158320.fb2 Nahkampf der Giganten: Flaggkapit?n Bolitho bei der Blockade Frankreichs - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 17

Nahkampf der Giganten: Flaggkapit?n Bolitho bei der Blockade Frankreichs - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 17

XVII Die Franzosen sind durch!

Als acht Glasen angeschlagen wurden und den Beginn der Vormittagswache verkündeten, kam Bolitho unter der Kampanje hervor und nahm seinen gewohnten Platz an der Luvseite des Achterdecks ein. Der Himmel war voll niedriger, rasch ziehender Wolken, der halbe Wind von Steuerbord ließ heftigen Regen erwarten. Bolitho rückte die Schultern in seinem schweren Mantel zurecht und musterte eingehend die Tenacious. Zur Nacht hatte sie Segel gekürzt, um nicht den langsameren Schiffen davonzulaufen; nun lag sie ein paar Meilen an Steuerbord achteraus. Der Horizont war ganz verhangen, und gegen die trüben Wolken und die bleigraue See schimmerte der mächtige Dreidecker in beinahe unirdischem Licht.

Bolitho faßte in die Netze und wandte den Kopf wieder in den Wind. Da lag die Insel Cozar etwa sechs Meilen entfernt, die scharfen Umrisse ihrer Felsen von Wolken und Dunst verhüllt. Während er mißgelaunt in seinem Frühstück herumstocherte, hatte er sich vorgestellt, wie es dort wohl aussehen mochte, hatte über die Hoffnungen und Torheiten nachgedacht, für die ihm der Name dieser Insel inzwischen Symbol geworden war.

In den drei Tagen, seit sie die rauchenden Ruinen von St. Clar hinter sich gelassen hatten, war er immer wieder in Gedanken den Ablauf dieses kurzen Feldzuges durchgegangen; hatte versucht, die Operation mit unparteiischen Augen zu sehen, die Tatsachen so aneinanderzureihen, wie es ein Historiker tun würde. Unverwandt starrte er auf die buckelige Umrißlinie der Insel und biß sich auf die Lippen. Hundertmal war sie im Lauf ihrer Geschichte besetzt, verloren, wieder okkupiert worden. Nun lag sie aufgegeben da und wartete auf den Nächsten, der sich ihrer bemächtigen wollte. Zur Zeit war Cozar menschenleer und wüst; nur die vielen Toten bewachten diese dürre Hinterlassenschaft.

Herrick war zu ihm an die Finknetze getreten.»Ob wir sie jemals wiedersehen werden, Sir?»

Bolitho blieb stumm. Er beobachtete die hart unter Land segelnde Chanticleer, deren Takelage sich wie eine Radierung von den düsteren Klippen abhob. Vermutlich dachte Bellamy dort drüben jetzt an seine Mitwirkung bei der Einnahme von Cozar. Die erregende Kühnheit, ja Unverschämtheit der Operation mochte ihm nun wie ein Spaß erscheinen. Aber Herrick hatte irgend etwas gesagt.»Wollten Sie etwas Dienstliches?«fragte Bolitho.

Herricks Miene entspannte sich.»Nun ja, Sir, eigentlich.»

«Na dann schießen Sie los, Thomas. «Bolitho wandte sich von der Insel ab.»Ich war in letzter Zeit ein schlechter Gesellschafter. Sie müssen mir das nachsehen. «In der Tat hatte er seit St. Clar kaum mit Herrick gesprochen. Seine Offiziere mußten seinen

Wunsch, allein zu sein und nachzudenken, respektiert haben, denn bei seinen seltenen Spaziergängen auf dem Achterdeck hatten sie dafür gesorgt, daß er die Luvseite für sich hatte und dort ungestört war.

Herrick räusperte sich laut.»Haben Sie heute vormittag den Ad-miral gesprochen, Sir?»

Bolitho lächelte. Herrick hatte schnell und überhastet gefragt; wahrscheinlich hatte er schon seit Tagen darüber gebrütet, was er sagen wollte.»Mr. Rowlstone ist jetzt bei ihm, Thomas. Sir Edmund ist sehr krank, mehr kann ich Ihnen zur Zeit nicht sagen.»

Der arme Rowlstone wußte ebensowenig wie der jüngste Matrose, was mit Pomfret los war. Allerdings sah der Admiral ein bißchen besser aus; aber wenn sich auch sein Körper bemühte, wieder zu Kräften zu kommen, so blieb er doch geistig wie erstarrt und war kaum ansprechbar, als hätten der Schock und die Angst vor der Realität, die zu akzeptieren er sich immer noch weigerte, all sein Denken blockiert. In der Tat wirkte Pomfret wie ein lebender Leichnam. Er ließ sich von Gimlett rasieren und waschen. Wenn er Suppe oder kleingeschnittenes Fleisch bekam, öffnete er den Mund wie ein Kind zum Füttern. Und nie sagte er ein Wort.

Herrick war jedoch hartnäckig.»Erlauben Sie, Sir, ich muß es aussprechen. Meiner Meinung nach haben Sie Sir Edmund gegenüber keine Verpflichtungen, es ist eher umgekehrt. «Er deutete zur Tenacious hinüber.»Warum übergeben Sie nicht Captain Dash die Verantwortung, bevor wir die Flotte in Sicht bekommen? Er ist der Dienstältere, und es wäre ungerecht, daß Sie für ihn den Kopf hinhalten sollen.»

Bolitho seufzte.»Sie haben doch Sir Edmund gesehen, nicht wahr?«Und als Herrick nickte, sprach er ruhig und eindringlich weiter:»Wollen Sie ihm den letzten Fetzen Selbstachtung wegnehmen und darauf herumtrampeln?«Er schüttelte den Kopf.»Wenn wir wieder bei der Flotte sind, soll Sir Edmund wenigstens unter dem Schutz seiner Flagge stehen und nicht zur Abrechnung geschleppt werden wie ein verschnürtes Huhn zum Kochtopf. «Er preßte die Hände auf dem Rücken zusammen.»Nein, Thomas, so etwas mache ich nicht mit.»

