmunds Offizieren. Er hätte auch jeden anderen schicken können.»

Sie strich sich mit der Hand eine lose Locke aus dem Gesicht — eine Geste, an die er sich schmerzhaft deutlich erinnerte.»Lassen Sie mich Ihnen etwas erzählen, Captain. Als meine Mutter während des Aufstandes auf Jamaika starb, stand es schon schlimm genug mit uns. Aber kurz danach kam ein großer Sturm, und viele Schiffe gingen verloren. Darunter die zwei, die meinem Vater gehörten. Die Aufständischen hatten den größten Teil unserer Ernte vernichtet und alle Gebäude zerstört. Mein Vater hätte diese beiden Schiffe dringend gebraucht, um uns und eine letzte Ladung Waren nach England zu bringen, verstehen Sie? Er brauchte sie!»

Mit wachsender Hilflosigkeit sah Bolitho ihre bittere Verzweiflung.»Ich habe von diesem Sturm gehört.»

«Er hat meinen Vater ruiniert. Und nach dem Tod meiner Mutter brach er gesundheitlich völlig zusammen. Sir Edmund kam nach Jamaika, um den Aufstand niederzuschlagen. Er hätte es nicht nötig gehabt, uns zu helfen; aber er zögerte keinen Augenblick. Er bezahlte unsere Überfahrt nach England und meines Vaters Schulden. Wir konnten es ihm niemals zurückerstatten, weil meines Vaters Geist so krank wurde wie sein Körper. «Sie machte eine hilflose Handbewegung.»Wir durften sogar Sir Edmunds Haus in London bewohnen, als wäre es unser eigenes, und er kam für Ruperts Erziehung auf; er redete ihm sogar zu, auf ein Schiff des Königs zu gehen — auf Ihr Schiff, Captain!»

«Entschuldigen Sie. «Bolitho hatte das Verlangen, die Hand auszustrecken und sie zu berühren, doch seine Glieder waren wie aus Stein.

Beschwörend blickte sie in seine Augen.»Schauen Sie mich an, Captain. Ich bin sechsundzwanzig. Da Rupert auf See ist, stehe ich jetzt ganz allein da. Ich weiß, Sir Edmund liebt mich nicht, aber er braucht eine Frau. Das zum wenigsten bin ich ihm schuldig.»

«Die Jahre verstreichen«, erwiderte Bolitho,»und dann merkt man auf einmal, daß einem etwas entgangen ist…«Er brach ab, denn sie trat einen Schritt auf ihn zu, ein schmerzliches Erschrek-ken im Gesicht.»Ich sagte es Ihnen ja, Captain, ich bin schon sechsundzwanzig. Das soll aber nicht heißen, daß ich mich dem Erstbesten an den Hals werfen muß. Doch Sir Edmund braucht mich, und so muß es eben sein.»

Bolitho sah zu Boden.»Ich meinte mich selbst, nicht Sie. «Er wagte nicht, ihr ins Gesicht zu blicken, bevor er ausgeredet hatte. Danach würde er gehen.»Ich bin zehn Jahre älter als Sie, und bis zu dem Tag, als wir uns zum erstenmal sahen, habe ich nie etwas bedauert. Mein Heim liegt in Cornwall, aber ich bin immer nur vorübergehend dort. Man hat zwar irgendwo seine Wurzeln, doch bleiben kann man nicht. «Er wartete auf einen plötzlichen Ausbruch, doch sie blieb stumm.»Ich kann Ihnen nicht das elegante London bieten, auch nicht Sir Edmunds Lebensstil, aber eines kann ich Ihnen bieten.»

Seine Worte verklangen, und dann fragte sie ganz ruhig:»Was, Captain?»

Er fand seine Stimme wieder.»Ich kann Ihnen meine Liebe anbieten. Ich erwarte nicht, daß Sie sie in gleichem Maße erwidern; aber wenn Sie mir eine Chance geben wollen, nur eine Chance, will ich versuchen, Sie glücklich zu machen und Ihnen den Frieden zu geben, den Sie nach allem Leid verdienen. «Er spürte die tiefe Stille im Raum und hörte das ferne Anschlagen der Wellen draußen. Und lauter als alles das schmerzhafte Klopfen seines Herzens.

