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Der Pfeifer besprach mit Marina die Verteilung der Fracht auf alle drei Schiffe. Sie hatten die Kapitäne zusammengerufen und hörten sich die Ratschläge der erfahrenen Seeleute an. Während sie noch im Gespräch waren, trat Ojo in die Kapitänskajüte und meldete einen neuen Ankömmling, der entweder den Kapitän oder den »Admiral« zu sprechen wünschte. »Was will der Mann?« fragte Michel.
»Davon hat er nichts gesagt. Er ist zwar angezogen wie ein Europäer, sieht aber aus wie ein Araber oder Türke. Er sagte, es sei dringend, Senor Doktor.« »Bien, Diaz, führ' ihn in meine Kajüte.«
»Wahrscheinlich hagelt es heute nur so Muskatnußangebote«, sagte Michel lachend. »Vielleicht unterbietet der Araber den Preis des Holländers. Nun, wir wollen uns anhören, was er zu sagen hat. Begleitet Ihr mich, Marina?« Marina nickte und fragte:
»Sollten wir nicht Ibn Kuteiba bitten, zugegen zu sein? Er durchschaut seine Landsleute wahrscheinlich besser und schneller als wir.« Sie lächelte. »Bei Allah«, Ibn Kuteiba schlug sich auf die Schenkel.
»Ihr dürft mich nicht für den Besitzer von Aladins Wunderlampe halten. Ich bin auch nur ein Mensch. Aber Interesse für den Besuch habe ich schon.« Sie gingen.
Der Besucher blickte überrascht von einem zum anderen, als sie des Pfeifers Kabine betraten. Besonders verblüfft war er über die Anwesenheit einer Frau, einer schönen Frau noch dazu. Er verbeugte sich nach europäischer Sitte und fragte höflich: »Good morning. Do you speak English?«
»Es-salam alejkum«, sagte Michel. »Wir hoffen, Allah hat dir eine gute Reise beschert!« »Maschallah! Wallah! Taliah! Welch eine Freude zieht in mein Herz, daß mir der Prophet beschert hat, in dieser trostlosen Ecke rechtgläubige Söhne des Islam zu finden!« Michel lachte.
»Nicht jeder, der Arabisch spricht, ist ein Muslim. Was ist dein Begehr, Sahabati? Wie nennst du dich?«
»Ich bin der Händler Hassan«, lächelte der Araber. »Und ich wohne auf einer kleinen Banda-Insel. Es hat sich bereits im ganzen Archipel herumgesprochen, daß die Handelsflotte einer fränkischen Nation, deren Flagge bisher auf den Meeren noch unbekannt war, nach Banda gekommen ist, um Muskatnüsse zu kaufen. Gestattest du eine vertrauliche Frage?« »Sprich sie aus, Hassan Sayd.«
»Hat Allah dir schon Erfolg beschieden beim Einkauf?«
»Ja. Nicht lange bevor du kamst, habe ich von dem Pflanzer van Groot vierzig Tonnen gekauft.«
Hassans Blick wurde lauernd.
»Zu welchem Preis?« fragte er gespannt.
»Neunzig Cent das Pfund.«
»Der Halsabschneider«, entfuhr es Hassan.
Der Pfeifer sah den Händler erstaunt an.
»Bist du sein Konkurrent?«
»Allah verbietet, daß man sich mit solchen Leuten in einen Konkurrenzkampf einläßt.« »Weshalb?«
»Nun, ich will aufrichtig sein. Neunzig Cent ist ein Unterpreis, zu dem nur der Händler liefern kann, dessen Unkosten durch unbezahlte Sklaven tief genug gehalten werden können. Das Gebot ist in ganz Banda nicht zu schlagen. — Nur frage ich mich, weshalb willst du dein Schiff mit vierzig Tonnen beladen, wenn du doch dieselbe Wirkung mit vierzig Pfund erzielen kannst?« »Du mußt entschuldigen, Hassan Sayd; aber mein Verstand reicht nicht so weit, um zu verstehen, was du meinst.«
Hassan streckte die Hände vor, wiegte bedächtig das Haupt und drehte die Finger.
