158320.fb2 Nahkampf der Giganten: Flaggkapit?n Bolitho bei der Blockade Frankreichs - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 16

Nahkampf der Giganten: Flaggkapit?n Bolitho bei der Blockade Frankreichs - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 16

XVI Einer von vielen

Bolitho brachte sein geliehenes Pferd hinter einer Steinhütte in Deckung und sprang aus dem Sattel. Ashby, der den ganzen Nachmittag bei ihm gewesen war, saß ebenfalls ab und lehnte sich an die Mauer. Sein Atem ging schwer vor Erschöpfung.

Es war erst später Nachmittag, und doch konnte man glauben, die Nacht bräche herein, so dick war der ziehende Qualm. In der wachsenden Dämmerung schien die Stadt von einem geschlossenen Ring aus dem Mündungsfeuer der Kanonen und Musketen umgeben. Ashby deutete auf das bleiche Band der Landstraße.»Weiter können wir nicht vorgehen, Sir«, sagte er.»Hundert Yards vor uns sind die Franzosen.»

Bolitho duckte sich hinter einer primitiven Barrikade aus Wagen und sandgefüllten Fässern. Er konnte die verstreute Linie der Soldaten sehen, die sich nach rechts und links erstreckte. Mit langsamen, regelmäßigen Bewegungen luden sie und feuerten in Richtung auf die Landstraße. Dunkel hoben sich ihre roten Uniformröcke von dem staubigen Geröll ab.

Ein junger Leutnant kroch hinter einem umgestürzten Bauernwagen hervor und kam zu Bolitho gerannt. Wie seine Männer war er schmutzig und abgerissen, doch seine Stimme klang ruhig, als er, auf die tief verschatteten Hügel deutend, die Lage erläuterte:»Wir mußten in der letzten Stunde etwa fünfzig Yards zurückgehen, Sir. «Er duckte sich vor einer Musketenkugel.»Viel länger kann ich mich hier nicht halten. Ich habe die Hälfte meiner Männer verloren, und die noch kampffähig sind, haben kaum mehr Munition.»

Bolitho zog sein Taschenteleskop aus und spähte über die Barrikade. Vor dem aufblitzenden Mündungsfeuer konnte er die Gefallenen und Verwundeten mit den leuchtend weißen Brustriemen liegen sehen, die jeden Meter des Rückzugs kennzeichneten. Hier und da hob einer den Arm, und einmal hörte er während einer kurzen Feuerpause den halberstickten Ruf nach Wasser.

Er dachte an das provisorische Lazarett am Hafen. Da hatten sich ihre Blicke ein paar Sekunden lang über die gebeugten Köpfe und ausgestreckten Leiber hinweg gefunden. Bolitho hatte dem dienstältesten Feldscher gesagt, was er vorhatte, aber dabei nur zu dem Mädchen hinübergeblickt. Der Sanitäter hatte ihn erst ziemlich ungläubig gemustert, doch als eben wieder ein Verwundeter we g-getragen wurde, sagte er müde:»Wir werden sie an Bord bringen, Captain, und wenn wir sie auf den Rücken nehmen und schwimmen müssen!»

Bolitho war mit Cheney in einen kleinen Nebenraum getreten, der einmal so etwas wie ein Kindergarten gewesen sein mußte. Haufenweise lagen verschmutzte Verbände und zerfetzte Uniformen herum. Die Wände waren mit primitiven Bildern bedeckt, gemalt von Kindern, die jetzt in der belagerten Stadt eingeschlossen und vom Tod bedroht waren.

«Ich wußte, daß du kommen würdest, Richard«, hatte sie gesagt,»ich wußte es ganz sicher!»

Er hatte sie an seine Brust gezogen und ihre Verkrampfung gespürt, die plötzliche Schwere ihres Kopfes an seiner Schulter.»Du bist ja völlig erschöpft! Du hättest mit der Vanessa segeln sollen.»

«Ich konnte unmöglich weg, bevor du zurückkamst, Richard. «Sie hob das Kinn und blickte ihm lange ins Gesicht.»Jetzt geht es mir wieder besser.»

Draußen vor dem Haus vibrierte die Luft vor Artilleriefeuer und den Rufen rennender Männer. Aber in diesen we nigen Sekunden waren sie miteinander allein gewesen, weit weg von der bitteren Wirklichkeit und allem Leid um sie herum.

Sanft löste er ihre Hände von seinen Rockaufschlägen.»Matrosen des Geschwaders werden sehr bald eintreffen. Alles wird getan, um St. Clar zu evakuieren. Bitte sag mir, daß du mitfahren wirst. «Forschend blickte er ihr ins Gesicht.»Nur das will ich wissen.»

Langsam nickte sie.»Alle sagen, daß die Evakuierung dein Werk ist, Richard. Sie reden von nichts anderem. Daß du entgegen dem Befehl zurückgekommen bist, um uns zu helfen. «Tränen glänzten in ihren Augen.»Ich bin froh, daß ich geblieben bin — jetzt habe ich gesehen, wie du wirklich bist.»

«Wir stecken alle miteinander bis zum Hals in dieser Geschichte. Ich konnte gar nicht anders.»