Endlich sagte sie:»Ich brauche Zeit zum Nachdenken. «Sie trat rasch an ein Fenster, so daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte.»Wissen Sie auch, was Sie tun, Captain? Was das für Sie bedeuten kann?»

«Ich weiß nur, was Sie mir bedeuten. Wie Sie sich auch entscheiden — daran wird sich nichts ändern. «Er sah, daß ihre Schultern zitterten, und fuhr ruhiger fort:»Ich würde mit Sir Edmund sprechen, wenn Sie.»

Sie schüttelte den Kopf.»Nein. Ich muß das selbst durchstehen. «Wie von ferne sprach sie weiter.»Sir Edmund kann sehr hart sein. Es könnte schlimme Folgen für Sie haben.»

Bolithos Herz tat einen Sprung.»Dann denken Sie also. Ich meine — Sie könnten wirklich.?»

Sie wandte sich um und legte ihm beide Hände auf die Schultern. Ihre Augen leuchteten so, daß sie ihr ganzes Gesicht beherrschten.»Hat es daran je Zweifel gegeben?«Doch als er sie mit dem gesunden Arm umfassen wollte, trat sie einen Schritt zurück und hob die Hände.»Bitte jetzt nicht. Ich muß nachdenken. Bitte laß mich allein.»

Bolitho trat zurück und wandte sich zur Tür. Der Kopf wirbelte ihm vor Gedanken und Ideen.»Aber willst du mich heiraten? Sag es mir nur einmal, bevor ich gehe!»

Ihre Lippen zitterten, und eine Träne rollte über ihre Wange.»Du bist der Mann, den mein Bruder verehrt, und noch viel mehr dazu. Ja, mit Freuden will ich dich heiraten.»

Nachher, als sein Boot ihn wieder zur Hyperion brachte, war er immer noch wie betäubt. Der Offizier der Wache machte seine Meldung, als er aufs Achterdeck kam, aber er hörte weder, was er sagte, noch erinnerte er sich hinterher, was er geantwortet hatte.

Einsam stand Herrick, das Teleskop unterm Arm, an der Schanzleiter. Rasch überquerte Bolitho das Deck und sprach ihn an:»Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen, Thomas. «Mit einer Handbewegung wischte er Herricks unausgesprochenen Protest beiseite.»Mein Benehmen war unverzeihlich, und was ich da gesagt habe, war schlechthin lächerlich.»

Herrick musterte ihn besorgt.»Haben Sie Schmerzen im Arm, Sir?«Verständnislos starrte Bolitho ihn an.»Schmerzen? Arm? Ach was!»

«Tja, Sir«, sagte Herrick unsicher,»mir tat das auch leid. Aber ich kann einfach nicht mitansehen, wie Sie sich selbst in Schwierigkeiten bringen. «Er seufzte tief auf.»Doch jetzt können wir bald auslaufen, und nach der Hochzeit kommt alles wieder in Ordnung. «Er grinste erleichtert.»Und das ist auch gut so.»

Vergnügt sah Bolitho ihn an und überlegte, ob er ihm gleich reinen Wein einschenken sollte.»Die Hochzeit wird verschoben, Thomas«, sagte er schließlich.

«Verschoben, Sir?«Herrick war ganz durcheinander.»Das verstehe ich nicht.»

Bolitho massierte sich den verbundenen Arm.»Ich denke, Fal-mouth ist dafür ein passenderer Ort, finden Sie nicht? Und Sie sollen Brautführer sein, Thomas, wenn Sie mir diesen Dienst erweisen wollen.»

Herrick verschlug es fast die Sprache.»Sie haben doch nicht etwa… Aber das ist doch nicht möglich!«Er bekam den Mund nicht zu vor Verwirrung.»Doch nicht Miss Seton, Sir? Des Admirals Braut?»

«Genau die, Thomas«, grinste Bolitho. Er trat unter die Kampan-je, und Herrick hörte ihn pfeifen, bis die Kajütentür zuschlug. Das hatte Bolitho noch nie getan.

Herrick hielt sich an der Reling fest.»Da hol' mich doch der Teufel«, murmelte er und schüttelte sich wie ein Hund.»Da hol' mich der Teufel kreuzweise!»