158366.fb2 Piratenblut - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 70

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Van Groots Gesicht nahm einen erstaunten Ausdruck an, als er sah, daß man das Feuer zum zweitenmal eingestellt hatte. Frans Termeulen schaute angestrengt durch das Glas. »Signalisiert und fragt an, was das zu bedeuten hat«, wies er den Flaggast an. Aber sie erhielten keine Antwort. Jardin überlegte, was er ihnen antworten könnte, fand aber keine Ausrede. Außerdem wußte er nicht klar und eindeutig, was eigentlich gespielt wurde. Er wie Ojo konnten sich zwar denden, daß Marina und der Senor Doktor einfach keine Lust mehr hatten, gegen einen Gegner zu kämpfen, der — wie sich herausgestellt hatte — gar kein richtiger Feind war. Bei den eigenen Leuten erschollen bereits laute Sympathiekundgebungen für die ritterlichen Kämpen der anderen Seite. —

»Sie antworten nicht«, erwiderte der Signalgast auf Termeulens Frage.

»Sie antworten nicht«, äffte Termeulen wütend den Mann nach, der schließlich am wenigsten dafür konnte.

»Weshalb antworten sie nicht?« fragte van Groot töricht.

Termeulen zuckte die Schultern. Plötzlich fiel sein Blick auf die neue Flagge, die über den Toppen der »Trueno« wehte. Er hatte den Wechsel während der letzten Phasen des Kampfes nicht bemerkt.

»Seht durch das Glas, Mynheer«, wandte er sich an seinen Herrn. »Irre ich mich? Täusche ich mich? Narrt mich ein Trug? Sie fahren jetzt nicht mehr unter preußischer Flagge!« Van Groot riß ihm das Glas aus der Hand. Immer wieder starrte er kopfschüttelnd hindurch. »Was soll das? Was soll das nur bedeuten?« Sie waren ratlos.

»Laßt ein Boot klarmachen, Frans. Wir fahren hinüber.«

Sie fuhren hinüber. Sie kamen fast im gleichen Augenblick an wie Michel und Marina mit dem verwundeten Gegner. Nur von der anderen Seite.

»Hallo!« schrien sie unten. »Hallo! Laßt die Gangway herunter. Ich bin hier, Mynheer van Groot! — Hört ihr nicht? Mynheer van Groot möchte euern Kommodore sprechen!« Jardin wurde von einem Matrosen auf das Geschrei an der anderen Seite des Schiffes aufmerksam gemacht, während man drüben gerade damit beschäftigt war, den Verwundeten an Bord zu hieven. Er eilte nach Backbord und blickte hinab. Große Augen bekam der Kleine, als er den Holländer erkannte. Gerade jetzt würde ihn der Senor Doktor bestimmt nicht an Bord gebrauchen können. Er rief ihnen etwas auf spanisch zu, was sie nicht verstanden, und eilte hinüber nach Steuerbord, wo Michel gerade über die Reling stieg.»Der Holländer ist mit einem Boot auf der anderen Seite, Senor Doktor«, meldete er aufgeregt. »Laß ihn warten«, sagte Michel trocken. »Ich habe jetzt keine Zeit, mich mit ihm zu unterhalten.«

»Aber sie schreien Zeter und Mordio, wenn wir sie nicht an Deck lassen.« »Laß sie schreien. Was gehen sie uns an? Haben wir nicht genug für sie getan?« Aber er ging doch hinüber.

»Ah, da seid Ihr endlich!« rief Frans Termeulen hinauf. Sein Ton war frech. »Muß Mynheer van Groot immer so lange warten, wenn er Euch zu sehen wünscht?«

»Ihr verkennt eure Lage«, antwortete Michel scharf. »Er hat gar nichts zu wünschen. Er kann höchstens bitten.«

Schweigen.

Der Pfeifer tat nichts. Er stand nur da und blickte hinab.

»Wollt Ihr uns nun an Bord lassen?« kam es gereizt von unten herauf.