»Ja, Sayd, ich glaube, daß ich etwas deutlicher werden muß, um dich verstehen zu lassen. Sieh einmal, wenn du vierzig Pfund Muskatnüsse in die Erde steckst, dann werden daraus mindestens eintausendzweihundert Bäume. Nach fünfzehn Jahren wird jeder Baum zweitausend neue Nüsse tragen. Das sind zusammen etwa achtzigtausend Nüsse oder vierzig Tonnen. Wäre es da nicht einfacher, vierzig Pfund zu kaufen und fünfzehn Jahre zu warten? Dann hast du in verhältnismäßig kurzer Zeit so viele Muskatnüsse, daß du auf den Handel mit Banda nicht mehr angewiesen bist.«
Michel blinzelte den Fremden an.
»Die Söhne des Propheten waren immer gute Händler«, sagte er. »Es wäre töricht, sich deinen Gründen zu verschließen; aber in deiner Rechnung fehlen zwei Faktoren. Erstens wachsen Muskatnüsse nicht in Frankistan, weil Boden und Klima nicht geeignet sind. Und zweitens braucht man zur Aussaat ungeleimte Nüsse — —«
»Um die ungeleimten Nüsse brauchst du nicht zu bangen, Sayd. Ich bin ja nicht an Bord gekommen, um dir Geschichten aus Tausendundeine Nacht zu erzählen! Die Nüsse wären zu beschaffen; aber wenn, wie du sagst, bei dir zu Hause Klima und Boden zur Aufzucht nicht taugen, dann brauchen wir nicht darüber zu sprechen.« Er griff nach seinem Fez und wollte sich verabschieden.
»Wartet«, sagte Ibn Kuteiba auf spanisch zu Michel, »wir sollten ein Geschäft wie dieses zumindest bedenken, bevor wir es ablehnen. Stellt Euch vor, wir könnten mit unseren Schiffen zu irgendeinem Fleckchen Erde fahren, das niemand gehört, und eine Aufzucht anfangen.
Vielleicht wäre das die Lösung unseres Problems schlechthin.«
Der Pfeifer nickte und wandte sich an Hassan.
»Was sollen die vierzig Pfund Nüsse kosten?«
Hassan wiegte den Kopf und tat, als wäge er jetzt erst den Preis ab.
»Sie sind wie pures Gold«, meinte er. »Wenn ich die Gefahren der Beschaffung einkalkuliere, so halte ich fünfhundert Gulden pro Pfund für nicht zu teuer.«
»Fünfhundert Gulden«, rief Michel. »Du solltest ein türkisches Schwitzbad nehmen, damit sich dein Geist wieder klärt!« Hassan zuckte die Schultern.
»Es war ja nur ein Angebpt. Es anzunehmen oder abzulehnen ist alles deine Sache, Sayd.« Michel wollte nicht ablehnen, denn was Ibn Kuteiba gesagt hatte, dünkte ihm richtig. Aber fünfhundert Gulden pro Pfund waren zwanzigtausend für vierzig Pfund. Man konnte heute noch nicht absehen, ob sichtatsächlich je eine Möglichkeit zur Verwirklichung des Planes auftat. Andererseits würden sich sicherlich genügend Käufer finden, die gut und gern das Doppelte zahlen.
Zumindest war der Vorschlag einer reiflichen Überlegung wert.
»Höre, Hassan Sayd, grundsätzlich habe ich gegen den Handel nichts einzuwenden; denn ich weiß nicht, woher sich solche Handelsgesellschaften wie die Ostindien-Kompanie das Recht auf derartige Monopole nehmen. Monopole treffen immer den Armen und bringen das Geld scheffelweise in die Taschen von Leuten, die ohnedies reich genug sind. Moralische Bedenken habe ich also nicht. Leider verfüge ich aber nur über einen geringen Geldbetrag, den ich vollständig aufbrauchen muß, wenn ich die vierzig Tonnen von van Groot abnehme. Dennoch bitte ich dich, mir zu sagen, wo ich dich eventuell erreichen kann. Du kannst versichert sein, daß wir gegen jedermann von deinem Angebot schweigen.« Hassan schien zwar nicht sehr begeistert, sagte aber dennoch :
»Wenn du dein Schiff zur Insel Resengain lenkst, so frage nur nach Hassan, dem Händler. Jeder Knabe kann dir Auskunft geben, wo ich zu finden bin.«