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Der Kommandeur des Rifleregiments, dessen Truppe die Gegend um Islamabad absperrte, knurrte ärgerlich. Er hatte soeben von Sir Edward William eine Kurierbotschaft erhalten, in der folgende Sätze standen:
» ... und so ersuche ich Euch, mir einen Eurer jungen Offiziere zu schicken, der zu einer geheimen Sonderaktion alle Fähigkeiten besitzt. Er darf ruhig ein klein wenig skrupellos sein; auch wenn er ein paar Pfund Schulden hätte, wäre er nicht der schlechteste Mann. Laßt einen Zug Eurer jüngsten Soldaten unter dem Kommando eines Sergeanten in Islamabad und kehrt mit dem übrigen Regiment in Euern Standort zurück. Eure Aufgabe ist beendet.«
Der im Dienst ergraute Oberst schüttelte den Kopf.
»Albernheit«, brummte er. »Weshalb gibt man mir nicht direkte Instruktionen! Immer diese Geheimniskrämerei! Na, mir ist's recht. Mary und Anne werden nicht böse sein, wenn ich wieder nach Hause komme.« Er rief seinen Adjutanten und fragte ihn:
»Ihr kennt doch die jüngeren Offiziere im Regiment besser als ich?« »Yes, Sir.«
»Well, dann denkt einmal scharf nach. Ich braucheeinen, dessen Gewissen nicht gar zu eng ist, so einen Kerl, der auch einmal fünf gerade sein läßt. Dazu muß er Unternehmungslust besitzen und eine kleine Truppe selbständig führen können.« »So ein Wundertier gibt es bei uns nicht.«
»Ach, macht keine Sprüche. Irgendwo ein kleiner Gauner in Uniform muß sich doch finden lassen. Seit wann sind die Offiziere der Kompanie Engel?«
Der Adjutant dachte eine Weile angestrengt nach. Dann erhellte sich seine Miene.
»Wir haben da neulich einen jungen Oberleutnant zugeteilt bekommen, dessen Garnison bislang in der Provinz war. Er ist nicht zimperlich. Seine Soldaten sind oft gar nicht mit seiner Art einverstanden. Er macht den Eindruck, als wollte er jeden Inder totschlagen.«
»Hmmm«, machte der Oberst gedehnt. »Ich habe keine Ahnung, ob er eine Aktion gegen die Eingeborenen durchführen soll. Na, versuchen wir es. Wie ist sein Name?«
»Adam Roach.«
»Well, dann schickt mir den Adam.«
Der Adjutant machte eine Ehrenbezeigung und verließ den Raum.
Kurz darauf trat Adam Roach ein. Er war ein finster blickender Geselle und sah eher wie ein Fuhrknecht aus. Die Uniform wollte sich dem vierschrötigen Körper gar nicht recht anpassen. Seine Augenbrauen waren über der Nasenwurzel zusammengewachsen. Sein Haaransatz reichte bis tief in die Stirn. Das Kinn war brutal vorgeschoben. Die Nase mußte einmal einen Hieb abbekommen haben. Sie sah aus wie das Riechorgan eines Faustkämpfers. Dem Oberst war dieser Offizier bisher so gut wie unbekannt gewesen. Flüchtig mochte er ihn irgendwo einmal gesehen haben. Auf alle Fälle fuhr er einen Schritt zurück, als er in die Visage des jungen Mannes blickte.
»Oberleutnant Roach zur Stelle«, meldete sich dieser.
»Traut Ihr Euch zu, einen Geheimauftrag für die Kompanie auszuführen?« »Worum handelt es sich, Sir?«
»Das weiß ich leider auch nicht. Jedenfalls hat Sir Edward William, der Stellvertreter des Generalgouverneurs, einen tüchtigen Offizier angefordert. Man sagte mir, daß Ihr einer der tüchtigsten seid.«
»Danke, Sir«, meinte Roach mit unbeweglichem Gesichtsausdruck.
»Well, sattelt Euer Pferd und reitet nach Kalkutta. Ich habe Auftrag erhalten, mit dem Regiment wieder in die Garnison zu gehen und einen Zug zu Eurer Verfügung zurückzulassen. Ihr könnt Euch die Leute aussuchen.« »Yes, Sir«, sagte der wortkarge Oberleutnant.
»Danke«, verabschiedete ihn der Oberst kurz. Er war froh, als der Oberleutnant mit dem Schlägergesicht das Zimmer verlassen hatte. —
Roach ließ seine Kompanie antreten. Sie mußte sich mit fünf Schritten Zwischenraum in vier Gliedern aufstellen. Der Kompaniechef ging von Mann zu Mann. Hier und da fuhr sein Zeigefinger vor und tippte an die Brust eines Soldaten. »Links raus«, sagte er kurz.
