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Die »Dimanche« hatte nur wenige Segel gesetzt. Sie lag träge vorm Wind und hatte kaum Fahrt. Die Matrosen langweilten sich. Dort drüben lag die Stadt Akjab. Weshalb ließ man sie nicht an Land?
Es behagte ihnen überhaupt nicht, daß ein arabischerKapitän das Kommando über sie führte. Und dann dieser Steuermann, der zugleich die Stelle des Ersten und Zweiten Offiziers einnahm; er ließ keine andere Meinung gelten als die seine.
Sicher, die Matrosen waren angeheuert worden nach englischem Seerecht. Sie hatten ordentliche Heuerverträge unterschrieben, und sie bekamen ihre Heuer pünktlich. Dennoch, sie mochten diese Araber nicht. Sie waren Christen oder bildeten sich wenigstens ein, welche zu sein, und es war ihnen zuwider, sich von diesen Heiden etwas befehlen zu lassen. Daß der Steuermann, Ibn Kuteiba, ein gebildeter Mensch war und die europäischen Sprachen glänzend beherrschte, verstärkte nur noch ihren Widerwillen gegen ihn. Kein Mensch, der in der Einbildung lebt, zu einer höherstehenden Rasse zu gehören, gesteht einem »Minderwertigen« gern zu, daß dieser ihm überlegen sei.
Ibn Kuteiba und Abu Hanufa saßen in der Kapitänskajüte.
»Du spürst also auch, daß uns die Mannschaft nicht wohlgesinnt ist?« fragte Abu Hanufa. »Schon lange, Sayd. Aber deshalb brauchen wir sie noch nicht zu fürchten. Sie stehen ja durch Vermittlung der Ostindien-Kompanie in unseren Diensten. Und solange sie keinen Verdacht schöpfen, daß wir nicht mehr so ganz mit dieser Kompanie einverstanden sind, brauchen wir nichts zu fürchten. Besonders mutig sind sie ohnehin nicht.«
»Allah akbar«, seufzte der Kapitän. »Mir wäre wohler, wenn ich noch auf der »Trueno« wäre. Dort hatte man wenigstens Menschen um sich, von denen man wußte, was man von ihnen zu halten hatte.«
Fünf Tage noch mußten sie warten. Kamen der Pfeifer, Jardin und Ojo überhaupt wieder? War ihnen vielleicht doch etwas zugestoßen?
Abu Hanufa wäre am liebsten gleich aufgebrochen, um die »Trueno« zu suchen. Aber wenn den dreien in Kalkutta etwas zugestoßen war, wenn sie vielleicht gerade am letzten Tag der Wartezeit eintreffen würden, um mit der »Dimanche« zu fliehen, und die »Dimanche« war nicht da, was dann?
An Deck wurde es mit einemmal lebhaft. Ein Maat erspähte die beiden von Süden herankommenden Schiffe zuerst. Sie fuhren nebeneinander. Ein anderer Maat setzte ein Fernrohr an und beobachtete die Schiffe aufmerksam.
»Teufel!« schrie er. »Das eine ist der Türke, mit dem es neulich beinahe eine Seeschlacht gegeben hätte!« Tumult erhob sich.
»Verdammt, macht die Geschütze klar! Wo ist der Kapitän? Schweinerei, daß er nicht an Deck ist.« Neben der Wut bebte Angst in der Stimme des Schreiers.
Der Maat, der noch immer die näher kommenden Schiffe betrachtete, ließ verblüfft und erschrocken das Fernglas sinken.
»Du lieber Himmel«, meinte er, »der andere ist die »Trueno«. Die Türken werden sich doch nicht auch noch dieses Schiffes bemächtigt haben!« »Na, dann gute Nacht«, sagte sein Kamerad neben ihm.
Ibn Kuteiba und Abu Hanufa standen mittlerweile auf dem Kastell und blickten angestrengt durch ihre Gläser.
»Fliehen! — Fliehen!« scholl eine Stimme über Deck. »Den beiden sind wir nicht gewachsen!«
Der Tumult nahm panikartige Formen an.»Kannst du dir das Zusammentreffen der beiden erklären?« fragte Abu Hanufa.
»Nein, Sayd.«
»Was sollen wir tun?«
»Warten«, meinte Ibn Kuteiba kurz und treffend. »Die Männer werden wild.«
»Laß sie.--Da--da — jetzt steigen Wimpel am Signalmast.«
»Was winken sie?«
Ibn Kuteiba schwieg. Nur seine Lippen bewegten sich. Dann nahm er das Rohr vom Auge und schob es in aller Gemütsruhe zusammen.
»Die Gräfin kommt«, meinte er. »Und Porquez ist wieder Kapitän auf der »Mapeika«. Mustapha und seine Räuber sind tot.«
Jetzt war die Entfernung nur noch gering. Die Mannschaft der »Trueno« rief »Viva« und »Ole« und warf die Mützen in die Luft. Zaghaft kamen endlich die ersten Erwiderungen. Eine Stunde später ankerten »Dimanche« und »Trueno« friedlich in einer Reihe, Deck an Deck. Abu Hanufa, Porquez, Don Hidalgo, Marina, Virgen und Ibn Kuteiba saßen in der Kapitänskajüte der »Trueno« zusammen und hielten kräftigen Umtrunk, an dem sich die Mohammedaner allerdings nicht beteiligten.
