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Die kleine Flottille hatte die Bengalische See durchpflügt. »Trueno«, »Mapeika« und »Dimanche« hatten sich von Akjab abgesetzt und Richtung auf Insulinde genommen. Man wollte die Gefilde der Britischen Ostindien-Kompanie möglichst weit hinter sich bringen, da Michel befürchtete, daß Sir Warren Hastings vielleicht doch noch den Befehl gab, sie zu verfolgen.
Zudem hatte Don Hidalgo in einer Matrosenkneipe in Akjab in Erfahrung gebracht, daß die britische Fernostflotte zu einem Manöver in die Bengalische See ausgelaufen war. Da die Bauart und das Aussehen der »Trueno« zu bekannt waren, hatte auf Michels Veranlassung die »Dimanche« die Spitze übernommen. Die »Trueno« fuhr als zweite, und die »Mapeika« bildete die Rückendeckung.
Seit es notwendig geworden war, sich wieder um denLebensunterhalt für die Mannschaften der Schiffe zu kümmern, hatte Kapitän Porquez vorgeschlagen, das Gebiet von NiederländischIndien zu befahren, um auf diese Weise neue Einnahmequellen zu erschließen. Porquez kannte viele Kapitäne, die durch Muskatnußfrachten reiche Leute geworden waren. Von ihm ging der Vorschlag aus, die Banda-Inseln anzulaufen, um dort vielleicht Fracht zu bekommen.
Die drei Schiffe waren ohne großen Schaden durch den Sturm gekommen. Der Segler, den Mutatulli und Karo, der Schäferhund, hatten vorüberfahren sehen, war die »Dimanche«. Die Leute hatten die Schiffbrüchigen nicht bemerkt.
Erst Ojos scharfes Auge konnte den beweglichen Punkt in der Ferne durch Zufall erspähen, als die »Trueno« vorübersegelte.
So waren Mutatulli und Karo gerettet worden. —
»Wie lange brauchen wir noch bis Banda?« fragte der Pfeifer den Steuermann.
Senor Virgen nahm einen Zirkel und maß die Entfernung von ihrem Standort bis zum Hafen der Insel.
»Es mögen noch rund hundert Meilen sein«, gab er dann Auskunft. »Also morgen im Lauf des Vormittags«, nickte Michel.
Der Nachmittag war wunderbar. Die Sonne lachte vom blauen Himmel. Michel Baum ging langsamen Schrittes an der Reling spazieren.
Er hatte viel Zeit gehabt zum Nachdenken. Fast zwei Monate waren seit den letzten Abenteuern vergangen. Der Pfeifer verspürte Sehnsucht nach Land. Er mochte nicht dauernd die schwankenden Planken eines Schiffes unter sich spüren. Und einmal mußte diese Irrfahrt doch zu Ende gehen. Aber das war es nicht allein.
Da war Marina. Ihre ständige Nähe machte Michel schwer zu schaffen. Oft mußte er sich gewaltsam zurückhalten, um Marinas Leidenschaft zu entgehen.
Die unglückliche Frau schien nur noch von dem Gedanken besessen zu sein, auf dieser Reise eine Entscheidung um jeden Preis herbeizuführen. Michel aber zwang sich dazu, stets an die Braut zu denken, die er vor nunmehr fünf Jahren in Deutschland hatte zurücklassen müssen. In diesem Zusammenhang drängte sich ihm der Gedanke an den Grafen Eberstein auf, der an all dem, was ihm seit 1773 geschehen war, die Schuld trug.
Ein Gefühl des Zorns bemächtigte sich seiner jedesmal, wenn er daran dachte, daß jener Eberstein vielleicht schon längst der Mann Charlotte Ecks war. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte der Graf ja Ränke genug gesponnen.
»Senor Doktor«, unterbrach eine Stimme seine Gedanken.
»Ja, Diaz, was gibt's?« Er drehte sich um.
Ojo fuhr sich durch den schwarzen Bart, bis er das Kinn erreichte, an dem er sich mit Ausdauer kratzte.
»Eigentlich nichts, Senor Doktor. Ich dachte nur daran, wie sehr ich durch Euch zu einer Landratte geworden bin. Ich habe oft darüber nachgedacht, was werden soll, wenn Ihr das Stromerleben einmal satt habt.« »Bueno, amigo, daran denke ich den ganzen Tag.«
»Ja, bloß bei Euch ist das anders. Ihr braucht niemanden. Ihr seid — wie soll ich sagen — innerlich so unabhängig.«
»Sprich dich aus, Diaz. Worauf willst du mit deiner Fragerei hinaus?«
Ojos Hand fuhr verlegen vom Bart zum Hinterkopf. Sie brachte seine dichte Mähne in Unordnung.»Wißt Ihr--es ist gar nicht so leicht. Ihr werdet mich vielleicht für einen Schwächling halten. Aber ich wollte Euch bloß sagen, daß ich gern auf die christliche Seefahrt verzichte, wenn ich nur immer bei Euch bleiben könnte.«
Auf des Pfeifers Gesicht stahl sich ein Lächeln. Er reichte dem spanischen Riesen seine Hand hin und meinte:
»Bueno, amigo, diesem Vorschlag stimme ich zu. Ich wollte dich auch immer schon einmal fragen, ob wir nicht besser zusammenbleiben. Aber ich dachte, das hätte noch Zeit; denn vorläufig ist ja ein Ende des Stromerlebens, wie du es nennst, noch gar nicht abzusehen.«
Ojo ergriff die dargebotene Rechte und schüttelte sie kräftig. Sein Gesicht strahlte. Seine weißen Zähne blitzten durch den schwarzen Bart.
