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Ellen-Rose hatte, in einer Mauernische verborgen, die Verhaftung miterlebt. Sie machte sich die bittersten Vorwürfe. In ihren Augen war der Mann wirklich Dieuxdonne. Es konnte nicht anders sein. Sie kannte ihn zu gut, als daß eine Verwechslung möglich gewesen wäre.
Was sollte sie tun? Dieuxdonne war durch ihre Schuld in diese Situation geraten. Irgend jemand hatte gehört, wie sie ihn mit seinem Piratennamen angesprochen hatte.
Sie folgte in sicherem Abstand der Wachabteilung. In das Wachlokal konnte sie freilich nicht.
Sie zögerte. Sollte sie vielleicht doch hineingehen und einfach zugeben, daß sie diejenige war, die »Dieuxdonne« mit Dieuxdonne verwechselt hatte. Sie verwarf diesen Gedanken wieder. Man würde sie dann ausfragen, woher sie Dieuxdonne kenne. Man würde sie zwingen, alles zu berichten, was sie in den letzten Tagen erlebt hatte. Man konnte sie der Mannschaft gegenüberstellen, von denen einige von der Besatzung der »Utrecht« sie kannten und gesehen hatten, als sie unter der Persenning des Rettungsbootes hervorkletterte. Nein, sie konnte ihm nicht helfen. Vielleicht erpreßte man von ihr gar den Standort des Schiffes.
Sie wollte ihre Dummheit wieder gutmachen und sofort eine Nachtwanderung antreten, um in die Bucht zu gelangen, wo der »Schwarzrote« vor Anker lag. Pierre, der alte Oberbootsmann, würde sicher Rat wissen.
Sie schlich sich in das Hotel zurück. In ihrem Zimmer kleidete sie sich um. Der verschlafene Nachtportier erkannte sie nicht wieder, als sie in einem gut sitzenden Herrenanzug mit breitem Sombrero auf dem Kopf durch die Pforte schritt. Nächtliche Besucher, die kamen und gingen, waren in dem geschäftigen »Adlon« keine Seltenheit.
Das Mädchen stapfte durch die Nacht nach Osten. Als die Sonne heraufkam, sank sie todmüde neben einem Mangrovenstamm zu Boden und schlief ein.
Aber das Unterbewußtsein blieb wach und wirkte wie ein Wecker. Sie taumelte nach einer Weile hoch, blieb eine Sekunde stehen und fühlte sich erfrischt, obwohl sie nur etwa eine halbe Stunde geruht hatte. Sie ging weiter.
Es war heiß. Und gegen Mittag widerstand auch der weiße Tropenanzug nicht mehr den unbarmherzigen Sonnenstrahlen. Sie warf die Jacke ab und ließ sie liegen. Das eng geschlossene Hemd, das sie anstelle einer Bluse trug, drückte gegen den Hals. Sie riß den Kragen auf. Sie trat in einen Wald ein. Es war kein Dschungel. Dennoch hinderte das Unterholz sie am schnellen Vorwärtskommen.
Gegen Abend verspürte sie Durst und Hunger. Sie fand keine Quelle und auch nichts Eßbares. Um Mitternacht begann sie erbärmlich zu frieren. Die Kühle der Nacht war empfindlich und schien durch die Haut zu dringen. Sie machte sich bittere Vorwürfe, weil sie die Jacke achtlos weggeworfen hatte.
»Halt«, rief plötzlich eine Stimme. »Wer ist da?«
»Ellen-Rose«, wimmerte sie. Sie hatte die Bucht fast erreicht. Dieuxdonne hatte die Aufstellung von Wachen befohlen, um auch von der Landseite her gesichert zu sein. »Ah, oui, Mademoiselle«, meinte der Posten freundlich und dankte dem Schicksal, daß es das Mädchen gerade hier an der Stelle, wo er als Wache aufgezogen war, ohnmächtig werden ließ. Er hob sie mit zarten Händen auf und trug sie, nicht ohne der Bewußtlosen einen gehauchten Kuß geraubt zu haben, zum Ufer der Bucht.
»Hol über!« brüllte er dann mit dem Aufwand seiner gesamten Lungenkraft.Bald war ein Boot zur Stelle. Ellen-Rose lag in tiefem Schlaf. Ihre Brust wogte. Feurige Blicke verschlangen ihren Körper. Die Piraten Dieuxdonnes waren allesamt Franzosen. Und mochte man sonst auf Piratenschiffen auch meistens Typen finden, die einander an Häßlichkeit übertrafen, in diesem Fall war es anders. Die Franzosen wirkten bis zum Moses hinunter alle galant und elegant. Wohl, sie waren wilde Gesellen; aber bei aller Wildheit wirkten sie nicht abstoßend. Mit einer Ausnahme allerdings: Pierre. Aber auch er war galant und höflich, ein Mann, der auf dem Montmartre genauso zu Hause war wie auf den sieben Weltmeeren.
Hände, die gewohnt waren, Frauen in den Armen zu halten, betteten sie in das Boot. Die Ruderer legten sich in die Riemen, daß die Holmen knarrten.
Es dauerte nicht lange, so hatten sie den »Schwarzroten« erreicht. Von oben wurde die Gangway hinuntergelassen. Das Mädchen wurde an Bord getragen.
Pierre benachrichtigte sofort den Kapitän. Rene ging zu ihr in die Kajüte, zog sich einen Schemel heran, setzte sich dicht neben ihr Bett und beobachtete die Frau, deren Vorhandensein ihm nun schon seit Tagen die Ruhe raubte.