Sie schüttelte den Kopf; und diese Bewegung war ihm in der Erinnerung besonders teuer.»Du magst es so nennen, Richard, aber ich kenne dich besser, als du denkst. Sir Edmund hat überhaupt nichts getan, alle anderen haben nur abgewartet, und inzwischen sind viele Menschen sinnlos umgekommen.»

«Sei nicht zu hart mit dem Admiral. «Seine Worte kamen ihm selbst seltsam vor, als hätte er in diesen Stunden gelernt, Pomfret mit ganz anderen Augen zu sehen und ihn sogar ein wenig zu verstehen.»Er und ich wollten dasselbe. Nur unsere Motive waren verschieden.»

Da erschienen auch schon die ersten Matrosen im Lazarett. In ihren sauberen, karierten Hemden, mit ihrem zielstrebigen Zupacken wirkten sie an diesem Ort der Verzweiflung und des Todes wie Fremde.

Noch jetzt, als er hinter dieser elenden Barrikade hockte, stand ihm ihr Bild deutlich vor Augen: eine schmale, trotzige Gestalt inmitten der Ernte des Krieges; sie hatte sogar ein Lächeln zustande gebracht, als er aufgesessen war.

Ein Soldat stieß einen schrillen Schrei aus, stürzte rücklings von der niedrigen Mauer und fiel kopfüber neben seinem Kameraden zu Boden. Doch der wandte nicht einmal den Kopf, sondern lud und schoß. Der Tod war etwas Selbstverständliches geworden — man kümmerte sich nicht mehr darum. Überleben war nur noch eine vage Möglichkeit.

Bolitho wandte sich um. Dort hinter ihm war die Brücke, und unter jenem Streifen Erde und verbranntem Gras lag der Fluß. Er entschloß sich.»Haben Sie die Sprengladungen gelegt, Leutnant?»

Der Offizier nickte erleichtert.

«Gut. Dann ziehen Sie sich über den Fluß zurück, und sprengen Sie die Brücke.»

Plötzlich vernahm man das Klirren von Zaumzeug. Bolitho fuhr herum und erblickte den spanischen Oberst, der gelassen auf dem schmalen Weg dahintrabte. Hinter ihm ritten die Reste seiner Kavallerie. Ihre Kürasse und Helme blitzten wie Silber im Mündungsfeuer der Artillerie.

Geduckt rannte Bolitho zur Scheune zurück.»Was tun Sie hier, Oberst?«rief er.»Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen Ihre Leute zur Evakuierung vorbereiten!»

Völlig reglos saß Don Joaquin Salgado im Sattel. Als er lächelte, glänzten seine Zähne weiß in der Dunkelheit.»Sie haben heute noch viel zu erledigen, capitano. Seien Sie so freundlich und trauen Sie mir zu, daß ich mein Handwerk ebensogut verstehe wie Sie das Ihre.»

«Hinter dieser Schützenlinie ist nur noch offenes Gelände und der Feind, Oberst!»

Der Spanier nickte.»Eben. Und wie vorhin jemand mit Recht bemerkte, sind Sie alle verloren, wenn der Feind den südlichen Arm der Bucht erreicht, ehe Sie die offene See gewonnen haben. «Er beugte sich etwas vor; der Sattel knirschte unter ihm.»Ich lasse meine Pferde nicht hier verkommen, capitano, und erschießen werde ich sie auch nicht. Ich habe genug von dieser Art Kriegführung!«Er richtete sich wieder auf und zog seinen gebogenen Säbel.»Viel Glück, capitano!«Und ohne zurückzublicken, gab er seinem

Pferd die Sporen und galoppierte auf die Barrikade zu. Seine Männer reagierten sofort. Brüllend wie Irre jagten sie hinter ihm her; die fliegenden Hufe streiften fast die erschrockenen Soldaten bei der Barrikade. Mit blitzenden Säbeln schwärmten sie fächerförmig zur Attacke auf die feindliche Linie aus.

«Rückzug, Leutnant!«brüllte Bolitho.»Das ist unsere Chance! So ein Verrückter!«Die Soldaten sprangen hoch und zogen sich auf die Brücke zurück. Bolitho starrte den attackierenden Reitern nach.»Und dieser Mann hat gesagt, ich sei tapfer!»

In der Dunkelheit hörte er das Wiehern verwundeter Pferde, knatternde Schüsse, und über allem das scharfe Trompetensignal der Kavallerie. Endlich war das feindliche Sperrfeuer verstummt. Indessen war keine Zeit, stehenzubleiben und die Tapferkeit eines einzelnen zu bewundern. Jetzt nicht. Später vielleicht. Bolitho riß sich aus seinen Gedanken und rannte zu seinem Pferd.

«Von denen kommt keiner lebend davon«, schrie Ashby.»Bei Gott, Sir, dieser Mann muß verrückt sein!»

Bolitho trieb sein Pferd auf die Brücke zu.»Das ist pure Wut, Hauptmann Ashby. Weiß Gott, ich kann ihn verstehen!»

Im Hafen herrschte hektisches Getriebe. An der Pier lagen Boote aller Art und Größe; pausenlos schleppten bezopfte Matrosen Frauen und Kinder die Straßen hinunter und übergaben sie ihren Kameraden in den Booten, so selbstverständlich und geschickt, als hätten sie jahrelang nichts anderes getan.

