158366.fb2 Piratenblut - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 23

Piratenblut - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 23

22

Die Pferde griffen in nordöstlicher Richtung aus. Die Flüchtlinge kamen in der Nacht zum Montag am Ufer des Padma an. So heißen Ganges und Brahmaputra nach ihrem Zusammenfluß, etwa fünfzig Meilen vor dem großen Delta. Eine schwierige Aufgabe lag vor ihnen. Sie mußten den hier sehr breiten, träge dahinfließenden Strom überschreiten. Damit war aber noch nicht alles getan. In den Deltaarm, Megna genannt, ergoß sich von Nordwesten her ein weiterer Strom, der dem Padma an Größe und Gewalt in nichts nachstand.

Erst nach Überwindung auch dieses Hindernisses konnten sie zwischen dem Bergland Tripura und dem Meer auf dem schmalen Küstenstreifen die birmaische Halbinsel erreichen. »Was nun?« fragte Marina und starrte auf die gelben Fluten. Tscham brachte sein Pferd dicht neben das des Pfeifers. »Wir müssen ein Floß bauen, mein Freund.«

Michel blickte sich um. In der Ebene standen nur ein paar vereinzelte Bäume. Ihr Holz hätte allerdings gereicht, um ein ganzes Schiff zu bauen; aber es waren Riesen mit großem Umfang, und niemand hatte daran gedacht, Äxte mitzubringen. Und selbst wenn solche dagewesen wären, wäre es fraglich gewesen, ob man diese Gebilde aus Urzeiten hätte überwinden können. »Woraus sollen wir dieses Floß bauen, Tscham?« fragte Michel. Tscham lachte.

»Nichts einfacher als das! Hier wächst Bambus. Wenn man die Bambusrohre an den Enden gut verschließt, so bilden die hohlen Stöcke vorzügliche Schwimmer.«

»Und womit willst du sie verschließen?«

»Mit Rinde und Lehm.«

»Lehm weicht im Wasser, soviel ich weiß.«

»Ganz recht, aber er weicht langsam. Er braucht auch nur eine Zeitlang zu halten, nämlich, bis wir drüben sind. Die Bauern verstreichen die Rohre oft nur mit Lehm, weil es eine Sünde ist, die

Bö-Bäume zu verletzen, indem man Stücke ihrer Rinde herausschneidet.«

»Nun, wenn auch Bambus da ist, so haben wir noch lange kein Floß. Unsere wenigen Riemen reichen nicht, um die vielen Stöcke, die erforderlich sind, uns alle und die Pferde zu tragen, zusammenzubinden.«

»Hier wachsen Weiden genug. Weiden sind vorzügliches und haltbares Flechtmaterial. Man muß nur damit umzugehen verstehen.«

»Eben«, lachte Michel. »Daran wird es fehlen. Oder meinst du, daß unsere Freunde je ein anständiges Flechtwerk zustande bringen würden?«

»Nicht alle. Aber dein langer Freund hat geschickteFinger. Und der Kleine, der mit euch im Gefängnis saß, sieht auch nicht aus, als wäre er ein unpraktischer Mensch. Gib mir die beiden zur Hilfe, und morgen früh ist das Floß fertig.« Der Pfeifer sah ihn mißtrauisch an.

»Du, der Radscha von Bihar, willst mit deinen eigenen Händen helfen, ein Floß zu bauen?« »Ich war nicht immer Radscha. Und ich war auch nicht immer Prinz. Ich bin auf einem Dorf aufgewachsen und habe viele praktische Dinge gelernt.« Michel nickte und sprang vom Pferd.

»Gut, dann laßt uns gleich an die Arbeit gehen. Auch ich werde helfen. Bambusrohre zusammenlesen oder schneiden können alle.«

Er wandte sich in spanischer Sprache an Ojo und erklärte ihm, was jetzt zu tun war. »Si, Senor Doktor«, nickte Ojo eifrig. »So brauche ich also nicht durch das Wasser zu schwimmen?«

»Nein, amigo, du sollst dem Radscha nur ein wenig helfen.« »Das tu ich gern«, freute sich Ojo.

Die ganze Gesellschaft beschäftigte sich nun damit, Bambusrohre zu schneiden und zusammenzutragen.

Als der Morgen graute, waren zwanzig Bambusteppiche auf kunstvolle Weise zu einem festen, elastischen Körper verbunden, der eine Länge von zwanzig Metern, eine Breite von fünf Metern und eine Höhe von einem halben Meter hatte.

Als die Sonne rosig über dem Horizont aufging, trieb das Floß bereits im Fluß. Mit langen Bambusstangen zwangen die Männer es über die Strömung hinweg. Dennoch konnte man nicht verhindern, daß es weit, weit abtrieb. Nach anderthalb Stunden Fahrt stellte man erschrocken fest, daß man sich bereits dem Megna-Arm des Deltas näherte. Die Wasser flössen immer langsamer.

Stineway hatte eine Karte bei sich. Sie war zwar primitiv, gab jedoch einen ziemlich genauen Überblick über ganz Bengalen.

