158366.fb2
Rene stieg in ein Boot und ließ sich mit schnellen Schlägen an Land rudern. Dann hallten seine eiligen Schritte durch die nächtlichen Straßen. Er ging zum Hotel »Adlon«. Neben diesem lag ja — nach Ellen-Roses Beschreibung — das Wachlokal, in dem man Leon, seinen Doppelgänger, gefangenhielt.
Dieuxdonne lockerte die Pistolen in seinem Gürtel. Mit leisen Sohlen schlich er die wenigen Stufen hinauf. Dann riß er mit plötzlichem Ruck die Tür auf und stand vor zwei verschlafen dreinblickenden Soldaten, die ihre Verblüffung nicht verbergen konnten.»Ich hoffe, ich habe euch nicht im Schlaf gestört, meine Herren?« sang er mit leiser Stimme, deren Drohung nicht mißdeutet werden konnte. Die bereit gehaltenen Pistolen unterstrichen noch seine wahren Absichten.
»Wa--was--wollt Ihr, Mynheer?« fragte ein Sergeant.
»Sorgt erst einmal dafür, daß Eure Leute nicht wach werden. Ich benutze Euch als Geißel. Wenn mir jemand droht, so habt Ihr ein Loch im Bauch.«
Der Sergeant wollte, als treuer Soldat, diese Warnung nicht beachten. Seine Gestalt straffte sich, und er meinte mit durchaus nicht gedämpfter Stimme: »Ich verhafte Euch, Monsieur!«
Einige der auf den Pritschen liegenden Männer rekelten sich. Der laute Ton der Stimme war in ihren Schlaf gedrungen, reichte aber nicht aus, um sie vollends aus dem Land der Träume in die Wirklichkeit zu befördern.
Dieuxdonne stand mit einem Sprung bei dem Sergeanten und preßte ihm die Pistolenmündung auf den Bauch.
»Ihr glaubt wohl, ich scherze, wie?« zischte er. »Los, gebt mir Monsieur de Musset heraus, sonst bekommt Ihr es mit dem wirklichen Dieuxdonne zu tun.«
Jetzt erst warf der Soldat einen Blick auf das Gesicht des Eindringlings. Und da bemerkte er, daß jener eine rote Augenklappe über dem linken Auge trug und ein mit Ruß geschwärztes Gesicht aufwies.
Dem Sergeanten wurden die Knie weich.
Fester drückte sich der Lauf der Pistole in seine Bauchgegend.
»Na, wird's bald?«
»Ich mache — — mache mich strafbar«, meinte der Sergeant mit ängstlich leise gehaltener Stimme, »wenn ich Mynheer de Musset herausgebe.«
»Redet kein dummes Zeug. Ihr habt Euch strafbar gemacht, als Ihr ihn auf Geheiß einer Privatperson ohne Urteil und Beweis seiner Schuld festhieltet. Ich bin Dieuxdonne, und ich dulde nicht, daß andere an meiner Statt verhaftet werden, weil Ihr nie imstande sein werdet, den echten zu fangen. Nun los, heraus mit Monsieur de Musset!«
Schwer atmend wandte sich der Sergeant dem neben ihm stehenden, zitternden Soldaten zu, einem ganz jungen Bürschchen noch, das wahrscheinlich bisher noch keine Kugel pfeifen gehört hatte.
»Nimm die Schlüssel, Jan, und hol' den Eingesperrten heraus; aber leise, damit die anderen nicht wach werden.«
Jan nickte. Dieuxdonne glaubte nicht, befürchten zu müssen, daß der Junge hinterhältige Gedanken habe. Er schien wahrscheinlich froh zu sein, wenn ihm niemand etwas tat.
Rasch öffnete er die Tür, die auf den Zellengang führte.
Der Mann mit der roten Augenklappe blieb unbeweglich stehen. Seine Blicke hielten den Sergeanten fest. Dieser rührte sich jedoch nicht.
Dem Seeräuber wurde das sture Benehmen des Sergeanten zuviel. Er machte mit dem Lauf der Pistole eine Bewegung zur offenen Tür hin und sagte leise:
»Los, folgt dem Soldaten. Oder meint Ihr, ich würde allein nachgehen und Euch die Möglichkeit lassen, inzwischen die ganze Wache zu wecken?«
Widerstrebend gehorchte der Sergeant. Als sie den Gang betraten, hörten sie weiter unten schon das Klirren eines Schlüsselbundes. Dann quietschte eine Tür in den Angeln. Jan stand vor der offenen Zelle und leuchtete mit einerLaterne hinein. Es rührte sich nichts darin. Erst als Dieux-donne und der Sergeant näher kamen, arbeitete sich unter einem Haufen alter Decken eine Gestalt hervor und blinzelte ins Licht.
»Mon Dieux«, hörte man sagen, »lassen Sie mich nicht schlafen einmal in die Nacht! Was wollen Sie?«
Der Sergeant und Jan blieben stumm. Dieuxdonne sagte auf französisch:
»Besinne dich nicht lange, mon ami. Noch steht die Tür zu deiner Freiheit offen; aber ich weiß nicht, wie lange dieser Zustand andauern wird. Voila, eil dich!«
Der Gefangene horchte beim Klang dieser Stimme überrascht auf.
Ein Ruf drängte sich von seinen Lippen; aber er unterdrückte ihn. Einen Augenblick später stand er neben dem Befreier. Jan und der Sergeant erhielten einen Stoß und taumelten in die Zelle. Der Schlüsselbund drehte sich, und sie waren gefangen.