Herrick öffnete den Mund, um etwas einzuwenden, schloß ihn aber wieder, denn Bolitho fuhr herum und spähte über den Bug wie ein Hund, der etwas wittert.

«Hören Sie?«Bolitho packte die Reling und beugte sich vor.»Ich weiß nicht. Es war nur so ein Gefühl, aber. «Er blickte Herrick an, bis dieser zu begreifen schien.

«Donner?«murmelte er; ihre Augen trafen sich.»Oder Geschützfeuer?»

Bolitho rief durch die hohlen Hände:»Mr. Inch! Die Royals setzen!«Er trat zum Kompaß hinüber, und schon durchbrach das Schrillen der Pfeifen die Stille.»Einen Strich höher!«Gespannt wartete er, bis der Mann am Ruder aussang:»Kurs Nord zu Ost,

Sir!»

«Wo, um Gottes willen, steckt die Harvester!«. fragte sich Bo-litho laut.

Herrick beobachtete die hastig aufenternden Matrosen.»Irgendwo an Backbord voraus, Sir.»

Langsam trat Bolitho an Herricks Seite.»Also — das kam von keiner Fregatte, Thomas. Da war schwereres Kaliber!»

Er spähte achtern und bemerkte, daß die Tenacious nach noch auf gleicher Höhe war, obgleich sein Schiff jetzt mehr Segel fuhr. Taktmäßig schlug er mit der Faust auf die Reling, um seine Gedanken zu unterstreichen. Wenn sie nur den Dreck am Kiel hätte loswerden können, dann würde die alte Hyperion ihnen allen etwas zeigen!

«Vielleicht ein Schiff der Blockade?«unterbrach Herrick sein Grübeln.

«Unwahrscheinlich. «Bolitho starrte auf den Dunst, der die Kimm verbarg.»Lord Hood kann sich nicht mehr um die Blockade irgendwelcher Küstenstriche kümmern, er hat jetzt zu viel am Hals. Der Abzug seiner Streitkräfte aus Toulon — das ist tausendmal schlimmer als unser Rückzug aus St. Clar, Thomas.»

«An Deck! Segel in Luv voraus, Sir!»

Sie blickten zu dem schwingenden Masttopp empor, dann sagte Bolitho gelassen:»Nun, wir werden bald mehr wissen. Entern Sie auf, Thomas, und sagen Sie Bescheid, sobald Sie etwas festgestellt haben.»

Midshipman Piper erschien wie hergezaubert.»Sir, die Harvester signalisiert!»

Bolitho nahm ein Teleskop aus der Halterung und spähte an Pipers ausgestrecktem Arm entlang. Die Fregatte lag gut sichtbar an Backbord voraus, und auf einmal hatte er sie scharf und klar in der Linse, denn eine plötzliche Bö fegte den Dunst hinweg wie Rauch.

«>Schiffe in Nordost««, übermittelte Piper das Signal. Er hielt in-ne und blätterte in seinem Handbuch.»»Schätzung: sechs Linienschiffe«.»

Automatisch verarbeitete Bolithos Verstand die Information der Fregatte und ordnete sie in seine eigenen Erkenntnisse ein. Die Schiffe, wer sie auch sein mochten, lagen fast genau auf dem Kurs der Hyperion. Langsamer als diese konnten sie kaum sein, also war anzunehmen, daß sie Gegenkurs fuhren und direkt auf sie zukamen.

Heiser rief Herrick hinunter:»An Deck! Da ist eine Verfolgung im Gange, Sir! Vielleicht fünf oder sechs Linienschiffe in Kiellinie!»

Bolitho warf einen kurzen Blick zur Tenacious hinüber.»Kommen Sie an Deck, Mr. Herrick!«Er winkte Inch und befahl:»Signal an alle Schiffe, Mr. Inch: >Machen Sie gefechtsklar«.»

Während die Signalflaggen hochgingen, landete Herrick über ein Backstag mit einem Knall direkt neben Bolitho. Der blickte ihn ernst an.»Lassen Sie >Klar Schiff zum Gefecht «anschlagen!»

Herrick faßte an den Hut.»Aye, aye, Sir!«Dann grinste er.»Glauben Sie, wir können denen die Prise direkt vor der Nase we g-schnappen, Sir?»

Doch Bolitho lächelte nicht.»Ich fürchte, das Schiff, das da gejagt wird, ist eines von uns, Mr. Herrick.»

Übers Wasser kam der rasselnde Trommelwirbel, mit dem die Tenacious Klarschiff einleitete. Wahrscheinlich dachte Dash, Bo-litho sei verrückt geworden, denn er hielt es wohl ebenso wie He r-rick für unmöglich, daß der Feind bereits in solcher Stärke das offene Meer gewonnen hatte.

Die Trommler der Hyperion nahmen das Signal auf; und während die Männer aus den Niedergängen an Deck strömten und von den Maaten, die noch im Laufen die Namen aufriefen, an ihre Gefechtsstationen dirigiert wurden, blickte Bolitho noch einmal zu Pomfrets Wimpel auf, der lustig am Besan flatterte.

Dann verstummte der betriebsame Lärm. Herrick eilte wieder aufs Achterdeck und meldete:»Schiff klar zum Gefecht, Sir.»

