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Die federführende Ordonnanz im Vorderzimmer klopfte an Sir Hastings Zimmertür. Gleich darauf erscholl die über dem Vorzimmer angebrachte Glocke. Die Ordonnanz öffnete und nahm Haltung an.
»Der Gefängnisdirektor ist zum Rapport erschienen, Euer Herrlichkeit.« Sir Hastings blickte auf. Eine steile Falte stand über seiner Nase. »Herein mit ihm«, sagte er ungnädig.
Der Gefängnisdirektor stand mit schlotternden Knien vor dem Generalresidenten. »Ich — — ich — — es ist — —«
»Good morning«, unterbrach ihn Hastings barsch. »Faßt Euch, Mann, und gebt mir einen klaren Bericht über die Geschehnisse der letzten Nacht. Ich glaube, es wird Zeit, daß Ihr nach England zurückgeht. Ihr werdet alt, Custer.«
»Verzeihung, Euer Herrlichkeit! Ich selbst bin vollständig fassungslos. Draußen im Schilderhaus und im Innern des Hofes standen zwei britische Posten. Ihr wißt, ich habe Sipoys als Wachen immer abgelehnt. Und der Oberaufseher ist ein alter, verläßlicher Sergeant.« Custer schilderte die Ereignisse fast genauso, wie sie sich tatsächlich abgespielt hatten. Er hatte aus den Vernehmungen der drei Soldaten Steinchen um Steinchen zu einem vollständigen Mosaik zusammengefügt.
»Demnach sind es drei Männer gewesen, die die ganze Sache ausgeführt haben?« »Ja, Euer Herrlichkeit. Ob allerdings draußen noch Leute gewartet haben, ist mir unbekannt.« Der Generalgouverneur erhob sich, faltete die Hände auf dem Rücken und ging wie ein gefangener Löwe im Zimmer auf und ab. Hinter seiner breiten Stirn arbeitete es. Ruckartig drehte er sich um und fragte mit schneidender Stimme:
»Sind noch in der Nacht Maßnahmen zur Verfolgung der Burschen getroffen worden?« »Yes, Euer Herrlichkeit. Eine ganze Schwadron hat die Suche aufgenommen!« Hastings lächelte geringschätzig.
»Na, viel wird dabei auch nicht herauskommen. Man weiß ja nicht einmal, in welche Richtung sie sich gewandt haben.«
»Ich denke doch. Es kann eigentlich nur der Weg nach Diamond Harbour sein. Dort liegt doch das Schiff von diesem Jardin. Ich bin der Ansicht, daß sie versuchen werden, damit zu fliehen.« Hastings sah sein Gegenüber mit spöttisch herabgezogenen Mundwinkeln an. »Ihr behaltet Eure Ansichen besser für Euch, Custer. Wenn die Schwadron das Gebiet zwischen Kalkutta und Diamond Harbour abkämmt, so kann ich Euch jetzt schon versichern, daß diese Suche schief ausgehen wird. Es ist kindisch, anzunehmen, daß die Ausbrecher es wagen werden, auf die »Lundi« zu flüchten. Schickt eine weitere Schwadron nach Norden. Die Flüchtlinge werden versuchen, nach Rohilkant zu kommen. Der Landweg ist ihre einzige Chance.« Der Gefängnisdirektor verbeugte sich und verließ den gefürchteten Residenten. Hastings nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz und vertiefte sich in den Stoß Berichte, die dort in einer roten Mappe lagen. Es waren Berichte über Vorkommnisse, wie sie sich in ganz Ostindien zutrugen. Sie wurden von den Unterresidenten abgefaßt und bildeten die wichtigsten Unterlagen für die Verwaltung und Beherrschung des riesigen Reiches. Wenn es Sir Warren ermöglichen konnte, las er diese täglich eingehenden Berichte persönlich.
Er nahm ein Blatt zur Hand und lehnte sich in seinen Sessel zurück. Das war ja doch wohl eine tolle Angelegenheit. Der Bericht war vom Residenten aus Akjab und schilderte das Verschwinden dreier Schiffe, die ihre Mannschaft nächtlicherweise auf listige Art ausgebootet hatten. Aus den Aussagen der betrogenen Seeleute ging eindeutig hervor, daß es die langvermißten »Trueno«, »Mapeika« und »Dimanche« waren.
Hastings richtete sich auf. Blitzartig erfaßte er die Zusammenhänge. Heftig riß er an der Klingelschnur. Die Ordonnanz stürzte herein.
»Gebt sofort einen Befehl an das vierte Rifleregiment durch, von Islamabad bis nach Kumilla die ganze Gegend abzusperren! Dann gebt Ihr eine genaue Beschreibung vom Aussehen dieses Deutschen und seiner beiden spanischen Freunde, dem großen und dem kleinen, an den Regimentskommandeur !«