»Teufel«, rief er, »wenn das Floß hält, so haben wir das Klügste getan, beziehungsweise so hat der Fluß mit uns das Klügste getan, was er tun konnte. Sind wir erst im Delta, dann brauchen wir den anderen Fluß nicht mehr zu überqueren; dann sind wir in Kumilla und können ohne Hindernisse unseren Weg fortsetzen.«

Der Pfeifer betrachtete die Karte und wandte dann den Blick zum Ufer. Es mochten immerhin noch zweitausend Meter sein, bis man es erreicht hatte; denn der Wasserarm hatte an dieser Stelle eine Breite von vielleicht sechs Meilen. Man konnte fast den Eindruck haben, als sei man bereits auf dem offenen Meer.

»Wir haben es gleich geschafft«, rief Marina freudig und klopfte beruhigend den Hals ihres Pferdes.

Nicht so zuversichtlich schien Tscham zu sein. Er kniete am Rand des Floßes und überprüfte die Borken- und lehmbestrichenen Enden der Bambusrohre. Michel beobachtete ihn und sah Besorgnis in seinem Gesicht. »Was ist?« fragte er.

»Wir müssen uns beeilen«, war die kurze Antwort.

Aber die Staklatten fanden hier noch keinen Grund. So blieb nichts übrig, als sich noch treiben zu lassen und auf die Gnade eines Höheren zu hoffen, der auch die Strömungen lenkte. Langsam bemerkten auch die anderen, daß nicht mehr alles so rosig war, wie es aussah. Fernando rief plötzlich erschrocken :»Por Dios, wir sinken.« »Was sagt er?« fragte Stineway die Gräfin. »Er meint, daß wir sinken.«

»Wir gehen unter?« Stineway riß entsetzt die Augen auf. Seine Zähne schlugen plötzlich aneinander, und sein Gesicht wurde kalkweiß.

»By God, ich kann ja nicht schwimmen«, flüsterte er.

»Oh, das macht nichts«, tröstete ihn Marina. »Euer Gaul wird es dafür um so besser können.«

»Ja, wenn er mich aufsitzen läßt!«

»Wenn er nicht will, dann setzen wir Euch drauf.«

Der Korrespondent nahm sich zusammen. Er war kein Held; aber er wollte auch nicht feige erscheinen. Seine Miene wurde jetzt so gleichgültig wie möglich. Er zog sogar eine alte Stummelpfeife heraus, stopfte sie sorgfältig mit Tabak und setzte sie in Brand. »Ihr seid noch nicht oft in gefährlichen Situationen gewesen, Mr. Stineway, wie?« Stineway zog den Rauch tief ein.

»Well«, meinte er bedächtig, »nicht in so lebensgefährlichen; aber wenn ich mein Leben so überblicke, dann muß ich sagen, daß ich des öfteren schon große Angst hatte, zum Beispiel vor meinem Verleger. Es bleibt sich nämlich ziemlich gleich, ob die Haifische im Wasser schwimmen oder hinterm Schreibtisch sitzen. — Na ja, angenehm ist es gerade nicht zu wissen, daß man in solchen Augenblicken wie jetzt ausschließlich auf seinen Gaul angewiesen sein kann.«

Zwei Männer hatten einen Schrei ausgestoßen. Tscham, der die Gefahr am besten ermessen konnte, hatte sich die Kleider vom Leib gerissen und war in den Fluß gesprungen. Jetzt faßte er das Floß und versuchte es mit kräftigen Schwimmstößen der Beine dem Ufer zuzubewegen. Aber die Kräfte des tapferen Jungen reichten bei weitem nicht aus. Der Pfeifer war der nächste, der seinem Beispiel folgte. Bald standen nur noch Marina und Stineway auf dem Floß. Das ungefüge Fahrzeug gab dem vereinten Druck der Männer nach. Meter um Meter bewegte es sich uferwärts. Nach einer Stunde schwamm es im ruhigeren Küstengewässer. Tscham ließ los und tauchte. Nach einer Weile kam er prustend wieder an die Oberfläche. »Es ist noch zu tief«, rief er. »Wir können noch nicht staken.«

Das Wasser drang bereits zwischen den Bambusrohren an die Oberfläche des Floßes. Es konnte sich nur noch um Minuten handeln, bis auch aus den oberen Lagen die Lehmpfropfen weggespült waren. Freilich, das leere Floß hätte sich noch stundenlang auf dem Wasser halten können. Aber die unruhigen Hufe der scheuenden Pferde taten ein übriges, um es unter die Oberfläche zu bringen.

»Ich habe schon nasse Füße«, sagte Stineway.

Marina nahm eine Stakstange auf und drückte sie ihm in die Hand.

»Versucht immer wieder, ob Ihr Grund erreicht. Ich helfe den anderen.«

Ohne der Männer zu achten, warf auch sie die Kleider ab und landete mit einem Hechtsprung neben Michel.

Weiter ging es, dem Ufer zu.