Immer noch blickte Bolitho nachdenklich zum Masttopp empor.»Die Hyperion wurde zu lange abseits gehalten, Thomas. Die Admiralsflagge wird dafür sorgen, daß wir heute im Zentrum des Geschehens sind. «Trotz Herricks beunruhigtem Blick sprach er gelassen weiter:»Da sehen Sie also, daß ich Sir Edmund nicht auf die Tenacious überführen kann, selbst wenn ich es wollte.»

Piper war ins Eselshoofd[12] aufgeentert, um besser sehen zu können.»An Deck!«rief er.»Das vorderste Schiff führt unsere Flagge,

Sir!»

Bolitho schlug die Faust in die andere Handfläche.»Hab ich's nicht gesagt, Thomas?«Innerlich zitterte er vor Spannung.»Lassen Sie die Rahen mit Ketten sichern und die Boote in Schlepp nehmen! Heute darf uns kein überflüssiges Kleinholz um die Ohren fliegen, Thomas!»

Herrick gab den Befehl weiter und trat beiseite, als ein paar Matrosen aus Tomlins Abteilung nach achtern rannten, um die Schleppleine zu belegen. Wenn eine Kanonenkugel ein Boot an Deck traf, dann barst es in einem Hagel mörderischer Splitter. Trotzdem verspürte Herrick Unbehagen, als ein Boot nach dem anderen über Bord gefiert wurde. Es war, als werfe man die letzte Überlebenschance weg.

Bolitho schien an dergleichen nicht zu denken.»Signal an Chan-ticleer: >Position in Lee einnehmen!«Ich will nicht, daß es ihr geht wie der Snipe.«Auch er beobachtete das Abfieren der Boote.»Die Schaluppe kann der Schlacht zusehen und uns moralisch unterstützen«, schloß er.

Herrick starrte ihn verwundert an. Wie schaffte er es bloß, so ruhig, so völlig unbeteiligt zu wirken angesichts der unmittelbaren Gefahr? Aber Bolitho sah gar nicht Herricks Gesicht, aufmerksam musterte er sein Schiff, denn jede Einzelheit mußte geprüft werden. Bald war dazu keine Zeit mehr.

Jedes Geschütz war bemannt, jeder Geschützführer kontrollierte geschäftig Mannschaft und Gerät. Zwischen Pulverkammer und Batterien eilten die kleinen» Pulveraffen «hin und her, Schiffsjungen mit Kartuschen und Ladepfropfen, die Augen weit aufgerissen und die Gesichter vor Konzentration verzerrt: heute war es ihre einzige Aufgabe, jene Rohre mit Nachschub zu versorgen.

Die Seesoldaten standen an den Netzen, Bajonette aufgepflanzt, Musketen schußfertig. Im Vorschiff konnte Bolitho Lieutenant Shanks und seine Abteilung bei den Karronaden sehen, den Rücken zum Feind, den Blick zum Achterdeck gerichtet.

Rooke und der junge Gordon schritten miteinander die Reihen ihrer Geschütze ab; und Bolitho fragte sich flüchtig, was sie wohl so angelegentlich zu diskutieren hätten. Zuletzt musterte er das Achterdeck, das Nervenzentrum des Schiffes, wo die Entscheidung über alles Leben an Bord fiel. Caswell stand bei den Neunpfündern, doch seine Augen hingen an Piper und Seton, die bei den Signalleinen warteten. Das alles erinnerte ihn an seine eigene Vergangenheit, und das Warten wurde ihm unerträglich.

«Ich gehe nach unten, Mr. Herrick«, sagte er,»um den Admiral aufzusuchen. «Er warf einen Blick auf den Verklicker[13] oben.»Es wird noch eine Stunde dauern, bis wir Feindberührung haben. «Das abgerissene Geschützfeuer klang noch wie ferner Donner.

Unten stockten die routinemäßigen Arbeiten zur Gefechtsvorbereitung sekundenlang, als er erschien. Ein paar einzelne Gesichter fielen ihm auf, die ihn an frühere Gefechte erinnerten. Ein grauhaariger Geschützführer tippte sich grüßend an die Stirn und sagte:»Denen zeigen wir's heute, Sir!«Er legte die schwielige Hand auf den Verschluß seines Zwölfpfünders.»Unsere olle Maggie hier wartet schon darauf. «Seine Männer nickten grinsend dazu.

Bolitho verhielt einen Augenblick.»Tut euer Bestes, Leute!«Gewaltsam verdrängte er den Gedanken, daß in ein paar Stunden manche von diesen Männern tot sein und andere um ein schnelles Sterben beten würden.»Und paßt auf«, sagte er zu dem Geschützführer,»daß die Leute ihre Halstücher um die Ohren binden. Sie sollen es noch hören können, wie die Landratten in England Hurra schreien, wenn wir nach Hause kommen!«Im Weggehen hörte er sie lachen und rufen und fühlte sich beschämt.

Fast blindlings stieg er den nächsten Niedergang hinab und blieb einen Moment stehen, um die Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Im unteren Batteriedeck war es Nacht im Vergleich zum Dämmerlicht der oberen Batterie. Doch bald würden die Stückpforten offen stehen, und dieses niedere, balkendurchzogene Gewölbe würde wie unter den Schlägen höllischer Vorschlaghämmer erzit-

tern. Inch war jetzt bei seinen Vierundzwanzigpfündern und grinste tatsächlich, als er auf seinen Kommandanten zuging.

«Halten Sie unbedingt Kontakt zur oberen Batterie«, sagte Bo-litho.»Und sehen Sie zu, daß Ihre Kanoniere Ruhe bewahren. Auf Sie kommt es heute an.»

Inch nickte.»Midshipman Lory ist bei mir, Sir. Der kann mich auf dem laufenden halten.»