»Vite, vite«, sagte Dieuxdonne und stürmte, des Geräusches seiner Schritte nicht achtend, den Gang entlang durch die Wachstube.
Der eine oder andere der auf den Pritschen liegenden Soldaten wurde langsam wach; aber seine Augen reagierten nicht schnell genug, um die Flucht der beiden wahrzunehmen. Dieuxdonne und der Befreite hatten die Straße erreicht und rannten hinunter zum Hafen. Mit einem Satz waren sie im Boot. Im Osten graute schon der Morgen.
Auf den drei Schiffen, der »Trueno«, der »Mapeika« und der »Dimanche«, erwachte das erste Leben. Auf der »Trueno« bemerkte ein Wachtposten voller Erstaunen ein mit hastigen Ruderschlägen getriebenes Boot, das jenem weißen Schiff zuzustreben schien, das draußen vor dem Hafen lag. Dieses Schiff hatte volle Segel gesetzt und schien nur darauf zu warten, im nächsten Augenblick auf die offene See hinauszustürmen.
»Rene«, sagte Leon de Musset zu Dieuxdonne, »wie konntest du von meinem Pech so schnell Kenntnis erlangen?«
Dieuxdonne entledigte sich der Augenklappe und lächelte dem Befreiten zu, unterdes die Ruderer sich mächtig in die Riemen legten.
»Erinnerst du dich der Frau, die dich in der Nacht mit mir verwechselte?« »Natürlich. Ihr habe ich ja mein Pech zu verdanken.«
»Aber auch deine Befreiung. Sie gehört zu unserer Mannschaft, eine tüchtige Spionin, die ich auf van Groot angesetzt hatte.«
»Na, so tüchtig ist sie nun auch wieder nicht. Sonst hätte sie mich nicht mit dir verwechselt!« Das Boot legte am »Schwarzroten« an.
Dieuxdonne enterte rasch die Strickleiter hinauf. Das Boot stieß wieder ab und führte Leon de Musset zu seinem eigenen Schiff. Dabei mußten sie dicht an der »Mapeika« vorbei. Die Glocke glaste gerade zum achtenmal, als an Bord der »Mapeika« die abgelöste Wache das Boot wahrnahm. Der Posten rief den Mann, der für ihn aufgezogen war. Beide standen nebeneinander an der Reling und beobachteten, wie das Beiboot Richtung auf Mussets Schiff nahm. »Teufel«, sagte der eine, »sitzt da nicht der kleine Franzose drin, den sie gerade erst verhaftet haben, dieser Seeräuber, den wir jagen sollen?«
»Ich glaube, ich wecke Don Hidalgo. Er wird wissen, ob wir da etwas unternehmen müssen.«Leon hatte inzwischen sein Schiff erreicht. Er rief die Wache an, die ihm mit einem verhaltenen Jubellaut ein Tau zuwarf. In Sekundenschnelle hangelte sich der Kapitän an Bord. »Weckt die Leute. Wir müssen in wenigen Minuten klar sein zum Auslaufen. Sieh mal, wer da drüben auf uns wartet.«
Er deutete auf das weißgetünchte Schiff Dieuxdonnes. Der Matrose zuckte mit den Schultern. »Was meint Ihr, mon Capitain? Den weißen Kahn da vorn?« »Ja«, lachte Leon. »Sagt dir ein Blick darauf nichts?« Der Matrose schüttelte den Kopf.
»Du bist ein Esel, Henri«, meinte der Kapitän. »Wenn du dir die weiße Farbe wegdenkst, was könnte dann darunter sein?« »Ein brauner Rumpf.«
»Ah, braun, kein brauner. Ein schwarzer. Und auf hoher See führt er rote Segel.«
Der Mund des Matrosen stand weit offen. Es dauerte Sekunden, bis er erfaßt hatte, was für ein Schiff da vor seinen Augen lag.
»Dieuxdonne«, hauchte er.
»Du hast genug gestarrt. Weck jetzt die Mannschaft, sonst wird es zu spät.«
Der Himmel hellte sich immer mehr auf. An Bord der anderen im Hafen liegenden Schiffe zeigten sich verschlafene Gestalten.
Bei Musset wurde kein lautes Wort gesprochen. Unter Zeichen, die der Kapitän gab, wurden die Segel von den Rahen gerollt und in den Wind gestellt. Die Ankerkette quietschte, als man den schweren Anker einhievte. Dann setzte sich der Segler langsam in Bewegung. Unterdessen waren auf dem »Schwarzroten« die Kanonen klargemacht worden. Dieuxdonne wollte den Preußen zeigen, was es hieß, sich in Dinge zu mischen, die sie nichts angingen. Als Leons Schiff die Hafenausfahrt fast erreicht hatte, spien die Schlünde des »Schwarzroten« Qualm, Feuer und Kugeln.
Drüben auf der »Mapeika« gingen die Segel in Fetzen, stürzte die Flagge vom Mast, wurde die Hütte des Rudergängers getroffen.
Die Schiffsglocke läutete Alarm. Die Salve hatte den ganzen Hafen mobil gemacht. An Deck der Schiffe wimmelte es plötzlich von Menschen. Von droben her, wo die Seefestung lag, erschollen Trompetensignale. Die Soldaten rannten halbangezogen an die Geschütze und schwenkten sie ein; aber es war zu spät.
Der weißgetünchte »Schwarzrote« und Leon de Mussets Schiff hatten das offene Meer erreicht.