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Als Bolitho auf das feindliche Vorderkastell sprang, hatte der Bugspriet der Hyperion Enternetze und Wanten des Franzosen durchstoßen und ragte wie die Lanze eines Riesen über den Steuerborddecksgang. Er sah sich nach den zum Sprung geduckten Matrosen und Marine-Infanteristen um.»Hinüber mit euch, Jungs!«rief er. Und dann, als beide Rümpfe kollidierten, sprang er von einem Kranbalken ab, teilte mit wilden Degenhieben die Netze und suchte wankend nach einem Halt für seine Füße.
Auf der anderen Seite leistete die entmastete, steuerlose Zenith immer noch verbissen Widerstand; vor einer starken Welle feindlicher Enterer hatten sich die englischen Matrosen jedoch schon bis zum Achterdeck zurückziehen müssen. Entermesser und — beile blitzten im Rauch, die Luft erzitterte von Kampf- und Wutgebrüll; immer mehr verloren sie an Boden und mußten über die Leichen ihrer gefallenen Kameraden weiter zurückweichen.
Aber als Bolithos Entermannschaft an Deck sprang, kam der französische Angriff ins Stocken, und auf ein Trompetensignal hin ließen eine ganze Anzahl Franzosen ab und sprangen auf ihr eigenes Schiff zurück, um es gegen die Enterer zu verteidigen.
Leutnant Shanks von der Marine-Infanterie, dem der Säbel am Handgelenk baumelte, zog sich an dem schlaffen Netz hoch und feuerte seine Männer durch lauten Zuruf an. Ein schnurrbärtiger französischer Soldat kam über den Decksgang gerannt und bohrte, ehe Shanks aus dem Netz springen konnte, sein Bajonett tief in den Leib des Offiziers. Mit einem schrillen Aufschrei fiel Shanks wie ein Stein ins Wasser.
Bolitho sah noch die Beine des Leutnants über der Wasseroberfläche, doch als die Schiffsrümpfe gegeneinandertrieben, faßten sie den Körper im Zangengriff, zerquetschten ihn und hielten ihn fest — noch ein paar Sekunden zuckten die Beine wie im Krampf, dann war es vorbei.
Mit einem letzten Degenhieb kam Bolitho vom Netz frei und sprang aufs Oberdeck. Schon wandte sich derselbe französische Soldat ihm entgegen, aber ein Bootsmannsmaat stieß Bolitho beiseite; mit wütendem Gebrüll hieb er den Franzosen nieder — durch die Schulter bis fast in die Achselhöhle fuhr die Schneide des Enterbeils.
Immer mehr Männer sprangen von der Hyperion herüber, so daß es schwer wurde, Freund und Feind zu unterscheiden. Bolitho feuerte einen Pistolenschuß nach dem Ruder ab, und der letzte Rudergänger stürzte zuckend auf die zersplitterten Planken. Dann stellte er sich mit dem Rücken gegen die Kampanjeleiter und kreuzte die Klinge mit einem wildäugigen Unteroffizier, während um ihn herum der schreckliche Kampf tobte.
Bolitho parierte den schweren Säbel und stieß nach dem Hals des Franzosen. Er fühlte den Schock des Widerstands bis ins Handgelenk und fuhr herum, um sich einen anderen Gegner zu suchen, während der Mann, dem das Blut aus der großen Halswunde spritzte, über der Reling hing.
Ein paar Schritte weiter rannte ein französischer Seesoldat sein Bajonett einem schreienden Midshipman in den Leib; da wirbelte Tomlin, der Bootsmann, sein mächtiges Enterbeil wie ein Spielzeug und schlug sich einen Pfad durch das Oberdeck, die Schultern voller Blut — ob sein eigenes oder das seiner Opfer, war nicht zu sagen.