Bolitho schaute an der Doppelreihe der Kanonen entlang. Im Dunkel glitzerten die Augen der Männer, alle blickten ihn an.»Viel Glück, Jungs!«Deck und Bordwände waren rot gestrichen, damit man das Blut nicht so deutlich sah; aber was es zu sehen gab, würde schlimm genug sein. Der Midshipman starrte ihn unve rwandt an — Bolitho dachte an das Furchtbare, das er seinerzeit auf seinem ersten Schiff erlebt hatte. Knapp dreizehn Jahre war er alt gewesen, da hatte er in der unteren Batterie eines Schiffes wie der Hyperion Dienst getan. Vielleicht war der Schrecken so unfaßbar gewesen, daß er an Wirklichkeit verlor; anders war kaum zu erklären, weshalb er damals nicht verrückt geworden war.

Dankbar kehrte er ans Tageslicht zurück und überlegte, was er mit Pomfret anfangen sollte. Wie würde er es geistig und seelisch verkraften, wenn er unten im Orlopdeck verstaut wurde?

Rowlstone stand am Fenster der Kapitänskajüte und starrte blicklos zur Tenacious hinüber.»Soll ich auf Station gehen, Sir?«fragte er.

Bolitho antwortete nicht gleich. Er trat an die offene Tür der Schlafkabine und blickte an Fanshawe, der zusammengesunken dasaß, vorbei zur Koje hin. Pomfret lehnte beinahe aufrecht im Bett, die Brust in der stickigen Luft entblößt; seine Blicke folgten der schwingenden Deckslaterne.

Bolitho sprach ruhig zu ihm.»Wir stehen kurz vor einem Gefecht, Sir. Haben Sie irgendwelche Befehle?»

Die blassen Augen hefteten sich auf Bolithos Gesicht.

Hilflos sagte Fanshawe:»Ich glaube, er versteht Sie nicht, Sir.»

Langsam und deutlich sagte Bolitho:»Sir Edmund, die Franzosen sind durchgebrochen!«Doch Pomfret zuckte mit keiner Wimper.

Hinter ihm sprach jetzt Rowlstone:»Ich werde ihn ins Orlop schaffen, Sir, da kann ich ein Auge auf ihn halten.»

Bolitho faßte ihn beim Arm.»Moment noch!«Pomfrets Hände hatten sich an den Kojenrändern festgekrallt; die Knöchel waren weiß vor Anstrengung. Er öffnete den Mund, brachte aber kein Wort hervor.

Bolitho sah Pomfret in die Augen, hielt sie mit seinem Blick fest, wollte ihn durch pure Willenskraft zum Sprechen zwingen. Einen Sekundenbruchteil glaubte er, einen Funken des Begreifens in diesen Augen zu lesen.

Leise befahl Bolitho:»Sie bleiben hier bei ihm, Fanshawe. «Pomfrets Finger entspannten sich etwas.»Ich werde den Admiral informiert halten, soweit ich kann. «Dann wandte er sich schnell ab und ging wieder aufs Achterdeck.

Der ferne Kanonendonner war verstummt, die Schiffe ließen sich jetzt im Teleskop klar erkennen. Das verfolgte Schiff war ein Vierundsiebziger wie die Hyperion, und als es sich leicht in den Wind legte, sah er, daß es den Besanmast verloren hatte. Doch war ein Behelfsmast aufgeriggt, und der Gefechtswimpel flatterte tapfer über den durchlöcherten Segeln. Eben stieg eine Reihe Signalflaggen zur Rah hinauf.

«Die Zenith, vierundsiebzig Kanonen, Kommandant Kapitän Steward, Sir«, erklang Pipers schrille Stimme.

Bolitho nickte, hielt aber sein Glas über das havarierte Schiff hinweg auf das Gedränge der stumpf-weißen Bramsegel gerichtet. Er zählte sechs feindliche Schiffe; dann mußte er das Glas absetzen, um sein Auge auszuruhen. Sie fuhren in unregelmäßiger Gefechtsformation und luvten bereits langsam an.

Herrick senkte sein Glas.»Die haben den Windvorteil, Sir, daran ist nicht zu rütteln«, sagte er.

Bolitho schaute über das Achterdeck.»Signal an alle: >Formieren zur Gefechtslinie vor und hinter dem Flaggschiff!««Unter den Signalgasten brach fieberhafte Tätigkeit aus, aber er sah nicht hin. Steward war ihm nicht ganz unbekannt. Ein guter Kapitän. Schon begann er zu halsen, um Front gegen den Feind zu machen und die Spitze der britischen Formation zu übernehmen. Achteraus bestätigte Dash soeben Bolithos Signal; Minuten später schwangen auch die Rahen der Tenacious herum, und sie manövrierte sich behäbig hinter das Flaggschiff.

Bolitho empfand dieses Wort als Hohn: Flaggschiff. Pomfret war der Sprache nicht mehr mächtig, fiel als Befehlshaber völlig aus.

Und es war elf Jahre her, seit Bolitho an einer richtigen Seeschlacht beteiligt gewesen war. In der Schlacht bei den Saintes hatte er eine kleine Fregatte kommandiert. Und damals waren die gegnerischen Streitkräfte an Bewaffnung und Kampferfahrung seinen eigenen ungefähr gleich gewesen.

Er wandte sich noch einmal zu den feindlichen Schiffen um. Zwei zu eins. Selbst Rooke würde das Risiko für ziemlich hoch halten.

«Wir passieren Backbord zu Backbord, Sir«, sagte Herrick.»Ihren Kurs zu kreuzen, das schaffen wir nicht mehr.»

Bolitho nickte. Cozar lag in Luv; anscheinend kam er von diesem verdammten Stück Erde nicht los, er konnte machen, was er wollte. Jetzt wirkte die Insel als Barriere, die ihn daran hinderte, nach Luv aufzukreuzen. Und wenn er seinen jetzigen Kurs beibehielt, würden die französischen Schiffe die Hyperion an Backbord passieren und sie der Länge nach bestreichen, ehe sie wenden und wieder feuern konnte.