»Wenn ihr wartet, bis meine Leute Zeit haben, um euch die Gangway hinabzulassen, so steht dem nichts im Wege.«

»Unverschämtheit !«

»Ich sagte bereits« — Michels Stimme war eisig — »ihr verkennt eure Lage. Hier an Bord befehle ich.«

Er wandte sich ab und dem unteren Deck zu. Sein Weg ging in die Krankenkoje, wo er EllenRose auf der weißen Pritsche sitzen sah. In den Augen des Mädchens stand der Ausdruck einer tiefen Liebe. Voller Angst fragte sie: »Steht es schlimm mit ihm, Herr Baum?«

»Gar nicht, mein Fräulein. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ich möchte Sie bitten, uns jetzt allein zu lassen, da ich Monsieur Dieuxdonne gründlich untersuchen will.« Sie nickte und warf einen scheuen Blick auf den Geliebten, bevor sie ging. »Weshalb schickt Ihr sie hinaus?« fragte Rene.

»Ich möchte mich jetzt ungestört mit Euch unterhalten. Ich würde diese Unterredung gern hinausschieben, bis Ihr Euch erholt habt. Es geht aber nicht; denn ich muß wissen, woran ich mit van Groot und Euch bin. Van Groot wartet in seinem Boot an der Backbordseite, daß man ihn heraufkommen läßt.«

»Was habt Ihr davon, wenn ich Euch meine Lebensgeschichte erzähle? Das ändert nichts an der Tatsache, daß mein Leben bis zu dieser Minute allen formalen Gesetzen Hohn sprach. Dennoch bereue ich keinen Augenblick, was ich getan habe.«

»Ja, ja. Das ist alles richtig und schön. Mich interessieren die Gesetze der zivilisierten Länder nur nebenbei; denn sie werden von den Angehörigen der Regierungen, die sie selbst geschaffen haben, nur zu oft mißbraucht. Mich interessiert Euer eigenes Schicksal. Wenn ich weiß, was Euch treibt, dann kann ich vor mir selbst entscheiden, ob Ihr richtig oder falsch gehandelt habt. Und danach wird es sich richten, ob Ihr nur freies Geleit bis auf Euer Schiff bekommt oder ob wir als Freunde scheiden.« »Ihr maßt Euch also das Amt eines Richters an?«

»Nein. Ich will nur wissen, mit wem ich es zu tun habe. Jeder ist sein eigener Richter.« »Nun gut. Hört zu. Ich bin in der Bretagne geboren. Wir waren einst eine große und reiche Familie, weitverzweigt über ganz Nordfrankreich. Mein Vater war das Oberhaupt. Alles hing von ihm ab. Jeder hing an ihm. Und ohne ihn war unsere Familie nichts; denn sein Reichtum trug die Vettern, Onkel, Seitenlinien und so weiter. Mein Vater war ein großer Reeder, so groß wie van Groot jetzt ist. Damit nahm die Sache ihren Anfang. Sie befuhren die gleichen Linien. Sie kamen sich wirtschaftlich ins Gehege. Van Groot drohte meinem Vater, der doch ältere Rechte hatte. Mein Vater lachte und meinte, es gäbe genug Platz auf der Welt für zwei gleich große Reedereien. Van Groot steigerte sich in einen Haß hinein, der durch nichts begründet war. Und eines Tages schlug die Glocke in unserem Büro. Und vierzehn Tage später läutete sie wieder. Innerhalb eines halben Jahres gingen sieben Schiffe der Reederei de Mounsier verloren. Mein Vater verlor fast den Verstand. Er hatte keine Erklärung für diese Pechsträhne. Er beschloß, mit den letzten Schiffen selbst hinauszufahren und — — — « »Kam nicht wieder«, ergänzte Michel.

»Oui. Ihr habt recht«, sagte Rene schwer, »kam nicht wieder. Mein Bruder und ich gingen, nachdem meine Mutter vor Gram gestorben war, nach Amerika. Und hier trafen wir durch Zufall einen betrunkenen Matrosen, der uns berichtete, weshalb die Schiffe der Reederei von durch van Groot gedungene Piraten auf den Grund des Meeres geschickt wurden. Wir gaben uns nicht zu erkennen. Von diesem Tag an nannten wir uns nicht mehr Mounsier, sondern Musset. Ich ging eines Tages, nachdem wir nach Europa zurückgekehrt waren, nach Rotterdam. Verkleidet machte ich mich auf den Weg zu van Groot. Ich bot mich ihm als ehemaliger Kapitän der Reederei Mounsier an. Ein Patent konnte ich erbringen. Unsere Kapitäne standen im Ruf, gute Seeleute zu sein.

