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Zwei Tage danach war Sonntag. In der englischen Stadt bereiteten sich die Menschen zum Kirchgang.
Isolde Hawbury nahm ihr Gesangbuch. Es war erst halb neun, und sie wollte heute zum Frühgottesdienst, weil sie mit Bekannten verabredet hatte, um elf Uhr eine Picknickfahrt in die Umgebung zu machen.
Die Kirche war nicht weit, und da die übrigen Bewohner des Hauses noch nicht aufgestanden waren, sich das Anspannen des Wagens aber für Isolde allein nicht lohnte, verließ sie das Haus zu Fuß. Sie trug den Hut in der Hand und schlenderte die sonnenbeschienene Straße entlang.
Erschrocken verhielt sie den Schritt.
»Miss Hawbury«, sagte eine tiefe, wohlklingende Stimme.
Sie drehte sich um.
Ein Mann mit tiefbraun getönter Haut trat auf sie zu. Weit und breit war sonst niemand zu sehen.
Isolde runzelte die Stirn und wandte sich wieder zum Gehen. Unverschämtheit, dachte sie, was will der Kerl? Sie kümmerte sich nicht um ihn und beschleunigte ihre Schritte. Aber der Fremde war gleich darauf an ihrer Seite und meinte höflich:
»Ich glaube, daß Ihr mich in diesem Anzug nicht wiedererkennt, zumal ich mir den Bart gestutzt habe. Erinnert Ihr Euch nicht mehr an Algier, daran, daß auch ich mit Euren Freunden in den Steinbrüchen von El Mengub war? Mein Name ist Ibn Kuteiba. Ich war einmal Steuermann auf Baba Alis Schiff »Medina«.«
Jetzt war Isolde nicht mehr empört. Freudig streckte sie dem Araber die Hand hin und meinte: »Willkommen, Sir, was tut Ihr in Kalkutta? Seid Ihr nicht mehr bei der Flottille der Gräfin de Andalusia?«
»Doch, Miss Hawbury. Die Gräfin de Andalusia werden wir gleich treffen. Sie steht am nächsten Häuserblock, um Euch dort abzufangen, wenn ich Euch nicht getroffen hätte.«
»Mein Gott, was ist denn geschehen? Ihr hättet mich doch besuchen können.«
»Nein, das hätten wir nicht. Wir dürfen uns in Kalkutta nicht sehen lassen. Wir haben uns in die Stadt gewagt, um Mr. Baum, Mr. Ojo und Mr. Jardin zu suchen; denn sie sind hier vor einigen Wochen verschwunden. Wir müssen annehmen, daß sie von den Behörden der Kompanie zurückgehalten werden.«
Sie hatten inzwischen eine Querstraße erreicht, aus der in diesem Augenblick eine elegant gekleidete Dame trat.
»Oh, Gräfin Marina«, sagte Isolde. Sie reichten sich die Hände. »Ich kann gar nicht fassen, was mir Mr. Kuteiba über den Pfeifer, Ojo und Jardin erzählt hat.«
»Nun«, sagte die Gräfin, »wir haben nicht umsonst die Strapazen einer langen Reise zu Pferde auf uns genommen. Ihr müßt uns helfen, Miß Hawbury. Können wir uns nicht irgendwo ungestört und ungesehen unterhalten?«
»Wo wohnt ihr?« fragte Isolde.
Marina nannte die Adresse des indischen Hotels.
Isolde schaute etwas unglücklich drein.
»Das ist schlecht. Dort kann ich unmöglich hingehen. Wollt ihr nicht auf einen Sprung ins Haus kommen?« »Das möchten wir nicht wagen. Sind die Tennessys nicht eng mit der Kompanie verbunden?« »Allerdings. Robert Tennessy ist ein enger Mitarbeiter von Sir Warren Hastings.« »Das ist einesteils gut; denn wenn Ihr ein wenig klug seid, werdet Ihr von ihm in Erfahrung bringen können, wo wir den Pfeifer suchen müssen. Andererseits verbietet es sich von selbst, daß wir uns der Gefahr aussetzen, sein Haus zu betreten.«
»Ich habe eine Idee«, meinte Isolde. »Können wir uns nicht am Nachmittag wie zufällig im Reitpark treffen? Ihr habt doch eure Pferde sicher auch in Kalkutta?« »Glänzender Gedanke«, sagte Marina.
Sie verabredeten Treffpunkt und Stunde und verabschiedeten sich für jetzt.