«Signal an alle: >Segel kürzen!««befahl er. Die Zenith hatte ihr Manöver beendet und war jetzt an der Spitze. Durch sein Glas konnte er erkennen, wie die Buggeschütze des Feindes sie zugerichtet hatten; besonders die Heckaufbauten waren stark beschädigt. Gelassen sagte er:»Wir durchbrechen die feindliche Linie in der Mitte, meine Herren. So erringen wir den Windvorteil und jagen ihnen einen Schrecken ein. «Er sah Herrick bestürzte Blicke mit Ashby tauschen und sprach weiter:»Das heißt, daß uns nur drei Breitseiten bevorstehen statt sechs!»

Er wandte sich um, denn hinter sich hörte er Alldays Schritte, der ihm Galarock und — hut brachte. Stumm sahen die Männer auf dem Achterdeck zu, wie ihr Kommandant den Rock seiner Alltagsmon-tur auszog und in die Ärmel des anderen fuhr. Das tat er vor jedem Gefecht. War es Wahnsinn oder Eitelkeit? Er wußte es nicht genau. Vielleicht wollte er auch im Gegensatz zu seinem Vorgänger auf der Hyperion nichts Wertvolles hinterlassen, wenn er heute fallen sollte. Die schiere Dummheit dieses Gedankens beruhigte ihn, und die zuschauenden Matrosen und Seesoldaten sahen ihn sogar schwach lächeln. Allday hielt ihm den Degen hin und fragte leise:»Muß ich beim Admiral bleiben, Sir?«Verzweifelt sah er zu den knienden Geschützbedienungen hin.»Mein Platz ist doch hier.»

«Ihren Platz bestimme ich, Allday! Aber ich finde Sie schon, wenn ich Sie brauche, keine Sorge«, entgegnete Bolitho und nickte ihm zu.

«Beide Schiffe haben bestätigt, Sir!«rief Piper. In der tiefen Stille klang seine Stimme überlaut.

«Recht so. Jetzt bereiten Sie ein weiteres Signal vor, Mr. Piper, aber hissen Sie es noch nicht: >Der Reihe nach wenden und wieder Gefechtslinie formieren!»»

Er zog den Degen und wog die Klinge in Händen. Der Stahl war eiskalt. Zu allen auf dem Achterdeck sagte er dann:»Anschließend folgt ein letztes Signal. Und das bleibt stehen, bis ich Gegenorder gebe!»

Piper sah von seiner Schreibtafel auf, das Gesicht vor angestrengter Konzentration verzerrt.»Fertig, Sir!»

Bolitho blickte den näher kommenden Schiffen entgegen. Jetzt dauerte es nicht mehr lange. Zu Pipe r sagte er:»Wenn wir die gegnerische Formation durchbrechen, hissen Sie >Kampf auf kürzeste Distanz«!»

Damit stieß er den Degen in die Scheide zurück.»Und jetzt, Mr. Herrick, können Sie Befehl zum Laden und Ausrennen geben. «Noch eine Sekunde blickte er Herrick an, wollte ihm die Hand drücken, irgend etwas Persönliches oder auch nur Banales sagen. Aber der rechte Moment war schon vorbei.

Herrick faßte an den Hut und hob sein Sprachrohr. Er hatte den Schmerz in Bolithos Augen gesehen und wußte Bescheid, auch ohne Worte.

Er brüllte seine Befehle übers Deck, und dort wurde es lebendig. Die Stückpforten wurden aufgerissen, ein Geschützführer nach dem anderen gab sein Handzeichen. Rooke rief:»Ausrennen!«, wandte sich dann ebenfalls um und blickte Bolitho erwartungsvoll an.

Unregelmäßiger Kanonendonner rollte über das Wasser, und durch die straffen Wanten sah Herrick, wie eine Wolke Pulverrauch herantrieb und die Zenith einhüllte.

Mit zusammengebissenen Zähnen befahl Gossett seinem Maaten: >Tragen Sie ins Logbuch ein: Feindberührung um zwei Glasen der Vormittagswache!««Dann räusperte er sich und murmelte:»Und Gott steh' uns bei!»

Das Warten auf ihr Eingreifen riß an den Nerven. Bolitho zwang sich, reglos an der Reling zu stehen und zuzusehen, wie die angeschlagene Zenith die volle feindliche Breitseite zu spüren bekam. Mit nur siebzig Fuß Distanz passierte der Zweidecker das französische Führungsschiff; doch als eine Fallbö den wirbelnden Rauch teilte, sah Bolitho erleichtert, daß die Masten der Zenith noch standen und ihre Rohre eben wieder ausgerannt wurden, um sich mit dem nächsten Gegner zu messen. Das zweite Schiff des feindlichen Geschwaders war ein Dreidecker, und Bolitho zuckte zusammen, als dessen vorliche Geschütze krachend Feuer spuckten. Über der hochsteigenden Rauchwand sah er die bunten Farben des feindlichen Wimpels am Masttopp — es war die Kommandoflagge eines Admirals.

«Achtung! Klar zum Feuern!«brüllte er, verbannte das Bild der detonierenden Kanonen und konzentrierte sich auf das Führungsschiff, dessen Bugspriet jetzt den der Hyperion überlappte, so daß sich zwei Riesenspeere zu kreuzen schienen; die Männer an den vorderen Geschützen sahen durch die offenen Pforten das drohend näher kommende Vorschiff des Feindes Gestalt annehmen.

«Feuer!«schrie Rooke.