Ein französischer Leutnant hatte den Degen weggeworfen, schlaff vor Schrecken stand sein Mund offen, und er versuchte, Bolithos Arm zu ergreifen. Er wollte sich ergeben, vielleicht sogar mit dem ganzen Schiff, aber daraus wurde nichts. Die britischen Matrosen waren noch nicht in der Stimmung für Pardon. Stöhnend schlug der Mann die Hände vors Gesicht, da sah Bolitho einen Entersäbel blitzen, der die Hände des Offiziers an den Gelenken abtrennte und ihn selber auf die Planken streckte.
Sergeant Best, der eine kurze Lanze wie eine Keule schwang, arbeitete sich durchs Kampfgetümmel zu Bolitho und zerrte einen französischen Offizier mit.»Das ist der Admiral, Sir«, brüllte er und führte dabei einen wütenden Hieb nach einem bereits ve rwundeten Matrosen, der schreiend über einem verlassenen Schwenkgeschütz zusammenbrach.
Sekundenlang starrte Bolitho den kleinen Admiral an, ehe er in der Erregung des Kampfes begriff, was das bedeutete.»Bringen Sie ihn nach achtern, Sergeant!«Er sah noch, wie sich das angstverzerrte Gesicht des Admirals etwas entspannte, und fuhr fort:»Und dann holt um Gottes willen die Flagge runter und hißt unsere eigene!»
Der Admiral setzte zum Sprechen an. Vielleicht war er sogar froh, daß alles vorbei war, oder aber er wollte gegen Bests rauhen Zugriff protestieren, der ihn wegzerrte wie einen Sack. Wahrscheinlich, dachte Bolitho, wäre er bereits tot, hätte ihn der starke Arm des Marine-Infanteristen nicht beschützt.
Da hörte er Tomlins Stiergebrüll:»Zurück da! Laßt sie leben!«Und als Bolitho, einen Toten mit dem Fuß beiseite schiebend, auf den Decksgang rannte, sah er zu seiner Überraschung, daß die französischen Matrosen ihre Waffen wegwarfen und sich zum Bug zurückzogen. Von der Zenith kam wildes Hurrageschrei, und die Kanoniere der Hyperion standen neben ihren rauchenden Rohren und brüllten mit.
Doch der Anblick der Schäden auf der Hyperion ernüchterte ihn rasch. Von dem hohen Dreidecker aus waren sie nur allzu deutlich zu sehen. Wo er hinblickte, lagen Tote und Sterbende. Die Bordwand war furchtbar zerschossen, doch auf dem Unterdeck steckten die Matrosen die Köpfe aus den Stückpforten und stimmten in das wilde Siegesgeschrei ein.
Ein wie betrunken schwankender Leutnant ergriff Bolithos Hand und bearbeitete sie wie einen Pumpenschwengel. Seine Augen glänzten vor Freude.»Ich bin von der Zenith, Captain. O Gott, was für ein Sieg!»
Brüsk schob Bolitho ihn beiseite.»Übernehmen Sie hier das Kommando, Leutnant!«befahl er, denn eiskalt durchfuhr der Schreck sein Hirn: dort drüben kam ein weiteres französisches Schiff vor dem Wind auf die Hyperion zu.
«Zu mir, Leute!«brüllte er seinen Männern zu.»Zurück auf die Hyperion!»
Der Leutnant lief ihm nach.»Was soll ich tun, Sir?«Bolitho antwortete nicht gleich, sondern beobachtete, wie seine Männer eiligst auf ihr Schiff hinübersprangen. Aber der Leutnant blieb hartnäckig.
«Captain Steward ist gefallen, als wir die französische Gefechtslinie durchbrachen, Sir!»
Bolitho wandte sich ihm zu und musterte ihn nachdenklich.»Also — treiben Sie die Franzosen unter Deck zusammen und stellen Sie Posten an die Niedergänge. «Er blickte zu den zerfetzten Segeln hoch.»Am besten holen Sie jeden gesunden Mann von Ihrem Schiff herüber und machen alles klar, um die Zenith ins Schlepptau zu nehmen. «Er schlug dem verwirrten Leutnant auf die Schulter.»Dabei können Sie viel lernen!«Damit wandte er sich ab und sprang hinter seinen letzten Männern her übers Schanzkleid.