»So«, sagte Marina, »Senor Baum, Jardin und Ojo stehen also mit der Ostindien-Kompanie nicht mehr auf gutem Fuß. Die Angelegenheit scheint ja ziemlich ernst zu sein, wenn Jardin Euch, Abu Hanufa, bat, hier an diesem wenig belebten Küstenstrich zu warten. Wieviel Tage, sagtet Ihr, sind es noch, bis die Zeit abläuft?« »Noch vier.«
»Und wenn sie dann nicht da sind, was dann?« Abu Hanufa zuckte die Schultern.
»Das weiß allein Allah«, sagte er schicksalergeben. »Aber sie werden schon kommen.« Marina blickte auf die Karte. Dann schüttelte sie langsam und nachdenklich den Kopf. »Das sieht mir gar nicht so aus. Denn wenn sie bis heute nicht da sind, dann steht es für mich fest, daß es irgendeinen Zwischenfall gegeben hat. Glaubt Ihr, sie würden freiwillig so lange in Kalkutta bleiben, wenn sie mit den Herrschaften dort gebrochen haben?« Ibn Kuteiba nickte Zustimmung und mischte sich ins Gespräch.
»Eure Gedanken sind richtig, Senorita. Und hinzu kommt noch, daß sie alles daransetzen werden, diesen jungen indischen Radscha vorm Hängen zu bewahren.« »Wie ich den Silbador kenne, habt Ihr recht. Nun, warten wir die nächsten Tage ab. Die Gesamtlage hat sich beträchtlich geändert. Es war gut, daß wir nicht nach Kalkutta gegangen sind und Euch hier getroffen haben.«
»Dieser Grearson kann von der veränderten Situation noch nichts gewußt haben«, meinte Porquez. »Das schlimmste ist, daß ich Leute von ihm an Bord habe. Diese werden sicherlich verlangen, daß man sie in ihren Bestimmungshafen bringt.« Abu Hanufa seufzte.
»Ja, ja, diese zusammengewürfelte Mannschaft! Man kann nichts damit anfangen. Vertrauen habe ich auch nicht zu meiner Besatzung. Ich wünsche sie alle zum Teufel. Sie werden aufsässig.
Und wenn wir noch lange hier liegen bleiben, werden sie Verdacht schöpfen. Ich wünschte, ich hätte Leute wie die »Trueno«.«
»Hm«, machte Marina. »Das ist schlimm. Wir können nur Leute brauchen, auf die man sich verlassen kann; denn mit der Handelsschiffahrt für die Kompanie ist es ja nun vorbei.« »Wo nehmen wir die her?« fragte Don Hidalgo. »Von meinen Jungs sind nur noch acht am Leben.«
Schweigen. Die Kapitäne standen vor einem unlösbar scheinenden Problem.
Ibn Kuteiba sog plötzlich heftig an seiner Pfeife. Sein Gesicht wurde rot.
»Beim Barte des Propheten, ich habe eine Idee! Ihr sagt, Ihr könnt Euch auf Eure Leute verlassen, Senorita?«
»Felsenfest. Wie auf mich selbst.«
»Habt Ihr intelligente Burschen dabei?«
»Es kommt darauf an, was Ihr unter intelligent versteht. Gelehrte sind es nicht.« »Traut Ihr ihnen zu, daß sie ein hübsches, kleines Gaunerstückchen bestehen könnten?« Marina lachte:
»Sie sind Meister in diesem Fach. Dessen könnt Ihr sicher sein.«
»Gut. In drei Tagen zahlen wir Heuergeld. Unsere Leute sehnen sich danach, es an Land zu verjubeln. Bis dahin schickt Ihr zehn von Euren Burschen nach Akjab und gebt ihnen den Auftrag, neue Leute anzuwerben. Das geht unauffällig zu machen. Ihr habt Verluste gehabt. Anstelle von zwanzig Neuen stellt Ihr so viele ein wie möglich, soviel jedenfalls, daß wir genug haben, die »Dimanche« und die »Mapeika« neu zu bemannen. Wenigstens provisorisch. Die Angeworbenen müssen verläßliche Abenteurer sein, die möglichst etwas auf dem Kerbholz haben.«
»Großartig!« Marina war begeistert.
»Glaubt Ihr, daß Ihr genügend zuverlässige Jungen hier in diesem Ort findet? Und wißt Ihr, ob die Leute die richtigen aussuchen?«
»Um das macht Euch keine Sorge, Senor Porquez«, beruhigte Marina. »Alte Piraten haben einen sechsten Sinn für jemanden, der ihr companero werden soll. Aber das erste Bedenken habe ich auch.«
Ibn Kuteiba lenkte ein.
»Ah — bah, wenn wir erst nur einmal zwanzig haben für jedes Schiff. Das genügt.« Don Hidalgo nickte zustimmend.
»Meine acht Burschen«, schlug er vor, »sind kluge Köpfe. Wir können mit ihnen die wichtigsten Posten auf der »Dimanche« und auf der »Mapeika« besetzen. Es fehlen je zwei zuverlässige Offiziere und ein paar Maats. Fernando allein ist schon ein halbes Dutzend wert.« »Bueno«, meinte Marina, »warum nicht versuchen? Mehr als schiefgehen kann es nicht. Die Frage ist nur, ob wir die anderen Kerle alle gut von Bord bringen.«
»Oh, da macht Euch keine Gedanken«, lachte der arabische Steuermann. »Unsere gehen in hellen Haufen an Land, wenn sie frei bekommen und Geld in der Tasche haben. Sollte wirklich der eine oder andere bleiben, nun, dann kann er nicht viel anrichten. Ich bin davon überzeugt, daß uns der Streich mit ein bißchen Klugheit gelingt.« —