158366.fb2
»Na, endlich«, sagte van Groot. »Ich dachte schon, sie würden sich verbrüdern.«
»Sie schießen wieder«, stellte Ibn Kuteiba fest.
»Steuerbordgeschütze, Feuer frei«, kommandierte Abu Hanufa.
Wieder brach der Kugelregen von beiden Seiten über den »Schwarzroten« herein.
Michel zuckte die Schultern.
»Schade«, sagte er. »Vielleicht hätte ich mich mit Dieuxdonne länger unterhalten sollen.« »Er scheint den Tod zu suchen«, sagte Marina nachdenklich.
Michel starrte in den Rauch. In seinem Innern meldeten sich Bedenken. Dieuxdonne hatte ihn dahingehend aufgeklärt, daß der Angriff auf die »Mapeika« einem Mißverständnis entsprungen war. Wieso machte er, Michel Baum, selbst Kommandeur von Piratenschiffen, sich zum Richter über einen Mann, der offensichtlich seine Gründe hatte, gegen van Groot zu wüten? Im Lärm der Geschütze wandte er sich an Ellen-Rose. »Excusez, Mademoiselle, darf ich Euch etwas fragen?«
Ellen-Rose verstand nicht genug Französisch, um die Frage zu beantworten. Sie zuckte die Schultern und sagte : »Kan nit verstaan.« »Do you speak English?«
»Englisch«, sagte sie auf niederländisch, »ein wenig.«
»Oder Deutsch?«
Ihr Gesicht erhellte sich.
»O ja, ich spreche Deutsch ganz gut.«
»Fein«, sagte Michel. »Bitte, erzählen Sie mir etwas über Dieuxdonne und seinen Haß gegen van Groot.«
»Oh, ich weiß nicht viel davon. Ich bin noch nicht lange bei ihm. Ich weiß nur, daß Leon und er Zwillingsbrüder sind. Van Groot muß ihrer Familie großen Schaden zugefügt haben: aber über Einzelheiten bin ich leider nicht unterrichtet.«
»Zwillingsbrüder«, rief Michel überrascht. »Dann wird mir vieles klar. Dann sind sie also beide Mussets--hm--und sie haben aus familiären Gründen einen Haß auf van Groot, sagen Sie. — Wie könnte man ihnen helfen?« Ihre Stimme war flehend, als sie jetzt sagte:
»Helfen Sie Rene! Er ist kein Verbrecher. Was nützt es Ihnen, wenn er stirbt?« Michel erwiderte nichts mehr darauf.Er überlegtebereits krampfhaft, wie er etwas zur Rettung des Franzosen unternehmen konnte. Er ließ das Mädchen stehen und rannte hinüber zu Ojo. Wie aus dem Boden gewachsen stand Marina neben Michel.
»Hört auf zu schießen!« schrie sie Ojo an. »Ich will das nicht! Ich kann es nicht ertragen, diesen jungen, tapferen Kapitän auf den Meeresgrund zu schicken.«
Zu Michels Erstaunen reagierte Ojo diesmal sofort. Im Gegensatz zu vorhin zuckte ein freudiges Licht über sein Gesicht. Auch ihm war der den Tod verachtende junge Mann da drüben sympathisch geworden. »Stopfen«, schrie er. »Feuer einstellen!«
Marina war mit wenigen Sdiritten zum Hauptmast geeilt. Unter dem Arm hielt sie ein Paket. —
Drüben sah man, wie die preußische Fahne am Mast hinunterglitt.
»Sie streichen die Flagge!« rief Pierre. »Sie streichen die Flagge! — Sie ergeben sich!«
Rene stand taumelnd auf der Back. Er blutete aus mehreren Splitterwunden.
»Sie müssen verrückt sein«, sagte er gepreßt. »In den nächsten Minuten hätten sie uns klein gehabt.«
»Da! — Da!« schrie Pierre erneut. »Eine neue Flagge steigt hoch.«
Rene betrachtete die Flagge eingehend. Irgendwo in seinem Innern tauchte eine Erinnerung daran auf. Er mußte sie schon einmal gesehen haben. Zumindest aber hatte er davon sprechen gehört.
»Die schwarze Flagge mit den beiden Händen«, murmelte er vor sich hin. »Teufel, Pierre — — mon Dieux — -ich werde verrückt! Weißt du, mit wem wir da angebunden haben? Mit dem berühmtesten Piraten des Atlantischen Ozeans. Jetzt wird mir manches klar. Das kann nur das Schiff der wilden Gräfin aus Andalusien sein.«
In diesem Augenblick rief einer der Kanoniere:
»Sie haben das Feuer eingestellt. Sollen wir weiterschießen?«
»Stopfen!« schrie Rene, aber es kam nur ein heiseres Krächzen aus seinem Mund.