»Gracias, Senor Doktor, muchas gracias.«
Er drehte sich um und ging wieder an seine Arbeit.
In diesem Augenblick kam Marina an Deck. Sie stellte sich neben den Pfeifer an die Reling. Als eine ganze Weile vergangen war, fragte sie: »Was soll nun werden?« »Ja — — was — —«
Beide schwiegen. Jeder wartete darauf, daß der andere das Gespräch eröffnen würde. Endlich — das Schweigen lag schon wie eine Last auf ihnen — fragte Michel: »Habt Ihr denn schon darüber nachgedacht, was werden soll?«
»Ja, schon tausendmal. Und Ihr kennt meine Gedanken. Ihr wißt Bescheid über das einzige Ziel, was mir noch erreichenswert erscheint.«
»Das meine ich nicht, Marina. Die wesentliche Frage ist, bleibt Ihr Kapitänin Eures Schiffes — oder wollt Ihr die Seefahrt aufgeben?«
»Für Euch gebe ich die Seefahrt, die »Trueno« und mich selber auf. Ihr wißt das, Miguel.« »Laßt mich etwas Ernsthaftes dazu sagen, Gräfin. Ihr seid rechtlich und kirchlich die Frau des Grafen Esteban de Villaverde y Bielsa. Ihr seid katholisch. Nach dem kanonischen Recht ist Eure Ehe unauflöslich. Kehrt zu Esteban zurück. Wie ich ihn kenne, wird er keine Minute zögern, Euch wieder aufzunehmen.« »Wollt Ihr, daß man mich in Spanien hängt?« »Unsinn. Ihr wißt, daß das, solange ich lebe, nie geschehen wird. Ihr braucht ja nicht offiziell zu Euerm Mann zurückzukehren. Gebt mir eine Botschaft an ihn, und ich bringe ihn auf das Schiff. Dann könnt ihr gemeinsam nach Amerika segeln, um dort ein neues Leben zu beginnen. Und es wird nicht einmal ein beschwerliches Leben sein; denn Euer Mann verfügt über genügend Mittel.«
Marina starrte in die sinkende Sonne. Unvermittelt lachte sie auf.
»Es ist kaum zu glauben, daß man sich von einem Mann wie Euch so unsinnige Vorschläge anhören muß. Mein ganzes Sein drängt zu Euch. Ihr wäret der einzige Mensch, dem ich mich unterwerfen würde. Wie ein Sklave oder wie ein Hund würde ich Euch dienen. Und wenn Ihr mich treten würdet, ich würde Euch die Füße küssen!«
Blitze sprühten aus ihren Augen. Ihre Hände waren um die Reling gekrampft, daß die Knöchel weiß hervortraten. Ihre Lippen zitterten. Es war, als ob sie ein Fieber schüttelte. »Marina«, sagte Michel eindringlich, »kommt zu Euch! Was Ihr da gesagt habt, glaubt Ihr selber nicht.«
»Doch! Doch! Doch!« schrie sie.»Nein«, sagte Michel hart. »Ich habe Euch bereits früher gesagt, daß die Welten, in denen wir leben, zu verschieden sind. Und jedesmal, wenn Ihr außer Euch geratet, bestätigt Ihr das aufs neue.« »Versuchen«, sagte Marina leise, »laßt es uns doch versuchen.«
Michel wandte den Blick ab und starrte aufs Meer hinaus. Was sollte er dazu sagen? Wußte er doch genau, daß dieser Versuch für beide wahrscheinlich den Untergang bedeutete. Ja, er hatte schon lange gespürt, daß auch er Marina liebte. Aber noch hatte der Verstand die Oberhand. Er wollte sich nicht in unlösbare Verwirrungen verstricken, nicht, bevor er sich durch Augenschein davon überzeugt hatte, was mit Charlotte Eck geschehen war. Er war Arzt. Und als solcher mußte er versuchen, Marinas immer größer werdende Verkrampfung zu lösen und ihre Seele zu heilen. Solche Patienten behandelte man am besten durch eine Schockwirkung. Er sammelte sich. Alles in ihm war Wachsamkeit. Mit einem plötzlichen Ruck wandte er sich ihr wieder zu und stieß hart heraus :
»Ich liebe Euch nicht, Marina. Ich werde Euch nie lieben können. Ich muß dies einmal deutlich sagen.«
Marinas Augen wurden groß. Die Iris schillerte. Die Pupillen waren wie zwei Flammen. Dann entspannte sich ihr Gesicht. Ein spöttisches Lächeln spielte um ihre Lippen. Sie richtete sich zu voller Größe auf, machte eine wegwerfende Handbewegung und sagte: »Fischblut.«
Dann drehte sie sich um und ließ den Pfeifer stehen.