Überall ertönten Rufe und Schreie. Matrosen und Seesoldaten stritten sich mit einigen Bürgern herum, die anscheinend fest entschlossen waren, so viel an Möbeln und Gepäck mitzunehmen, wie die Boote irgend tragen konnten. Da verhandelte ein Unteroffizier mit einer alten Frau, die mit einem Kalb am Strick dastand und es nicht loslassen wollte. Leutnant Inch schob sich durch das Gewimmel und faßte grüßend an den Hut.»Die Verwundeten sind an Bord, Sir. «Er mußte schreien, um das Stimmengewirr zu übertönen.»Dies hier sind die letzten Stadtbewohner, die weg wollen.»

Bolitho nickte.»Und die anderen?»

«Tauchen höchstwahrscheinlich unter, Sir. «Er zuckte zusammen, denn eine dumpfe Explosion erschütterte die Gebäude oberhalb des Kais.»Was war denn das?»

«Die Brücke. «Bolitho schritt zum Wasser und sah den stromabwärts fahrenden Booten nach.

Ein Leutnant trat herzu und meldete:»Die Harvester hat die, äh, Sträflinge an Land gebracht, Sir.»

«Gut. «Bolitho löste den Blick von den hastenden, verzweifelten, plötzlich der Unsicherheit der Flucht preisgegebenen Menschen.»Ich komme gleich und spreche zu ihnen.»

Die Sträflinge waren in einem niedrigen Schuppen zusammengepfercht. Bolitho erkannte Captain Poole vom Transporter Erebus, der kopfschüttelnd diesen Haufen zusätzlicher Passagiere betrachtete.

«Sind alle bereit?«fragte Bolitho.

Poole grinste.»Mein Schiff sieht vielleicht aus, Captain. Man findet kaum einen Belegnagel vor lauter Menschen. «Da er bemerkte, daß sich die Falten in Bolithos Gesicht vertieften, fuhr er zuversichtlich fort:»Aber keine Angst, ich bringe sie schon alle von hier weg.»

Bolitho stieg auf eine Kiste und schaute in die gespannten Gesichter. Selbst im schwachen Laternenschein konnte er feststellen, daß die meisten Sträflinge jetzt gesünder aussahen als beim letzten Mal. Wie lange war das her? Tatsächlich erst vier Monate?

Er begann zu sprechen.»Ihr geht jetzt auf die Erebus, ohne Wachen und Handschellen. «Durch die dichtgedrängten Gestalten fuhr ein Schauer der Erregung.»Captain Poole hat schriftliche Order von Admiral Pomfret, die er dem Standortkommandanten in Gibraltar überreichen wird. «Wie leicht ihm die Lüge von den Lippen kam! Die Order war zwar mit Pomfrets Petschaft gesiegelt, aber unterschrieben hatte Bolitho selbst.»Ich bin überzeugt, daß vielen von euch Straferlaß gewährt wird; obwohl manche vielleicht mit dem nächsten Konvoi nach Neu-Holland segeln wollen, um sich in einem neuen Land ein neues Leben aufzubauen. «Fast übermannte ihn die Erschöpfung, aber er fuhr fort:»Ihr habt euch anständig verhalten und nicht wenig Mut gezeigt. Das ist zumindest eine Belohnung wert.»

Er wandte sich zum Gehen, doch da ertönte eine Stimme:»Augenblick, Captain!«Als er sich ihnen wieder zuwandte, starrten sie ihn alle an. Ihre Augen glitzerten im Lampenschein. Und wieder die Stimme:»Wir wissen, was Sie für uns getan haben, Captain.

Nicht wahr, Jungs?«Zustimmendes Gemurmel.»Manche Leute hätten uns auf Cozar verfaulen lassen, aber Sie haben uns da we g-geholt. Wir möchten Ihnen bloß sagen, daß Sie uns mehr gegeben haben als die Hoffnung auf Freiheit: unsere Selbstachtung!»

Noch halb geblendet schritt Bolitho in die Dunkelheit hinaus, und ihr Hurrageschrei verebbte hinter ihm. Poole grinste unverhohlen und sagte irgend etwas, aber seine Worte gingen im Lärm unter.

Dann sah Bolitho Midshipman Seton an der Pier stehen. Seine eine Hand war verbunden; mit der anderen hielt er ein erschöpftes Pferd beim Zügel.»Darf ich wieder an Bord, Sir?«fragte der Junge.

«Gott sei Dank, daß Sie in Sicherheit sind«, sagte Bolitho und faßte ihn bei der Schulter.»Ich habe Sie den ganzen Nachmittag gesucht.»

Seton blickte verlegen drein.»Ich hatte mich verirrt, Sir. Das Pferd ist mir durchgegangen, und ich brauchte zwei Tage, um durch die feindlichen Linien zu kommen.»

Bolitho lächelte müde.»Mr. Piper wird sich freuen, daß Sie wieder da sind. Er dachte sich schon, daß Sie irgendwelche Dummheiten angestellt haben.»

Er sah sich um. Die Sträflinge strömten die Stufen hinunter zu den eben angekommenen Booten.»Bleiben Sie erst mal hier und helfen Sie diesen Leuten, Mr. Seton. Wenn alle verladen sind, können Sie ins Admiralshauptquartier kommen. Ich werde dort sein.»