Als er etwa fünfundzwanzig Mann beisammen hatte, ließ er die übrigen wegtreten. Er versammelte den neugeschaffenen Zug um sich und meinte:
»Herhören! Habe euch ausgesucht, weil ich denke, daß man mit euch den Teufel aus der Hölle holen kann.«
Beifälliges Murmeln erhob sich im Kreise. »Ich reite heute nach Kalkutta«, fuhr der Oberleutnant fort. »Das Regiment geht in Garnison zurück. Ihr wartet hier auf mich. Sergeant Smith übernimmt das Kommando. Vor morgen abend werde ich nicht zurück sein. Bis dahin habt ihr dienstfrei und könnt euch in der einzigen verdammten Kneipe dieses trostlosen Kaffs hier vollaufen lassen.« Er hob die Stimme, und der Ton wurde schneidend: »Aber wehe, wenn ein einziger von euch abhanden kommt oder morgen abend unterm Tisch liegt. Gnade euch Gott. — Wegtreten!«
Die Soldaten liefen freudig erregt auseinander. Roach hatte sich die richtigen ausgesucht. Und die Leute würdigten die Wahl ihres Kompanieführers. Dieser Roach war nach ihrem Geschmack. Er sprach kein Wort zuviel und keins zuwenig. Seine Befehle waren knapp, unwiderruflich und unmißverständlich. Sicher, für Weichlinge oder solche, die zart besaitet waren, stellte er ein Schreckgespenst dar. Aber von den Ausgesuchten war niemand zart besaitet.
Die Hufe von Roachs Pferd schlugen den steinigen Grund. Meile um Meile brachte er in anstrengendem Ritt hinter sich. Er war ehrgeizig. Er hatte längst gespürt, daß ihn die Kameraden mieden. Freunde hatte er keine; aber er hatte den Willen, es weiter zu bringen als bis zum planmäßigen Captain oder Major. Es war ihm auch vollständig klar, daß man ihn nicht aus Sympathie zur Ausführung dieses Sonderauftrags befohlen hatte, sondern weil man froh war, ihn los zu sein. Aber Roach war nicht der Mann, der solchen Dingen nachtrauerte. Er würde das Beste aus der Situation für sich herausholen, Unbarmherzig sauste die Reitpeitsche auf die Hinterhand des Pferdes nieder.
Spät am Abend des Freitag traf er in Kalkutta ein und meldete sich ohne Rast bei Sir Edward William.
William verbarg seinen Schreck, als er beim hellen Schein der Kerzen im Salon den Offizier begrüßte.
»Ah«, sagte er so freundlich wie möglich, »Ihr seid der Mann, den Oberst MacFadian ausgesucht hat. Nun, ich weiß zwar nicht, worum es sich handelt; aber Mr. Tennessy wird Euch darüber Aufklärung geben können. Geht zu ihm. Er wohnt--.«
William gab ihm die Adresse an.
Adam Roach behielt sein unbewegliches Gesicht, schlug die Hacken zusammen und ging zu Robert Tennessy.
»Ah«, begrüßte ihn dieser und mußte einen Augenblick wegsehen; denn das Gesicht war zu abschreckend. »Ich weiß zwar nicht, was Euer Auftrag sein wird; aber ich soll Euch zum Sicherheitsdienst schicken. Dort werdet Ihr nähere Informationen erhalten.« Er gab ihm die Adresse des Sicherheitsdienstes. Roach wurde an Ort und Stelle von einem Polizeioffizier im gleichen Rang empfangen.
Der Polizeioberleutnant legte eine Bibel auf den Tisch und sagte:
»Bevor ich Euch in Euern Auftrag einweihe, leistet einen Eid, daß Ihr zu niemandem davon sprecht. Im Namen des Auftraggebers kann ich Euch versichern, daß Ihr nach gelungener Durchführung sofort zum Major befördert werdet, vorausgesetzt, daß Ihr den Eid haltet und in jedem Fall Diskretion wahrt.«
»Ich schwöre«, sagte Roach und hob die rechte Hand. Sein Gesicht hatte den Ausdruck einer Bulldogge.
Unangenehmer Kunde, dachte der Polizeioffizier bei sich, aber vielleicht gerade deshalb der richtige Mann für diese heikle Angelegenheit.
»Gut«, sagte er. »Jetzt hört. In der Stadt weilen drei Verräter und ein indischer Radscha, die an sich alle vier an den Galgen gehören. Da es aber politisch nicht zweckmäßig ist, sie aufzuhängen, und da sich leider die Notwendigkeit ergeben hat, sie sogar noch in Freiheit zu setzen, müssen sie außerhalb des Distrikts von Kalkutta irgendeinen Unfall erleiden, der dann bedauerlicherweise tödlich ausgegangen ist. Es besteht kein Zweifel, daß die vier Leute, drei Weiße und der Radscha, ihren Weg an der Küste entlang nach Birma nehmen werden. Da Ihr rein zufällig in Islamabad stationiert seid, so werdet Ihr nicht umhin können, den Opfern des Unfalls Hilfe zu leisten und, wenn nötig, für eine anständige Beerdigung zu sorgen. Was ich noch sagen wollte: vergeßt nicht die Ehrensalve über den Gräbern. Ein Radscha hat Anspruch auf vierundzwanzig Schuß.«
Roach blickte den anderen fragend an. Dann meinte er: »Ist das alles?«
»Ja, habe ich mich nicht verständlich ausgedrückt? Ihr sollt auf jeden Fall dafür sorgen, daß sie anständig beerdigt werden, beerdigt, daß Ihr das nicht vergeßt.« »Dazu müssen sie doch erst mal tot sein.«
»Eben«, sagte der Polizeioffizier. Dann gab er Roach eine genaue Beschreibung Michels, Ojos, Jardins und Tschams.