Herrick hatte bereits befohlen, die Enterhaken am Rumpf des französischen Schiffes zu kappen. Als er Bolitho sah, keuchte er:»Gott sei Dank, Sir! Ich hatte Sie drüben aus den Augen verloren.»
Bolitho grinste und deutete mit seinem Degen nach Luv.»Sehen Sie da drüben, Thomas! Das muß das fünfte Schiff der Franzosen sein. Das vierte ist mit dem Wind abgetrieben und wird uns mit seinen Buggeschützen jedenfalls nicht mehr ärgern.»
Von Deck erscholl Rookes Ruf:»Wir kommen nicht klar, Sir!»
«Verdammt!«Herrick eilte an die Netze und spähte zu dem eroberten Schiff hinüber.»Wir müssen stärker gedriftet sein, als ich dachte, Sir. «Mit plötzlichem Schrecken starrte er über Bolithos Schulter.»Bei Gott, der Kerl geht über Stag!«Er winkte den Männern der Steuerbordbatterie:»Feuer eröffnen! Aber schnell, wenn ihr das nächste Morgenrot noch sehen wollt!»
Der Kommandant des ansegelnden Linienschiffes hatte reichlich Zeit gehabt, seinen nächsten Zug zu planen. Während die Zenith und die Hyperion in den Nahkampf verwickelt waren und Dash die beiden anderen Schiffe zusammenschoß, hatte er stark angeluvt; und da ihn dichter Rauch verbarg, hatte niemand gemerkt, daß er sich so den Windvorteil verschaffte.
Jetzt, während die Männer der Hyperion wieder an die Geschütze rannten, kam er langsam herum und präsentierte seine volle Breitseite auf eine Entfernung von siebzig Yards. Er braucht den Nahkampf nicht zu riskieren, dachte Bolitho und spürte auch schon Feuer und Eisen aus der doppelten Reihe Kanonen.
Wie ein sengender Sturmwind, der jede Orientierung hinwegfegte, schmetterte die Breitseite des Franzosen ins Achterschiff der
Hyperion und verheerte es wie eine Lawine. Ihr folgte erstickender Rauch: inmitten seiner schreienden und fluchenden Männer starrte Bolitho wie betäubt empor — der Besan war knapp zwanzig Fuß über der Kampanje gesplittert.
Dann antworteten seine eigenen Kanoniere, doch unsicher und zerrissen, denn sie mußten sich durch die wirbelnde Dunkelheit tasten und rutschten auf den schlüpfrigen Planken aus; zollhoch stand das Blut in den Speigatten. Bolitho sprang zur Seite, denn die Besangaffel stürzte aufs Achterdeck und schmetterte in das Gewühl wie die Axt eines Riesen.
Er hörte Gossett brüllen:»Ruder ist ausgefallen, Sir!«Dann ein Fluch.»Scher dich auf Station, Mensch!»
Der Franzose war noch da; er braßte seine Rahen rund, um noch eine Breitseite abzufeuern. Eine Sekunde lang herrschte Stille, dann donnerten wieder Kanonen, und staunend sah Bolitho, daß Segel und Rigg des Feindes wild schwankten, daß mehrere Spieren brachen und längsseit fielen. Durch den Rauch konnte er sekundenlang die gerefften Bramsegel des Franzosen erkennen: Captain Leach mußte den richtigen Moment abgepaßt haben, um mit seiner leichteren Harvester aus nächster Nähe in den Kampf der Giganten einzugreifen.
Zwischen dem Krachen der Geschütze waren Axtschläge zu hören, denn Tomlin trieb seine Männer aufs Äußerste an, die Pardu-nen des gebrochenen Besan zu kappen; andere rannten durch das blutige Inferno nach achtern, um Gossett beim Aufriggen eines Notruders zu helfen. Doch dazu reichte die Zeit nicht, dachte Bo-litho resigniert.