«Ist es vorbei, Sir?«fragte der Midshipman.

«So ziemlich«, erwiderte Bolitho; doch seine Worte hatten etwas Endgültiges.»Morgen früh bei Sonnenaufgang holen wir die letzten Soldaten an Bord. «Er zuckte die Achseln.»An diesen Tag werden Sie wahrscheinlich noch lange denken.»

Mit plötzlichem Ernst nickte Seton.»Ich habe mit meiner Schwester gesprochen, bevor sie an Bord ging, Sir. Sie hat mir alles erzählt. «Verlegen trat er von einem Fuß auf den anderen.»A-alles, was passiert ist, S-Sir.»

Bolitho sah, daß Ashby schon bei den Pferden wartete, und entgegnete leise:»Aber Mr. Seton, Sie stottern ja schon wieder!«Damit ging er, und der Junge starrte ihm nach.

Der Marktplatz vor Pomfrets Hauptquartier war leer bis auf ein paar Marine-Infanteristen und einen stöbernden Hund. Das feindliche Bombardement hatte aufgehört, und tiefe Stille lag über der zerschlagenen Stadt, als hielte sie den Atem an vor dem kommenden Tageslicht und dem letzten Akt der Tragödie.

Bolitho trat ins Haus und fand das getäfelte Arbeitszimmer verlassen; die Karte lag neben Pomfrets Schreibtisch am Boden. Als er sich in einen Sessel fallen ließ, sah er Allday in der offenen Tür stehen.

«Der Admiral schläft, Captain. Ich habe ihn saubergemacht. Mr. Fashawe ist oben und paßt auf. «Dann wurde sein Ton persönlicher und bestimmter.»Aber Sie sollten auch ein bißchen schlafen, Cap-tain. Sie sehen völlig erledigt aus, wenn ich so sagen darf.»

«Sie dürfen nicht, Allday. «Aber als Allday sich bückte, um ihm die Stiefel auszuziehen und den Degengurt abzuhaken, ließ er ihn gewähren.

«Ich bringe Ihnen Suppe, Captain, damit Sie was in den Leib kriegen.»

Leise vor sich hin pfeifend ging er davon, und Bolitho ließ den Kopf gegen die Sessellehne sinken. Plötzlich fühlte er sich vollständig ausgehöhlt. Und es war noch so viel zu tun. Er hatte Cob-ban immer noch nicht gefunden und auch noch nicht die endgültige Zerstörung der wenigen noch intakten Hafeneinrichtungen vorbereitet. Er dachte an Cheneys Gesicht und an den Glanz ihrer Augen beim Abschied. Im ersten Frühlicht würden die Transporter auslaufen. Die Kriegsschiffe blieben noch, um die letzte Phase des Rückzuges zu decken.

Rückzug. Das Wort traf ihn wie eine Beleidigung. Ein Rückzug war nicht leicht zu akzeptieren, mochte er auch noch so unvermeidlich sein. Der Kopf sank ihm auf die Brust, Müdigkeit hüllte ihn ein wie ein Mantel. Vage hörte er noch, daß Allday wiederkam, und spürte eine Decke um seine müden, schmerzenden Schultern. Wie von fern hörte er Allday murmeln:»Ganz recht, Captain, schlafen Sie ruhig! Eine Menge Menschen können heute ruhig schlafen, bloß weil Sie da waren. Ich hoffe zu Gott, daß sie auch wissen, wer sie gerettet hat.»

Leutnant Herrick stieß sich von der Achterdecksreling ab und rieb sich heftig die Augen. Noch eine Sekunde, und er wäre im Stehen eingeschlafen. Das ganze dunkle Schiff schien zu schlafen, tiefe

Stille lag über dem geschützten Hafenbecken. Nur ab und zu hörte man die scharrenden Schritte eines Wachtpostens und das Stöhnen des Windes im Rigg.

Der Himmel hatte sich während der Nacht bewölkt, und Herrick spürte ein paar sanfte Regentropfen auf der Wange, als er langsam zur Kampanjeleiter ging. Die Morgenröte war nicht mehr fern; schon lag ein diffuses Licht wie mattes Zinn über der Kimmung.

Er hörte Bootsmann Tomlins ärgerliche Stimme in der Finsternis — wahrscheinlich hatte er einen unglücklichen Wachmatrosen beim Schlafen überrascht. Kein Wunder. Die Männer hatten wie die Teufel gearbeitet, bis das letzte Boot des Geschwaders im Abendlicht zwischen den ankernden Schiffen verschwunden war. Die scheinbar hoffnungslose Aufgabe war geschafft; aber wie das in so relativ kurzer Zeit hatte geschehen können, wußte keiner zu sagen. Männer, Frauen und Kinder von St. Clar. Verwundete Soldaten und die eiligst zurückgerufenen Truppen von der Brücke. Irgendwie waren sie alle in die Transporter gequetscht worden; doch Herrick bezweifelte, daß dort jemand zum Schlafen kam. Der Landwind trug den Gestank nach Feuer und Tod heran und erinnerte sie an das, was sie hinter sich lassen mußten.

Irgendwo dort hinter dem dunklen Ufer ist Bolitho noch an der Arbeit, dachte er grimmig, und nimmt auf seine eigenen Schultern, was von Rechts wegen andere tragen müßten.