Das Wasser spielte bereits um die Hufe der Pferde. Einige wieherten. Kleidungsstücke trieben vom Floß.

»Haltet die Kleider fest, Mr. Stineway«, rief Marina. »Legt sie auf den Rücken der Tiere, bevor sie völlig durchnäßt oder abgetrieben sind.«

Stineway balancierte in einer Hand die Stange undsammelte hastig die Sachen ein. Dann stand er wieder auf seinem Posten.

Eine weitere Minute verstrich. Millimeter um Millimeter versank das Floß. »Grund«, jubelte die Stimme Stineways. »Ich habe Grund.«

Michel, Ojo, Jardin, Tscham und Fernando zogen sich hinauf und griffen nach den Stangen. Im Schweiße ihres Angesichts arbeiteten sie sich vorwärts.

Hundert Meter noch — — fünfundsiebzig — — fünfzig — — und da geschah das Unglück. Alle standen sie bis zum Hals im Wasser. Das Floß war abgesackt. »Haltet die Pferde«, rief Michel. »Sie dürfen uns nicht durchgehen.« Jeder tat, was er konnte.

Stineway stieß gurgelnde Laute aus und ruderte mit den Armen in der Luft. Es sah aus, als kämpfe er verbissen um sein Leben. Plötzlich kam ein Ruf von seinen Lippen.

»Himmel, wo ist meine Pfeife--die Pfeife ist weg--meine schöne Pfeife!«

Er fand Halt am Hals seines Pferdes, das sanft war wie ein Lamm. Es lief durch das Wasser und schleppte seinen Herrn bis auf den Strand. Nach und nach kamen auch die anderen ans Ufer.

Glücklicherweise schien die Sonne. Als das Notwendigste — so das Ausbreiten der naßgewordenen Sachen — getan war, sanken die meisten erschöpft zusammen und schliefen sofort ein.

Michel nahm seinem Pferd den Sattel ab und bettete Marinas Kopf darauf. Die Frau hatte sich ein wenig zuviel zugemutet. Sie schlief wie eine Tote.

»Mein Freund«, sagte Tscham, »jetzt endlich habe ich Gelegenheit, dir für alles zu danken, was du für mich getan hast. Ich weiß, daß ich nur durch dich meine Freiheit wiedererlangt habe.« Michel schaute ihn verwundert an.

»Du irrst dich, Tscham. Sicher, ich hätte alles getan, dich aus dem unwürdigen Loch herauszuholen; aber ich hatte keine Möglichkeit dazu. Daß der Prozeß zu deinen Gunsten ausgegangen ist, hast du einem anderen mutigen Mann zu verdanken.« Tscham blickte ihn fragend an. »Wem?«

»Diesem da.« Michel deutete auf den schlafenden Stineway. Tscham öffnete den Mund vor Staunen.

»Dem langen Engländer, der sich auf dem Floß so dumm angestellt hat? Du hältst ihn für mutig?«

»Auf seine Weise ist er ein tapferer Kerl. Er gibt auch einen anderen Mut als den, mit dem Heldentaten vollbracht werden. Mr. Stineway ist kein Held. Und er würde wahrscheinlich furchtbar lachen, wenn man ihn als solchen bezeichnen wollte. Aber er hat eine viel wichtigere Eigenschaft als Heldenmut und Todesverachtung. Er hat Zivilcourage. Diese Art des Mutes findet man auf der Welt viel, viel weniger als tapfere Generale und heldenmütige Ritter.« »Zivilcourage? Verzeih, ich kann mir unter diesem Begriff nichts Rechtes vorstellen.« »Wir haben ja Zeit. Ich will es dir erklären. Und ich will dir auch schildern, auf welche Weise dich der tapfere Mann aus den Klauen der Ostindien-Kompanie befreit hat.« Michel berichtete alles, was er wußte. Der Radscha lauschte seinen Worten mit Aufmerksamkeit.Als der Pfeifer geendet hatte, fragte er:

»Hat auch der englische König oder haben seine Generale vor einer Zeitung Angst?« »Wenn sie ein gutes Gewissen haben, dann brauchen sie keine Angst zu haben.« Es war Mittag geworden. Die ersten Schläfer erwachten. Der Pfeifer hielt die Zeit des Aufbruchs für gekommen. Er weckte die anderen.

»Habt Ihr meine Pfeife nicht gesehen?« fragte Stineway, noch schlaftrunken.

»Sie scheint Euch teurer zu sein als Euer Leben«, lachte Michel. »Ich kann Euch leider nicht helfen. Sie wird wohl längst im offenen Meer schwimmen.«

»Traurig«, sagte Stineway wehmütig, »wirklich traurig. Sie war das letzte Andenken an meine Mutter. Ich hätte sie nicht rauchen sollen.«

Er wandte sich ab, und Michel sah, wie er sich heimlich mit dem Handrücken über die Augen fuhr.

Ein Mensch, dachte Michel, — wenn es doch viele von dieser Art gäbe! Eine halbe Stunde später brachen sie auf.