Fast außer sich, lief Rooke an der Steuerbordbatterie entlang und schlug mit seinem Degen den blutenden, verstörten Geschützbedienungen den Takt, die ihre Geschosse und Kartuschen in die Rohre rammten und die Zwölfpfünder auf dem krängenden Deck für die nächste Salve ausrannten. Aber manche Stückpforte war leer; umgestürzte Kanonen und die zerfetzten Überreste ihrer Bedienungen lagen in gräßlichem Durcheinander auf den Planken. Hoch über dem zerschossenen Deck hingen Tote und Sterbende in der Takelage, und ein Schrapnellhagel jaulte wie ein höllischer Trompetenstoß durchs Rigg.
Rooke hieb den Degen nach unten.»Feuer!»
Bolitho taumelte, als die Rohre in ihre Halterungen zurückstießen; und da sah er, daß Rooke, wie von einer unsichtbaren Riesenhand gehoben, aufrecht durch die Luft flog und aufs Deck schme t-terte. Es war so grausig, daß Bolitho fast übel wurde: Rooke schrie eben noch degenschwenkend seine schwitzenden Kanoniere an, und eine halbe Sekunde später lag er an der Backbordschanz mit verdrehten, gebrochenen Gliedern, und schon strömte sein Blut aus einem Dutzend Wunden. Von dem Mann, der einmal Rooke hieß, war nichts mehr übrig.
Aus allen Richtungen zugleich schienen die Schüsse zu kommen; vermutlich waren auf dem dritten Schiff der französischen Gefechtsformation doch noch ein paar Kanonen kampffähig, mochte es auch von der Tenacious schwer angeschlagen und seine Männer halb blind vor Rauch sein. Trotzdem trafen einige Kugeln das Achterdeck der Hyperion, wo sie weitere Schäden und blutige Verluste verursachten.
Bolitho wandte sich um und stand wie erstarrt. Sekundenlang glaubte er, in der wilden Wut des Kampfes tatsächlich den Verstand verloren zu haben. Denn mitten auf dem Achterdeck stand in voller Galauniform, die sich hell vom Gewirr der zerfetzten Planken und Leinen abhob, Admiral Pomfret und musterte die furchtbare Szene, als sei er völlig immun gegen Gefahr.
«Ich wollte ihn zurückhalten, Captain«, schrie Allday und taumelte mit einem wütenden Fluch beiseite, denn neben ihm hatte Leutnant Fanshawe eine Musketenkugel in die Brust bekommen und klammerte sich sterbend an seinen Arm.
Pomfret sah gar nicht hin.»Wie steht's, Bolitho?»
In Bolithos Kopf drehte sich alles.»Der französische Admiral hat die Flagge gestrichen, Sir. Mindestens zwei weitere Schiffe sind kampfunfähig. Aber wenn Sie unbedingt hierbleiben wollen, Sir Edmund, schlage ich vor, daß Sie sich etwas Bewegung machen. Die Franzosen haben Scharfschützen in den Masten, und Ihre Uniform bietet ein zu gutes Ziel.»
Pomfret zuckte die Achseln.»Na schön, wenn Sie meinen«, und er spazierte seelenruhig das Deck entlang, Bolitho immer neben ihm.
«Freut mich, daß es Ihnen besser geht, Sir.»
Pomfret nickte gleichgültig.»Gerade zur rechten Zeit, wie mir scheint. «Er blieb stehen, denn Piper kam durch den Qualm auf ihn zugerannt, lachend und weinend vor Erregung, ein großes Flaggentuch in Händen. Er faßte nicht einmal an den Hut, als er Pomfret ansprach:»Hier, Sir Edmund«, rief er,»die feindliche Flagge! Für
Sie!»
Bolitho mußte trotz seiner geschundenen Nerven lächeln.»Ihr Sieg, Sir. Ein schönes Souvenir.»
Eine Musketenkugel riß Pomfret den Hut vom Kopf; und als Bo-litho sich bückte, um ihn aufzuheben, sah er, daß der Admiral erschrocken die Hand ausgestreckt hatte. Zum erstenmal seit Wochen verriet er eine gewisse Gemütsbewegung.