Er hörte Schritte neben sich. Schwarz hob sich Gossetts mächtige, in einen langen Ölmantel gehüllte Gestalt von den gebleichten Decksplanken ab.

«Dauert nicht mehr lange, Mr. Herrick«, sagte der Master gelassen.

«Sie konnten also auch nicht schlafen?«Herrick schlug die Arme zusammen, um das Blut wieder in Gang zu bringen.»Mein Gott, das war eine lange Nacht!»

«Ich habe keine Ruhe, ehe nicht alle unsere Leute wieder an Bord sind«, knurrte Gossett. Er hob die Hand, denn ein Pfiff wie von einem aufgeschreckten Seevogel schrillte über das Wasser.»Sie pfeifen >Alle Mann< auf den Transportern. Die gehen gleich Anker auf.»

«Gut. «In den kalten Wind spähend, sah Herrick, wie das Licht einer kleinen Laterne über das Deck des einen Transporters huschte. Wenn ein neuer Tag über den Ruinen von St. dar aufging, würde der kleine Konvoi in See stechen, mit der Princesa als Hauptgeleitschiff; bis Gibraltar sollte noch die Fregatte Bat und eine der Schaluppen dazustoßen.

Gossett schien Herricks Gedanken gelesen zu haben.»Diesmal wenigstens können wir uns auf die Princesa verlassen. Sie ist auf Heimatkurs, da findet sie schon hin«, sagte er bitter.

Beide fuhren zusammen, denn vom Steuerborddecksgang ertönte ein Ruf:»Boot ahoi!»

Aus dem Dunkel kam sofort die Antwort: «Aye, Hyperion!»

«Das ist komisch«, murmelte Gossett.»Anscheinend eins von unseren eigenen Booten, aber der Käpt'n sitzt nicht drin.»

Herrick nickte und schritt zum Fallreep.»Der kommt auch nicht, ehe nicht alle anderen weg sind, Mr. Gossett.»

Der Master seufzte.»Das brauchen Sie mir nicht erst zu sagen.»

Das Boot machte an den Großrüsten fest, und Sekunden später kam Allday durch die Fallreepspforte. Als er den Leutnant sah, klopfte er grüßend an die Stirn.

«Kompliment vom Kommandanten, Sir. «Er spähte zum Boot hinunter und zischte:»Schnauze halten, da unten!«Dann fuhr er fort:»Würden Sie bitte mit anfassen, damit wir den Admiral an Bord kriegen, Sir?»

Herrick starrte ihn an.»Den Admiral?«Jetzt kam Rowlstone durch die Fallreepspforte, ihm folgte der kleine Piper. Gelassen fuhr Allday fort:»Befehl vom Kommandanten: Sir Edmund wird in seine Schlafkabine gebracht, Sir. «Er bemerkte, daß Herrick sich nach dem Bootsmannsmaat der Wache umsah, und warnte rasch:»Er hat gesagt: keinen Wirbel, und niemand kriegt den Admiral zu sehen, bis er wieder auf den Beinen ist.»

Herrick nickte. Er kannte Allday lange genug; niemals hatte er erlebt, daß dieser verwirrt war oder seine Befehle durcheinanderbrachte. Wenn Bolitho wollte, daß Pomfret unbemerkt an Bord kam, dann hatte er bestimmt Gründe dafür.

Er winkte Gossett:»He, fassen Sie mit an!»

Wie Verschwörer schoben und hoben sie den in eine Decke gewickelten Pomfret durch die Pforte und dann zum Achterdeck. Der Adjutant des Admirals legte mit Hand an die primitive Tragbahre.

Auch der hat wahrscheinlich die ganze Nacht nicht geschlafen, dachte Herrick.

Allday führte die kleine Kolonne an, die ihren Weg zur Kampan-je nahm.»Der Captain kommt mit der Nachhut, Sir. «Er rieb sich das Kinn, es knirschte wie Sandpapier.»Dann muß aber alles schnell gehen.»

Herrick nickte.»Wir sind seeklar. «Er hielt Allday an, der sich eben umwandte, um wieder zum Boot zu gehen.»Sagen Sie Cap-tain Bolitho…«Er brach ab, wußte nicht, wie er seine Gefühle ausdrücken sollte.

Allday grinste in der Dunkelheit.»Dem brauch' ich nichts zu sagen, Sir. Er weiß schon, was Sie denken, keine Angst.»

Herrick blickte dem Boot nach, als es von der Bordwand abstieß. Die Riemen strichen schwer und müde, so müde wie die Männer selbst.

Ein Matrose rief:»Die Transporter haben Anker kurzstag, Sir! Und die Erebus setzt auch schon Bramsegel!»

«Gut. «Herrick sah jetzt, wie die fahle Leinwand auch auf den anderen Schiffen Form und Identität bekam. Ein Schiff nach dem anderen machte sich klar zum Auslaufen. Er befahl:»Sagen Sie Mr. Tomlin, er soll in einer Viertelstunde >Alle Mann< pfeifen; und die Kombüse soll Feuer machen. «Ein leichter Schauer überlief ihn.»Es wird wohl eine Weile dauern, bis wir danach die nächste warme Mahlzeit in den Bauch kriegen.»