Wie trunken schwankte die Hyperion unter dem Rückstoß der Breitseite, die in Doppellinie an ihrem Rumpf entlanglief; die Rohre fuhren gegen die Halterungen zurück, die Kanoniere husteten und fluchten, als der scharfe Pulverqualm durch die Stückpforten hereinwehte und ihnen in die Augen biß; aber sie tappten schon wieder blindlings nach der nächsten Ladung.

Bolitho beschattete die tränenden Augen mit der Hand und starrte hinauf zum Vormast des Feindes, der langsam und stetig aus dem Qualm wuchs, bis er direkt über ihm in der Luft zu hängen schien. Dann schoß der Franzose. Die rötlich-gelben Flammen stachen in den dichten Pulverrauch und verliehen ihm ein bösartiges Eigenleben. Er spürte, wie die Kugeln in den Rumpf krachten und die Planken unter seinen gespreizten Beinen donnernd barsten, als wolle das ganze Deck aufbrechen.

«Und noch mal, Jungs!«brüllte er.»Verpaßt ihnen noch eine!»

Sein Schädel dröhnte, als hinter ihm die Neunpfünder in das wilde Getümmel einstimmten; durch den ohrenbetäubenden Donner hörte er die halberstickten Schreie von Verwundeten und das Befehlsgebrüll bei den Seesoldaten, die jetzt mit ihren Musketen blind in den alles einhüllenden Rauch feuerten. Ein Einschlag in die Reling, dicht neben seiner Hand, und ein langer Holzsplitter stak schräg wie ein Federkiel im Handlauf.

«Holt die Scharfschützen dort drüben runter, Kerls!«brüllte Ash-by nach oben.

Ein Korporal der Marine — Infanterie feuerte mit dem Schwenkgeschütz im Großmast, und noch bevor der dicke braune Qualm sich verzogen hatte, sah Bolitho, daß ein halbes Dutzend Männer von den Schrapnells aus dem Masttopp des Feindes gefegt wurde und wie Abfall ins Meer stürzte.

Blinkend fuhr Rookes Degen nieder:»Ausrennen! Feuer!«Und wieder das grollende Donnern beider Batterien und danach das Krachen von Eisen gegen Holz — die volle Breitseite der Hyperion lag im Ziel.

Bolitho wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel. Das erste gegnerische Schiff hatte die Hyperion bereits passiert, ohne daß seine Treffer, soweit er im Moment sehen konnte, viel Schaden angerichtet hatten. Er unterdrückte ein Lächeln. Die Tenacious würde dem feindlichen Führungsschiff rasch den Gnadenstoß geben, dachte er triumphierend.

«Ruhig, Jungs!«rief er durch die hohlen Hände.»Jetzt kommt das Flaggschiff!«Er hörte Hohngeschrei bei den Kanonen.»Schießt ihm ordentlich Salut!»

Dann rannte er zur anderen Deckseite und schaute angestrengt nach der Zenith aus. Er sah ihre Großbramstenge mit dem Gefechtswimpel noch über dem Rauch schweben; sie war bereits in Höhe des dritten feindlichen Schiffes. Ihr Vormast war weg, aber ihre Geschütze feuerten noch, und zwischen den wütenden Breitseiten konnte er Hurragebrüll hören. Die Männer mußten alle Vorsicht und Vernunft zum Teufel geschickt haben.

«Mr. Piper!«rief er.»Heiß Signal!«Die Flaggen schossen zur Rah empor, und er blickte erwartungsvoll zu der hart getroffenen Zenith hinüber. Da nur noch ein Mast sichtbar war, ließ sich ihre Position schwer abschätzen.

Doch Piper paßte auf.»Sie bestätigt, Sir!«Er klammerte sich an die Wanten und starrte hinüber, scherte sich nicht um den heransegelnden feindlichen Dreidecker.

Mit angehaltenem Atem beobachtete Bolitho, wie Captain Steward eine Wende fuhr und den Feind direkt anging. Gegen die gebraßten Rahen des vierten französischen Schiffes hob sich der Großtopp der Zenith mit dem wehenden Gefechtswimpel klar ab. Jetzt luvte sie an, und Bolitho mußte sich an der Reling festhalten, um nicht noch weiter zum anderen Ende des Decks zu rennen, wo er besser hätte sehen können, wie sie durch den Wind ging, bis ihr Bug entschlossen den Kurs des Feindes kreuzte. Wild feuerten ihre Geschütze nach beiden Seiten — sie gab sich wirklich alle Mühe, Bolithos letztem Signal zu gehorchen.

«Sie ist durch!«schrie Herrick.»Bei Gott, sie hat die Formation durchbrochen!»

Hurrageschrei ertönte hinter dem Rauch; manche wußten vielleicht gar nicht, warum sie schrien, schrien nur aus dem verzweifelten Wunsch, ihre eigene Angst zu übertönen.

«Achtung, Mr. Rooke!«brüllte Bolitho und rannte wieder an die Netze. Wie ein Steilhang hob sich das französische Flaggschiff über den Rauch, vom Vorderkastell trommelte Musketenfeuer, die Buggeschütze bleckten bereits ihre langen roten Zungen, doch ihre Schüsse lagen noch fünfzig Yards zu kurz.

«Feuer frei!«kommandierte Rooke. Er rannte übers Oberdeck, und ein Geschützführer nach dem anderen zog, wenn er vorbeikam, seine Reißleine ab; immer ohrbetäubender wurde der Donner der Kanonen.

Jetzt warf achtern auch die Tenacious ihre starke Feuerkraft in den Kampf; doch das kam Bolitho gar nicht recht zu Bewußtsein, denn das Deck bockte unter ihm wie ein scheuendes Pferd. Ein zwanzig Fuß langes Stück des Backborddecksganges sauste durch die Luft und schleuderte Männer und brennende Splitter in den Rauch hinein.