Bolitho wandte sich halb um und sah den Grund: Piper lag auf den Knien, die Flagge an die Brust gepreßt. Mitten im Tuch klaffte ein schwarzes Loch; Bolitho wollte zufassen und Piper stützen, da furchte sich dessen Knabengesicht vor Qual; leblos fiel er dem Admiral vor die Füße.
Seton kam taumelnd durch den Rauch und brach neben dem Toten auf die Knie; aber Bolitho faßte zu und richtete ihn auf.»Die Signale, Mr. Seton!«Der Junge starrte ihn betäubt an, doch Bolitho sprach scharf weiter:»Für die Signale sind jetzt Sie verantwortlich!»
Herrick sah Seton nach, der wie ein Blinder davontappte; seine Sohlen scharrten auf dem blutverschmierten Deck, die Hände hingen ihm an den Seiten nieder, als wollten sie ihm nicht mehr gehorchen.
Dann beugte er sich über den toten Midshipman, doch Pomfret befahl:»Lassen Sie ihn, Mr. Herrick! Tun Sie Ihre Pflicht!«Ohne einen Blick für Herrick oder Bolitho drehte er den Toten auf den Rücken und deckte behutsam die eroberte Flagge über sein Gesicht.»Tapferer Junge«, murmelte er.»Wenn ich nur in St. Clar mehr seiner Art gehabt hätte!»
Bolitho riß sich von der Szene los. Undeutlich wurde ihm bewußt, daß die Kanonen schwiegen. Er ging zur Reling: dort zog das feindliche Schiff vorm Wind davon, seine Bramsegel füllten sich, während der Rumpf tiefer in den dichten Qualm stieß.
Um ihn herum schrien und tanzten die Männer siegestrunken, sogar ein paar Verwundete zogen sich an der zerschossenen Schanz in die Höhe, um dem fliehenden Schiff nachzusehen und mit den anderen zu brüllen. Da rief Seton:»Signal von der Tenacious, Sir!«Seine Stimme klang völlig ausdruckslos.»>Zwei feindliche Schiffe ziehen sich zurück. Die anderen haben kapitulierte»
Bolitho packte die Reling fester. Arme und Beine zitterten ihm, ohne daß er etwas dagegen tun konnte. Unmöglich, aber wahr: durch Rauch und Trümmer hörte er das Hurra seiner Männer, immer lauter und länger, als wolle es nie aufhören. Die Matrosen sprangen in dem blutigen Durcheinander auf, um einander die Hände zu schütteln oder auch nur, um einen Freund zu begrüßen, der das wüste Gemetzel irgendwie überstanden hatte.
«Captain, Sir!»
Bolitho stieß sich von der Reling ab; fast erwartete er, daß ihn seine Beine nicht mehr trugen. Als er sich umwandte, sah er zu seiner Bestürzung, daß Rowlstone neben dem Admiral kniete, der reglos auf den Planken lag.
Mit zitternder Stimme sagte der Arzt:»Sir Edmund ist tot, Sir. «Er hatte die Hand unter dem goldbetreßten Uniformrock, und als er sie herauszog, war sie voller Blut.
Gossett murmelte:»Mein Gott, er muß schon vorher verwundet gewesen sein und hat nichts gesagt!«Er nahm seinen verwitterten Hut ab und starrte ihn an, als sähe er ihn zum erstenmal.
Gedämpft berichtete Allday:»Als der Franzose unser Heck kreuzte, Captain, flog eine Kugel in den Kartenraum. «Unter Bo-lithos wortlosem Blick schlug er die Augen nieder.»Sie tötete den armen Gimlett, und ein Splitter traf den Admiral. «Er ließ den Kopf hängen.»Ich mußte ihm schwören, daß ich Ihnen nichts davon sage. Dann mußte ich ihm seine Galauniform anziehen. Tut mir furchtbar leid, Captain, ich hätt's Ihnen vielleicht doch sagen sollen.»
Bolitho sah an ihm vorbei.»Nicht Ihre Schuld, Allday. «So hatte Pomfret also schließlich doch nichts von diesem Sieg. Aber eines hatte er begriffen: daß er dabei sein mußte. Sein verwüstetes Gehirn hatte doch noch die Stärke und den Willen aufgebracht, Anerkennung auf die einzige Art zu zeigen, zu der er fähig war.