Gossett trat zu ihm an die Reling.»Was bedeutet das alles, Mr. Herrick? Warum ist Sir Edmund bei uns und nicht auf dem Flaggschiff?»

Herrick blickte kurz zur Tenacious hinüber.»Warum? Das geht uns nichts an. Aber bei Sonnenaufgang werden wir Sir Edmunds Flagge am Besanmast hissen. «Er spürte, wie Gossett ihn anstarrte.»Und wo die Flagge ist, da ist auch die Verantwortung — oder ich müßte mich sehr irren.»

Als das erste Sonnenlicht die Berge berührte und in die voller Trümmer liegenden Straßen sickerte, eröffnete die feindliche Artillerie wieder das Feuer. Schwarze Rauchwolken quollen von der Pier auf. Helle Funken und Flugasche markierten die letzte Phase der Zerstörung: Soldaten warfen ölgetränkte Lappen in Lagerschuppen und Fischerboote und zündeten sie an. Mit grimmigem Gesicht stand Hauptmann Ashby neben seiner Abteilung Seesoldaten und beobachtete, wie die letzten Männer eilig von der Feuerlinie zurückkamen und zu den Booten strömten; manche schleppten verwundete Kameraden, andere gebrauchten ihre Musketen als Krücken.

Im Hauptquartier stand Bolitho an einem offenen Fenster, die Hände auf das Fensterbrett gestützt, und blickte aufmerksam in die Berge jenseits der Stadt. Hinter sich hörte er Stiefel knirschen. Ein junger Infanterieoffizier, schwarz vor Pulverrauch, stand da und sah ihn an.»Alles fertig?»

Der Offizier nickte.»Die letzte Gruppe geht eben zurück, Sir. «Er wandte sich um und nahm Haltung an, denn ein junger Leutnant mit drei Mann in voller Ausrüstung bog unten um die Straßenecke, im Gleichschritt wie bei der Parade. Der Leutnant trug die Regimentsfahne, und als er an Bolitho vorbeikam, sah dieser, daß Tränen helle Bahnen in das geschwärzte Gesicht gezogen hatten.

Bolitho trat ins Zimmer zurück. Schon war das Haus leer und halbzerstört; kaum deutete etwas darauf hin, daß Pomfret einst von hier aus seinen» ersten Schritt nach Paris «hatte tun wollen.

Draußen auf dem Platz stand Ashby und grüßte dienstlich.»Sprengladungen gelegt, Sir. Die Frogs können jetzt jede Minute kommen.»

Bolitho nickte und horchte auf das Gewitter der schweren Artillerie, die ein letztes Sperrfeuer auf die ausharrende Stellung der Rotröcke legte. Deutlich sah er die hinter Barrikaden und Erdaufschüttungen kauernden Gestalten, die scheinbar bereit und entschlossen waren, auch noch diesem letzten Angriff standzuhalten. Dies war beinahe das Scheußlichste an dieser scheußlichen Geschichte, dachte er. Denn kurz vor Sonnenaufgang, als die erschöpften Truppen sich aus ihren Stellungen zurückzogen, hatten Lieutenant Inch und eine Abteilung Matrosen nach seinen Anordnungen die letzte Nachhutstellung vorbereitet. Doch wenn die Franzosen nun bald das Feuer einstellen und in die Stadt stürmen würden, konnten diese Soldaten weder zurückschießen noch ihre Waffen wegwerfen und sich ergeben; denn sie waren schon tot. Aus dem Feldlazarett und von den Erdschanzen hatten Matrosen die Gefallenen, die nicht mehr dagegen protestieren konnten, zusammengetragen und sie mit ihren Musketen zu einer stillen Feuerlinie aufgebaut. Sogar eine Fahne wehte über ihren blicklosen Gesichtern, als letzter, grimmiger Hohn.

Bolitho riß sich aus seinen trüben Gedanken. Tote spürten keine Schmerzen mehr, die Lebenden mußten gerettet werden.»Los, Ashby«, befahl er.»Lunten an!»

Er hörte Trompetenklang und eine Welle von Hurras — die ersten französischen Soldaten stürmten von der Küstenstraße in die Stadt. Die Seesoldaten zogen sich in kleinen Gruppen auf die zerschossene Pier zurück, die aufgepflanzten Bajonette noch auf die dunklen Gassen gerichtet.

Von den Bürgern, die in St. Clar bleiben wollten, war nichts zu sehen. Sie waren untergetaucht. Nach der ersten Welle der Wut und des Blutvergießens würden sie hervorkommen und Frieden mit ihren Landsleuten machen. Sie würden Freunde, ja sogar Verwandte denunzieren, um ihre Treue zur Revolution zu beweisen. Das wird eine strenge und langwierige Abrechnung, dachte Bolitho.

Eben jetzt mußten die Franzosen auf die toten letzten Verteidiger starren und überlegen, was dieser Versuch, ihren endgültigen Sieg zu verzögern, wohl bedeutete.

In diesem Moment hatte die erste Lunte den Zünder erreicht, und die ganze Stadt schien unter der Wucht der Explosion zu schwanken.

«Das ist das Hauptmagazin, Sir«, sagte Ashby heiser.»Da werden noch ein paar von diesen Bastarden draufgegangen sein. «Er schwenkte den Degen.»In die Boote!»

