158366.fb2
Hagemann gähnte, schloß die Tür ab, schärfte dem indischen Wächter ein, kein Auge vom Lagerhaus zu lassen, und schwang sich auf sein Pferd, um zum Herrenhaus zu reiten, wo er wohnte.
Er beeilte sich nicht sonderlich. Die Nacht war kühl und klar. Die Stille und Einsamkeit taten dem fünfunddreißigjährigen Deutschen wohl.
Er suchte seine kleine Wohnung auf, schnitt von einem harten Laib Brot einige Scheiben herunter und verzehrte sie trocken. Abends fehlte ihm stets die Lust, sich ein vernünftiges Essen zuzubereiten.Bald stand die Whiskyflasche auf dem Tisch. Aber eigenartig, das scharfe Getränk schmeckte ihm heute weder verdünnt noch unverdünnt. Nach dem ersten Schluck schüttelte er sich und spie auf den Boden.
»Teufel«, meinte er zu sich selbst, »es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, darüber hilft einem auch kein noch so starker Whisky weg.«
Dieses Ding zwischen Himmel und Erde war in seinem Falle Katje, die fünfundzwanzigjährige Tochter des Pflanzers, ein hübsches, frisches Mädel, das nur durch die Bodenplanken des ersten Stockwerks von ihm getrennt war. Ja, Katje van Groot schlief unter ihm. Die Decke ihres Zimmers, die den Boden des seinigen bildete, war aber auch der bisher einzige Berührungspunkt der beiden Menschen.
»Und ich würde den Teufel für sie aus der Hölle holen«, fuhr Hans Hagemann in seinem Selbstgespräch fort. »Ja, den Teufel aus der Hölle oder alle Muskatnüsse von den Bäumen.« Er erhob sich. Es hielt ihn nicht in der Dumpfheit seiner Behausung.
Er verließ das in hellem Rosa gehaltene Herrenhaus und wandte sich der Küste zu. Ein längerer Spaziergang würde ihm wahrscheinlich guttun.
Die Rohre der Kanonen, die über die Festungsmauern des Forts Nassau ragten, grüßten mit stummen Mündern die Nacht. Man hätte den Gruß auch als Drohung auffassen können. Hans Hagemann ging vorbei. Seine Blicke waren nach oben gerichtet, suchten aber die hellen Sterne und verweilten nicht an den bronzenen Rohren. Er hatte die Hände auf dem Rücken gefaltet. Tief sog er die reine Luft in die Lungen.
Unter ihm lag das Meer. Fünf Meter fiel die schroffe Küste ab. Die leichte Brandung brauste. Es war ein erholsamer Spaziergang.
Plötzlich ließ ihn ein Geräusch stehenbleiben. Klangen da nicht Ruderschläge durch die Nacht? Hans Hagemanns Neugier erwachte. Er zog sich hinter ein Oleandergebüsch zurück und beobachtete die See.
Richtig, da kam ein mit fünf Leuten bemanntes Boot durch die Brandung geschossen — unmittelbar auf die Steilküste zu.
Was wollten diese Männer an dieser Stelle des Ufers, wo sie doch nicht landen konnten? Weshalb fuhren sie nicht in den Hafen von Banda ein? Waren es etwa Schmuggler? Und wenn? Was gab es hier zu schmuggeln? Muskatnüsse natürlich, was sonst?
Hans Hagemann unterdrückte in letzter Sekunde einen Fluch, der ihm schon auf der Zunge lag; denn fast hätte ihn ein halbnackter Mann umgerannt. Aber kurz vor ihm machte er eine Schwenkung und rannte am Gebüsch vorbei. Er hatte den einsamen Wanderer nicht erblickt. Der Deutsche schob die Sträucher vorsichtig auseinander, um besser sehen zu können.
Donnerwetter, dieser Halbnackte war kein anderer als Mutatulli! Jetzt blieb er stehen und rief in die Nacht hinaus. Die Hände hatte er trichterförmig um den Mund gelegt. Das Boot war vom Standort Hagemanns aus nicht mehr zu sehen. Es mochte jetzt dicht unter der Küste liegen.
Die in englisch gegebene Antwort bewies die Richtigkeit dieser Annahme. Der Lauscher konnte die Worte verstehen.»Mutatulli?« klang es fragend vom Wasser her. »Yes, Mr. Hassan. Habt Ihr das Geld?« »Ja.«
»Wieviel?« fragte Mutatulli. »Zehn Gulden.«
»Zuwenig. Ich habe ein ganzes Pfund.«
»Well, ein Pfund kostet gemeinhin nicht mehr als einen Gulden. Es wäre also der zehnfache Preis.«
»Trotzdem«, rief Mutatulli, »Ihr müßt an die Gefahr denken in der ich schwebe, wenn ich ungeleimte Nüsse stehle.«
»Also gut, fünfzehn Gulden. Wirf den Sack herunter.« Es herrschte Schweigen.
Hagemann konnte erkennen, wie Mutatulli eine werfende Bewegung mit dem rechten Arm ausführte. Dann stand er eine Weile beobachtend und abwartend da.