«Ein tapferer Mann, das muß man ihm lassen«, sagte Herrick halblaut.
Bolitho blickte auf die beiden Toten nieder, die nebeneinander auf dem zerschossenen Deck lagen. Admiral und Midshipman.
«Zwei tapfere Männer, Thomas«, sagte er heiser.
Der Rauch trieb jetzt ab und enthüllte die bei Sieger und Besiegten angerichteten Schäden. Die beiden letzten französischen Schiffe segelten bereits unter Vollzeug davon. Nicht daß ihre Kommandanten jetzt noch etwas zu fürchten hätten, dachte Bolitho bedauernd. Abgesehen von der Chanticleer — und die war weit weg —, hatten alle britischen Schiffe zusammen kaum genug intakte Segel, um ein einziges Schiff auszurüsten, so daß von einer Verfolgung gar nicht die Rede sein konnte. Wenn nur die Männer mit ihrem Siegesgebrüll aufgehört hätten! Eben kam Inch unsicheren Schrittes übers Oberdeck. Bei Rookes Leichnam blieb er stehen, blickte kurz hinunter und ging dann weiter. Es sah beinahe so aus, als zucke er die Achseln. Er selbst lebte noch, das war Mirakel genug für einen Tag und einen Mann.
Seton rief:»Masttopp meldet Schiffe in Nordost, Sir!«Bolitho war vom Kanonendonner noch so taub, daß er nicht richtig verstand.»Diesmal sind es unsere, Sir«, erläuterte Seton. Doch dann starrte er auf den toten Piper hinunter und begann zu zittern.
Traurig folgte Herrick seinem Blick.»Wenn sie früher gekommen wären. «Er ließ den Satz unbeendet.
Bolitho legte ihm die Hand auf den Arm und sagte ruhig:»Lassen Sie eine neue Admiralsflagge heißen, Thomas. Es ist immer noch Pomfrets Schiff. «Er mußte die Augen abwenden, weil er Tränen darin brennen fühlte.»Und dann folgendes Signal. «Er zögerte, denn noch einmal sah er all diese Gesichter vor sich: Cas-well und Shanks, Rooke und den kleinen Piper. Wie so viele andere vor ihnen gehörten sie schon der Vergangenheit an. Mit gefestigter Stimme gab er das Signal an: «Hyperion an Flaggschiff: >Wir schließen zum Geschwader auf«.»
Herrick tippte an den Hut und schritt an den jubelnden Matrosen vorbei. Sekunden später stiegen die Flaggen zu einer noch intakten Rah hoch und ersetzten das Signal, das dort so lange gestanden hatte. Irgendwie hatte Piper es geschafft, daß es während der ganzen Schlacht oben blieb — er mußte es ein paarmal ausgewechselt haben.
Herrick nahm Seton das Teleskop aus der schlaffen Hand und richtete es auf die fernen Schiffe. Seine Lippen bewegten sich wie in leisem Selbstgespräch. Dann wandte er sich Bolitho zu und berichtete: «Victory an Hyperion: >Willkommen. England ist stolz auf Sie<. «Dann wandte er sich ab, denn er konnte Bolithos traurige Augen nicht ertragen.
Gossett drängte sich durch die immer noch johlenden Matrosen heran und meldete:»Notruder funktioniert, Sir.»
Bolitho fuhr herum und wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel. Er hatte seine Gelassenheit wieder.»Danke, Mr. Gossett. Seien Sie so gut und nehmen Sie Fahrt auf. «Er strich mit der Hand die zersplitterte Reling und fühlte den Schmerz des alten Schiffes wie seinen eigenen.»Wir haben noch einen langen Weg vor uns.»
Gosset wollte etwas antworten, doch Herrick schüttelte den Kopf. Besser als jeder andere wußte er, daß Bolitho den letzten Satz zu seinem Schiff gesprochen hatte. Und in dieses Zwiegespräch sollte sich niemand einmischen.