Unter dem Krachen einer zweiten mächtigen Explosion eilten die Seesoldaten in die Boote und folgten denen, die bereits den Fluß hinunterruderten. Ein paar französische Scharfschützen mußten in die Häuser am Hafen eingedrungen sein, denn die abziehenden Boote wurden beschossen, und kleine fedrige Wasserfontänen stiegen längsseit hoch.

Bolitho blickte seinem Leutnant entgegen, der mit bloßem Kopf, eine rauchende Lunte in der Hand, über den Platz gerannt kam.»Alles klar, Shanks?»

«Die letzte Ladung ist gezündet, Sir. «Shanks verzog das Gesicht, denn eben riß eine mächtige Detonation ein ganzes Haus am

Anfang einer engen Gasse nieder, und die Schockwelle schleuderte ihn beinahe ins Wasser.

Die Barkasse hatte an der Pier festgemacht; als gerade die letzten Seesoldaten hineinkletterten, schrie Allday:»Da kommt französische Kavallerie, Captain!»

Es waren etwa ein Dutzend Reiter. Sie brachen aus einer Seitengasse hervor, und als sie die Barkasse gewahrten, kamen sie im gestreckten Galopp durch den Rauch der letzten Explosion. Bolitho warf einen raschen Blick umher und sprang dann an Bord.

Als das Boot ablegte, richtete ein Matrose geduckt die Drehbasse aus, trat beiseite und zog die Abzugsleine. Das Boot schwankte im Rückstoß nach dem letzten Schuß dieses Feldzuges.

Bolitho klammerte sich ans Dollbord, als die Pinne das Boot herumriß, bis die abgedeckten Häuser die blutigen Überreste von Pferden und Reitern, welche die doppelte Ladung Schrapnell niedergemäht hatte, den Blicken entzogen.

Aus und vorbei. Bolitho fragte sich, was aus Oberst Cobban worden sein mochte; aber er konnte beim besten Willen kein Mitgefühl für ihn aufbringen. In der Nacht, als er in Pomfrets leerem Arbeitszimmer eingeschlafen war, hatte ihm eine atemlose Ordonnanz gemeldet, daß Cobban unter Parlamentärflagge zu dem französischen Kommandeur gegangen sei.»Um einen ehrenvollen Frieden auszuhandeln«, wie er sich ausgedrückt hatte. Jetzt in der grimmigen Wirklichkeit des hellen Tages würden die Franzosen Cobbans kläglichen Versuch, sein eigenes Fell zu retten, nur als Verzögerungsmanöver zur Deckung des britischen Rückzugs ansehen. Groteske Vorstellung, daß man Cobban in England vielleicht gerade dieser Haltung wegen als einen aufopfernden, mutigen Offizier im Gedächtnis behalten würde.

Die Boote waren jetzt im tieferen Wasser der Bucht, und Bolitho richtete sich mühsam auf, denn die beiden Linienschiffe erwarteten ihn. Dann sah er Pomfrets Admiralswimpel vom Besan der Hyperion wehen und wußte, daß Herrick die Maßnahme seines Kommandanten verstanden hatte, auch wenn er sie vielleicht nicht billigte.

Eine halbe Stunde später hatte beide Schiffe Anker gelichtet; und als der auffrischende Wind den Rauch der brennenden Stadt aufs Meer hinaustrieb, stand Bolitho an den Finknetzen, die Hände auf dem Rücken ineinander verschränkt. Im stillen Wasser des Hafenbeckens spiegelten sich die Flammen wider.

Als die Segel der Hyperion sich füllten, und sie Kurs auf die offene See nahm, kam die allerletzte Szene dieser Tragödie — wie ausgesucht und genau für diesen Moment berechnet.

Ein einzelner Reiter erschien hoch auf dem südlichen Vorland der Bucht; hell leuchtete sein gelber Uniformrock im bleichen Licht, als er den auslaufenden Schiffen nachsah. Bolitho brauchte kein Fernrohr, um den spanischen Oberst zu erkennen. Kein Wunder, daß die Schiffe vom Vorland aus nicht beschossen worden waren. Salgados Kavallerie hatte gute Arbeit geleistet; aber um welchen Preis, das sah man an dieser einsamen Gestalt.

Noch während Bolitho hinsah, sank der Spanier seitlich aus dem Sattel und blieb am Rand der Klippe liegen. Hatte ihn ein Musketenschuß gefällt, dessen Knall nicht bis zu Bolitho gedrungen war, oder war er vorher schon so schwer verwundet worden, daß er jetzt vom Pferd stürzte? Niemand wußte es.

Salgados Pferd trat zurück und beschnupperte seinen Herrn, als wolle es ihn zum Leben erwecken. Noch lange, nachdem die Schiffe die offene See gewonnen hatten, stand das Pferd als scharfumris-sene Silhouette vor dem wölken verhangenen Himmel wie ein Monument.

Bolitho wandte sich ab. Ein Monument für unsere Toten, dachte er.

Dann sah er Herrick müde an.»Sobald die Harvester und die Chanticleer heran sind, setzen Sie einen Kurs ab, mit dem wir Co-zar umrunden, Mr. Herrick«, sagte er.

«Wir stoßen also wieder zur Flotte, Sir?»