»Achtung«, klang es vom Boot her, »ich werfe das Leinensäckchen mit dem Geld hinauf. Paß auf, daß du es nicht verfehlst.«
Etwas kam geflogen und fiel dicht neben dem Muskatnußsklaven zu Boden. Mutatulli hob es auf, öffnete es und zählte den Inhalt. Er nickte und rief dann:
»Gut, Mr. Hassan, es stimmt.«
»Wann kommt die nächste Lieferung, Mutatulli?«
»Weiß noch nicht, wann es möglich wird. Ich befestige den Lappen wie üblich am Ufer.« Mutatulli blickte sich nach allen Seiten um und verschwand dann, flink wie ein Wiesel, in Richtung der Sklavenhütten.
Zu gleicher Zeit gewann das Boot die offene See und entschwand den Blicken des Beobachters. »Toll«, murmelte Hagemann vor sich hin und stand unschlüssig da.
Sollte er zu Mutatulli gehen und Rechenschaft von ihm fordern? Oder sollte er zuerst mit dem Pflanzer sprechen?
Er sagte sich, daß ein gewisses Verschulden auch ihn selbst treffe. Er hätte die geleimten Nüsse trotz seiner Müdigkeit wiegen müssen. Er war nachlässig gewesen.
Hans Hagemann setzte seinen Spaziergang fort. Er hatte sich, als er eine Stunde später wieder in seiner Wohnung war, dazu entschlossen, das Erlebte vorerst für sich zu behalten, Mutatulli aber nicht mehr aus den Augen zu lassen. —
Am nächsten Abend, als die Sklaven nach Sonnenuntergang die Nüsse zum Leimen ins Lagerhaus brachten, blickte Hagemann dem Kommenden gespannt entgegen. Kein Auge ließ er von den Burschen. Die stets um diese Zeit aufkommende Müdigkeit unterdrückte er mit Energie. Aber es geschah nichts. Heute nicht, am nächsten Tage nicht, und der übernächste war ein Sonntag.
Sonntags brauchten auf Banda auch die Sklaven nicht zu arbeiten. Im Gegenteil, sie sollten ruhen, um dem Wort Gottes lauschen zu können, das der Pfarrer ihnen in einer eigens für sie errichteten hölzernen Kapelle predigte.
So verwunderlich es war: die meisten der Sklaven waren schon in der zweiten und manche sogar in der dritten Generation Christen. Trotzdem wurden sie geprügelt, wenn sie sich etwas zuschulden kommen ließen. —
Mutatulli saß an diesem Sonntag unter seinem Dach aus Palmenblättern. Er hielt es noch mit den heidnischen Göttern. Verächtlich blickte er auf seine christlichen Leidensgefährten hinab. Wie konnten sie sich zu einem Gott bekennen, dessen Anhänger Menschen kauften und verkauften? Mutatulli war unverheiratet. Unter den Sklavenmädchen hatte er keines gefunden, das ihm würdig erschienen wäre, Frau eines Häuptlings zu sein.
Mutatulli hegte den Plan, eines Tages auf und davon zu gehen. Dazu aber brauchte er Geld; denn sein Weg würde durch die Ansiedlungen von Weißen führen. Aber nicht nur die Weißen wollten für Gegenleistungen Geld, sondern auch die halbzivilisierten Eingeborenen gewährten keine Gastfreundschaft mehr ohne Bezahlung.
Der Häuptling grub jetzt neben seiner Feuerstelle in der Erde. Bald brachte er einen Lederbeutel zum Vorschein, der schwer in seiner Hand wog.
In Banda tauchten oft ausländische Kaufleute auf, die so taten, als wollten sie mit den Holländern Geschäfte machen. In Wahrheit aber trachteten sie danach, unge-leimte Muskatnüsse in die Hände zu bekommen. Überall in der Welt zahlte man hohe Preise für lebenden Muskatnußsamen, der zu Keimlingen werden konnte. Die Kaufleute zahlten Bestechungssummen an jeden, der ungeleimte Nüsse herbeischaffte. Und Mutatulli war zur Zeit wohl der einzige, der den Diebstahl wagte.
Wurden die Sklaven auch im allgemeinen human behandelt, so hörte bei den Pflanzern und auch bei den Beamten der Kompanie jedes menschliche Empfinden auf, wenn jemand versuchen wollte, das Muskatnußmonopol zu brechen. Aus jeder zweiten ungeleimt verkauften Nuß wurde irgendwo in der Welt ein ganzer Baum. Die Folge davon war, daß der Preis fallen mußte. Man kannte also kein Erbarmen für Muskatnußdiebe. —
Mutatulli öffnete den guldenschweren Beutel und fügte die Summe, die er vor drei Tagen von Hassan erhalten hatte, hinzu.
Noch fünf, sechs Pfund würde er entwenden müssen, um dreihundert Gulden zu besitzen. Damit konnte er bei großer Sparsamkeit die Reise in sein Stammesgebiet antreten. Er vergrub den aufgefüllten Beutel wieder an derselben Stelle. Dann verließ er seine Hütte und schlich zur Küste, wo er sich, hinter einem Gebüsch verborgen, daran machte, den zur Flucht von den Inseln benötigten Baumstamm in unermüdlicher Arbeit auszuhöhlen. Sein einziges Werkzeug war ein Messer, das er sich vom Ertrag seines ersten Diebstahls gekauft hatte. Zwei Jahre arbeitete er bereits an dem Einbaum. Bald hoffte er fertig zu sein. Sonst brannte man die gröberen Teile einfach aus dem Baum; aber der Häuptling konnte es nicht wagen, hier ein Feuer zu entfachen. Und so mußte das Messer genügen. Die Ausleger waren schon lange fertig. Sie brauchten nur noch am Fahrzeug vertäut zu werden.