Pierre wiederholte den Befehl. Und kurz darauf schwiegen die Geschütze.
»Kommando übernehmen«, konnte Rene noch zu Pierre sagen. Dann sank er zusammen. —
Auch Ibn Kuteiba und Abu Hanufa hatten Befehl gegeben, das Feuer einzustellen. Der arabische Steuermann stand unschlüssig neben dem Kapitän, der auch nicht wußte, was er von der Sache halten sollte. Ibn Kuteiba gab nach einer Weile an den Flaggast durch, daß er signalisieren solle, was los sei.
»Abwarten«, kam die Antwort.
»Bei Allah, sie haben die schwarz-weiße Flagge eingezogen«, staunte der Kapitän, als sich der Pulverdampf verflüchtigt hatte und die Sicht wieder einigermaßen klar war. — Michel hatte das Sprachrohr am Mund und rief:
»Dieuxdonne soll herüberkommen. Ich will mit ihm sprechen. Ich garantiere freien Abzug.«
»Der Kapitän ist schwer verwundet. Er kann nicht kommen«, rief Pierre zurück. »Wollt Ihr nicht mit mir verhandeln?«
»Schwer verwundet? Lebensgefährlich?«
»Ich weiß nicht. Ich bin kein Arzt.«
»Habt ihr keinen Arzt an Bord?«
»Nein.«
»Gewährt ihr mir ebenfalls freien Abzug, wenn ichnach drüben komme, um nach dem Verwundeten zu sehen?« »Unser Wort darauf.«
»Gut, ich komme. Ich werde ihm helfen. Ich bin Arzt. Verbandzeug an Bord?« »Ja.«
»In fünf Minuten bin ich drüben.« Er warf das Sprachrohr weg.
»Diaz, mach ein Boot klar! Schnell, drüben braucht jemand meine Hilfe.« »Sind viele Verwundete auf dem »Schwarzroten«?« fragte Marina. »Ich weiß es nicht. Aber es ist anzunehmen.«
»Gut, dann begleite ich Euch, Miguel. Laßt mich an Eurer Seite wieder einmal den Arztgehilfen spielen. Es ist lange her, seit ich es tat. Erinnert Ihr Euch noch?«
Sie lächelte. Und er lächelte zurück.
»Ich kann mich noch daran erinnern. Und wäret Ihr mein Heilgehilfe geblieben, so wären wir heute wahrscheinlich längst im Land unserer Sehnsucht, in Amerika. Ich möchte wissen, ob wir wohl jemals noch dahin gelangen werden.« »Böse?« fragte sie.
»Nein. Man kann nicht für Jahre böse sein. — Bueno, kommt, das Boot ist klar.« —
Finstere Blicke trafen sie aus glühenden Augen, als sie an Bord kamen. Die Franzosen standen oder lagen an Deck. Wohl jeder von den Piraten hatte etwas abbekommen. Ihre Gesichter waren rußgeschwärzt. Und über diese Schwärze zog sich bei manch einem der Umstehenden ein dünnes Rinnsal Blut.
»Wo ist Dieuxdonne?« fragte der Pfeifer.
»In der Kajüte.«
Sie folgten ihm schweigend. Von den Leuten schien sidi jetzt niemand mehr um sie zu kümmern. Entweder hatten sie mit sich selbst oder mit der Löschung immer wieder aufflackernder Brände zu tun. Trotzdem fühlte Michel deutlich, daß Marina und er unter gesenkten Lidern hervor von aller Augen scharf beobachtet wurden.
Als er sich mit dem bewußtlosen Dieuxdonne beschäftigte, hielten alle in ihrer Arbeit inne, bereit, sich sogleich auf den Arzt zu stürzen, wenn dieser die Lage des Besinnungslosen für dunkle Zwecke ausnützen sollte.
»Sie scheinen ihren Kapitän zu lieben«, flüsterte Manna dem Pfeifer zu.
»Denkt, was Eure Leute in der gleichen Lage tun würden«, antwortete Michel ebenso leise.
»Stellt Euch das Gesicht von Ernesto vor oder das von Fernando.«
Er wusch die Wunden mit Wein aus. Die Verletzungen waren nicht lebensgefährlich; aber der Blutverlust hatte den Körper geschwächt. Zudem war Rene eine sehr schmale, feingliedrige und zarte Gestalt, der man ohnehin nicht allzu große Strapazen zutrauen würde. »Möchte wissen, wie ein solcher Mann dazu kommt, Pirat zu werden«, wunderte sich der Pfeifer. Dann wandte er sich zu Pierre und fragte diesen, ob er irgendwo einen Sdiluck Rum auf treiben könne.