Die über dem Oberdeck ausgespannten Schutznetze beulten sich unter dem Aufprall ausgerissener Blöcke und zerfetzten Segeltuchs; doch standen noch alle Masten, und keine Rah war beschädigt.

«Bei Aufwärtsfahrt feuern, Mr. Rooke!«rief er. Denn an den gebraßten Rahen des Franzosen hatte er die Farben eines Signals entdeckt, das dort plötzlich im Winde flatterte. Der französische Admiral versucht, unseren Durchbruch zu stoppen, schoß es ihm durch den Kopf. Er zog den Degen und hielt ihn hoch.»Auf mein

Kommando! Seine Takelage muß runter!«Er war heiser vor Anstrengung und Qualm.

Wieder durchbrach eine unregelmäßige Breitseite die Rauchwand, und zwei Zwölfpfünder wurden wie Papierknäuel über Deck geschleudert. Bolitho blickte nicht zu den Männern hin, die darunter lagen, versuchte, ihre Schmerzensschrei zu überhören — die Rohre mußten fast rotglühend gewesen sein.

Er hieb den Degen abwärts:»Feuer!»

Die Hyperion rollte schwer und kam im Rückstoß beider Breitseiten noch stärker über.

Der Vormast des Franzosen neigte sich mit einer Art würdevoller Trauer; die Stage und Wanten hielten ihn gerade noch lange genug, um den Männern im Topp noch ein paar Sekunden Hoffnung zu geben. Dann aber stürzte die ganze Masse der Takelage mit einem mächtigen Seufzer nach vorn in den Rauch, pflügte durch die Kanoniere im Vorschiff und kippte über Bord in das brodelnde Wasser.

Bolitho tastete sich hinüber zum Ruder, zu Gossett.»Klar zur Wende!«befahl er. Eine Musketenkugel peitschte an seinem Kopf vorbei und schlug in die Kampanjetreppe ein.»Jetzt kreuzen wir die feindliche Formation, wenn Sie soweit sind!»

Er wartete die Antwort nicht ab, sondern eilte zur Achterdecksreling zurück. Das feindliche Schiff rollte steuerlos vor dem Wind; die nachgeschleppte Masse der Takelage wirkte wie ein riesiger Treibanker. Jenseits des Bugs, der unter dem Gewirr fast verschwand, konnte Bolitho bereits die turmhohe Segelpyramide der Tenacious sehen, und noch ehe er seine Augen ab — und dem nächsten feindlichen Schiff zu wandte, erkannte er, daß die Breitseite des Dreideckers in das französische Flaggschiff schmetterte — dessen Großbramstenge kam von oben und erhöhte noch das Chaos an

Deck.

«Jetzt!«Bolitho mußte zweimal rufen, denn hinter ihm bellten gerade die Neunpfünder bösartig los. »Jetzt, Mr. Gossett!»

Gespannt beobachtete er, wie das große Doppelrad sich zu drehen begann — die Rudergasten mußten bei ihrem Kampf mit den Speichen über zwei tote Kameraden hinwegsteigen. Von der Achterdecksreling her brüllte Herrick:»An die Brassen! Loswerfen und überholen!»

Das dritte Schiff feuerte bereits durch den Rauch über den schmalen Streifen Wasser. Die Kugeln hämmerten in den Rumpf der Hyperion, durchschlugen Bramsegel und oberen Besan, zerfetzten Fallen und Wanten, wirbelten Holzsplitter hoch in die Luft.

Doch das alte Schiff reagierte. Langsam glitt sein Bugspriet auf das Heck des Feindes zu, und Bolitho sah eine Anzahl französischer Matrosen herbeirennen, als wollten sie einen Enterangriff abwehren. Doch als sie merkten, was die Hyperion vorhatte, eröffneten sie, von ihren Offizieren und der Wut des Kampfes getrieben, ein wildes Pistolen- und Musketenfeuer.

An der abgekehrten Bordseite sah Bolitho ein anderes Schiff gespenstisch durch den Qualm aufkommen; beinahe ungläubig stellte er fest, daß die Hyperion tatsächlich die feindliche Linie durchbrochen hatte; ihr Bugspriet mit dem killenden Klüver stieß bereits aus dem Rauch und hatte die Luvseite des Feindes erreicht.

«Achtung, Steuerbordbatterie! Jetzt seid ihr dran, Jungs!«schrie er.

Ein Mann stürzte von einem Neunpfünder rücklings an Deck, das Gesicht zu einem blutigen Brei zerschmettert; Bolitho sah, wie der junge Caswell, bleich, aber entschlossen, einen anderen Mann an dessen Platz wies.

Die Kanoniere an Steuerbord warteten auf den richtigen Moment. Der Rauch verbarg noch den Hauptteil dieses vierten Schiffes, aber der schwarze Bugspriet und die glänzende Galionsfigur boten ein ausgezeichnetes Ziel.

«Feuer frei!«schrie Rooke.

Die Hyperion reagierte weiterhin auf Wind und Ruder und passierte zielstrebig das Heck des dritten Schiffes, während ihre Steuerbordbatterie das Feuer auf ihr hilfloses Gegenüber eröffnete. Jeweils zwei Geschütze bellten auf und fuhren zurück; innenbords wischten die Bedienung unter Hurragebrüll die Rohre aus und hatten schon neu geladen, ehe auch die achteren Geschütze abgefeuert waren.

In Fetzen flog das Schanzkleid des unglückseligen Schiffes gen Himmel, und die Vorstagsegel wehten in Streifen davon wie alte Lumpen.

Bolitho wartete, bis die Masttopps der Tenacious hinter ihm in Kiellinie standen. Denn Dash zog nach; aus dem krachenden Gebrüll der eigenen Geschütze konnte er den tieferen Donner seiner Zweiunddreißigpfünder heraushören, mit denen der Dreidecker auf den Feind einhämmerte.