Bolitho nickte und wandte sich abermals der wirbelnden Rauchwolke zu.»Hier haben wir nichts mehr zu suchen.»

Ashby wartete, bis Bolitho das Achterdeck verlassen hatte, und sagte dann langsam:»Aber bei Gott, die Franzosen werden sich an unseren Besuch noch lange erinnern, Mr. Herrick!»

Herrick seufzte tief auf.»Und ich auch, Hauptmann Ashby. Ich auch.»

Dann zog er sein Teleskop auf und richtete es auf die Tenacious, die dem Signal gehorchte und über Stag ging, um ihre achterliche Station einzunehmen.

Vom Heckfenster seiner Kajüte aus beobachtete Bolitho den Dreidecker ebenfalls. Kalkweiß standen die Segel im Frühlicht. Was wohl Dash jetzt denken mochte? Und ob er sich an seine Loyalitätsbeteuerungen noch erinnern würde, wenn die Aufregung über die Kämpfe und den Rückzug vorbei war und die Admiralität kühl die Untersuchung des Falles einleitete und vielleicht sogar einen Sündenbock suchte?

Er drehte sich um, denn Inch stand in der Tür.»Wollen Sie mich sprechen?»

Inch starrte noch von Schmutz und Rauch der brennenden Stadt, und sein Pferdegesicht war schlaff vor Erschöpfung. Er suchte etwas in seiner Tasche.»Bitte um Entschuldigung, aber in der Hitze des Gefechts und über dem Arrangieren der toten Soldaten habe ich ganz vergessen, Ihnen das hier zu übergeben. «Er zog einen kleinen Gegenstand hervor, der unter den tanzenden Lichtreflexen des Kielwassers hell aufglänzte.

Bolitho starrte auf Inchs Hand und konnte kaum begreifen, was er mit seinen eigenen Augen sah.»Wo haben Sie das her?«fragte er.

«Ein Sträfling hat ihn mir gegeben, Sir«, berichtete Inch,»kurz bevor die letzten an Bord der Erebus gebracht wurden.»

Bolitho ergriff den Ring und betrachtete ihn auf der offenen Handfläche.

Inch musterte seinen Kommandanten neugierig.»Dieser Mann kam in der allerletzten Sekunde, hielt mir den Ring hin und sagte, ich solle ihn persönlich an Sie übergeben. «Er zögerte.»Sie sollten ihn Ihrer, äh, Braut schenken, sagte er.»

Bolitho war zumute, als würde die Kajüte ganz eng. Es war doch unmöglich. Unsicher fragte Inch:»Kennen Sie den Ring, Sir?»

Bolitho ging nicht darauf ein, sondern fragte:»Diesen Mann — haben Sie ihn genauer gesehen?«Er trat einen Schritt auf Inch zu.»Ja oder nein?»

Inch wich zurück.»Es war schon dunkel, Sir. «Er kniff die Augen nachdenklich zusammen.»Sein Haar war schon grau, aber er war durchaus ein Gentleman, würde ich sagen.»

Er verstummte, denn Bolitho schob ihn zur Seite und eilte aufs Achterdeck. Herrick starrte ihn erschrocken an, aber er kümmerte sich nicht darum. Er riß einem verstörten Midshipman das Teleskop aus der Hand und enterte ein Stück in die Besanwanten auf. Sein Herz trommelte gegen die Rippen, als er weit voraus den Geleitzug erblickte, dicht unter der Kimm, beinahe schon außer Sicht. In einer Woche etwa würde er Gibraltar erreichen, dann würde die menschliche Fracht sich für immer in alle Winde zerstreuen.

Unsicheren Fußes enterte er wieder ab, blieb an Deck stehen und sah lange auf den Ring nieder. Grauhaarig und ein Gentleman, hatte Inch gesagt. Aber er war schon angegraut gewesen, als sie einander das letzte Mal gesehen hatten. Vor zehn, nein, vor elf Jahren. Und in all diesen letzten Monaten hatte dieser Mann, nur ein Sträfling unter vielen, ihn beobachtet, während er, Bolitho, keine Ahnung gehabt, während er geglaubt hatte, sein Bruder sei lange tot.

Doch hätte er es gewußt — was hätte er tun können? Hugh war also wie die anderen wegen irgendeines kleinen Vergehens auf dem Weg nach Neu-Holland, unter falschem Namen selbstverständlich. Nur ein Zeichen des Erkennens, und er mußte belangt werden als das, was er wirklich war: ein Deserteur der Königlichen Marine, ein amerikanischer Hochverräter. Und Bolithos eigenes Leben wäre ruiniert gewesen, hätte er auch nur einen Finger für Hugh gerührt.

Also hatte Hugh gewartet, war bis zum letztmöglichen Augenblick im Verborgenen geblieben und hatte ihm seine heimliche Botschaft erst gesandt, als kein persönliches Zusammentreffen mehr möglich war. Dieser Ring, den sie beide kannten, mußte Richard Bolitho mehr sagen als alle Worte.

Herrick trat herzu und musterte den Ring interessiert.»Ein schönes Stück, Sir.»

Bolithos Blick schien durch Herrick hindurchzugehen.»Er hat meiner Mutter gehört. «Ohne ein weiteres Wort ging er wieder unter Deck in seine Kajüte.