Van Groot nahm mich. Im Verlauf der Unterhaltung gab ich zu erkennen, daß ich Mounsier während meiner Zeit in seinen Diensten hassen gelernt hätte. Van Groot freute sich darüber. Und dann ließ er die Worte fallen: ,Da wird es Ihnen ja Freude bereiten, daß ich die Brut von den sieben Meeren entfernt habe. Sie waren Konkurrenten schlimmster Sorte, kann ich Ihnen sagen. Auf ihren Märkten hatte ich nichts zu bestellen. Nun, wir haben diese Konkurrenz ausgeschaltet, für immer ausgeschaltet. Sie sind erledigt. —

Ihr könnt Euch denken, daß ich mich gewaltsam beherrschen mußte. Ich ging nach der Bretagne zurück und berief einen Familienrat ein. Wir, die männlichen Angehörigen der ganzen Familie, verkauften allen Besitz. Von dem Erlös rüsteten mein Bruder Leon und ich zwei Schiffe aus. Eines davon ist der »Schwarzrote«. Mit dem anderen ist mein Bruder geflüchtet. Die Männer meines Schiffes« — er lachte — »sie sind erst Piraten geworden, wir alle sind erst Piraten geworden. Sie sind meine Vettern. Pierre ist ein Vetter meines Vaters. Ja, die ganze Familie ist aufgebrochen, um an van Groot Rache zu nehmen. Bien, das ist meine Geschichte.--Gefällt sie Euch?«

»Ihr seid eine tüchtige Familie, scheint es.«

»Gemessen an den Schiffen, die van Groot noch geblieben sind, ja. Aber gemessen an Euch und Euern Burschen auf diesem Schiff hier, sind wir Stümper. Ich sagte schon, daß ich die »Trueno« kenne. Von der Flagge mit den zwei Händen hat jeder Seemann schon gehört. Habt Ihr diese geschulte Piratenflottille aufgebaut?« Michel sah ihn an.

»Es ist eine lange Geschichte. Ich werde sie Euch irgendwann einmal erzählen. Jetzt muß ich hinaus, um nachzusehen, ob der Reeder noch immer in seinem Bootsitzt und wartet. Wahrscheinlich spuckt er schon Gift und Galle.« Er erhob sich vom Rand der Koje.

Bevor er den Verwundeten allein ließ, stellte dieser noch eine Frage: »Ihr werdet Euer Wort halten und mir freien Abzug gewähren?«

»Ich habe noch nie mein Wort gebrochen. Und im Vertrauen, Monsieur, wenn ich an Eurer Stelle gewesen wäre, ich hätte genauso gehandelt. Wo die natürliche Macht des Rechts aufhört, muß man ihr mit Gewalt Geltung verschaffen. Das einzige, was mir an der Art Eurer Vergeltung nicht gefällt, ist, daß Ihr keinen Unterschied gemacht habt zwischen der Person van Groots und den vielen Menschen, die von ihm abhängen. Ihr habt geschossen, habt seine Schiffe versenkt, habt also Eure Rache ausgedehnt auf alle, die ahnungslos für die van Groot'sche Reederei tätig waren. Wieviel Unschuldige sind dieser Rache zum Opfer gefallen?« »Sehr wenige nur. Getötet haben wir mit Absicht nie. Bisher ist noch jede Mannschaft in die Boote gezwungen worden und meines Wissens auch gerettet worden. Irgendwie mußte ich den größten Hai der sieben Meere treffen.«

Michel nickte und reichte ihm die Hand hin.

»Jeder tut es auf seine Weise. Ich selbst habe kein Talent zur Rache, ja, ich lehne sie ab; denn Rache zeugt wieder Rache und wird zu dem endlosen Kreis des Leidens, an dem unsere ganze Welt krankt. Der Mensch ist zu unvollkommen, um Richter über andere Unvollkommene zu sein. Faßt das nicht als Vorwurf auf. Es ist nichts als meine ganz persönliche Meinung.« »Ihr habt so Schweres nicht erlebt«, sagte Rene kurz. Und in seiner Stimme war ein Anflug von Unwille.

»Lassen wir das«, antwortete Michel freundlich. »Schlaft ein wenig und erholt Euch.« Er ging hinaus. Zum erstenmal seit langer Zeit pfiff er wieder ein paar Takte vor sich hin. Ohne Eile schlenderte er über den Gang und stieg die Treppe zum Oberdeck hinauf. An der Reling stand mittlerweile die gesamte Schiffsbesatzung versammelt. Vom Wasser her erklangen wüste Schimpfworte, über die sich die Leute amüsierten. Englische, deutsche und spanische Brocken flogen hin und her.

