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Im Hause van Meeren herrschte einige Wochen später große, jedoch nicht zu große Trauer. Der Resident hatte ein umfangreiches Paket erhalten.
Niemand wußte, wie es plötzlich auf seinen Schreibtisch gekommen war. Er schnürte es mit hastigen Fingern auf. Obenan lag ein Brief. Er legte ihn beiseite. Ihn interessierte der übrige Inhalt mehr.
Er stieß einen Schrei der Überraschung aus. Eine Unmenge großer und kleiner Diamanten rieselte ihm durch die Finger.
»Und das soll alles mir gehören?« flüsterte er mit glänzenden Augen, »alles mir, unfaßlich, unfaßlich!«
Als er sich erholt hatte, öffnete er den Umschlag. Ein Blatt fiel ihm entgegen.
Sehr geehrter Mynheer van Meeren, sehr geehrte Juffrouw Jessie!
Monsieur Rene de Musset, Ihr zukünftiger Schwiegersohn und Verlobter, konnte es nicht lassen, seine Nase in meine Angelegenheiten zu stecken, obwohl es nie in meiner Absicht gelegen hat, ihn zu schädigen oder sein Schiff anzugreifen. Bei unserem letzten Zusammentreffen wäre es ihm fast gelungen, mich für immer von den Gefilden der Ozeane zu vertreiben. Er oder ich, hieß die Parole. Ich konnte keinen Pardon mehr geben, so gern ich auch den Schwiegersohn eines so hochwohllöblichen Hauses wie das der van Meerens geschont hätte. So mußte der Wackere sterben. Dies tat er in meinen Armen, flüsternden Tones, nur mit letzter Anstrengung, schilderte er mir die mißliche Lage, in die ich seine zukünftige Schwiegerfamilie durch meine
Unternehmungen gegen den Reeder van Groot gebracht hätte. Dann schloß er die Augen--
für immer. Da ich von ihm erfuhr, daß Ihr, Mynheer van Meeren, wahrscheinlich der einzige, wirklich schwer geschädigte Gläubiger van Groots seid, möchte ich Euch das Beiliegende als kleine Entschädigung zukommen lassen. Ich hoffe, es wird Euch sowohl über den verlorenen Schwiegersohn als auch über die gesunkenen Aktien trösten. Grüßt mir auch Eure Tochter Jessie und drückt ihr mein Bedauern aus, daß ich ihr den geliebten Mann wegnehmen mußte.
In tiefer Ergebenheit Dieuxdonne, der Pirat
Sowohl Cornelia van Meeren als auch ihre Tochter Jessie waren sprachlos über den plötzlichen Reichtum. Aber zu ihrer Ehre muß gesagt werden, daß Jessies erste Tränen echt waren. Der Vater vermochte sie nur mit dem Hinweis zu trösten, daß sie sich nun praktisch jeden Mann der Gesellschaft aussuchen könne, den sie haben wolle; denn Geld war schon in jenen Zeiten das A und O des Lebens.
»Ich verzichte auf alles Geld«, schrie Jessie in gerechtem Zorn und großem Schmerz, »du hast ihn in den Tod gehetzt, du hast Rene in den Tod gehetzt, du bist nicht mein Vater, nein, du bist nicht mein Vater!«
Der Resident strich seinem Kind beruhigend über die Haare und meinte: »Sieh, Jessie, wenn ich nicht mehr dein Vater sein soll, dann bist du auch nicht mehr meine Tochter. Und wenn du nicht meine Tochter bist, dann kannst du weder eine Mitgift noch eine Erbschaft von mir erwarten. Also überleg dir's, Kind. Ich bin jetzt vielleicht doch ein ganz begehrenswerter Vater.«
Zwei Tage später hatte sich Jessie entschlossen, doch die Tochter ihres Papas zu bleiben. Rene — gewiß, es war traurig, daß es nun keinen Rene de Musset mehr gab; aber da waren so viele Jans, Fransens, Dircks und Heins und wie sie alle hießen, Jungen, die nicht nur alle vier Wochen mal auf Besuch kamen, Jungen, die immer da waren und keine großen Probleme aufgaben. Ein halbes Jahr verstrich, da hatte sie sich für einen Dirck entschieden; dieser Dirck hatte das Zeug dazu, ein großer Pflanzer zu werden. Man brauchte nur ein wenig Anfangskapital. Dirck ließ sich heiraten. Mit Jessies Geld war er nach weniger als fünf Jahren einer der größten Plantagenbesitzer auf Celebes. Aber die Umstände zwangen ihn doch, ab und zu nachzudenken, ob Geld wirklich das A und O des Lebes war. Manchmal, wenn er in einsamen Nächten über seine Felder ging, beneidete er den, der so früh dahingegangen und deshalb nicht dazu gekommen war, Jessies Mann zu werden. Glücklicher Rene, dachte er, glücklicher, toter Rene...