Ein Lächeln lag auf seinem schönen Gesicht. Nach einer kleinen Weile fuhr er mit der Hand sacht streichelnd über das blonde Haar der Chansonette.
So sanft die Berührung auch war, Ellen-Rose schlug die Augen auf und sah auf Rene.
Plötzlich fuhr sie auf. Ungläubiges Erstaunen lag in ihrem Blick.
»Ihr seid hier? — Seid nicht gefangen?«
Das Erstaunen war jetzt auf Renes Seite.
»Gefangen? Wovon sprecht Ihr?«
Sie fuhr sich mit beiden Händen nach dem Kopf und preßte sie vor die Stirn.
»Und ich — — ich habe den ganzen Weg, diesen Höllenweg von Batavia bis hierher umsonst gemacht, weil ich fest daran glaubte, daß Ihr gefangen seid, nachdem ich Euch auf der Straße mit Dieuxdonne angesprochen hatte.«
»Auf welcher Straße, Mademoiselle?«
»Die vom »Adlon« zum Hafen führt. In Batavia.«
Rene wurde nachdenklich. Dann schüttelte er den Kopf.
»Berichtet«, sagte er kurz. »Was bringt Euch so aus der Fassung?«
Sie glaubte, daß es das beste wäre, wenn sie ihre Erlebnisse der Reihe nach wiedergab. Sie sprach davon, wie sie zwei Tische weiter als der Holländer mit seinen Gesprächspartnern im blauen Salon gesessen, wie sie gehört und gesehen hatte, welche Pläne zur Vernichtung Dieuxdonnes in Gegenwart eben dieses Dieuxdonne, wie sie meinte, ausgetüftelt worden waren, wie sie hinausgegangen war, um in der Halle auf den vermeintlichen Dieuxdonne zu warten, und so weiter.
Rene kaute an einem Stückchen Holz. Das Mahlen seiner Zähne war deutlich zu vernehmen. Seine Erregung wuchs im Lauf der Schilderung. Als sie geendet hatte, meinte er: »Ich glaube Euch jedes Wort, ja, selbst meine Gefangennahme. Wir werden noch in dieser Nacht auslaufen, um mich zu befreien. Die ganze Angelegenheit wäre zum Lachen, wenn sie nicht so fatal wäre. Weshalb sind diese Preußen eigentlich gegen mich? Was habe ich ihnen getan? Was geht sie Dieuxdonnes Kampf gegen die Reederei an? — Freilich, die Herrschaften aus Deutschland mischen sich immer in Dinge, die ihnen gleichgültig sein könnten. Sie haben sich seit je gern als Polizei aufgespielt. Nun, diesmal werden sie keine Freude daran haben.«
»Der Kommandant dieses preußischen Geschwaders macht einen guten Eindruck«, sagte EllenRose. »Er blickt offen drein und hat ein ehrliches Gesicht.«
»Oui, das haben sie alle. Ich kenne die Geschichten um den Marquis von Brandenburg. Er ist ein großer Feldherr, ein Philosoph und Staatsmann. Er hat unseren berühmten Voltaire an seinem Hof gehabt. Ich glaube, er ist jetzt schon tot, und ist wahrscheinlich ein feiner Mann gewesen; aber trotzdem sehe ich nicht ein, weshalb sich seine Leute um unsere Angelegenheiten in Niederländisch-Indien kümmern sollen. Allons, ich werde ihnen die Suppe versalzen. Euch, Mademoiselle, danke ich sehr. Ihr habt Euern Auftrag lobenswert ausgeführt.« Sie verzog die Lippen. Man konnte nicht recht sehen, ob es ein Lächeln sein sollte. Sie fragte: »So werdet Ihr mich nicht hängen?«
»Oh, Mademoiselle«, rief er aus, »wo denkt Ihr hin! Eine so schöne Dame wie Euch hängen, welcher Franzose könnte das?« »Nun, Ihr wolltet es doch!«
»Keine Spur! Der einzige Tod für Euch wäre, totgeküßt zu werden.« »Monsieur!« Ihre Augen funkelten. Er verbeugte sich tief.
»Nicht jetzt, Mademoiselle, später, wenn Dieuxdonne frei ist und die Preußen außer Gefecht gesetzt sind.«
Er verließ ihre Kabine und rief nach Pierre. Der Bärtige kam.
»Auf, mon ami, laß mein Schiff klarmachen. Wir segeln nach Batavia. Wir müssen Dieuxdonne aus dem Gefängnis holen. Mademoiselle Ellen-Rose hat gesehen, wie sie ihn eingesperrt haben.« Pierre machte zwar große Augen, seine Überraschung schien aber weniger der Tatsache zu gelten, daß Dieuxdonne von »Dieuxdonne« sprach, als vielmehr der Verhaftung. Es war noch nicht eine Stunde seit Ellen-Roses Ankunft vergangen, als der »Schwarzrote« aus der Bucht lief und der See zustrebte. Es herrschte ein rauher Wind. Und so kam der Segler schnell vorwärts.
An Seilen befestigt, hingen die Leute außenbords. In den Händen hielten sie große, breite Pinsel. Die Kalkfarbe wurde in breiten Schichten an die Bordwände geschmiert. Der Tag graute noch nicht, da stand man bereits auf der Höhe von Batavia.