Die oben verstanden nicht, was die unten sagten, und umgekehrt.

Michel trat an die Reling. Er wurde von unten kaum gesichtet, als Mynheer van Groot ihn auch schon mit Fragen überhäufte.

»Wann werden Sie die Piraten nun endlich gefangennehmen und mir ausliefern?« »Dazu sehe ich keinen Grund.«

»Was? — Sie sehen keinen Grund dazu? Sind Sie wahnsinnig geworden? Meinen Sie, ich habe den Rest meiner Flotte geopfert, nur damit Sie keinen Grund zur Auslieferung der Verbrecher sehen?«

»Haben sie sich Ihnen ergeben oder uns?« fragte Michel. »Was soll das?«

»Das soll heißen, daß keine Veranlassung besteht, sie Ihnen auszuliefern. Übrigens muß ich mich berichtigen. Sie haben sich bis jetzt noch gar nicht ergeben. Es herrscht im Augenblick nur ein Waffenstillstand.«

»Waffenstillstand? Daß ich nicht lache! Waffenstillstand mit Piraten!« »Ich habe mein Wort gegeben, Mynheer van Groot.«

»Ihr Wort, was interessiert mich Ihr Wort! Die Piraten will ich haben ! Ich will sie hängen sehen --hängen sehen!«

»Kaum«, sagte Michel. »Es sind nämlich keine echten Piraten, Mynheer.«

»Sie haben mich vernichtet, geschäftlich ruiniert!« schrie der Reeder erbost. »Wollen Sie mich nun endlich auf das Schiff kommen lassen?«

»Dazu besteht keine Veranlassung mehr.«

»Keine Veranlassung? Sind Sie des Teufels?«

»Ich möchte nur eine Frage an Sie richten.«

»Sie haben keine Fragen zu stellen. Wenn hier jemand fragt, bin ich es.«

»Dann können wir das Gespräch abbrechen. Auf Wiedersehen oder besser: leben Sie wohl, Mynheer.«

Schweigen.

»Warten Sie--warten Sie! Was ist das für eine Frage?«

»Kennen Sie die Familie Mounsier, de Mounsier, Mynheer?«

Der Pfeifer konnte erkennen, wie van Groot sich überrascht nach seinem Sekretär umdrehte. Frans Termeulen hatte große Augen. Sie flüsterten miteinander. Der Pfeifer wartete die Antwort nicht ab, sondern fuhr fort:

»An Ihrem Benehmen erkenne ich, daß dem so ist.«

»Meinetwegen«, schrie van Groot unbeherrscht. »Was wollen Sie mit dieser Frage?« »Sie kennen also den Reeder de Mounsier, der eines Tages von einer Seereise nicht mehr zurückkam?«

»Viele kommen nicht zurück«, sagte Mynheer van Groot bissig. »Die Mounsiers sind zurückgekommen, Mynheer.

Zwar nicht der Reeder selbst; denn den hatten Sie ermorden lassen. Aber seine Söhne. Und diese nannten sich seit dieser Zeit---Dieuxdonne.«

Diese Eröffnung schlug unten im Boot wie eine Bombe ein. »Das ist nicht wahr!« schrie der Reeder.

»Dieuxdonne — nannten sie sich seitdem«, wiederholte Michel nur. »Lassen Sie mich an Bord!«

»Nein, wir haben nichts mehr miteinander gemein. Rudern Sie zu Ihrem Schiff. Ihre Zimmerleute werden das Steuer wieder klarkriegen. Und überlegen Sie sich in Zukunft, daß Verbrechen immer wieder Verbrechen zeugt. Auch das größte Verbrechen macht sich nicht bezahlt. Leben Sie wohl!« Er wandte sich ab und rief seinen Leuten zu:

»Beachtet sie nicht mehr, amigos. Wir haben nichts mit ihnen zu schaffen, gar nichts.«

»Ich will Ihnen das erklären«, klang van Groots Stimme herauf. »So warten Sie doch. Ich erkläre Ihnen alles.«

Das Geschrei nahm kein Ende. Es fiel dem Pfeifer auf die Nerven. Er eilte in seine Kabine und holte seine Muskete. Er stellte sich an die Reling und legte an. Er rief nur ein Wort: »Weg!«

Drohende Fäuste reckten sich gegen ihn. Aber die Ruderer zogen es vor, sich mit Macht in die Riemen zu legen.