Es dauerte nicht lange, und der Koch kam mit einem ganzen Tonkrug voll angelaufen.
Michel hob den Kopf des Bewußtlosen an und goß ihm das scharfe Zeug zwischen die Zähne.
Dieuxdonne erwachte fast augenblicklich.
Er lächelte, als er die Augen aufschlug. Sein Blick fiel auf Pierre.
»Ich danke dir, mon ami.«
Pierre stand verlegen da und stammelte irgendwelcheszusammenhangloses Zeug. Das einzige, was man verstehen konnte, war »mon Capitain«.
Als die übrigen wahrnahmen, daß Dieuxdonne erwacht war, schwand ihr Mißtrauen, und sie widmeten sich nun wirklich ihrer Arbeit.
Renes Blicke blieben erstaunt an dem Gesicht des Fremden über ihm haften. »Wer seid Ihr?« fragte er. »Der Arzt«, lächelte Michel. »Der Arzt? Welcher Arzt?«
»Der Arzt von der »Trueno«. Ich bin herübergekommen, um nach Euch zu sehen, als ich von Euerm Bootsmann hörte, daß Ihr bewußtlos wart. Ich hoffe, Ihr nehmt es mir nicht übel. Der Bärtige hat mir übrigens freies Geleit zugesprochen.« Rene lachte bitter.
»Freies Geleit?« spottete er. »Wie kann sich ein Sieger freies Geleit zusichern lassen?« Marina schaltete sich jetzt ein.
»Ich glaube, wir sprechen besser nicht von Sieger und Besiegtem. Wir haben einen Waffenstillstand geschlossen, aus dem vielleicht ein echter Friede werden kann.« Rene hatte sie bisher nicht bemerkt, da sie hinter ihm kauerte. Er wandte den Kopf nach hinten. In seinen Augen stand Überraschung.
»Ihr seid — — seid — — die spanische Gräfin, nicht wahr?« »Woher kennt Ihr mich?«
»Nun, wer hat noch nicht von der »Trueno« gehört? Ihr hißtet die berühmte Flagge. Daran habe ich Euer Schiff erkannt. Wie kommt es, daß Ihr unter preußischer Flagge segeltet? — Haben sich die Preußen Piraten zu Dienst verpflichtet?«
»Das ist nicht wichtig«, meinte Marina. »Vielleicht erklären wir Euch das später. Wollt Ihr mit auf unser Schiff kommen?«
Ein Erschrecken glitt über die Züge des Piratenkapitäns.
»Soll das heißen, daß ich gefangen bin? In diesem Fall hättet Ihr Euch nicht erst um mich zu bemühen brauchen. Ich sterbe lieber unter Pulverdampf, als daß ich mich in Batavia hängen lasse.«
»Hört vernünftig zu«, meinte Michel jetzt. »Wir sichern Euch freies Geleit zurück zu Euerm Schiff zu. Aber wir müssen uns mit Euch unterhalten. Wenn diese Unterhaltung so ausfällt, wie ich es mir vorstelle, dann können wir sogar als Freunde scheiden.«
»Was mischt Ihr Euch als Schiffsarzt in die Angelegenheiten des Kapitäns?« fragte Dieuxdonne ungehalten.
»Monsieur le docteur ist ein wenig mehr als nur Schiffsarzt«, sagte Marina. »Er ist nämlich nebenher auch noch der Kommodore unseres ganzen Geschwaders.«
»Mon Dieux, excusez, Monsieur. Das konnte ich natürlich nicht wissen. Admirale sehen im allgemeinen ganz anders aus als Ihr.«
»Ich bin es auch nur zeitweise. Macht Euch nichts daraus. Ich mache mir auch nichts daraus. — Nehmt Ihr unsere Einladung an?« »Oui, wenn Euer Wort gilt?«
»Es gilt. Laßt Euch in unser Boot tragen. Ich kann Euch zudem auf unserem Schiff besser behandeln. Ich habe dort mehr Mittel zur Verfügung.«
Dieuxdonne gab seine Anweisungen. Pierre machte zwar ein bedenkliches Gesicht, und die anderen murrten, aber Rene, der sich mühsam aufgerichtet hatte, meinte:
»Weshalb seid ihr mißtrauisch? Sie hätten uns jederzeit den Garaus machen können und können es noch. Wir sind also ohnehin in ihrer Hand. Steht nicht herum, mes amis. Seht lieber zu, was von den Aufbauten und auch sonst auf unserem Schiff noch zu retten ist. Vielleicht bekommen wir es wieder klar.«
Die Leute drehten sich ganz langsam um. Immer wieder wanderten ihre Blicke zu dem Kapitän. Nur zögernd machten sie sich an die Arbeit.