Als die Hyperion elegant durch den Wind ging, klärte der Rauch über ihrem Deck auf, als hätte eine Riesenhand ihn weggewischt. Mit einem Male lagen alle ihre Wunden bloß; und Bolitho war von dem furchtbaren Anblick wie gelähmt.

Überall auf dem Oberdeck lagen Tote und Verwundete. Die übrigen arbeiteten, die nackten Oberkörper schweißglänzend und pulvergeschwärzt, an ihren Kanonen mit so verzweifelter Wildheit wie Verdammte in der Hölle.

Das große Netz über dem splitterbesäten Deck war voller Leinwandfetzen und Holzstücke, und hier und da wand sich ein Mann, der oben abgeschossen worden war, mit gebrochenen Gliedern in den Maschen wie eine Fliege im Spinngewebe.

Die Marine-Infanteristen unterhielten von den Wanten aus lebhaftes Musketenfeuer, beschimpften beim Laden den Feind und tauschten ermutigende Zurufe mit ihren Kameraden in den schwankenden Masttopps.

Auch die Backbordbatterie feuerte jetzt wieder; ihre Kugeln hatten kaum zwanzig Yards bis zum Heck des Feindes zu überqueren, auf dem es bald wie in einem blutigen Schlachthaus aussah.

Bolitho hieb mit der Faust auf die Reling, als wolle er sein Schiff anspornen, die Wende zu vollenden. Aber es konnte nicht so gut weitergehen. Bald mußten sich die anderen französischen Schiffe erholt haben, sich erneut zur Gefechtslinie formieren und den Kampf wieder aufnehmen. Ehe es soweit war, mußte er das feindliche Flaggschiff gestellt und die drei vordersten Schiffe so stark beschädigt haben, daß sie den Kampf aufgaben.

Er fuhr herum, denn Piper rief:»Signal von Zenith: >Brauche Hilfe«!»

Bolitho hatte es bereits gesehen. Der Zweidecker war total ent-mastet, nur vom Großmast stand noch ein Stumpf; manövrierunfähig trieb er mit dem Wind dem Flaggschiff vor den Bug. Wo die beiden Schiffe kollidierten, war bereits der Kampf Mann gegen Mann im Gange, und über den schmalen Wasserkeil zwischen den Rümpfen feuerten die Batterien beider Schiffe pausenlos aufeinander — mit wenigen Fuß Abstand.

Bolitho schüttelte den Kopf.»Signalisieren Sie: >Nicht möglich«, Mr. Piper!«Als die Wimpel hochflogen, befahl er:»Und jetzt das andere Signal — lebhaft, Mr. Piper!»

Bolitho kümmerte sich nicht weiter um das unregelmäßige Feuer seiner eigenen Geschütze, die das am nächsten liegende Schiff beschossen — es klang wie das trotzige Gebell von Höllenhunden. Der Feind schoß kaum zurück, und er konnte auf dem zerstörten Deck so etwas wie Panik erkennen, als die Tenacious gravitätisch durch die Lücke in der Gefechtsformation brach und ihre dreifache Reihe Kanonen auf das ungeschützte Heck des Franzosen richtete. Er packte Herrick an der Schulter und merkte, daß dieser bei der plötzlichen Berührung zusammenzuckte. Wahrscheinlich, dachte Bolitho grimmig, erwartet er genau wie ich eine Musketenkugel.

«Die Zenith ist so gut wie erledigt, Thomas…«Er brach ab, denn eine Kanonenkugel pflügte durch die Achterdecksleiter in eine Gruppe kniender Seesoldaten. Ihm wurde übel, als sich das Blut wie rote Farbe über die Planken ergoß — es schien überhaupt nicht versiegen zu wollen. Aus dem Chaos zerschmetterter Glieder und schreiender Männer rollte ein Kopf mit weitaufgerissenen, stieren Augen über Deck.

Er mußte schlucken, um den Brechreiz zu unterdrücken.»Wir müssen unbedingt das feindliche Flaggschiff nehmen, Thomas!«In Herricks rußverschmierten Zügen leuchtete Begreifen auf. Er fuhr herum, denn irgend jemand hatte einen halberstickten Hurraruf ausgestoßen: der junge Caswell war es; er deutete auf das letzte Signal und schwenkte wie ein Verrückter den Hut:»Kampf auf kürzeste Distanz!»

Durch den wirbelnden Rauch leckte eine neue Reihe gelbroter Feuerzungen, und Caswell war tot. Er hatte eben eine Hand vor die Brust gehalten; die Kugel trieb sie durch seine Rippen und zerschnitt sein Hurra wie mit einem Messer.

Bolitho wandte sich dem gigantischen Dreidecker zu. Rasende Wut, Haß, Verzweiflung, Bitterkeit kochten in ihm. Er hatte den Degen in der Faust, und als er ihn schwenkte, riß ihm eine Musketenkugel den Hut vom Kopf, so daß ihm die rebellische Strähne übers Auge fiel und er den zerfetzten Körper Caswells mit den ungläubigen Augen nicht mehr sah.

«Steuerbordgeschützbedienungen klar zum Entern!«Seine

Stimme überschlug sich beinahe.»Los, Jungs, England braucht den Sieg — worauf wartet ihr noch?»

Er hörte das Jubelgeschrei nicht, denn er rannte bereits den Backborddecksgang hinunter. Er sprang über das zerschossene Schanzkleid und über die halbnackten Kanoniere, den Degen in der Faust und die Augen starr auf das eine bunte Stück Tuch gerichtet, das noch im Masttopp des feindlichen Schiffes flatterte.


  1. Mast und Stenge des Großmasten.

  2. Wimpel, der Windrichtung und — stärke anzeigt.